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Tom Segev über den Nazi-Jäger Simon Wiesenthal
Vom Tag seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen an machte Simon Wiesenthal (1908 - 2005) es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Sechs Jahre nach seinem Tod legt nun der bekannte Historiker und Journalist Tom Segev die erste aus Originalquellen gearbeitete Biographie dieser Jahrhundertgestalt vor, enthüllt zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucksvoll das Leben des »Nazi-Jägers«, der doch selbst immer auch ein Verfolgter blieb.
Ausstattung: mit Abbildungen

Produktbeschreibung
Tom Segev über den Nazi-Jäger Simon Wiesenthal

Vom Tag seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen an machte Simon Wiesenthal (1908 - 2005) es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Sechs Jahre nach seinem Tod legt nun der bekannte Historiker und Journalist Tom Segev die erste aus Originalquellen gearbeitete Biographie dieser Jahrhundertgestalt vor, enthüllt zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucksvoll das Leben des »Nazi-Jägers«, der doch selbst immer auch ein Verfolgter blieb.

Ausstattung: mit Abbildungen
Autorenporträt
Tom Segev ist Historiker und einer der bekanntesten Journalisten Israels. In Deutschland wurde er durch sein Buch »Die siebte Million« (1995) bekannt. Zuletzt erschienen von ihm bei Siedler seine viel gerühmte Geschichte des Sechstagekriegs »1967« (2007) und »Die ersten Israelis« (2008), eine Darstellung der Anfänge des jüdischen Staates.
Rezensionen
»Segev erweist sich wieder einmal als großer Biograph, der glänzend zu erzählen versteht, wobei er ein hohes Maß an kritischer Distanz zu seinem eitlen, aufschneiderischen und wichtigtuerischen Protagonisten zeigt.«

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010

Der Mann, der nicht vergessen wollte
Simon Wiesenthal war eigen, er war mutig, anmaßend und bescheiden. Er arbeitete in einem kleinen, staubigen Büro in Wien und pflegte von dort
gute Kontakte zum isralischen Geheimdienst Mossad. Tom Segevs Biographie zeigt einen komplizierten Menschen  Von Petra Steinberger
Was entscheidet, ob jemand auf sein Leben zurückblicken und sagen kann, er habe Glück gehabt, er habe ein gutes, ein erfolgreiches Leben geführt? Oder ob er zurückschaut und es für ein verlorenes Leben hält? Wenn es sich um einen umstrittenen und andererseits verehrten Menschen handelt wie Simon Wiesenthal, dann hängt viel davon ab, wer sich der biographischen Sache annimmt und welche Sicht er sich zu eigen macht. Denn Simon Wiesenthal hat wohl niemanden wirklich an sich und seine Gefühle herangelassen – vielleicht nicht einmal sich selbst.
Simon Wiesenthals Leben wurde vom Holocaust geprägt. Als er im Mai 1945 aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreit wurde, war er 44 Jahre alt. Die Erfahrung war eines. Entscheidend ist, welche Konsequenzen Wiesenthal daraus gezogen hat. Sein Erleben hat ihn zu dem Mann gemacht, der mehr als die Hälfte seines Lebens, sechzig Jahre, damit verbringen sollte, NS-Verbrecher aufzuspüren und sie der Bestrafung zuzuführen, zu dem Mann, der Adolf Eichmann fand, zum „Nazi-Jäger“.
Aber der Holocaust hat ihn nicht zum Rächer gemacht, sondern zu einem, der nach Recht strebte und für Gerechtigkeit im Namen der Toten. Er hat ihn zu einem Besessenen gemacht, der lebenslang getrieben war. Und dabei hat er dennoch die Alte Welt der Neuen vorzogen. Zeitlebens blieb er in Österreich, seinen jiddischen Akzent bewahrte er, die Erinnerung an eine untergegangene Kultur. „Ein Flüchtling ist ein Mensch, der alles verliert, was er hatte, außer seinem Akzent“, hat er einmal geschrieben.
Wer wohl könnte so ein vielschichtiges Leben besser beschreiben als der israelische Historiker und Journalist Tom Segev. Er hat sich mit Büchern über Die Geschichte Israels einen Namen gemacht: „Die ersten Israelis“ oder „Die siebte Million“. Segevs Bücher sind umstritten und brillant, weil sie auf kluge Weise historische Mythen hinterfragen und vieles Neue ans Licht gebracht haben. Nachdem Wiesenthal mit 96 Jahren 2005 gestorben war, gestattete seine Tochter Paulinka Kreisberg dem Historiker Tom Segev als erstem unbegrenzten Zutritt zum Privatarchiv ihres Vaters. Segev arbeitete sich durch 300 000 Papiere und rekonstruierte Wiesenthals Lebensgeschichte, die zunächst in vieler Hinsicht stellvertretend war für die Grausamkeit des 20. Jahrhunderts – und später einzigartig.
Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte Simon Wiesenthal in relativer Sicherheit im habsburgischen Galizien. Dann kamen die Polen mit den Ukrainern. Dann kamen die Deutschen. Wie viele andere Juden auch wollte Wiesenthal erst einmal warten – wie man immer schon gewartet hatte in schlimmen Zeiten. Ein Fehler. In den Lagern wurden 89 Angehörige, von Simon Wiesenthal umgebracht, auch seine geliebte Mutter. Durch Glück, aus Zufall, sogar mit Mithilfe einiger anständiger Deutscher überlebten er und seine Frau die Lager.
Für Segev ist klar: Diese Erfahrung, das Lager überlebt zu haben, ist der Schlüssel zu Wiesenthals Charakter. So erkärt sich seine Verschlossenheit, was die eigenen Gefühle betraf, seine Eitelkeit, sein Hang, sich mit fremden Federn zu schmücken und Erfahrungen in Anekdoten auszudrücken, in Geschichten, die anderen zugestoßen waren.
„Die Überhöhung des eigenen Leids und die Phantasien, die er um seine Rettung entwickelte“, schreibt Segev, „erleichterten es Wiesenthal vielleicht auch, die tatsächlichen Schrecken, die er erlebt hatte, aus seinem Bewusstsein zu verdrängen, um bei Verstand zu bleiben. Dennoch hat es den Eindruck, die alles entscheidende Triebfeder, die ihn nach dem Krieg anspornte, sei die Notwendigkeit gewesen zu beweisen, dass er nicht zu den Schuften gehört hatte.“ Mag sein, dass Wiesenthal sich für sein Überleben eine Art Sühne auferlegt hatte.
Sofort nach dem Krieg sammelte Simon Wiesenthal Material über jeden möglichen NS-Täter. Jeder Überlebende war ein potentieller Zeuge. Jeder Spur ging er nach. Und er sorgte dafür, dass der Holocaust nicht in Vergessenheit geriet, wie es kurz nach dem Krieg den Tätern wie auch dem jungen Staat Israel lieber gewesen wäre. Israelis wollten ja stark, sie wollten keine Diasporajuden mehr sein, denen man Schwäche und Widerstandslosigkeit angesichts von Verfolgungen hätte vorwerfen können.
Wiesenthal blieb in Österreich. Und er suchte nach den Tätern. Sein Dokumentationszentrum bestand aus ein paar Zimmern, die mit vergilbten Akten vollgestopft waren. Anders, als er selbst behauptete, unterhielt er niemals ein weltweites Fahndungsnetz. Er war eine einsame Ein-Mann-Veranstaltung. Seine Frau Cyla teilte seine Besessenheit nicht. „Ich bin nicht mit einem Mann verheiratet. Ich bin mit Tausenden, vielleicht Millionen von Toten verheiratet“, hat Wiesenthal sie einmal zitiert. Segev erwähnt einen polnischen Agenten, der einen typischen Morgen im Dokumentationszentrum schilderte – zwischen grauer Tristesse und Dokumenten des Horrors: „Immer ist er in seiner Arbeit versunken und denkt ständig daran, immer ist es, als befinde er sich woanders.“
Und doch. Ganz allein kämpfte Wiesenthal nicht, fand Segev heraus. Und das ist die wohl brisanteste Erkenntnis seines Buches: Wiesenthal stand sogar in den Diensten des israelischen Geheimdienstes Mossad, der ihm sein Büro in Wien finanzierte, ein monatliches Gehalt zahlte und ihm, der nur als staatenloser Flüchtling in Österreich lebte, einen israelischen Pass ausstellte. Für den Mossard sollte er nicht nur Nazis finden, sondern auch Neonazis und mögliche Aktivitäten früherer Nazis in arabischen Staaten beobachten. Er hatte wesentlichen Anteil daran, dass der Mossad Adolf Eichmann in Argentinien fand. Es ist schwer verständlich, dass der ehemalige Chef des Mossad, Isser Harel, das jahrelang bestritt.
Segevs Fazit zeugt von Wohlwollen und Respekt: Trotz Wiesenthals Schwächen, trotz seiner kleinmütigen Streitereien mit dem Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, trotz seiner bizarren Freundschaft mit Albert Speer und seiner Verteidigung Kurt Waldheims, wegen der er wahrscheinlich den Friedensnobelpreis nicht erhielt – trotz alledem steht der Biograph auf Seiten Wiesenthals. Dieser glaubte zutiefst an die Gerechtigkeit. Er sah, anders als viele in Israel, im Holocaust nicht nur eine jüdische, sondern eine menschliche Tragödie. Das sei eine Haltung, schreibt Segev in seiner umfassenden, unbedingt lesenswerten Biographie, für die Wiesenthal viel Mut brauchte. Er war ein einsamer Humanist und kosmopolitischer Versöhner. Sein Leben stand unter einem Satz, der an die Toten gerichtet war: „Ich habe euch nicht vergessen.“
Tom Segev
Simon Wiesenthal
Die Biographie.
Aus dem Hebräischen von Markus
Lemke. Siedler Verlag, München 2010.
576 Seiten, 29,95 Euro.
Ein wenig Hoffärtigkeit war das
Ergebnis der Haft im KZ: Man
lässt sich nichts mehr sagen
Ganz allein kämpfte Wiesenthal
nicht: Er wurde vom
Mossad jahrelang unterstützt
Simon Wiesenthal war eitel, aber er war sich nie zu schade für einen Witz, mochte er auch auf eigene Kosten gehen. Foto: Luigi Caputo/laif
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Wer war der bessere Österreicher?

Tom Segev geht wie ein Detektiv jeder Spur über Simon Wiesenthal nach und legt das geheimnisumwitterte Wirken des Eichmann- und Stangl-Jägers frei.

Von Klaus-Dietmar Henke

Die allermeisten Holocaust-Verbrecher haben sich nicht für ihre Taten verantworten müssen. Es hätten aber mehr sein können, wenn Politik und Justiz in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Untergang des "Dritten Reiches" ein wenig mehr Verfolgungseifer an den Tag gelegt hätten. Das weiß man zwar seit langem, doch wird das weithin konsensuelle Verschleppen und Vertuschen selten so klar erkennbar wie in dieser Lebensbeschreibung. Sie zeigt nämlich, wie tief schon ein einziger entschlossener Mann in die deutsche Mordgeschichte mit ihren Zehntausenden von Tätern vorzudringen vermochte.

Simon Wiesenthal (1908-2005), österreichischer Staatsbürger galizisch-jüdischer Abstammung, der fast seine ganze Familie in den Vernichtungslagern verlor und 1945 in Mauthausen befreit wurde, dürfte sich mit etwa 3000 NS-Verbrechern befasst und ungefähr ein Drittel davon zur Anklage gebracht haben. Die Zahl der tatsächlich Verurteilten lasse sich nicht mehr zweifelsfrei bestimmen, schreibt der israelische Publizist und Historiker Tom Segev, der wohl die definitive Biographie des berühmten "Nazi-Jägers" vorlegt. In detektivischer Manier hat er jede erdenkliche Spur verfolgt und eine imponierende Fülle einschlägiger Dokumente herangezogen. Das reicht von den israelischen, britischen und amerikanischen Staatsarchiven, den Beständen internationaler jüdischer Organisationen und Israelitischer Kultusgemeinden über die persönlichen Papiere von David Ben Gurion und natürlich Simon Wiesenthals selbst bis zu den Unterlagen des israelischen Mossad, des polnischen und ostdeutschen Geheimdienstes.

Wiesenthal, der die Nachforschungen zunächst von Linz und bald von seinem Dokumentationszentrum in Wien aus betrieb, machte sich keine Illusionen darüber, dass er sich im nach-nationalsozialistischen Deutschland und Österreich wie in Feindesland bewegte und bis in die achtziger Jahre hinein auf viel mehr Widerstand als Unterstützung traf. "Die blödesten Nazis", kommentierte er die Saumseligkeit der amtlichen Strafverfolgung einmal, seien die gewesen, "die beim Zusammenbruch des Dritten Reiches Selbstmord begangen haben".

Innerer Kompass war dem bald zu einer öffentlichen Figur aufsteigenden Wiesenthal die als Verpflichtung empfundene Gewissheit, er dürfe es als Davongekommener nicht zulassen, dass die Ermordeten der Vergessenheit anheimfielen - die Mörder aber auch nicht. "Gerechtigkeit, nicht Rache" lautete seine Maxime, doch wusste er um die tiefere Vergeblichkeit seines Tuns: Gerichtsurteile, wenn sie denn zustande kämen, könnten "nur symbolisch sein, weil das Strafverfolgungssystem nicht mit derart bestialischen Taten fertig werden kann". Gerade deshalb versuchte er, wenigstens das bisschen Gerechtigkeit und Sühne herstellen zu helfen, das erreichbar war, und die wenigen Täter ergreifen zu helfen, die nach den Versäumnissen der frühen Jahre noch zu fassen waren; neben Adolf Eichmann beispielsweise Franz Stangl, Kommandant in Sobibor und Treblinka, der in Litauen mordende SS-Standartenführer Franz Murer oder die berüchtigte Oberaufseherin in Majdanek, Hermine Braunsteiner-Ryan. Wiesenthal, der Kollektivschuldthesen jeglicher Form ablehnte und einen über die Holocaust-Geschichte hinausweisenden humanistischen Ansatz verfolgte, verstand sein Lebenswerk auch als Aufklärungswerk. Schon früh wies er auf den engen Zusammenhang zwischen der systematischen Judenvernichtung und der von Staats wegen betriebenen Ermordung "Lebensunwerter" hin, die inmitten der Stadt Brandenburg begann. Unwillkommen war auch seine zutreffende Feststellung, wonach überproportional viele Akteure der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie Österreicher gewesen seien.

Tom Segevs Empathie und Distanz atmende Analyse eines geheimnisumwitterten Lebens ist frei von Verteufelungen und Verherrlichungen, die sein Held (der seit dem Eichmann-Prozess 1961 zu einer Art Global Player aufstieg) immer auch selbst befeuerte. Diese Nüchternheit und Sachlichkeit ist unbedingt vonnöten, denn die Persönlichkeit Wiesenthals mit ihren egophilen Obsessionen, opportunistischen Verirrungen und wandelbaren Lügengeschichten "schillernd" zu nennen wäre eine arge Untertreibung. Nach und nach stellt sich bei der Lektüre des etwas ausladenden Werkes jedenfalls das Gefühl ein, als geleite der renommierte Autor den Leser in dem Labyrinth dieses Ausnahmecharakters ziemlich verlässlich. Im Tiefsten, so vermutet Segev, habe Wiesenthal es nie verwunden, dass er während der NS-Zeit weniger gelitten hatte als seine Schicksalsgenossen.

Weil er seine Rettung in der Tat "der Anständigkeit einiger Deutscher" verdankte, habe ihn sein Gewissen beständig geplagt: "Die Jagd nach Kriegsverbrechern", meint Segev, "erscheint daher wie eine Strafe, die er sich selbst auferlegte, und auch wie ein Versuch, Sühne zu tun. Wiesenthal wollte sich selbst reinigen, so wie das von ihm gepflegte Bewusstsein vom Holocaust die gesamte menschliche Kultur einigen sollte." Sich selbst habe er nicht verzeihen und nicht "den Griff des Holocaust abschütteln können, der ihn mehr verfolgte als er die Täter". Und zugleich habe ihn eine Sehnsucht nach Aussöhnung getrieben. Vielleicht war es so.

In der Vita Simon Wiesenthals haben sich darüber hinaus Charakteristika und Strömungen seiner Zeit verdichtet, die im klassischen "His Life and Times"-Muster ausgeleuchtet werden: die späte Überwindung des "Opfermythos" der Republik Österreich etwa; die Durchsetzung einer allmählich aufrichtiger werdenden Deutung des Nationalsozialismus und ihre Integration in das Selbstbild der Bundesrepublik; die Herausbildung des Holocaust zu einem universalen Code des Bösen. Zeitlos dagegen die alle Komödien und Tragödien hinter sich lassenden innerjüdischen Kabalen: so beispielsweise die brachialen Attacken des Jüdischen Weltkongresses, als Wiesenthal sich nicht in den Feldzug gegen Kurt Waldheim einbauen lassen will, mit dem aus einem Lügner ein Verbrecher gemacht werden soll; die flamboyanten Fehden in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien; das eitle Hin und Her zwischen Wiesenthal und dem nach ihm benannten Center in Los Angeles; der angestrengte Lobbyismus von Wiesenthal und Elie Wiesel im Rennen um den Friedensnobelpreis; eifersüchtige Kampagnen des pensionierten Mossad-Chefs und des jüdischen Leiters der amerikanischen Behörde zur Verfolgung von NS-Verbrechen; dazwischen das schwankende diplomatische Personal des Staates Israel.

Einen darstellerischen Höhepunkt erreicht das Buch mit der Schilderung der bizarren Gigantomachie zwischen dem sozialistischen Bundeskanzler des "antisemitischen Österreich", dem aus großbürgerlichen Hause stammenden, eingesessenen Wiener Juden Bruno Kreisky, und dem zugezogenen, antikommunistisch-konservativen "Ostjuden" Wiesenthal. Wer ist der bessere Österreicher? Darum geht es in einem Land, das sich durch nichts schöner entlastet fühlen darf als durch einen jüdischen Regierungschef, der den hartnäckigen Störenfried - fälschlich - sogar als Kollaborateur der Gestapo verleumdet. "Bei so vielen jüdischen Feinden war es leichter für ihn, mit den Deutschen zu leben", schreibt Tom Segev.

Ein Gericht beendet schließlich den zwanzig Jahre lang tobenden Streit der beiden Wiener Platzhirsche und verdonnert den unversöhnten Kreisky kurz vor seinem Tod zu einer saftigen Geldstrafe. "Kreisky hat verloren", bemerkt der längst mit höchsten Ehrungen überschüttete und für seinen jüdischen Witz gefürchtete Simon Wiesenthal, "und anstatt die Geldstrafe zu bezahlen, ist er gestorben."

Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie. Siedler Verlag, München 2010. 562 S., 29,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Differenziert und trotzdem sehr spannend findet Rezensentin Alexandra Senfft Tom Segevs Biografie, die der ambivalenten Persönlichkeit des Nazijägers Simon Wiesenthal sehr nahe kommt. Segev hat Tausende von Akten in unzähligen Archiven durchforstet und auf 500 Seiten zu einer so spannenden Lektüre verarbeitet, die "so manchen Historiker vor Neid erblassen lassen könnte", meint Senfft, die dem Autor attestiert, etliche bisherige Ungereimtheiten aus dem Weg zu räumen. So stelle Segev etwa klar, dass weniger Wiesenthal als vielmehr der Frankfurter Staatsanwalt Fritz Bauer für die Ergreifung Adolf Eichmanns gesorgt hat. Dass sich die Fehde mit Bruno Kreisky sowohl aus persönlichen wie politische gründen speiste. Aber auch dass an den Vorwürfen, Wiesenthal habe für die Nazis gearbeitet, nichts dran gewesen sei. Mit dieser nie unkritischen Biografie voller Sympathie habe Segev Wiesenthal ein "vielschichtiges und lebhaftes Denkmal" gesetzt, lobt Senfft.

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