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Jawaharlal Nehru wurde 1889 in einer wohlhabenden und einflußreichen indischen Familie geboren. Seine Biographie schien klar vorgezeichnet: Jurastudium in England (Oxford) und dann Anwaltsberuf in Indien. Doch nach der Rückkehr aus England 1916 begegnet der bis dahin unauffällige Student dem charismatischen Mahatma Gandhi, dessen politische Einsichten und dessen Religiosität ihn faszinierten. Menschenwürde, Selbstbestimmung, Demokratie wurden die Ideale, für die Nehru, dem man den Titel'Pandit'('Gelehrter') gab, fortan einstand. Shashi Tharoor erzählt den Werdegang Nehrus, das enge…mehr

Produktbeschreibung
Jawaharlal Nehru wurde 1889 in einer wohlhabenden und einflußreichen indischen Familie geboren. Seine Biographie schien klar vorgezeichnet: Jurastudium in England (Oxford) und dann Anwaltsberuf in Indien.
Doch nach der Rückkehr aus England 1916 begegnet der bis dahin unauffällige Student dem charismatischen Mahatma Gandhi, dessen politische Einsichten und dessen Religiosität ihn faszinierten. Menschenwürde, Selbstbestimmung, Demokratie wurden die Ideale, für die Nehru, dem man den Titel'Pandit'('Gelehrter') gab, fortan einstand. Shashi Tharoor erzählt den Werdegang Nehrus, das enge Vertrauensverhältnis zum Vater, Studium, Ehe und Geburt der Tochter Indira Gandhi, die Freundschaft zu Lord und Lady Mountbatten, die politische Arbeit als Präsident des Indischen Nationalkongresses und als erster Premierminister des Landes. Er schildert die Praktiken der Kolonialmacht, die doppelte Moral, mit der sie für die Verteidigung der Demokratie in den Zweiten Weltkrieg zog. Nehru und Gandhi gelang es, Millionen von Menschen zu bewegen und die Politik des Landes für Jahrzehnte zu bestimmen. Zusammen führten sie den gewaltlosen Kampf für Indiens Unabhängigkeit, einen Kampf, der erst 1947 gewonnen wurde. Doch weder Nehru noch Gandhi konnten die Spaltung des Landes in Indien und Pakistan verhindern: auch ein Preis der Unabhängigkeit. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen, die heute in Indien zwischen Hindus und Moslems stattfinden, stellt Tharoor die Frage, was aus Nehrus Vermächtnis geworden ist.
Autorenporträt
Shashi Tharoor wurde 1956 in London geboren, er studierte in Bombay, Kalkutta, Delhi Geschichte und in den USA Jura. Seit 1978 arbeitet er für die UNO. Von 1989 bis 1996 war er verantwortlich für friedenserhaltene Maßnahmen im ehemaligen Jugoslawien, von 1997 bis 1998 Assistent von Kofi Annan, der ihn Ende Mai 2002 zum Leiter der Abteilung (mit mehr als 700 Mitarbeitern) für Öffentlichkeitsarbeit ernannt hat. Shashi Tharoor ist Autor zahlreicher Artikel, Kurzgeschichten und politischer Kommentare. Für seine schriftstellerische Arbeit hat er mehrere Auszeichnungen erhalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Schwierige Einheit vor dem Dampftopf
Indien hat allen Grund, sich an Nehrus Ideale zu erinnern, erklärt Shashi Tharoor / Von Sabine Löhr

Fern seiner geliebten Massen war der große Patriot Nehru oft ein wenig schwierig: Kennedy stöhnte, er sei der schlimmste Staatsgast, den er je empfangen habe, Stalin schimpfte ihn einen bourgeoisen Pseudorevolutionär, Chou Enlai erklärte ihn zum arrogantesten Menschen, den er je getroffen habe. Die ihm erlegenen Inder schmückten ihren großen Helden und Halbgott dagegen schon zu Lebzeiten mit Titeln wie "Juwel Indiens" oder "Verkörperung des Opfers". Selbst Churchill kam nicht umhin, in widerstrebender Anerkennung nicht Gandhi, sondern den 1889 geborenen Nehru "das Licht Asiens" zu nennen. Doch ist Nehru stets erst der zweite und oft zugleich schon letzte Inder, der beim Gedanken an Indiens Freiheitskampf in den Sinn kommt. Zu Recht will Shashi Tharoor mit der Nehru-Biographie "Die Erfindung Indiens" dieses Ungleichgewicht austarieren. Gerade auch für das moderne Indien ist es wichtig, daß der indische Schriftsteller und Karrierediplomat Tharoor an die Leistungen und Visionen seines ersten Premier- und Außenministers erinnert.

Indien mag stolz darauf sein, dank Nehru die größte (und leidlich funktionierende) Demokratie der Welt zu sein. Angesichts eines bedenklich erstarkenden Hindunationalismus und der damit einhergehenden Konflikte mit der muslimischen Minderheit sowie des ungebrochen existierenden Kastenunwesens wäre das Land dringend beraten, sich auf die streng säkularen Ideale seines Gründervaters Nehru zu besinnen. Noch heute gilt für die gesamte Region, was der erklärte Agnostiker 1935 in seiner Autobiographie für Indien beklagte: "Die Religion ist eine schreckliche Last."

Selbst Gandhi, den er seit ihrer ersten Begegnung 1916 stets als "Bapu", als Vater, verehrte und zuweilen dennoch bis an den Rand des Bruchs der Zusammenarbeit bekämpfte, galt dem Modernisten schon in den dreißiger Jahren als fehl am Platz, "aber Indien versteht offensichtlich noch Menschen von orakelhaft-religiösem Schlag, die von Sünde, Erlösung und Gewaltlosigkeit sprechen". Das Gerede des gottgläubigen Gandhi von der Wiederkehr des mythologischen "Ram Raj", eines goldenen (hinduistischen) Zeitalters unter der Herrschaft Gottes, kommentierte er entnervt: "Ich kann es nicht hören."

Überhaupt das Schauspiel organisierter Religion, gleich welcher, war ihm vollkommen unbegreiflich, erfüllte den der Ratio Verpflichteten mit nichts als Entsetzen. Nehrus Heil lag darin, aus dem geographischen Begriff Indien einen Staat zu machen, ganz Indien ein gemeinsames Nationalbewußtsein zu geben. Indiens Bürger sollten sich als Inder begreifen, nicht als Hindus oder Muslime. So mußte demnach auch die Kongreßpartei, einst von seinem Vater Motilal Nehru, später von ihm geführt, die einzig legitime Vertretung aller Inder im Kampf um die Unabhängigkeit vom britischen Empire sein. Tatsächlich fanden sich in den Reihen dieser ersten indischen Partei Hindus, Muslime, Sikhs und Parsen. Daß sich aus der muslimischen Minderheit eine eigene Muslimliga gründete, die ihre Glaubensgenossen bestärkte, sich in ihrer religiösen Identität zunehmend bedroht zu sehen, daß diese Liga seit Anfang der 1930er sogar einen eigenen Staat forderte und laut eine "Zwei-Nationen Wahrheit" verkündete, konnte Nehru weder verstehen noch gutheißen. War Religionsgruppenpolitik nicht immer bloß Deckmantel für wirtschaftliche Interessen? "Einheit von Hindus und Muslimen" lautete einer der Grundsätze seines politischen Programms. Doch es gelang ihm nicht, das große Trauma des Subkontinents, die schmerzhafte Teilung in Indien und Pakistan, zu verhindern. Bezahlt haben die verfeindeten Geschwisterstaaten die Unabhängigkeit mit über einer Million Toten, siebzehn Millionen Vertriebenen, einem schwärenden Kashmir-Konflikt und tiefverwurzeltem Mißtrauen.

Tharoor ist mit "Die Erfindung Indiens" eine ausgewogene, gekonnt erzählte und bei einem Staatsmann von Nehrus Format umfassende und dennoch erleichternd knappe Biographie gelungen. Stets überwiegt - zu Recht - sein Lob die zarte Kritik, mal über den dünkelhaften Besserkönner und Alleswisser Nehru, mal über dessen realitätsferne, salonsozialistenhafte Wirtschaftsvisionen. Diese bescherten allen interessierten ausländischen Investoren das Etikett "Imperialisten", der jungen indischen Nation eine ruinöse Planwirtschaft und Ökonomen den Begriff "Hindu-Wachstumsrate" für besonders miserables Wirtschaftswachstum. Aber "er schuf eine Infrastruktur, die Spitzenleistungen in Wissenschaft und Technologie ermöglichte", legt Tharoor in die andere Waagschale. Immerhin ein besseres materielles Vermächtnis, als Gandhi es hinterlassen hätte. Ihm zufolge benötigte das Land weder Elektrizität noch Eisenbahn.

Daß die von Tharoor eigentlich versprochene Neuinterpretation ausbleibt, ist insofern unproblematisch, als Nehrus ältere Biographien kaum bekannt sein dürften und diese hier erfreulich lesbar geraten ist. Gerade ihre affirmative Konventionalität könnte aber einem indischen Publikum neu scheinen, da sowohl Nehru als auch Gandhi dort in den letzten Jahren vergleichsweise heftiger, oft religiöse motivierter Kritik unterzogen wurden.

Kleine Ungenauigkeiten mögen der Kürze der Darstellung geschuldet sein, so folgt Tharoor weitgehend der Sicht der Kongreßpartei, daß die "Vivisektion Indiens" dem Führer der Muslimliga, Mohammed Ali Jinnah, und den Briten anzulasten sei. Keinen Platz findet Tharoor zu erklären, daß Jinnah auch berechtigte Gründe hatte, dem mehrheitlich hinduistischen Führungspersonal des Kongresses zu mißtrauen.

In Tharoors Charakterschelte des größten indischen Staatsmanns hätte der sensible, selbstreflektierte Denker sicher umstandslos eingestimmt. Streng genommen hat Nehru sie längst vorweggenommen. Unter dem Pseudonym Chanakya, angelehnt an einen altindischen Machiavelli, veröffentlichte er nach seiner Wahl zum Kongreßvorsitzenden schon 1937 ein schonungsloses Selbstporträt: Nehru "hat das Zeug zum Diktator - Popularität, einen starken, zielgerichteten Willen, Energie, Stolz. Und, bei aller Liebe zu den Massen, Unduldsamkeit im Umgang mit anderen Menschen und eine gewisse Verachtung der Schwachen und Untüchtigen."

Doch als einer der wenigen seiner zeitgenössischen Führer der Dritten Welt ist er Demokrat geblieben. Die Erziehung saß zu tief. Nehru wurde als kaschmirstämmiger Brahmane in die Reihen der Höchsten der hochkastigen Hindus geboren. Sein weltoffenes Elternhaus, eine viktorianische Villa in Allahabad, leitete ein muslimischer Hausvorstand - muslimische ästhetische Raffinesse galt damals viel. Der Vater war ein wohlhabender Anwalt im Maßanzug, man sprach Englisch. Folgerichtig erhielt Jawaharlal, übersetzt "der kostbare Juwel", seinen Schliff an renommierten britischen Instituten, besuchte die sogenannte "Schule der Premierminister" wie vor ihm Churchill. Leicht fiel es "Joe" Nehru nicht, 1912 wieder Jawaharlal zu werden. Nach sieben Jahren Abwesenheit kannte der 22 Jahre alte Junganwalt sein Land nicht. Indien lebt in seinen Dörfern, und dort fand der westlich geprägte Intellektuelle es schließlich: erst als Sprecher von Kleinbauern, dann als Weggefährte Gandhis. In seinen Jahren als politischer Gefangener erweiterte er sein praktisch gewonnenes Indien-Bild um eine kulturhistorische Analyse. Sein Werk "Die Entdeckung Indiens" wird ein monumentales Zeugnis einer pluralistischen und doch genuin indischen Identität.

Doch noch Jahre später sahen Beobachter in Nehru oft den letzten Briten über das indische politische Parkett schreiten. Ein Hinduchauvinist äußerte 1950 abfällig, Nehru sei "seiner Erziehung nach Engländer, seiner Kultur nach Muslim und zufällig auch Hindu". Ein schöneres Kompliment hätte er ihm nicht machen können.

Nach der 1947 gewonnenen Unabhängigkeit entwickelte Nehru sich bald zu einem der wortgewaltigsten Fürsprecher der Blockfreiheit der Dritten Welt. Zeitweilig verschaffte er Indien politisch weit mehr Bedeutung, als es wirtschaftlich hatte. Völlig fehl ging er in seiner naiven Einschätzung des vermeintlichen Bruders China. Dessen Aggressionen gegen Tibet übersah er noch geflissentlich. Als aber China 1962 in einem schnellen Grenzkrieg auf indischem Territorium seine Muskeln zur Schau stellte, war der Pazifist Nehru ins Mark getroffen. Er hatte die Gewaltlosigkeit gandhischer Prägung so weit getrieben, daß Verteidigungsminister Menon begonnen hatte, die Produktion der Rüstungsbetriebe auf Dampftöpfe umzustellen. Erholt hat Nehru sich von diesem Debakel nicht. Zwei Jahre später stirbt der britische Inder im Schlaf. Indien weinte. Es sollte sich daran erinnern, mahnt Tharoors Biographie eindringlich.

Shashi Tharoor: "Die Erfindung Indiens". Das Leben des Jawaharlal Nehru. Aus dem Englischen von Peter Knecht. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006. 312 S., Abb., geb., 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Renee Zucker ist enttäuscht. "Allzu zäh zu lesen" sei dieses Buch. Dabei fange es "so poetisch und richtig indisch" an, aber dann werde es leider bald "trocken und pappig" . Die Rezensentin bescheinigt Shashi Tharoor enorme historische und biografische Sachkenntnisse , weshalb sie sein mangelndes Vermögen, diese Kenntnisse publikumsnah aufzubereiten, umso mehr bedauert. Im Würgegriff der vielen Fakten organisiere der Autor den Stoff chronologisch. Und statt der Person Nehru stünde eher die Historie im Mittelpunkt. Dabei ahnt die Rezensentin hinter mancher Andeutung Romane und bedauert umso mehr, dass in diesem Buch die "großen kolonialen und nachkolonikalen Erzählungen" Indiens unerzählt bleiben. Nur ein spezielleres Interesse an der Geschichte von Nehrus Kongresspartei scheint hier befriedigt zu werden. Am Ende des Buches, gibt Zucker zu Protokoll, erlaube Tharoor "sich ein wenig mehr Freiheit und Gefühle", womit er sie ein bisschen versöhnen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH
'"In Deutschland weiß man nur wenig über diesen großen Nationalisten und ersten Premierminister des unabhängigen Indiens [Jawaharlal Nehru]. Das faktenreiche und anschaulich geschriebene Nehru-Porträt des Schriftstellers und leitenden UN-Mitarbeiters Shashi Tharoor vermag nun Abhilfe zu schaffen." Die Zeit, Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse