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2008, kurz nachdem sie sich in Australien begegnet waren, schrieb J. M. Coetzee an Paul Auster in New York und bot ihm an, gemeinsam einen Briefwechsel zu führen. Bis 2011 debattieren sie freimütig sie über den Lauf der Welt: von Tennis bis Vatersein, von erotischer Attraktion bis Finanzkrise, von Hochzeit zu Liebe. Scharfsinnig denken sie über unsere Gegenwart nach und bieten dem Leser in ihren manchmal ausgelassenen Briefen Einblick in ihr Leben und ein ungeschütztes Porträt ihrer Freundschaft. Und sie erklären, warum es manchmal besser ist, Laub zu harken, als Romane zu lesen.

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Produktbeschreibung
2008, kurz nachdem sie sich in Australien begegnet waren, schrieb J. M. Coetzee an Paul Auster in New York und bot ihm an, gemeinsam einen Briefwechsel zu führen. Bis 2011 debattieren sie freimütig sie über den Lauf der Welt: von Tennis bis Vatersein, von erotischer Attraktion bis Finanzkrise, von Hochzeit zu Liebe. Scharfsinnig denken sie über unsere Gegenwart nach und bieten dem Leser in ihren manchmal ausgelassenen Briefen Einblick in ihr Leben und ein ungeschütztes Porträt ihrer Freundschaft. Und sie erklären, warum es manchmal besser ist, Laub zu harken, als Romane zu lesen.
Autorenporträt
J. M. Coetzee, der 1940 in Kapstadt geboren wurde und von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt lehrte, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane und sein umfangreiches essayistisches Werk mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. zweimal mit dem Booker Prize, 1983 für 'Leben und Zeit des Michael K.' und 1999 für 'Schande'. 2003 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Coetzee lebt seit 2002 in Adelaide, Australien. Literaturpreise: u.a.: Lannan Literary Award 1998, Booker Prize 1983 (für 'Leben und Zeit des Michael K'.), Booker Prize 1999 (für 'Schande'), Commonwealth Writers Prize 1999 (für 'Schande'), ¿Königreich von Redonda-Preis¿ 2001, Literaturnobelpreis 2003 Paul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Er studierte Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University und verbrachte danach einige Jahre in Paris. Zum Bestsellerautor wurde Auster mit der New York-Trilogie, berühmt durch die Filme ¿Blue¿ und ¿Smoke in the Face¿. 2006 wurde ihm der Prinz-von-Asturien-Preis verliehen. Paul Auster veröffentlichte zuletzt ¿Winterjournal¿. Er lebt in Brooklyn, New York. Reinhild Böhnke wurde 1944 in Bautzen geboren und ist als literarische Übersetzerin in Leipzig tätig. Sie ist Mitbegründerin des sächsischen Übersetzervereins. Seit 1998 überträgt sie die Werke J. M. Coetzees ins Deutsche, außerdem hat sie u.a. Werke von Margaret Atwood, Nuruddin Farah, D.H. Lawrence und Mark Twain ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hubert Spiegel begrüßt den nun vorliegenden Band mit dem Briefwechsel von Paul Auster und J. M. Coetzee aus den Jahren 2008 bis 2011. Die Korrespondenz der beiden Schriftsteller um das Leben, um Fragen der Identität, um Sex und Erotik findet er überaus gedankenreich und immer wieder überraschend. Während er Auster für seine Selbstironie, seinen Witz, seine Anekdoten schätzt, beeindruckt ihn Coetzee mit einem an Beckett oder Kafka erinnernden ernsten Humor und mit seiner Kunst, erstaunliche Fragen zu stellen, die für ihn immer wieder die Perspektive erweitern. Auch Coetzees Gedankenexperiment, sich die Welt ohne sich selbst vorzustellen, hat Spiegel fasziniert. Sein Fazit: ein höchst anregender Briefwechsel.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.06.2014

Die Kunst der Aussparung
Der Briefwechsel zwischen den Schriftstellern John M. Coetzee und Paul Auster lebt vom Reiz des zufälligen Nebeneinanders.
Dazu gehört die Nachbarschaft von Sport und Autorschaft, also das Streben nach Vollkommenheit
VON LOTHAR MÜLLER
Im Juli 2010, während in Südafrika die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, sitzt der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger John M. Coetzee, der aus Südafrika stammt, in Australien vor dem Fernseher. Und in Brooklyn, in den Vereinigten Staaten, sitzt der Schriftsteller Paul Auster ebenfalls vor dem Fernseher. Kurz nachdem sie sich im Februar 2008 bei einem Literaturfestival erstmals begegnet sind, haben sie einen Briefwechsel begonnen, auf Anregung Coetzees, des Älteren der beiden. Coetzee ist im Februar 1940, Auster im Februar 1947 geboren. Dass sie älter werden und was aus der Welt ihrer Kindheit geworden ist, spielt in ihrem Briefwechsel nicht nur dann eine Rolle, wenn sie sich fragen, was eigentlich der Begriff „Spätstil“ besagen will.
  Am 19. Juli 2010 eröffnet Coetzee sein Fax mit dem Satz: „im Sog der Fußballweltmeisterschaft habe ich mir Gedanken über die Frage gemacht, warum Du und ich, Du nicht mehr so jung wie einst und ich definitiv bejahrt, so viel Zeit damit verbringen, uns Sport, den wir selbst nicht mehr ausüben können, anzuschauen“. Die Frage taucht nicht zum ersten Mal auf in diesem Briefwechsel, längst hat Paul Auster seitenlang über seine von Kindheit an beständige Leidenschaft für Baseball geschrieben und wie er später den Fußballsport („soccer“) entdeckt hat, von dem er mehr hält als Coetzee, über das Verhältnis von Mannschafts- und Einzelsport, aktivem Sporttreiben und passivem Sportkonsum per TV.
  Coetzee wiederum hat im Dezember 2008, im australischen Hochsommer, zwei oder drei Bücher, die er gerade las, beiseitegelegt und sein Nachdenken über die Rolle der Zahlen in der Weltfinanzkrise und ihren Einfluss auf das wirkliche Leben unterbrochen, um „den dritten Tag eines fünftägigen Kricketspiels zwischen den Nationalmannschaften von Australien und Südafrika zu verfolgen“. Damals endete das Fax mit dem bekümmerten Eingeständnis Coetzees – „es ist eine Zeitverschwendung, muss ich zugeben“ – und der nicht minder bekümmerten Frage: „Ist Sport einfach wie Sünde: Man missbilligt es, doch man erliegt der Verlockung, weil das Fleisch schwach ist?“
  Nun, während der Fußball-WM 2010, findet Coetzee eine Rechtfertigung für die Zeitverschwendung: „Die Antwort ist wahrscheinlich, dass wir beide im organisierten Sport und in dem Schauspiel des Sports, für das sich so viele Menschen begeistern, eines der wichtigsten Phänomene unserer Zeit sehen.“ Zu den Vorzügen dieses Briefwechsels gehört, dass der Leser diese Allerweltsausrede Coetzees für sein „Laster“ längst nicht mehr glaubt. Er weiß, warum Coetzee das Zeitverschwendungs-Argument in den Wind schlägt, wenn er dem Tennis-Profi Roger Federer bewundernd zuschaut. Weil er begeistert ist „über die Offenbarung, was ein Mensch – einer wie Du und ich – leisten kann. Und das ähnelt, wie ich finde, sehr meiner Reaktion auf Meisterwerke der Kunst“.
  Coetzee spielt selber leidlich Tennis, und bei einer Radtour in den Cevennen quält er sich die Berge hoch, spielt im Bericht darüber mit dem Gedanken, dies sei „eine großartige Schule des Stoizismus“, und verbindet das sogleich mit der Frage: „Warum schreiben?“ Die Analogie von Schreiben und Berge hochfahren mündet in den Satz: „Ich bin nicht einer, der mangelhafte Prosa in die Welt bringt.“
  Der Sport ist nur eines der wiederkehrenden Themen in diesem Briefwechsel, in dem Auster lieber Papierbriefe übers Meer als E-Mails schickt, Coetzee in der Regel zurückfaxt oder auch mal E-Mails an Austers Ehefrau Siri Hustvedt schickt. Beide Autoren sind Teilnehmer an Festivals, Jury-Mitglieder, überdies Zeitungsleser, die nicht nur die Weltfinanzkrise, sondern auch den Nahen Osten und den Beginn des arabischen Frühlings im Blick haben.
  Das Zentrum der politischen Passagen ist die Desillusionierung über die Politik Israels unter Netanjahu. Austers Israel-Reise im Frühjahr 2010 ist eine Quelle dieser Desillusionierung, Coetzee mag sich mit der Vision von Fußballspielen zwischen Israelis und Palästinensern, bei denen beide das Verlieren lernen, nicht bescheiden. Er erwägt, ob nicht der Abschied von der Apartheid unter de Klerk – der sich dabei diskret die Zustimmung der Armee sicherte – ein Modell für Israel sein könne.  
  Das Reizvolle an Briefwechseln – das verbindet sie mit Zeitungen – ist das Nebeneinander der Themen. Es bringt Nachbarschaften hervor, denen der Leser nachsinnen kann. Dazu gehört hier die Nachbarschaft von Sport und Autorschaft: Coetzees Bericht darüber, wie er als junger Mann und obsessiver Schachspieler auf einer Atlantiküberquerung nach Amerika verbissen mit einem jungen Deutschen eine Partie spielte, die ihn lange nicht in Ruhe lässt, weil er glaubt, vorschnell einem Remis zugestimmt zu haben, ist eine Urszene des Künstlers Coetzee, wie die Leidenschaft für das Kino und die Filme ein Kernelement des Autors Paul Auster ist.
  So anregend sich aber die beiden Autoren über ihr Metier verständigen, etwa über die Weigerung Coetzees, in seinen Romanen Handys auftreten zu lassen, über Jacques Derridas Theorie der Muttersprache, über die Rezension der Briefe Samuel Becketts, die Coetzee verfasst, den Vortrag, den Auster über Beckett hält, Motive wie den Geschwisterinzest, der bei Auster vorkommt, den Antisemitismus-Vorwurf, den eine Leserin Coetzee macht, weil eine seiner Figuren abfällig über Juden redet – es bleibt bis zum Ende unklar, warum genau eigentlich Paul Auster die Romane von Coetzee liest – und warum Coetzee die Romane von Paul Auster.
  Als Ende 2009 der Kritiker James Wood – ausgerechnet im New Yorker – Paul Austers Werk insgesamt scharf kritisiert, schickt Coetzee eine Trostmail an Austers Ehefrau, und beide versichern sich, dass sie nicht viel von Kritikern halten. Und natürlich ist es auch tröstlich, wenn Coetzee an Auster schreibt, er habe dessen neuen Roman „Sunset Park“ sogleich „verschlungen“. Aber nie führt der wechselseitige Respekt vor dem Werk des anderen zur Mitteilung von Leseerfahrungen, die auch nur annähernd die Konkretion der Passagen erreichen, in denen Coetzee etwa den Roman „Exit Ghost“ von Philip Roth oder einen Film, den Auster schätzt, kritisch kommentiert. Sehr ausführlich aber fachsimpeln Coetzee und Auster über das Gesamtwerk des Regisseurs William Wyler – weil einer seiner Filme in Austers „Sunset Park“ eine Schlüsselrolle spielt. In den Techniken der Aussparung kann es dieser lesenswerte Briefwechsel mit einem Coetzee-Roman aufnehmen.
J.M. Coetzee / Paul Auster: Von hier nach da. Briefe 2008-2011. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Werner Schmitz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 286 Seiten, 14,99 Euro, E-Book 12,99 Euro.
„Ist Sport wie Sünde, eine
Verlockung, der man erliegt,
weil das Fleisch schwach ist?“
J. M. Coetzee meldet sich per E-Mail und Fax, Paul Auster bevorzugt die gute alte Briefpost.
Fotos: AFP Photo, Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2014

Das Experiment, für das wir nichts brauchen außer unserem Leben

Zwei Giganten der Literatur machen das Leben zum Gegenstand ihrer Korrespondenz. J. M. Coetzee und Paul Auster sprechen über sich selbst und über Sex und Erotik. Aber ganz anders als erwartet.

Es gibt wohl kaum einen anderen lebenden Schriftsteller, der auf dem Groupie-Index so nahe an die fabelhaften Werte von Rockstars und Hollywoodhelden herangekommen wäre wie Paul Auster. Und es gibt keinen zweiten lebenden Autor von Weltrang, der häufiger mit Begriffen wie Askese, Strenge oder Purismus in Verbindung gebracht wird, als den in Südafrika geborenen Nobelpreisträger John Maxwell Coetzee. Was passiert, wenn diese beiden Autoren über Sex und Erotik reden?

Nicht das, was man erwarten könnte. Ohnehin ist dies das markanteste Merkmal dieses Briefwechsels: Er steckt voller Überraschungen, unerwarteter Wendungen, erstaunlicher Offenbarungen und verblüffender Fragen. Vor allem Coetzee erweist sich als Meister in der Kunst, fruchtbare Fragen zu stellen - nicht, weil sie geniale Antworten zur Folge hätten, sondern weil sie selbst bereits jeweils neue Perspektive eröffnen. Fragen bringen diesen Schriftsteller weiter, nicht Antworten.

Das ist bei Auster ein wenig anders. Die Rollenverteilung in diesem Briefwechsel, der in den Jahren 2008 bis 2011 geführt wurde, ist weitgehend klar: Auster ist der Mann für Antworten und Anekdoten, er folgt einer "Ethik der Männlichkeit", unternimmt kleine Exkursionen ins eigene Werk, hat Ratschläge parat, verfügt über einen Sinn für Praktisches ebenso wie für höchst amüsante selbstironische Betrachtungen. Er ist der lebhafte Melancholiker, selbst seine Schwermut zeichnet sich noch durch Vitalität aus. Coetzee ist anders, schwerer, ernsthafter, knapper und präziser in seinen Formulierungen. Auster streut gelegentlich hübsche Anekdoten ein. Wenn Coetzee aus seinem Leben erzählt, lesen sich solche autobiographischen Skizzen wie Gleichnisse. Austers Selbstironie ist brillant, sie erhöht ihren Gegenstand, während diejenige Coetzees ihren Mann zu Boden wirft und geschlagen zurücklässt. Auster ist witzig, Coetzee hat Humor. Es ist der Humor eines Kafka oder Beckett.

Den einen stellt er sich am Esstisch der Familie in Prag vor, ein Vegetarier mit veritablen Essstörungen, den anderen betrachtet er als großen Vorläufer: "Ich wäre ganz bestimmt nicht der Schriftsteller, der ich bin, wenn es Beckett nie gegeben hätte. Ich stehe in seiner Schuld, aber die Art der Schuld - aus Mangel an einem anderen Wort will ich es Schuld nennen - wird am besten nicht genauer untersucht." Ein für Coetzee typisches Bekenntnis: Das Aufschlussreichste daran ist, dass es viel mehr verschweigt, als es offenbart. Coetzee ist der Mann, der die Welt betrachtet, als wäre sie eine Walnuss. Nie käme es ihm in den Sinn, sie zu knacken. Er bewundert lieber die Schönheit ihrer Schale und kann nicht aufhören, sich vorzustellen, was in ihrem Inneren verborgen sein könnte.

Das kann vieles sein, zum Beispiel auch eine Welt, in der es John Maxwell Coetzee nie gegeben hätte - ein "kleines Gedankenexperiment", das den Schriftsteller "abwechselnd beunruhigt und amüsiert". Wie jedes Experiment, das seinen Namen verdient, lässt es sich beliebig oft wiederholen. Die Versuchsanordnung ist simpel, man braucht kein Labor und keine teuren Instrumente, sondern lediglich das, was jeder von uns hat: ein Leben.

Coetzees Die-Welt-ohne-mich-Experiment geht so: Denken Sie über Ihr Leben nach, über wichtige Stationen, Entscheidungen und Zufälle, die dazu geführt haben, dass Sie sind, wer Sie sind. Dann stellen Sie sich eine Welt vor, in der der Mensch, der Ihren Namen trägt, ein ganz anderes Leben geführt oder vielleicht gar nicht existiert hätte. Können Sie das?

J. M. Coetzee kann es, doch im nächsten Augenblick kommt ihm der Gedanke, dass es ihm unmöglich ist, sich eine Welt vorzustellen, "in der ich nicht anwesend bin und nie anwesend war. Ich probierte den Trick noch einmal, dachte zunächst den einen Gedanken (die Welt ohne JMC), dann den anderen (die Welt ohne mich), und es funktionierte wieder. Der erste war leicht zu denken, der zweite unmöglich. Die einfache logische Schlussfolgerung scheint zu sein, dass die Gleichung ,ich = JMC' falsch ist. Und die Intuition bestätigt diese Schlussfolgerung ... Aber hast Du jemals zuvor die Falschheit der Gleichung so einleuchtend demonstriert bekommen?"

Was Coetzee hier vorführt, ist seine Art, über die problematische Frage der Identität nachzudenken. Das Gedankenexperiment wird in seinem Brief an Auster vom 19. Januar 2011 beschrieben, aber bereits siebzehn Monate zuvor, am 24. August 2009, hatte Coetzee den Zusammenhang unserer Namen mit unserer Identität, unserem Wesenskern ins Auge gefasst: "Lieber Paul, ich habe über Namen nachgedacht, darüber, wie passend oder unpassend sie sind. Ich vermute, auch Dich interessieren Namen, wenn auch nur, weil Du gute, ,richtige' Namen für Deine ausgedachten Personen finden musst." Die kurze Sequenz ist typisch für Coetzees Hälfte dieses Briefwechsels: Zwei Schriftsteller, die beide sehr viel reisen, von Festival zu Festival, von Vorlesung zu Vorlesung, lernen einander zufällig kennen, weil sie beide in dieselbe Jury berufen wurde, finden Gefallen aneinander und beschließen gemeinsam, einen Briefwechsel zu führen. Fortan halten sie einander auf dem Laufenden, man weiß, wo der andere gerade ist, ob in New York oder Adelaide, Paris, London oder beim Literaturfestival von Jaipur im indischen Rajasthan, das Coetzee zum Anlass für eine Rundreise nimmt, von der er zurückkehrt als "Mann, der zwei Wochen lang in eine fremde Kultur (und fremde Zivilisation) eintaucht und daraus auftaucht mit nichts als einer Reihe abgedroschener und ziemlich abstrakter Beobachtungen. Warum bin ich unfähig zu Reisebeschreibungen in all ihrer Pracht - unfähig, fremde Sehenswürdigkeiten und Laute lebensprall heraufzubeschwören?" Austers erwartbaren Tröstungsversuch - Kafka und Beckett seien ja auch nie sehr gut in lebensprallen Beschreibungen exotischer Lebensräume gewesen - nimmt Coetzee vorweg und bügelt ihn nieder: "Was ist lobenswert daran, wenn man eine angeborene Armut zur Tugend umwandelt?"

Es ist offensichtlich: Coetzee weiß nicht, dass er ein Reiseschriftsteller ist. Denn der Eröffnungssatz "Lieber Paul, ich habe über Namen nachgedacht" ist ja nichts anderes als der Auftakt zu einer Gedankenreise, die mit der Namenswahl bei der Geburt beginnt und mit dem Tod endet: "Dein Name ist dein Schicksal. Oidipous, Schwellfuß. Das Problem ist nur, dass Dein Name Dein Schicksal nur in der Art der delphischen Sibylle ausspricht: als Orakel. Erst wenn Du auf dem Sterbebett liegst, begreifst Du, was es bedeutet hat, ,Tamerlan' oder ,John Smith' oder ,K' zu sein."

Zum Thema Sex und Erotik steuert Coetzee unter anderem übrigens den Hinweis bei, Freud habe den Unterschied zwischen dem erotischen Leben in der Antike und dem erotischen Leben seiner Gegenwart darin gesehen, dass im Altertum das Hauptaugenmerk auf dem erotischen Impuls lag, während es heute auf dem erotischen Objekt liegt. Auch darüber lässt sich nachdenken. "Viele Grüße. John"

HUBERT SPIEGEL

Paul Auster, J. M. Coetzee: "Von hier nach da. Briefe 2008-2011". Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Werner Schmitz. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2014. 286 S., br., 14,99 [Euro].

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voller Überraschungen, unerwarteter Wendungen, erstaunlicher Offenbarungen und verblüffender Fragen. Vor allem Coetzee erweist sich als Meister in der Kunst, fruchtbare Fragen zu stellen. Hubert Spiegel Frankfurter Allgemeine Zeitung 20140628