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Wirtschaftswunder! Herrliche, komische Zeiten waren das - nicht nur in der alten Bundesrepublik. Es gab sie auch auf einer kargen, einsamen Insel im Nordatlantik. Die Sonne, die Island in den sechziger Jahren in eine Goldinsel zu verwandeln schien, ging im Westen auf. Alles kam aus Amerika: das Fernsehen, die Rockmusik, die langen Schlitten und das große Geld. Unerhörte Zeiten brachen an - auch im Camp Thule, dem Barackenviertel von Reykjavík, wo sich Tommi, der Krämer, und seine Frau Lina, die Wahrsagerin durchs Leben schlagen ...
Ausstattung: Stammbaum, Lageplan

Produktbeschreibung
Wirtschaftswunder! Herrliche, komische Zeiten waren das - nicht nur in der alten Bundesrepublik. Es gab sie auch auf einer kargen, einsamen Insel im Nordatlantik. Die Sonne, die Island in den sechziger Jahren in eine Goldinsel zu verwandeln schien, ging im Westen auf. Alles kam aus Amerika: das Fernsehen, die Rockmusik, die langen Schlitten und das große Geld. Unerhörte Zeiten brachen an - auch im Camp Thule, dem Barackenviertel von Reykjavík, wo sich Tommi, der Krämer, und seine Frau Lina, die Wahrsagerin durchs Leben schlagen ...

Ausstattung: Stammbaum, Lageplan
Autorenporträt
Einar Kárason, geboren 1955, ist einer der wichtigsten Autoren der skandinavischen Gegenwartsliteratur. Berühmt wurde er durch seine Trilogie »Die Teufelsinsel«, »Die Goldinsel« sowie »Das Gelobte Land«. Sein Roman »Sturmerprobt« stand auf der Shortlist des Nordischen sowie des Isländischen Literaturpreises. Für »Versöhnung und Groll« erhielt er den Isländischen Literaturpreis. Zuletzt erschien bei btb 2017 die Isländer-Saga »Die Sturlungen«, an der der Autor über ein Jahrzehnt arbeitete. Für »Sturmvögel« wurde er 2020 mit dem schwedischen Kulturhuset-Stadsteatern-Preis für internationale Literatur ausgezeichnet. Kárason lebt in Reykjavík.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.1995

Elvis in Island
Einar Kárason beschreibt die wilden Jahre der Goldinsel

Es ist beruhigend, wenn man von Zeit zu Zeit in der Literatur das wiederfindet, was man schon immer wußte. Beispielsweise über Island: eine unwirtliche Insel am Polarkreis, eine stoische Bevölkerung mit festen Familienbanden und starkem Hang zum Alkohol, wilde See und feurige Vulkane, Holzhütten und Fischkutter. Alles das kennen wir aus den Fernsehreportagen, den erfolgreichen Spielfilmen von Fridrik Thor Fridriksson oder auch aus den Büchern von Halldór Kiljan Laxness. Und wir finden all das wieder in den Romanen des jungen Erben von Laxness, Einar Kárason. Er setzt die sozialkritische Strömung der isländischen Literatur dieses Jahrhunderts fort, gewinnt die jüngste Vergangenheit für seine Stoffe und fängt wie kaum ein anderer die Ambivalenz des einst zur "Insel der Seligen" verklärten Eilands ein. Island ist ihm einmal "Teufelsinsel", dann wieder "Goldinsel".

Dies sind auch die Titel der beiden in Hans Magnus Enzensbergers "Anderer Bibliothek" erschienenen Romane von Kárason. "Die Teufelsinsel", vor zwei Jahren auf deutsch publiziert, widmete sich der unmittelbaren Nachkriegszeit Islands. Seit 1940 von Briten und Amerikanern besetzt, 1949 der Nato beigetreten, den Amerikanern als Stützpunkt im Kalten Krieg äußerst gelegen, durchlief die Insel einen zunächst schmerzhaften, dann einträglichen Anpassungsprozeß an die Moderne. Während das erste Buch um die Familie der Wahrsagerin Karolina die oft bitteren fünfziger Jahre thematisierte, schildert die jetzt publizierte Fortsetzung "Die Goldinsel" den Wirtschaftsboom des Folgejahrzehnts, als die amerikanischen Truppen Wohlstand und Lifestyle ins Nordmeer brachten. Entwicklungshilfe dieser Zeit konnte seltsame Wege gehen: Die Eingeborenen wollten zunächst so singen wie Elvis Presley.

Obwohl beide Bücher nicht nur durch ihr Personal, sondern auch durch vielfältige Handlungsfäden miteinander verknüpft sind, läßt sich "Die Goldinsel" ohne Verlust auch separat lesen. Schnell führt Kárason seine Leser in Charakter und verwickelte Beziehungen seiner Protagonisten ein. Immer noch bewohnten Karolina und die Ihren das illegal errichtete "Alte Haus" im ehemals amerikanischen Camp Thule, das nach dem Abzug der Garnison von der armen Stadtbevölkerung Reykjaviks besiedelt wurde. Hier hat sich der Bodensatz der isländischen Gesellschaft versammelt: Großfamilien, die zumeist vom Einkommen eines einzigen Ernährers abhängig sind, häufig im Streit miteinander, neiderfüllte Beobachter der eigenen Umgebung. Man kennt diese Konstellation aus Ettore Scolas Film "Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen", dem satirischen Porträt eines italienischen Slums auf einer Müllkippe. Kárasons Roman liest sich wie dessen Übersetzung in isländische Verhältnisse.

Seine Charaktere sind deshalb grotesk übersteigerte Archetypen: Die schöne Querulantin Dolli, die abergläubische Karolina, der großkotzige Baddi oder der verträumte Danni. Sie alle schlagen sich auf Kosten von Karolinas Ehemann Tommi durch ein tristes Leben, in das nur bisweilen ein Lichtstrahl fällt. Alljährlich zu Weihnachten kommt das Care-Paket der nach Amerika verheirateten Tochter Gogo, ansonsten durchbricht höchstens das Blinklicht eines Krankenwagens, der den toten Nachbarn abholt, das polarnächtliche Dunkel. "Wenn Leben aus Leiden besteht, dann ist Leben auf dieser Insel . . ."

Doch gegen dieses Leiden setzen Kárasons Helden ihre individuellen Hoffnungen. Daß sie samt und sonders enttäuscht werden, bricht diese Überlebenskünstler nicht. Ihr Autor entfaltet zudem eine glitzernde Kollektion gleichsam in die Handlung eingewobener Kurzgeschichten, die es weder an Komik noch an Tiefgang fehlen lassen - jede eine kleine weitere Facette der ungeschliffenen Charaktere, an denen Kárason über zwei Bücher vorsichtig poliert, um ihnen Glanz zu verleihen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Autor, der "Die Goldinsel" als Dreißigjähriger geschrieben hat, auch von Bagatellen zu erzählen weiß, die dann unter seiner Feder zu bedeutsamen Ereignissen werden, ist hierzulande ohne Beispiel. Rattenbekämpfung im Keller oder die Saufzüge der Campbewohner werden so zu kleinen Tragödien. Vor dem Leser entsteht ein beiläufiges und doch präzises Bild des randständigen Island vor dreißig Jahren. Am Ausgang dieser Epoche wie des Buches lauern schon die Fischereikonflikte, unter denen die Insel später leiden sollte. Kárasons Protagonisten aber fallen auch nach individuellem Unglück, dem Abriß des "Alten Hauses" und der Rückkehr der amerikanischen Verwandtschaft, wieder auf die Füße. Man kann nur hoffen, daß ein dritter Band uns ihre Vita in den siebziger Jahren erzählen wird. ANDREAS PLATTHAUS

Einar Kárason: "Die Goldinsel". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Marita Bergsson. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1995. 311 Seiten, geb., 48,- DM.

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