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Ein altes Haus in Senedjan. Seit 800 Jahren wohnt hier die Familie des Teppichhändlers Agha Djan. Unter seiner Obhut leben die Menschen in einträchtiger Harmonie - bis die von Teheran und den Aufständen gegen das korrupte Regime des Schahs ausgehende Unruhe auch sie erreicht. In seinem neuen Roman breitet Kader Abdolah das zutiefst menschliche Schicksal einer iranischen Großfamilie wie ein bunt schillerndes Geschichtengewebe vor uns aus.

Produktbeschreibung
Ein altes Haus in Senedjan. Seit 800 Jahren wohnt hier die Familie des Teppichhändlers Agha Djan. Unter seiner Obhut leben die Menschen in einträchtiger Harmonie - bis die von Teheran und den Aufständen gegen das korrupte Regime des Schahs ausgehende Unruhe auch sie erreicht. In seinem neuen Roman breitet Kader Abdolah das zutiefst menschliche Schicksal einer iranischen Großfamilie wie ein bunt schillerndes Geschichtengewebe vor uns aus.
Autorenporträt
Kader Abdolah, 1954 im Iran geboren, studierte Physik in Teheran und war in der Studentenbewegung aktiv. 1988 floh er aus politischen Gründen mit seiner Familie nach Holland, wo er heute in der Nähe von Amsterdam lebt. Kader Abdolah zählt zu den bedeutendsten iranischen Exilschriftstellern und ist in den Niederlanden ein Bestsellerautor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2008

Mullahs und Marxisten

Die Familiensaga des Iraners Kader Abdolah zeichnet ein farbiges Bild seiner Heimat, die er verlassen musste. Manchmal tut er dabei des Guten zu viel.

Alles beginnt mit dem Mann auf dem Mond. Schahbal, Spross einer einflussreichen und frommen Familie, die seit Jahrhunderten das Haus an der Moschee in einer nordiranischen Stadt bewohnt und Imam und Moazzen stellt, will unbedingt im Fernsehen live verfolgen, wie der kleine Schritt des Astronauten Armstrong zum gigantischen Sprung für die Menschheit wird. Doch weil die Mullahs aus Qom in Flimmerkisten Teufelszeug und in Amerikanern Gottlose sehen, muss der Fernsehabend mit den beiden Onkeln, dem Imam Alsaberi und Agha Djan, dem Patriarchen der Familie, eben heimlich stattfinden.

Für Letzteren, den Teppichhändler und Basarvorsteher, zieht mit den flimmernden Bildern auch eine Ahnung auf, dass neue Zeiten ins Haus stehen. Schon lässt der ungeliebte Modernisierungsdiktator aus Teheran durch seine europäisch gekleidete Frau nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Kinos eröffnen, in denen allzu freizügige amerikanische Filme gezeigt werden, und provoziert prompt den bewaffneten Untergrund der erstarkenden Gotteskrieger. Die werden ein Jahrzehnt später Reza Pahlewi aus dem Land jagen und ihrerseits eine Diktatur errichten.

Die Mitglieder der Familie Agha Djans finden sich in den Auseinandersetzungen zwischen islamischen Fundamentalisten und ihren Gegnern auf Seiten der Opfer und Täter wieder oder geraten zwischen die Fronten. Gegenspieler in dieser politischen Familientragödie sind der junge Schahbal, der sich einer marxistischen Studentengruppe anschließt, die zuerst vom Geheimdienst des Schahs und später von den Mullahs geächtet wird, und der energische Geistliche Galgal, der als Schahgegner ins Exil flieht und Jahre später als Adlatus Chomeinis und grausamer Richter Gottes zurückkehrt, ein Jakobiner mit Bart und Turban, dessen revolutionärer Eifer die eigene Familie nicht schont.

Selbst Frauen verwandeln sich in hartherzige Wächterinnen über die Befolgung der Scharia, wie die Witwe des verstorbenen Imams und ihre verbitterte Tochter Sediq, die von Galgal verlassen wurde. Am Ende fällt der einzige Sohn des Patriarchen den machthungrigen Sittenwächtern zum Opfer. Verzweifelt fährt der Vater nachts mit dem Leichnam seines Kindes durch die nordiranischen Berge: Für den vermeintlich Gottlosen findet sich kein Grab.

Kader Abdolah, der 1988 aus Iran fliehen konnte, seitdem in den Niederlanden lebt und unter einem Pseudonym, das an zwei ermordete Freunde erinnert, auf Niederländisch schreibt, hat erneut eine Familiensaga verfasst, in deren Mittelpunkt eine starke Vaterfigur steht. Anders als in seinem großartigen Roman "Die geheime Schrift" über einen taubstummen Teppichflicker spielt sich die Tragödie über einen kürzeren Zeitraum ab - dafür weitet sich die Perspektive, indem Figuren des politischen Lebens wie Chomeini und dessen Ehefrau in die Handlung einbezogen sind. Beide entdecken in Abdolahs Roman mit Hilfe des Fotografen Nosrat, eines Bruders Agha Djans, das Medium des Films für ihre Zwecke: Chomeini, um sich unsterblich zu machen und die Massen zu agitieren, und seine Frau, um in einer engen Beziehung zu Nosrat, der den Alltag des Ehepaars filmt, einen Hauch jener Aufmerksamkeit zu erhaschen, die ihr als Gattin des Revolutionsführers stets verwehrt blieb. Chomeini hingegen zückt bei Dariush Mehrjuis Film "Die Kuh" das Taschentuch und verordnet der Nation einen Fernsehabend mit diesem Meisterwerk über eine ländliche Mensch-Tier-Tragödie. In derselben Nacht stürmen seine Getreuen die amerikanische Botschaft.

Trotz solcher Szenen hinterlässt die Lektüre bei aller orientalischen Opulenz und anrührenden Tragik einen etwas schalen Eindruck. Denn die politischen und psychologischen Handlungsmotive der Figuren bleiben nebulös. In einem Interview bekundete Abdolah unlängst, dieses Buch ausschließlich für seine westlichen Leser geschrieben zu haben - in Iran sei das alles bekannt. Uns aber wolle er an die Hand nehmen und einen Blick hinter den Vorhang gewähren. Und, so fügte er noch hinzu, er wisse genau, was wir wissen und was nicht. Die Literatur scheint somit nicht anders zu funktionieren als die Vermarktung iranischer Filme und Kunstinstallationen, die sich in solche teilen, die in Iran für das iranische Publikum gemacht werden und oft von Problemen erzählen, die es auch bei uns gibt, und solche, die eher den westlichen Zuschauer anvisieren, von dem man meint, dass er nach Exotik verlange: Bilder von trauriger Schönheit in prächtigen Farben und vom Schicksal gestauchte Gestalten in magischer Landschaft.

Was genau will uns der Autor, der um die Magie seiner Bilder weiß, zeigen? Das Iran der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, so wie Abdolah es schildert, ist eine archaisch-orientalische Märchenwelt, die nicht ohne Zutun des Schahs in den Strudel politischer Machtkämpfe gerät, in Blut und Gewalt versinkt und sich schließlich in einen grimmigen Gottesstaat verwandelt, in dem der Koran missbraucht und pervertiert wird. Der Roman ist eine Elegie aus der Feder eines aus Land und Sprache Exilierten, getragen vom Heimweh nach einer Heimat, die es so nicht mehr gibt, erzählt in einem für Abdolah bisher eher untypischen, konventionellen Erzählstil. Fast ganz verschwunden sind die surrealen Bilder, die skurrilen Charaktere und die nicht immer einfach zu konsumierende Vermischung von verschiedenen Erzählebenen und Stimmen. Dafür breitet sich zwischen den Zeilen Orientalismus aus, ein Bild der islamischen Welt, wie es derzeit im Westen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage zu folgen scheint und uns vor allem von Autoren, die hier und nicht dort leben, präsentiert wird: eine Mischung aus Tausendundeiner Nacht und religiösem Fanatismus, aus Gewalt, verschleierten Frauen und skrupellosen Mullahs, denen Schahbal, das Gewissen der Familie, bis nach Kabul folgen wird, um ihre Untaten zu rächen. Die Hoffnung nimmt er mit ins Exil, wo er zum literarischen Rapporteur des Geschehens wird.

An einem solchen Bild der jüngsten iranischen Geschichte ist sicher vieles richtig, es ist inzwischen auch nicht ganz unbekannt. Man sollte sich jedoch hüten, es als das einzig gültige zu lesen. Hinter dem Vorhang ist mehr, als Abdolah uns zeigen möchte.

SABINE BERKING.

Kader Abdolah: "Das Haus an der Moschee". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Christiane Kuby. Claassen Verlag, Berlin 2007. 400 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2008

Der ultimative Kick im Stübchen des Muezzins
Kader Abdolah erzählt in seinem Roman „Das Haus an der Moschee” den Weg Irans zur islamischen Revolution 1979 als Familiengeschichte
Ein Imam guckt nicht TV. Das ist westliches Teufelszeug und Sittenverderbnis, und außerdem ist der verhasste Schah auf dem Bildschirm allgegenwärtig. Fernsehen ist haram, also von den religiösen Repräsentanten als unislamisch verboten. Und doch besteht der Schüler Shabhal darauf, dass seine beiden Onkel, der eine Prediger, der andere Vorsteher der alten Freitagsmoschee der ostiranischen Stadt Senedjan, am Abend des 20. Juli 1969 Fernsehen schauen. Er schleppt ihnen ein Gerät aufs Zimmer, installiert eine Antenne, drückt den Knopf. Und so werden die frommen Männer Zeugen, wie Apollo II auf dem Mond landet, wie sich die Tür der Kapsel öffnet und ein Mann im Raumfahreranzug tapsig die berühmten „großen Schritte für die Menschheit” macht. „Unmöglich, unglaublich”, flüstern sie.
„Die Amerikaner wollen ihre Flagge in den Mondboden stecken, doch der Imam der Stadt weiß nichts davon”, hält Shabhal ihnen vor. „In der Moschee muss über das gesprochen werden, was die Leute beschäftigt.” Doch von den Geistlichen wird die Moderne, die der Schah ins Land holt, im besten Fall ignoriert, im schlechtesten Fall bekämpft mit aufrührerischen Predigten, aber auch mit Terror. Die Mullahs wettern gegen die Kinos, und hier und da gehen Bomben hoch. Kaiserin Farah Diba, die – elegant, unverschleiert, mit frisch operiertem Stupsnäschen – das neue Lichtspielhaus von Senedjan einweihen soll, entkommt nur knapp einem Anschlag.
Die Konflikte zwischen Tradition und Moderne, die Spannungen zwischen religiöser Gewissheit und leidenschaftlicher Gleichgültigkeit dem Glauben gegenüber, eskalieren in den sechziger und frühen siebziger Jahren zum blutigen Kampf der Zeichen und Symbole. Kader Abdolah, der heute in den Niederlanden lebt, erzählt den Weg Irans zur islamischen Revolution 1979 als Familiengeschichte. Im „Haus an der Moschee”, dem uralten Anwesen der Familie Farahani, treffen die verschiedenen geistigen Strömungen der Zeit aufeinander.
Da ist der Dichter, den nach dem Studium in Frankreich das Heimweh in den Iran zurückgetrieben hat, ein Grandseigneur, der Pariser savoir vivre und persische Lebenskunst so stilvoll vereinbart, dass von den Dienerinnen bis zu den Herrinnen des Hauses alle Herzen diesem Hafez-Nachfahren zufliegen. Da ist der Fotograf aus Teheran, der nichts so sehr genießt wie die Regelverletzungen und eine unverschleierte Frau in sein Vaterhaus mitbringt – und als ultimativen Kick sich mit ihr im Muezzinstübchen oben im Minarett vergnügt. Da ist der junge Imam, der, frisch von der theologischen Hochschule gekommen, unter Opiumeinfluss die Freitagsgebete so spannend gestaltet, dass er im ganzen Land zu Predigten eingeladen wird und nebenher seine Sammlung von Liebesbriefchen ständig vergrößert. Da sind der Ingenieursstudent, der in die amerikanisch geführte Hochschule für Ölfördertechnik bei Senedjan aufgenommen wird, Shabhal, der sich der sozialistischen Opposition gegen den Schah anschließt, und der mächtige Teppichhändler Agha Djan, das Haupt des Hauses und des Basars, dessen große Toleranz, fraglose Frömmigkeit und gütige Autorität alles zusammen halten. Bis die Risse in der Gesellschaft auch ins Haus an der Moschee vordringen.
Wunsch nach Rache
Der Islam als Lebensform, wofür Agha Djan steht, sieht sich zunehmend einem politisierten Islam gegenüber: Ein radikaler junger Geistlicher kommt ins Haus, um eine der Töchter zu heiraten. Im Lauf der Geschichte ist er unschwer als Ayatollah Sadeq Khalkhali zu erkennen, als der oberste „Blutrichter der Revolution”, der nach dem Sieg der Islamisten von Ayatollah Chomeini beauftragt wird, die Revolution unumkehrbar zu machen. Die politischen Frontstellungen in der Gesellschaft zeigen sich immer schärfer auch innerhalb der Großfamilie, und als die großen Säuberungen einsetzen, hinterlassen sie auch im Haus an der Moschee ihre Leerstellen.
Es ist der Roman seines Lebens, den Kader Abdolah mit seinem neuen Buch geschrieben hat, iranische Geschichte, persönliche Erlebnisse und dichterische Freiheit sind eng und plausibel zu einer großen Familiensaga verwoben. Und dass der Erzähler sich selber in der Figur des Shabhal einführt, der gegen den Schah, dann gegen die Islamisten kämpft und später in die Niederlande ins Exil flieht, bemüht er sich gar nicht erst zu kaschieren. Schreibend erfüllt er sich seinen Wunsch nach Rache: Khalkhali, der im Buch Golgol geschrieben wird und im Haus an der Moschee einen verheerenden Einfluss gewinnt, ist 2003 mit 77 Jahren in Teheran eines gewaltlosen Todes gestorben. Im Roman verfolgt ihn Shabhal bis nach Kabul, wo der grausame Fanatiker unter den Taliban eine neue Wirkstätte gefunden hat. Dort steigt der Rächer ins Haus ein und erschießt ihn. Das Buch des Exilanten wurde 2005 in seiner neuen Heimat zum zweitbesten niederländischen Roman aller Zeiten gewählt.
In „Dawuds Traum” (2003), der Erzählung einer Reise, begleiten den Ich-Erzähler fünf ermordete und vermisste Freunde, für deren Tod er sich verantwortlich fühlt. Es sind ehemalige Genossen, mit denen er ein Geistergespräch führt. Schließlich ziehen sich die Gespenster zurück: Der Überlebende darf das Leben – die Schönheit, die Liebe, die Poesie – wieder ohne Schuldgefühle genießen. Kader Abdollahs Bücher lassen sich auch als Befreiung von einer mörderischen Vergangenheit lesen. Sie eröffnen den Lesern den Einblick in die jüngere iranische Geschichte von einem, der alles aus nächster Nähe erlebt hat. Und der sich bemüht, auch die Mentalität und Kultur seines Landes zu vermitteln.
Agha Djan, was übersetzt „lieber Herr” oder auch „Seele” heißt, überlebt die vielen Toten der Familie. Als Vertreter eines sanften Islam setzt Kader Abdolah sein Davonkommen einem utopischen Versprechen gleich. „Für dich gibt es keinen Tod”, steht in dem Brief, der eines Tages aus Holland in das fast leere Haus an der Moschee flattert. „Du bleibst, bis sie alle gegangen sind und bis sie alle wiederkommen.” ELISABETH KIDERLEN
KADER ABDOLAH: Das Haus an der Moschee. Roman. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby. Claassen Verlag, Berlin 2007. 396 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr eingenommen zeigt sich Elisabeth Kiderlen von Kader Abdolahs Roman "Das Haus an der Moschee", der in Form einer Familiengeschichte von der explosiven Situation im Iran am Vorabend der islamischen Revolution 1979 erzählt. Sie attestiert dem im niederländischen Exil lebenden Autor, die Risse in der iranischen Gesellschaft eindringlich vor Augen zu führen, indem er die verschiedenen Strömungen der Zeit - Sozialisten, Vertreter des Islams als Lebensform, politisierte Islamisten,  Liberale - auf dem Anwesen der Familie Farahani aufeinander prallen lässt. Abdolahs Buch ist für Kiderlen der "Roman seines Lebens", ein Werk, das in ihren Augen höchst gekonnt iranische Geschichte, autobiografische Erlebnisse und die Freiheit der Dichtung verknüpft.

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