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Annuschka lebt als Lehrerin in der ukrainischen Provinz, Piotr ist Journalist und Weltenbummler und immer weit, weit weg, um zu beweisen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Steppe und Bergen. Wie es ja auch keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier, Mann und Frau, Glück und Unglück, hier und dort. Kommt nur darauf an, wie weit man sich von den nüchternen Tatsachen entfernt. Und das tun die beiden mit Begeisterung und Leidenschaft, indem sie sich Briefe schreiben. Schreiben? Sie zünden sie wie Raketen, schießen sich und die Welt ins All, und von dort aus schauen die Dinge…mehr

Produktbeschreibung
Annuschka lebt als Lehrerin in der ukrainischen Provinz, Piotr ist Journalist und Weltenbummler und immer weit, weit weg, um zu beweisen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Steppe und Bergen. Wie es ja auch keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier, Mann und Frau, Glück und Unglück, hier und dort. Kommt nur darauf an, wie weit man sich von den nüchternen Tatsachen entfernt. Und das tun die beiden mit Begeisterung und Leidenschaft, indem sie sich Briefe schreiben. Schreiben? Sie zünden sie wie Raketen, schießen sich und die Welt ins All, und von dort aus schauen die Dinge tatsächlich etwas anders aus, als wenn man auf dem Boden bleibt. Und so schweben sie und schwärmen sie und berauschen sich und erzählen einander Geschichten, die so witzig sind und zugleich so traurig, denn wo ist da der Unterschied? Das ist wahrlich kein Buch für Musterschüler und Bürokraten. Hände weg!
Autorenporträt
Marjana Gaponenko geboren 1981 in Odessa (Ukraine), studierte dort Germanistik und lebt heute nach Aufenthalten in Krakau und Dublin in Mainz. Sie schreibt seit 1996 auf Deutsch. Zahlreiche Beiträge in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2009 wurde sie mit dem Frau-Ava-Literaturpreis ausgezeichnet. "Annuschka Blume" ist ihr erster Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2011

Kein unbeschriebenes Blatt
Marjana Gaponenkos Debüt "Annuschka Blume"

Das ist ein Buch für Träumer und solche, die es werden wollen. Dabei sind die Orte der Handlung in diesem ungewöhnlichen Romandebüt alles andere als eine Traumkulisse: ein Provinznest in einer ukrainischen Bergbauregion und die Hölle von Bagdad. Das scheint die Akteure in ihrem romantischen Überschwang nicht zu stören - sie kennen sich nicht persönlich, sie sehen sich nicht, und sie kommunizieren nicht, jedenfalls nicht digital, wie es heute üblich ist, sondern mittels der guten alten Post. Der Briefroman ist aus der Mode gekommen, wohl auch, weil E-Mails und SMS im Sekundentakt Antworten aus der Ferne auf den Bildschirm zaubern können und so das süßlich-schmerzhafte Warten auf den Briefträger nutzlos geworden zu sein scheint.

Auf Blackberry und iPhone pfeifen die alternde Lehrerin Anna und ihr auch nicht mehr ganz junger Korrespondenzpartner, den eine ominöse ukrainische Institution zu Reportagezwecken in die Ferne katapultiert hat. Dort soll er bestätigen, dass es keinen Unterschied zwischen Bergen und Steppe gibt. Zuerst wird er von seinem Chef in die Alpen und dann in die Wüste geschickt - denn das Ministerium braucht für das Volk in dunklen Zeiten "etwas mehr Mythologie", als die mitteleuropäischen Berge hergeben. So düst dieser Pjotr Michailowitsch Petrow dahin, wo einst alles begann, an den Ursprung unserer Zivilisation, ins Zweistromland, wo ebendiese Zivilisation gerade in Schutt und Asche gebombt und geschossen wird. Dort wühlt der füllige Petrow, eingehüllt in eine "luftige" Burka und begleitet von seinem Fahrer Ali, auf der Suche nach dem Geheimnis des Gilgamesch im sumerischen Sand der heiligen Stadt Uruk, rast- und erfolglos wie sein babylonisches Urfaust-Alter-Ego. Währenddessen erzählt ihm Anna von ihrem bescheidenen Leben, ihren Schülern und ihrer alten Freundin Goriunowa, mit der sie allwöchentlich in Bergarbeiterkluft in die Tiefen hinabgleitet, weil es nicht mehr genug Männer für diese Arbeit in der Gegend gibt. Zwischen Dnjepr und Tigris, zwischen ukrainischem Winter und irakischem Hitzesommer, zwischen Bauernhütte und Hotelzimmer tauchen die beiden ziemlich kauzigen Idealisten, die Dostojewskijs "Weißen Nächten" entstiegen sein könnten, in ihren philosophischen Dialog ein, der sich um Alltäglichkeiten und die große All-Einheit der Welt dreht, um Vögel, Pferde, Pilze, um die ärmliche Kindheit, um die Einsamkeit der Jugend, um Kometen, die in Wirklichkeit Bomben und Raketen sind. Und um die Liebe, die buchstäblich von der Luft(post) und zwischen den Zeilen lebt.

Das klingt nach einer großen Agenda für ein schmales Romandebüt, nach Altklugheit sogar einer jungen, 1981 in Odessa geborenen Autoren, die heute in Mainz und Dublin lebt. Ihre Liebe zur deutschen Sprache begann mit Gedichten, die sie zum Zweck des Vokabellernens schon als Kind auf Deutsch verfasste. Nach einer Reihe hochgelobter Lyrikbände, zuletzt "Nachtflug" (2007), ist "Annuschka Blume" ihr erster Roman, dessen Titelheldin kein unbeschriebenes Blatt ist, weil wir sie schon lange von Kurt Schwitters und Paul Auster, der sie wiederum dem Dadaisten entlehnt hat, kennen.

Ungeachtet der etwas angestrengten Vertracktheit des Textes ist dies ein wunderbare Erzählung, weil sie eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen zwei slawischen Musen in einem mit klugem Witz und menschlicher Wärme ausgestatteten, sehr poetischen deutschen Idiom erzählt. Ob Annas Kleider rot und ihre blauen Haare gelb sind, wird nicht verraten. Der Vogel aber ist schwarz, rabenschwarz.

SABINE BERKING

Marjana Gaponenko: "Annuschka Blume". Roman.

Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2010. 250 S., geb., 21,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Keine Angst vor Altklugheit und einer etwas bemühten Geschichte, ruft uns Sabine Berking aufmunternd zu. Sie selbst stürzt sich unerschrocken in den altmodischen Briefroman zwischen einer alternden Lehrerin in der Ukraine und einem babylonischen Ur-Faust in Bagdad und siehe da: Das Buch ist für Träumer gerade richtig. Nicht nur mit den beiden kauzigen Idealisten und ihren versponnenen Dialogen freundet sich Berking schnell an. Die Erzählung erscheint ihr bald als von der Wärme und dem Witz der aus Odessa stammenden Autorin Marjana Gaponenko durchdrungene Liebesgeschichte.

© Perlentaucher Medien GmbH