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1949 flüchtet Josef Mengele, der Lagerarzt von Auschwitz, nach Argentinien, um dort ein neues Leben anzufangen. In Buenos Aires trifft er auf zahlreiche Unterstützer, unter ihnen Diktator Perón. Doch der Mossad und Nazi-Jäger Simon Wiesenthal heften sich an seine Fersen und er muss aufs Land fliehen. Zunehmend isoliert, rettet er sich von Versteck zu Versteck, bis er 1979 bei einem Badeunfall ums Leben kommt. Guez schildert Mengeles Flucht rasant und packend wie einen Thriller. Es ist das faszinierende Porträt eines überzeugten Täters und das erschüttende Abbild einer internationalen…mehr

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Produktbeschreibung
1949 flüchtet Josef Mengele, der Lagerarzt von Auschwitz, nach Argentinien, um dort ein neues Leben anzufangen. In Buenos Aires trifft er auf zahlreiche Unterstützer, unter ihnen Diktator Perón. Doch der Mossad und Nazi-Jäger Simon Wiesenthal heften sich an seine Fersen und er muss aufs Land fliehen. Zunehmend isoliert, rettet er sich von Versteck zu Versteck, bis er 1979 bei einem Badeunfall ums Leben kommt. Guez schildert Mengeles Flucht rasant und packend wie einen Thriller. Es ist das faszinierende Porträt eines überzeugten Täters und das erschüttende Abbild einer internationalen Gemeinschaft, die kläglich versagte.Ungekürzte Lesung mit Burghart Klaußner5 CDs ca. 6 h 29 min
Autorenporträt
Guez, OlivierOlivier Guez, 1974 in Straßburg geboren, schreibt als Journalist u.a. für die F.A.Z., Le Monde und die New York Times. Sein Roman »Das Verschwinden des Josef Mengele« wurde in Frankreich zur Sensation, stand auf der Shortlist des Prix Goncourt und war Gewinner des Prix Renaudot.

Klaußner, BurghartBurghart Klaußner ist ein beliebter Film- und Theaterschauspieler, ausgezeichnet u .a. mit dem Deutschen Filmpreis und dem Deutschen Hörbuchpreis. Er war in preisgekrönten Filmen wie »Das weiße Band« und »Der Staat gegen Fritz Bauer« zu sehen. Für DAV hat er u.a. »Das Verschwinden des Josef Mengele« von Olivier Guez eingelesen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2018

Allzeit gewissenlos

Ein Mann ohne Menschlichkeit: Olivier Guez' fesselnder Roman "Das Verschwinden des Josef Mengele"

Ein lauer Abend in der Pampa nahe Buenos Aires, Anfang der fünfziger Jahre, ein Zusammentreffen deutscher Auswanderer, die im Garten eines mit Eukalyptus und Akazien gesäumten Landguts Spanferkel braten, Bier trinken und die Zeiten, über die sie reden, keineswegs als die alten ablegen wollen. Von den vielen beklemmenden Szenen des Tatsachenromans "Das Verschwinden des Josef Mengele" ist diese eine der bittersten: Wie die Nazis, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland geflohen sind, ausgelassen ihre Erinnerungen aufleben lassen; an die verkohlten Gesichter und zerfetzten Uniformen von Stalins sibirischen Divisionen etwa und an ihre Macht. Sie glauben, mit der in Deutschland von den Alliierten verordneten Demokratie sei bald wieder Schluss. Die "Rückeroberung" der Heimat halten sie, die sich in Juan Peróns Argentinien niedergelassen haben, für greifbar. Bereitwillig, auch bewundernd recycelt der Präsident die entkommenen Nazi-Verbrecher - Ärzte, Ingenieure und Techniker - in seinem System. Es geht ihnen gut, sie feiern, und das Gefühl der Überlegenheit flirrt mit ums Feuer, während über ihnen eine Hitler-Büste prangt und "ein bisschen Farbe in den Garten" bringt. Unter den Gästen: Josef Mengele. Die Flucht aus Deutschland ist ihm gelungen, obwohl sein Name auf der amerikanischen Kriegsverbrecherliste steht.

Olivier Guez' Buch ist eine Kombination aus Fakten und Fiktion. Der 1974 geborene französische Autor schildert das innere Erleben des SS-Untersturmführers und Lagerarztes von Auschwitz ab dem Moment der Flucht aus Deutschland und führt es in einer beeindruckenden Montage mit zeithistorischem Material zu mehreren Handlungssträngen zusammen. Er komponiert daraus eine Geschichte, die sich erschütternd und spannungsreich zugleich liest. Den Mengele, der im Konzentrationslager, Melodien aus "Tosca" pfeifend, Hunderttausende in den Tod schickte, der besessen von seiner barbarischen Forschung Versuche an Menschen durchführte - an "verwendungsfähigem Menschenmaterial", das er aus den in Auschwitz ankommenden Zügen selektierte -, nimmt Guez nur vereinzelt in Rückblenden in den Blick. Aber genug, um in kühler Sprache das Bild eines Mannes ohne Menschlichkeit zu zeichnen, dessen Affekte sich nur um ihn selbst drehen und der Auschwitz mit der Erinnerung verbindet, dort im Herbst 1944 "zweite Flitterwochen" mit seiner Ehefrau Irene erlebt zu haben, während die Augen seiner Versuchsopfer wie Schmetterlinge an die Wand seines Arbeitszimmers gepinnt waren, die "Gaskammern auf Hochtouren liefen" und die SS-Leute Männer, Frauen und Kinder bei lebendigem Leibe in einer Grube verbrannten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versteckt sich Mengele zunächst für einige Jahre nahe seiner Heimatstadt Günzburg und hilft auf einem Bauernhof bei der Heuernte. 1949 überquert er dann die Dolomiten und flieht von Italien nach Argentinien, mit Reisepapieren, die ihn als Helmut Gregor ausgeben. Als "der kostbarste Ertrag jahrelanger Forschung" gilt ihm bei der Einreise nach Argentinien ein Koffer, den er mit sich führt, gefüllt mit "Injektionsspritzen, Heften mit Notizen und anatomischen Zeichnungen, Blutproben und Zellplättchen".

Guez' Protagonist Mengele bleibt während der 38 Jahre seiner Flucht geprägt von seinem Hunger nach Anerkennung, der Angst, entdeckt zu werden, und dem Irrsinn der "Rassenreinheit". An letzterer, der Vorstellung von Überlegenheit, hält der Geflohene selbst dann noch fest, als es die glamourösen Treffen der Nazis in Argentinien längst nicht mehr gibt, nachdem Perón seine Macht verloren hat und Mengele erst zunehmend isoliert in Paraguay abtaucht und sich schließlich tief im Dschungel Brasiliens verstecken muss. Dort lebt der Flüchtige in Abhängigkeit von den aus Ungarn stammenden Eigentümern einer einsam gelegenen Farm. Der Ehefrau muss Mengele, wenn ihr Mann nicht da ist, sexuell zur Verfügung stehen. Er quält dafür die Arbeiter auf den Feldern. Über niemand sonst hat er Macht und ergeht sich in Selbstmitleid darüber, dass ihm für die in Auschwitz begangenen Greuel nicht applaudiert wird, dass sie ihn nicht zum Star gemacht haben; ihn, der schon als Zehnjähriger verstanden zu haben glaubte, dass "Ärzte und Forscher die wahren Priester und Stars des 20. Jahrhunderts werden würden".

Mengele kennt nur sich selbst als Opfer. Immer wieder bemitleidet er sich auch dafür, dass er nicht in Deutschland weiterleben kann, so wie andere der zwanzig SS-Ärzte von Auschwitz, die Männer kastrierten und Frauen Tierföten transplantierten oder sie mit Typhus infizierten und nach dem Krieg durch die Maschen der Justiz geschlüpft und wieder zurückgekehrt waren in die Zivilgesellschaft und in ihre Familien.

So abgestoßen man von Mengele ist - und in diesem Sinne ist Guez auch ein Risiko eingegangen, den Flüchtigen zum Protagonisten zu machen und seinem Denken und Fühlen so mikroskopisch nachzugehen -, so beeindruckend gelingt es dem Autor zugleich, eben nicht nur Mengeles Leben zu erzählen, sondern die universelle Geschichte, wie Ideologie zur Rechtfertigung jedes Zivilisationsbruchs werden kann. Guez fächert die inneren Prozesse auf, mit denen die Fragen nach Verantwortung und Schuld in Mengele bis zum Schluss nicht durchdringen. In seiner Logik kann jede Unmenschlichkeit für notwendig erklärt werden, und er stützt diese Logik nicht allein, auch deshalb funktioniert sie. "Er habe nur seine Pflicht getan", sagt Mengeles Vater Karl senior einmal zu ihm, "so einfach ist das." Jede andere Sichtweise als die eigene ist in den Augen des Flüchtigen eine verzerrte Darstellung der Realität, Verleumdung, Fake News.

Josef Mengeles Verschwinden ist auch die Geschichte seiner aktiven und passiven Helfer. Unbehelligt von juristischen Ermittlungen lebt der Flüchtige während der ersten Jahre in Buenos Aires. Die deutsche Botschaft vor Ort unternimmt nichts gegen ihn. Sie stellt ihm, als er sich von seiner ersten Frau Irene scheiden lässt, sogar die Urkunde aus - unter seinem echten Namen. Ein alter Freund von Mengeles Vater, Hans Sedlmeier, und diverse zwischengeschaltete Anwälte haben dabei ihre Hände im Spiel, um möglichst viele Schutzschilde zwischen der deutschen Justiz und dem Flüchtigen zu schaffen. 1956 reist Gregor/Mengele sogar noch zurück nach Europa, erst in die Schweiz und dann nach Günzburg.

Bezeichnend ist die Szene, in der sein Vater ihm die Nerven stärkt, dass er sich hier zu Hause fühlen und keine Angst haben müsse, aufzufliegen. Keiner werde es wagen, den Sohn vom Chef anzuzeigen. Er sei der wichtigste Arbeitgeber der Region, kein Unternehmen größer als das der Mengeles, das Landwirtschaftsmaschinen herstellt. Und als die Polizei doch zufällig auf Gregor/Mengele aufmerksam wird, regeln Mengele senior und Sedlmeier die Angelegenheit mit Bier und Bestechungsgeld. Beide verbindet das fehlende Gewissen und letztlich die Weigerung, die neue Zeit, die Verpflichtung der Bürger gegenüber ihrem Rechtsstaat, zur Kenntnis zu nehmen. Die Erträge des Wirtschaftswunders, die ihnen so willkommen sind, werden auch zur Finanzierung des Flüchtigen verwendet. Die deutsche Justiz interessiert sich erst 1959 für den Lagerarzt von Auschwitz und erlässt einen Haftbefehl gegen ihn.

Gegen Ende der fünfziger Jahre kommt der Mossad dem flüchtigen Mengele auf die Spur. Zunächst gilt die Aufmerksamkeit des israelischen Geheimdienstes Adolf Eichmann, dem bürokratischen Kopf der SS für die Verfolgung und Deportation von sechs Millionen Menschen. Im Juli 1950 war er in Argentinien unter dem Decknamen Ricardo Klement eingetroffen. 1957 war Eichmann in Buenos Aires von einem nach Argentinien geflohenen deutschen Juden erkannt worden, der den hessischen Generalstaatsanwalt Fitz Bauer informierte. Der leitet den Hinweis diskret an den Mossad weiter. 1960 wird Eichmann schließlich von Agenten entführt, nach Israel gebracht und im Dezember 1961 zum Tode verurteilt. In demselben Flugzeug, in dem Eichmann von den Agenten nach Israel gebracht wurde, sollte eigentlich auch Mengele sitzen; auch er sollte entführt werden. Mengele aber ist zu dem Zeitpunkt schon nach Paraguay geflohen. Von dort flieht er schließlich nach Brasilien. Einer seiner Sympathisanten hat ihm eine Pistole und einen Pass auf den Namen Peter Hochbichler besorgt. Im Frühjahr 1962 spüren Mossad-Agenten Mengele dann in Brasilien auf. Im nächsten Schritt soll - wie im Falle Eichmanns - seine Entführung geplant werden, doch plötzlich erhalten die Agenten keine Freigabe für den Zugriff, weil sie für einen anderen Fall abgezogen werden. Erst Jahre später geht die Suche weiter.

Immer wieder ist es das Geld der Mengele-Familie aus Deutschland, das dem Geflohenen hilft, seine Haut zu retten und von Versteck zu Versteck zu kommen. Sie - vor allem Karl Mengele senior zu Lebzeiten - agiert dabei ebenso kalt wie Josef Mengele: Gäbe es in der Öffentlichkeit Aufsehen um den Nazi-Verwandten, gar einen Prozess gegen ihn, nähme das Familienunternehmen Schaden. Deshalb versiegt der Geldstrom nach Südamerika nicht, deshalb wird Sedlmeier regelmäßig vorgeschickt, damit Mengele nicht die Nerven verliert.

Mengeles Angst vor dem israelischen Geheimdienst steigert sich über die Jahre immer weiter ebenso wie die, von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer aufgespürt zu werden.

Olivier Guez, der in Frankreich letztes Jahr für "Das Verschwinden des Josef Mengele" den Prix Renaudot erhielt und mit Lars Kraume das Drehbuch zu dem vielfach ausgezeichneten Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" schrieb, erzählt fesselnd nicht nur von dem immer paranoider werdenden Mengele und dessen aktiven Unterstützern, sondern auch von den vielen anderen, die sich nicht um das größere Bild kümmerten, nicht um den Zustand der Gesellschaft, in der sie lebten. Zum Beispiel, weil sie für den Vater eines flüchtigen Nazis arbeiteten. Oder weil das eigene Leben in ihren Augen gerade dringendere Probleme bereithielt, als zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Gespenstisch lesen sich diese Passagen, weil dieses Desinteresse nicht vollends vergangen scheint.

Gregor/Mengele stirbt 1979, er ertrinkt. Für seine Verbrechen wird der berüchtigte KZ-Arzt nie vor Gericht gestellt.

ANNE AMERI-SIEMENS

Olivier Guez: "Das Verschwinden des Josef Mengele". Aus dem Französischen von Nicola Denis. Aufbau-Verlag, 224 Seiten, 20 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2018

Hamsun
mit Fischbesteck
In Olivier Guez’ Roman „Das Verschwinden des
Josef Mengele“ geht der Auschwitz-Arzt elendig zugrunde
VON FELIX STEPHAN
Wie schreibt man im Jahr 2018 einen Roman über Josef Mengele? Wie soll das gehen, ohne einerseits heillos im Ernst des Themas zu versinken und andererseits ob seiner Abgestandenheit onkelig zu ironisieren? Zwischen dem Gestus des Geschichtslehrers, dem Gestus des übellaunigen Rabauken und dem Gestus des Erinnerungspredigers ist hier nicht besonders viel Platz. Wie soll das also gelingen: über Josef Mengele schreiben und trotzdem seine Würde als Künstler behalten? Die kurze Antwort wäre: Man macht es genau so wie Olivier Guez in seinem Roman „Das Verschwinden des Josef Mengele”.
Die Erzählung setzt kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein, als sich der internationale Nazi-Jetset gerade in Buenos Aires versammelt. Der Plan des argentinischen Präsidenten Juan Perón besteht zu diesem Zeitpunkt darin, Argentinien aus dem kommenden Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion als letzte verbliebene Weltmacht hervorgehen zu lassen. Dafür braucht er Fachkräfte.
Guez beschreibt das gesellschaftliche Leben in Buenos Aires der späten Vierzigerjahre so: „Ein Sammelbecken für Nazis, kroatische Ustascha, serbische Ultranationalisten, italienische Faschisten, ungarische Pfeilkreuzer, rumänische Legionäre der Eisernen Garde, französische Vichy-Anhänger, belgische Rexisten, spanische Falangisten, integralistische Katholiken; Mörder, Folterer und Abenteurer, ein gespenstisches Viertes Reich. Perón verwöhnt seine Desperados.“ Im Jahr 1949 werden alle, die mit einer falschen Identität eingereist sind, amnestiert. Das Vierte Reich besucht Theater und Restaurants, es bestaunt die üppigen Auslagen in den Boutiquen, gründet Unternehmen und kauft Häuser, liest die Zeitungen und rüstet sich für die Rückkehr, die, daran besteht kein Zweifel, triumphal ausfallen wird.
Unter ihnen befindet sich, in leicht melancholischer Stimmung, sonst aber guter Verfassung, Josef Mengele. In Argentinien trägt er den Namen Helmut Gregor, arbeitet als Zimmermann, und verdient sich ein Zubrot, indem er illegal die ungewollten Schwangerschaften der Oberschicht von Buenos Aires beendet. Schließlich ist Mengele Arzt. Von Tag zu Tag verbessert sich seine Lage. Bei den Nürnberger Prozessen fällt sein Name nur am Rande, in den Zeitungen wird er mit keinem Wort erwähnt, einen Haftbefehl gibt es nicht, niemand sucht nach ihm. Trotzdem ist er vorsichtig. Anders als Eichmann, der aus seiner Identität kein Geheimnis macht, verbirgt er seinen wahren Namen mit großer Pedanterie. Bald kann er seiner Familie eine Villa in einem der besten Viertel der Stadt kaufen. Josef Mengele lebt wieder standesgemäß.
Als aber der Mossad Eichmann entführt und im faschistischen Buenos Aires die blanke Panik ausbricht, weil man mit einigem gerechnet hat, ein öffentlicher Prozess in Israel aber jede Vorstellungskraft übersteigt, beginnt der zweite Teil des Romans: die Ballade von Mengeles Selbstverlust. Der Titel bezieht sich zum einen ganz prosaisch auf Mengeles Flucht aus dem besiegten Deutschland. Zum anderen aber geht es um das Verschwinden seiner Identität, um das langsame Verblassen des stolzen Elite-Nazis aus bürgerlichem Hause. Mengele begreift sich nicht nur als den wichtigsten Soldaten im Rassezuchtprogramm des „Führers“, sondern als Inkarnation alles Deutschen, von Rasse wegen zur Hoheit bestimmt. Den langsamen, aber stetigen Zerfall dieses Selbstbildes, das von niemandem in Mengeles Umfeld bezweifelt wird, erzählt Guez nun als große Genussgeschichte.
Mit Eichmanns Verhaftung beginnt für den Herrenmenschen Mengele, den „Fürsten der europäischen Finsternis“, der „fröhlich pfeifend vierhunderttausend Menschen in die Gaskammer geschickt hat“, eine demütigende Odyssee durch die endlosen Dschungel von Paraguay und Brasilien. Er ist gezwungen, sich bei irgendwelchen Bauern in feuchten Kammern zu verstecken, ständig schaut er sich über die Schulter, vertraut niemandem mehr. Hinter jedem Mann, der unbeteiligt an einer Kreuzung steht, vermutet er einen Agenten des Mossad. Er wird wunderlich, reizbar, paranoid, wagt sich nur noch nachts vor die Tür, während die Jahre vorbeiziehen, „er, der nur noch ein Wrack ist, außerstande, sich an die Gesichtszüge der einst geliebten Frau zu erinnern, dazu verdammt, im stillen Kämmerlein Trübsal zu blasen und beim Maunzen einer Katze zusammenzuzucken. Er, der vor sich hinvegetiert und am liebsten der Welt ins Gesicht schreien würde, wie einsam und hundselend er sich fühlt, der bald mutterseelenallein in den Trümmern der Favela krepieren wird. Man meidet ihn.“
Der Roman ist verfasst im Stile eines Historikers, der um Sachlichkeit bemüht ist, sich aber trotzdem hier und da so etwas wie einen Stil erlaubt, als handele es sich um eine kleine Albernheit. In der nüchternen Auftaktsequenz scheint es dieser Erzählstimme, die eher ein taktvolles Beiseitetreten vor seinem Gegenstand ist, noch um Neutralität zu gehen. Jetzt aber ändert sie ihre Gestalt. Sie wird zur Stimme eines geübten Hedonisten, der sich die Freude am Niedergang des Monumentalen nicht durch seine eigene Maßlosigkeit schmälern lassen möchte, eine Art Hamsun mit Fischbesteck.
Wie Dostojewskis Raskolnikow ereilt Mengele die gerechte Strafe, die ihm Behörden in Deutschland und Israel vorenthalten, im kosmischen Gefüge nur umso erbarmungsloser. Stunde um Stunde, Jahr um Jahr läuft er jammernd, ängstlich und mit schmerzender Prostata in seiner Kammer auf und ab. Selbst als ihn die Welt längst vergessen hat und die Behörden die Suche nach ihm schon eingestellt haben, steigern sich die Qualen unbeirrt ins Unermessliche. Ein Kontakt nach dem anderen geht ihm verloren, irgendwann erbarmt sich nur noch ein letzter kleiner Faschist, der in der Nähe wohnt, gegen gute Bezahlung gelegentlich bei Mengele vorbeizuschauen, sich seine größenwahnsinnigen Selbstmitleidsarien anzuhören und etwas Schach zu spielen. Mengele weiß es noch nicht, aber dieser Mann in längst sein Pfleger. Er verliebt sich in seine brasilianische Haushälterin, die sich auf die Sache aber nur einlassen will, wenn er sie im Gegenzug heiratet, was für den Rassenfanatiker nicht infrage kommt. Also leidet er weiter allein vor sich hin, ein verlassener alter Mann, der grimmig vor sich hinmurmelt. Da liegt es, das große Deutschland, zitternd in einem morschen Holzbett. Diese Passagen, hat Olivier Guez einmal gesagt, hätten großen Spaß gemacht. Als Mengele im Jahr 1977 Besuch von seinem Sohn Rolf bekommt, einem Anwalt, der in der Bundesrepublik aufgewachsen ist und politisch links steht, erniedrigt Mengele sich vor ihm tagelang mit seinem irren Gewimmer. Rolf reist desillusioniert vorzeitig ab: „Sein Vater ist verstockt, unheilbar und böse, ein Kriegsverbrecher, ein Verbrecher gegen die Menschlichkeit.” Den Aufenthaltsort seines Vaters verrät er trotzdem nicht.
Anders als Jonathan Littell, der in seinem Roman „Die Wohlgesinnten“ 2006 einen hochrangigen Nazi entwarf, der menschliche Züge trug, und damit eine ganze Kritikergeneration in Identifikationskrisen stieß, ist das menschliche Antlitz des Josef Mengele nicht als Veredelung zu verstehen. Niemand leidet so an dem Umstand, letztlich doch nur ein Mensch zu sein, so sehr wie Mengele selbst.
Es kann einem leicht entgehen, was für ein ästhetizistisches, also moralisches Kunstwerk dieser Roman ist, gerade weil er sich den Anschein gibt, lediglich die Tatsachen zu berichten. Im Anhang findet sich eine lange Literaturliste, nichts ist in diesem Sinne ausgedacht. Wie sich hier aber aus der erzählerischen Distanz eine ungeheure Intimität ergibt und in der Mitleidslosigkeit der Erzählstimme eine ungeheure Menschlichkeit aufscheint, das ist eben doch und in erster Linie: Literatur.
Olivier Guez: Das Verschwinden des Josef Mengele. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 223 Seiten, 20 Euro.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
versammelt sich der
Nazi-Jetset in Buenos Aires
Da liegt es, das große
Deutschland, zitternd in einem
morschen Holzbett
Im vergangenen Jahr erhielt Olivier Guez, Jahrgang 1974, den Prix Renaudot für „La disparition de Josef Mengele“.
Foto: imago stock
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»Ohne Schnörkel, ohne Sensationalismus, als hartnäckiger, unerbittlicher Fahnder auf den Spuren des Schlächters.« Transfuge »Olivier Guez meistert die herausragende Biographie einer Inkarnation des Bösen.« L'Humanité Dimanche

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Niklas Bender hat seine Probleme mit Olivier Guez' Josef-Mengele-Roman. Schon die Bezeichnung als Roman findet der Kritiker schwierig - erzählt ihm der französische Schriftsteller und Journalist doch vielmehr im sachlichen "Reportage-Stil" in zwei Teilen von Mengeles Jahren im Exil. Zwar entdeckt Bender durchaus geglückte Beobachtungen, wenn Guez beschreibt, wie Mengele sich zunächst in Argentinien mit ehemaligen Nazi-Granden zusammenschließt und schnell zu Wohlstand und Ansehen kommt, bis er schließlich unter dem zunehmenden Verfolgungsdruck in den Sechzigern und Siebzigern nach Paraguay und Brasilien flieht und in immer größere Abhängigkeit gerät. Dass sich der Autor allerdings vor allem auf Mengeles nicht vorhandene Aufarbeitung der Vergangenheit konzentriert, findet  der Kritiker bedauerlich.

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