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Obwohl sich die Geschichtsschreibung seit Jahrzehnten mit dem Holocaust beschäftigt, gab es bislang keine umfassende Darstellung des von den Juden selbst geleisteten Widerstands. Diese Forschungslücke schließt das Buch von Arno Lustiger. In zahlreichen Gesprächen mit Überlebenden, Dutzenden von Kurzbiographien und autobiographischen Berichten von jüdischen Ghettokämpfern, Partisanen, Saboteuren, Rettern, Soldaten, Fallschirmspringern u. a. wird erstmals das Gesamtbild des jüdischen Widerstands gegen die Nazis in ganz Europa gezeichnet. Der Autor entreißt damit ein wichtiges Stück Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
Obwohl sich die Geschichtsschreibung seit Jahrzehnten mit dem Holocaust beschäftigt, gab es bislang keine umfassende Darstellung des von den Juden selbst geleisteten Widerstands. Diese Forschungslücke schließt das Buch von Arno Lustiger. In zahlreichen Gesprächen mit Überlebenden, Dutzenden von Kurzbiographien und autobiographischen Berichten von jüdischen Ghettokämpfern, Partisanen, Saboteuren, Rettern, Soldaten, Fallschirmspringern u. a. wird erstmals das Gesamtbild des jüdischen Widerstands gegen die Nazis in ganz Europa gezeichnet. Der Autor entreißt damit ein wichtiges Stück Geschichte der Vergessenheit und widerlegt die zählebige Legende, die Juden hätten sich wie 'Schafe zur Schlachtbank' führen lassen.
Autorenporträt
Lustiger, Arno§Arno Lustiger wurde am 7. Mai 1924 im oberschlesischen Bedzin in Polen geboren. Die dortige Bevölkerung war damals überwiegend jüdisch und die Stadt von jüdischen Einrichtungen geprägt. Lustiger hob rückblickend aber auch den weitgehend säkularen Charakter des jüdischen Lebens dort hervor. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 2. Sept. 1939 wurde diese lokale Kultur unwiederbringlich zerstört. Er ging unmittelbar danach in den Widerstand, wurde später aber gefangen genommen. Er überlebte insgesamt vier Jahre in den Konzentrationslagern Sosnowitz, Annaberg, Otmuth, Auschwitz-Blechhammer, Groß-Rosen, Buchenwald und Langenstein. Zuletzt konnte er während des Todesmarsches von Langenstein im März 1945 fliehen, gelangte zu den Amerikanern und erlebte das Kriegsende als Dolmetscher für die GI. Während zwei Schwestern in die USA auswanderten, blieb er nach der Befreiung in Frankfurt am Main bei einer weiteren Schwester und der Mutter, die durch die Jahre im KZ entkräftet waren. Lustiger wollte nach 1945 auch nicht im kommunistisch regierten Polen bleiben.Nach Besuch des jüdischen Gymnasiums in Bedzin konnte Lustiger nach Kriegsende 1945 kein Geld für einen höheren Bildungsweg aufwenden.Um für die Familie eine Existenz aufzubauen, gründete er in Frankfurt ein Textilunternehmen, das er ungeachtet fehlender Ausbildung und unternehmerischer Erfahrungen über Jahrzehnte erfolgreich führte. Zugleich war er als Mitglied der jüdischen Gemeinde Frankfurt an deren Wiederaufbau beteiligt und wurde zudem Ehrenvorsitzender der Zionistischen Organisation in Deutschland. Ein weiteres Anliegen für ihn wurde das Engagement in der Budge-Stiftung, die in Frankfurt das zweitgrößte Altenzentrum unterhält und das Zusammenleben zwischen Juden und Christen unterstützt. Wie viele ehemalige Gefangene der Konzentrationslager war auch für Lustiger eine Auseinandersetzung damit lange Jahre unerträglich. So kaufte er zwar die entsprechende Literatur, konnte mit seinen Töchtern hierüber aber nicht sprechen. Erst in den 80er Jahren wandte er sich dem Thema Shoah zu und entwickelte sich vom Autodidakten zum anerkannten Historiker, der sich Desiderata der NS-Forschung annahm.
Sein zentrales Anliegen wurde es, das Bild von den Juden als geradezu willenlose Opfer zu korrigieren. Eine solche Darstellung warf er besonders Raul Hilberg vor, dem Autor des nach wie vor führenden Standard- und Quellenwerks zur Shoah, das 1961 unter dem Titel_ The Destruction_ of the European Jews erstmals erschienen und schon damals von überlebenden Opfern kritisiert worden war.
In Schalom Libertad (1989) zeigte er auf, wie viele Juden in den Reihen der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 gekämpft hatten. Lustiger stützte sich auf die Auswertung persönlicher Zeugnisse und der wenigen verbliebenen Zeitungsarchive (etwa in den USA) und errechnete einen Anteil von rund 6.000 Juden unter den wohl 40.000 Spanienkämpfern. Fast noch wichtiger erschien, dass Lustigers durch zahlreiche biographische Abhandlungen Bürgerkriegsfreiwillige vor dem Vergessen rettete.1994 veröffentlichte Lustiger Zum Kampf auf Leben und Tod. Zum Widerstand der Juden 1933-1945. Auch hier machte er bisher weitgehend übersehene Selbst- und Zeitzeugnisse zugänglich und konzipierte das Werk großteils als Sammlung unterschiedlicher Lebensläufe. Anders als Hilberg stützte er sich in seinen Quellenforschungen weniger auf die Akten der Täter als auf Zeugnisse von Juden. Durch seine Arbeit erschienen die großen Ereignisse des Widerstandes wie die Ghetto-Aufstände in Warschau (1943) und Wilna (1943) sowie die Revolten im KZ Treblinka (1943) und im KZ Auschwitz (1944) nicht mehr als singuläre Ereignisse, sondern in Zusammenhängen. Allerdings grenzte er den Begriff Widerstand nicht eng ein, sondern subsumierte darunter die verschiedensten Formen der Widerständigkeit gegenüber den Unterdrückern.
In _Rotbuch -
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.1995

Ein argloses Lamm, zur Schlachtbank geführt?
Arno Lustigers Gesamtdarstellung des jüdischen Widerstandes in den Jahren 1933 bis 1945

Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933-1945. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994. 628 Seiten, 78,- Mark.

Haben sich die Juden Europas zwischen 1938 und 1945 widerstandslos wie die Schafe zur Schlachtbank treiben lassen? Diese Ansicht ist verbreitet. Sie orientiert sich an Jeremias 11, 19 ("Und ich war ein argloses Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und hatte nicht gemerkt, was sie gegen mich sannen") und wird angeführt, um eine Erklärung für das anscheinend Unerklärbare, den NS-Massenmord, zu geben. Meist verbindet sich mit dieser Ansicht noch die Vorstellung, die Juden hätten keinen Widerstand geleistet, weil sie durch Anpassungsprozesse in den jeweiligen Wohnländern kein Bewußtsein von sich selbst - im Soziologenjargon: keine Gruppenidentität - mehr besessen hätten.

Ist nun diese Annahme zutreffend? Oder handelt es sich nur wieder um eine der vielen von Wissenschaftlern erdachten Theorien, die nur im ersten Moment plausibel klingen? Kompliziert ist der Sachverhalt insofern, als manche Historiker wie etwa Raul Hilberg vehement bestreiten, daß es überhaupt so etwas wie einen jüdischen Widerstand gegeben habe. Die Juden, so meint er, hätten sich nicht wehren können, weil sie in einer jahrhundertealten Verfolgungsgeschichte Passivität und Resignation geradezu verinnerlicht hätten. Kreuzzüge, Kosakenmassaker und Pogrome hätten sie nur überlebt, weil sie gelernt hätten, daß Nachgeben oder Zurückweichen den Aggressor am ehesten bestimme, von seinem Opfer abzulassen. Hilbergs These enthält einen richtigen Kern, ist aber so überspitzt formuliert, daß sie auf Ablehnung stoßen muß. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte.

So mancher Überlebende der Shoa empfindet die Passivitätsbeschuldigung geradezu als obszön. Sie unterstellt nämlich, und zwar unterschwellig, die Juden seien selbst schuld an ihrem Schicksal. Viele ertragen die Passivitätsbeschuldigung deshalb nur schwer. Wer Untergrund, KZ oder Vernichtungslager überlebt hat, den quält verständlicherweise das Warum, die Frage, wieso gerade er und nicht die vielen anderen überlebt haben. Gab es nicht vielleicht doch Möglichkeiten, Auschwitz und den organisierten Massenmord zu verhindern? Legitime Fragen, zweifellos.

Doch ist Widerstand nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Sie fehlten. Der Masse der europäischen Juden fehlte jede Voraussetzung, sich kollektiv zur Wehr zu setzen. Und wie auch? Kann man von einer Gemeinschaft, die überaltert, politisch zersplittert und angepaßt ist, handfeste Widerstandsaktionen erwarten? Notwendig dafür ist die schon angesprochene Gruppenidentität, die aber nur bedingt vorhanden war, in Osteuropa mehr, in den Ländern Westeuropas weniger.

Problematisch ist, daß Hilberg und andere Historiker nur Aufstand und Waffentat als Widerstand gelten lassen. Das ist eine traditionelle, allzu enge Sicht. Breiten Widerstand von Juden gegen das NS-System hat es sicherlich nicht gegeben, aber doch vielfältige Formen der Gegenwehr. Widerstand konnte zum Beispiel auch heißen, Gesetze zu mißachten, Verordnungen zu unterlaufen oder kulturelle Aktivitäten zu entwickeln, die allein den Zweck hatten, der Selbstbehauptung zu dienen. Der Versuch, Juden zu retten, konnte ebenso eine Form des Widerstandes sein wie der Kampf auf seiten der Partisanen oder in den alliierten Armeen.

In seinem Buch "Zum Kampf auf Leben und Tod!" wirbt Lustiger für einen so erweiterten Begriff des Widerstandes. Er läßt somit Antworten auf die hypothetische Frage zu, ob die jüdische Bevölkerung Europas überhaupt eine Chance hatte, sich gegen die drohende Vernichtung zu wehren. Berücksichtigt man, daß es für sie schwer war, an Waffen heranzukommen, daß sie sich nicht frei bewegen konnte, von Feinden umstellt und zudem noch durch Täuschung entmutigt war, ist es erstaunlich, daß es dennoch Widerstandskämpfer gab, die etwa nach der Parole zur Waffe griffen: Wir kämpfen nicht, um zu siegen, sondern für die Ehre des jüdischen Volkes, für ein paar Zeilen in den Geschichtsbüchern.

Lustiger, ein Überlebender der Vernichtungslager, der heute als freier Schriftsteller in Frankfurt am Main lebt, hat sich die Aufgabe gestellt, diesen vergessenen Helden der jüdischen Geschichte ein Denkmal zu setzen. Gestützt auf einschlägige Dokumente, auf Gespräche mit Zeitgenossen und inspiriert durch in Yad Vashem aufbewahrte Berichte jüdischer Ghettokämpfer, Partisanen, Saboteure und Soldaten, wagt er den Versuch einer Gesamtdarstellung des jüdischen Widerstandes. Sein Anliegen ist nachvollziehbar. Es geht ihm darum, den Mythos zu zerstören, die Juden hätten sich nicht ausreichend gewehrt. So ganz abwegig ist es nicht, wenn er meint, dieser Mythos sei einer der letzten "historischen Lügen", eine hartnäckig sich haltende Legende, die alle Phasen der "Betroffenheit" und der "Aufarbeitung" der jüngeren deutschen Geschichte überdauert habe.

Es ist in der Tat wenig bekannt, daß es in fast hundert Ghettos in Polen, Litauen, Weißrußland und der Ukraine zu Aufständen kam. Nur in den seltensten Fällen standen dabei Waffen zur Verfügung. Teilweise wehrte man sich mit Messern, Äxten und Knüppeln, teilweise mit den bloßen Händen. Die Aufstände gegen die SS-Mannschaften in den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor und Auschwitz-Birkenau, von Überlebenden ausführlich beschrieben und dokumentiert, werden häufig von den Historikern als Verzweiflungsaktionen bewertet. Das ist ungerecht. Denn dies war mehr als nur ein letztes Aufbäumen - nämlich der Versuch, in auswegloser Situation die Würde zu wahren. Bedenkt man, daß die meisten dieser Häftlinge, die ihre Peiniger angriffen, halb verhungert, von der Zwangsarbeit ausgemergelt, kaum noch Überlebenshoffnungen hatten, dann sind die Widerstandshandlungen in den Lagern gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Der Mut der Aufständischen im Warschauer Ghetto ist mittlerweile fast schon legendär geworden. Im Frühjahr 1943 begann der Widerstand gegen einen brutalen und bis an die Zähne bewaffneten Gegner. 22 Kampfgruppen bildeten sich, über 1000 unterirdische Bunker und Verstecke wurden gebaut. Es war ein aussichtsloser Kampf, aber er wurde geführt, weil man vor der Geschichte Zeugnis ablegen wollte. Kommunisten, Bundisten, Links- und Rechtszionisten hatten sich zu einer verschworenen Gemeinschaft vereinigt. Mordechaj Anielewicz, der Kommandant der "Zydowska Organizacja Bojowa" (ZOB, Jüdische Kampf-Organisation), der am 8. Mai 1943 fiel, dem 15. Tag des Aufstandes, bemerkte in einem Brief kurz vor seinem Tod: "Unsere letzten Tage nahen. Aber solange wir noch eine Kugel haben, so lange werden wir weiterkämpfen und uns verteidigen."

In den Ländern Westeuropas, insbesondere in Frankreich, war der jüdische Widerstand zumeist akzeptierter Teil des allgemeinen Widerstandes. Es gab zwar jüdische Gruppierungen wie die von Abraham Polonski und Lucien Lublin in Toulouse gegründete Armée Juive, die ihre Mitglieder vor der Ausbildung mit der Waffe auf die Bibel und die blauweiße zionistische Flagge vereidigte. Normalerweise begriffen sich die Juden Frankreichs aber als Angehörige des nationalen Widerstandes gegen die deutschen Okkupanten und deren Kollaborateure. Sie verübten Anschläge, retteten Kinder und verhalfen Juden und Nichtjuden auf zum Teil abenteuerlichen Wegen zur Flucht.

Relativ unbekannt ist, daß führende Vertreter der französischen Résistance Juden waren. Zahlreich sind die Biographien, die Lustiger vorstellt. Manche der genannten Namen werden in Frankreich noch heute in Ehren gehalten, so zum Beispiel: Colonel Gilles, der Militärstratege, der eigentlich Joseph Epstein hieß und die Widerstandsgruppen in der Region Paris befehligte. Oder Jacques Bingen, der, nachdem der SS-Scherge Klaus Barbie Jean Moulin zu Tode gefoltert hatte, Chef der vereinigten Résistance in Frankreich wurde. Oder auch Lazare Rachline, der von General de Gaulle im Mai 1944 den Auftrag erhielt, die Résistance umzustrukturieren, aber bereits im September demissionierte, weil er die Racheakte an Kollaborateuren ablehnte und manche Brutalitäten der Epuration (Säuberung) ihm zuwider waren.

Verschwiegen werden sollte jedoch nicht jenes dunkle Kapitel der französischen Geschichte, das noch heute heftige Kontroversen auslöst. Gemeint sind die damaligen Bemühungen, die Résistance zu "arisieren". Daß zwölf der Hingerichteten der Gruppe "23" des Nazisteckbriefes "L'Affiche Rouge" (Das rote Plakat) Juden waren, paßte im Nachkriegsfrankreich nicht zum Mythos der "nationalen Befreiung". Insbesondere die KPF war nach 1945 bemüht, den Anteil der Juden in der "Résistance" herunterzuspielen. Die KPF war es auch, die intervenierte, als im Mai 1985 der Dokumentarfilm "Terroriste en retraite" (Terroristen auf dem Rückzug) gezeigt werden sollte, ein Film, der über die jüdischen Überlebenden der Gruppe Manouchian berichtet, der wohl berühmtesten Kampfgruppe der Résistance. Simone Signoret, die ihre Résistance-Vergangenheit in ihrem Buch "Adieu Valodia" beschrieben hat, äußerte sich damals erbittert darüber, daß die jüdischen Résistance-Kämpfer seit 1943 systematisch vergessen und noch einmal der Filmzensur geopfert werden sollten. Schließlich wurde das Staatsfernsehen gezwungen, den Beitrag zu senden. Dennoch blieb ein bitterer Nachgeschmack.

Daß Juden sich in den besetzten Gebieten Osteuropas Partisaneneinheiten angeschlossen haben, ist heute unbestritten. Doch unternahmen die Partisanenstäbe große Anstrengungen, die Bildung besonderer jüdischer Kampfeinheiten zu verhindern. Das hielt aber jüdische Männer und Frauen nicht ab, in die Wälder zu gehen und sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen. Häufig mußten sie dabei ihre jüdische Identität verbergen, denn nicht selten wurden Juden von ihren nichtjüdischen Mitkombattanten denunziert oder ermordet. Die meisten der Namen, die Lustiger nennt, sind heute weitgehend vergessen. Doch nicht ganz, denn ihr Vermächtnis lebt unter anderem fort in manchen von Folkloresängern noch heute gern gesungenen Liedern wie "Sog nit keijnmol . . .", das nicht nur an die Heldentaten jüdischer Partisanen erinnert, sondern auch an den jiddischsprachigen Dichter dieses Kampfliedes, den jungen Hirsch Glik, der zweiundzwanzig Jahre alt war, als er 1944 mit der Waffe in der Hand fiel.

In Deutschland hatten es die Juden schon aus Gründen der Mentalität schwer, geeignete Abwehrstrategien gegen Hitler und den NS-Terror zu entwickeln. Nach der Selbstgleichschaltung des liberalen Bürgertums 1933 und der Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung waren sie ohne Rückhalt und wußten nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Wer nicht revolutionärer Marxist oder radikaler Pazifist war, hatte kaum die Möglichkeit, zu einer Fundamentalopposition gegenüber dem Staat zu finden. Insofern unterschieden sich die Juden nicht von der Mehrzahl der Deutschen, die bekanntlich nicht auf die Idee gekommen sind, sich gegen den Staat zu stellen, den sie zwar mit Mängeln behaftet und in der Hand von brutalen Machtmenschen wußten, aber doch noch immer als den eigenen ansahen. "Es lag", so formulierte es der kürzlich verstorbene Hamburger Historiker Werner Jochmann, "außerhalb des Vorstellungsvermögens, den Staat als Werkzeug des Verbrechens oder der Vernichtung zu betrachten."

Und selbst diejenigen, die sich als Antifaschisten begriffen und den Anschluß an den allgemeinen Widerstand suchten, mußten vielfach die bittere Erfahrung machen, daß sie unerwünscht waren. Die Männer des 20. Juli stellten sich zwar gegen Hitler, wollten aber mit Juden nichts zu tun haben. Und die Kommunistische Partei hatte 1935 die Weisung ausgegeben, daß sich jüdische und nichtjüdische Genossen in getrennten illegalen Zellen zu organisieren hätten. Das führte dazu, daß Juden im Widerstand auf sich allein gestellt waren. Dessenungeachtet waren zwischen 1933 und 1943 ungefähr 2000 junge jüdische Menschen in der Untergrundarbeit aktiv. Arnold Paucker, der verdiente langjährige Direktor des Londoner Leo-Baeck-Instituts, hat errechnet, daß prozentual mehr Juden im Widerstand organisiert waren als nichtjüdische Deutsche. Von ihnen haben nur wenige überlebt. JULIUS H. SCHOEPS

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