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Georg August Zinn (1901-1976) war der bedeutendste sozialdemokratische Ministerpräsident der 1950er- und 1960er-Jahre. In dieser Zeit gab er der Entwicklung Hessens entscheidende Impulse. Sein Ziel war es, eine neue demokratische Wirtschaftsordnung jenseits von Kapitalismus und Planwirtschaft zu schaffen. Hessen entwickelte sich in seiner Amtszeit zu einem wirtschaftlich starken und innovativen Land und zum Vorreiter sozialdemokratischer Politik.Als Justizminister (1945-1951) war Georg August Zinn maßgeblich an der Entstehung der Hessischen Verfassung beteiligt. Als Ministerpräsident…mehr

Produktbeschreibung
Georg August Zinn (1901-1976) war der bedeutendste sozialdemokratische Ministerpräsident der 1950er- und 1960er-Jahre. In dieser Zeit gab er der Entwicklung Hessens entscheidende Impulse. Sein Ziel war es, eine neue demokratische Wirtschaftsordnung jenseits von Kapitalismus und Planwirtschaft zu schaffen. Hessen entwickelte sich in seiner Amtszeit zu einem wirtschaftlich starken und innovativen Land und zum Vorreiter sozialdemokratischer Politik.Als Justizminister (1945-1951) war Georg August Zinn maßgeblich an der Entstehung der Hessischen Verfassung beteiligt. Als Ministerpräsident (1951-1969) führte er das Land Hessen an die Spitze des politischen Fortschritts. Das als »sozialdemokratisches Musterland« bezeichnete Hessen wurde zum Pionier einer planmäßigen Landesentwicklung, welche die Potenziale des Rhein-Main-Gebiets und der ländlichen Regionen optimal entwickelte.
Autorenporträt
Gerhard Beier, 1937¿2000, der habilitierte Historiker war Experte für die Geschichte der Arbeiterbewegung. Er veröffentlichte unter anderem eine umfangreiche Biografie des IG Metall-Vorsitzenden Willi Richter und eine Geschichte der Arbeiterbewegung in Hessen. Er war 30 Jahre Stadtverordneter und Vorsitzender des Hessischen Schriftstellerverbands.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Joachim Scholtyseck freut sich über die postume Veröffentlichung von Gerhard Beiers Mammutbiografie über den hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn. Dass der Leser auf den vom Autor projektierten Chronik-Band verzichten muss, bedauert der Rezensent allerdings. So wird die Lektüre der essayistisch verfassten 163 Einzelkapitel über Zinns Wirken für den Rezensenten zur mühsamen Sammelarbeit von Detailinformationen, die er selber chronologisch ordnen muss. Was Beier über die Popularität des Sozialdemokraten schreibt, über sein politisches Denken und seine Rolle bei der Erarbeitung der hessischen Landesverfassung, scheint Scholtyseck aber in jedem Fall lesenswert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2022

Erinnerungen an das "rote Hessen"
Was lange währt - eine Biographie des Langzeit-Ministerpräsidenten Georg August Zinn

Zu einem der bedeutendsten Ministerpräsidenten der "Bonner Republik" gab es bislang erstaunlicherweise noch keine vernünftige politische Biographie. Der Sozialdemokrat Georg August Zinn, der die Nachkriegszeit Hessens entscheidend prägte, war seit 1945 zunächst Innenminister in Hessen, danach für fast 20 Jahre bis 1969 hessischer Ministerpräsident. Jetzt liegt eine informative "Lebensbeschreibung" vor, die allerdings selbst schon ein Eigenleben hat: Seit der Mitte der 1980erJahre hatte sich der Historiker Gerhard Beier, ein Kenner der Geschichte der Arbeiterbewegung, intensiv mit Zinn beschäftigt, zahlreiche Archive durchackert und mit einer Sondergenehmigung Kabinettsprotokolle konsultiert, die eigentlich noch der 30-jährigen Sperrfrist unterlagen. Er hatte auch Zeitzeugengespräche geführt, die Literatur durchforstet und es schließlich auf eine Materialsammlung gebracht, die 75 Leitz-Ordner füllte. Nur zu einer Veröffentlichung des auf 800 Seiten angewachsenen Manuskripts kam es nie, zunächst, weil sich die Witwe Christa Zinn weigerte, dann, weil die erheblichen Druckkosten für das umfangreiche Werk den Verlagen ohne Zuschüsse des Landes als unkalkulierbar und risikobehaftet schienen. Schließlich starb Beier im Jahr 2000: Auch Bücher haben ihre Schicksale.

Jetzt liegt die Biographie vor, die allerdings ohne den ursprünglich geplanten separaten Chronik-Band auskommt, der dem Lebensbild Zinns eine Struktur gegeben hätte. Daher bietet sich ein wahres Assoziationsgewitter, das die Lektüre interessant und anstrengend zugleich macht, denn Beier bietet - wenn sich der Rezensent nicht verzählt hat - 163 Kapitelchen, in denen wichtige Aspekte des Schaffens Zinns kritisch analysiert werden. Die Herkunft, die Prägungen, die Sozialisation, schließlich die Stufen der Karriereleiter: All das muss sich der Leser selbst erarbeiten, weil dem Band das chronologische Gerüst fehlt. Der Bearbeiter Christopher Kopper, der dem Verfasser persönlich und wissenschaftlich verbunden war, hat den Text behutsam um einige inhaltliche Aspekte und Quellenangaben ergänzt und nur marginale Kürzungen vorgenommen.

Zinns früh gestorbener Vater, Ingenieur und leitender Angestellter bei Henschel in Kassel, stammte aus einer Schicht, die dank des Bildungserfolgs zu einer Stellung gekommen war, die man heute als Manager bezeichnen würde. Zinn machte Abitur, blieb sich aber des familiären Herkommens bewusst, trat 1919 in die SPD ein und ließ sich 1931 als Rechtsanwalt nieder. Die NS-Zeit überstand er, von der Gestapo streng überwacht, schließlich bei der Wehrmacht. Der Bearbeiter verweist auf ein Detail, das Beier wegen des fehlenden Quellenzugangs noch nicht wissen konnte, was aber eine kritische Öffentlichkeit vor ein paar Jahren mit Argusaugen betrachtete: Der sozialdemokratische Jurist Zinn war während des Zweiten Weltkrieges für kurze Zeit im Rahmen der "vormilitärischen" Ausbildung Angehöriger einer SA-Wehrmannschaft. Die Spruchkammer hatte nach 1945 diesen Umstand, der Hunderttausende vom Kriegsdienst zurückgestellte Deutsche betraf, als unproblematisch bewertet und Zinn als "nicht betroffen" eingestuft. Nichts spricht dafür, davon ist auch der Bearbeiter der Beier-Biographie aus guten Gründen überzeugt, dass sich Zinn dem Nationalsozialismus angedient hat. Davon zeugt auch Zinns Aufklärungsgeist in der Nachkriegszeit. 1956 berief er Fritz Bauer zum hessischen Generalstaatsanwalt und förderte diesen bei der Verfolgung von NS-Tätern. Der Frankfurter Auschwitzprozess 1963-1965 ließ sich deshalb sehr viel besser organisieren und gilt zu Recht als ein Meilenstein der juristischen Aufarbeitung der Judenvernichtung.

Das politische Wirken Zinns nach Ende der NS-Diktatur und dessen "Hauptakkorde und Leitmotive" interessieren Beier besonders. Diese werden aber nicht systematisch ausgebreitet, sondern in einem essayistischen Stil präsentiert, der bisweilen Disziplin und roten Faden vermissen lässt. Beier springt schon in den ersten Kapiteln ins politische Schlachtgetümmel der frühen 1960er-Jahre und informiert, dass Zinn zu dieser Zeit in Hessen bekannter war als der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek und fast so bekannt wie der Quizmaster Peter Frankenfeld. Auch die Information, dass der luftfahrtbegeisterte Zinn den Ausbau des Frankfurter Flughafens förderte und einmal sogar mit dem Oberkommandierenden der amerikanischen Air Force im Kampfflugzeug über sein Land düste, wird eingestreut.

Im Zentrum steht jedoch das politische Denken Zinns. Nach der Lektüre versteht man besser, welche Bedeutung der SPD-Jurist zum Beispiel für die Entstehung der Hessischen Landesverfassung von 1946 hatte und welche Rolle er bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat spielte. Zinn wandte sich allmählich von zentralistischen Vorstellungen ab, die bei der politischen Linken seit der Französischen Revolution und dem Vormärz stark verankert waren. Noch in den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat, hier vor allem im Rechtsausschuss, trat er als Verfechter hinreichender Bundeskompetenzen auf und fürchtete die zentrifugalen Kräfte und Neigungen der Länder. Ebenso lehnte er die eigennützigen Vorstellungen der Siegermächte ab, die nichts gegen Länder-Separatismus hatten, weil dies der Gefahr eines starken Zentralstaats entgegenwirkte, den man nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus nicht wollte. Beier beschreibt überzeugend Zinns Wendung zu einem progressiven Föderalisten, der in der Ära Adenauer dezentrale Elemente auch auf die Kultur ausdehnen wollte: "Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Zinn sich im Laufe der 50er Jahre immer mehr zum Föderalisten wandelte, als er ansehen musste, welchen autoritären Gebrauch der Kanzler von der Stellung des Bundes gegenüber den Ländern machte, von eben derselben Stellung, für die Zinn im April 1949 so nachdrücklich eingetreten war."

Als frisch gewählter hessischer SPD-Ministerpräsident formulierte Zinn 1951 pragmatische Staatsziele. Sozialismus verstand er eher als Sozialpartnerschaft denn als Klassenkampf und nahm damit viel von dem bereits vorweg, was die Gesamtpartei erst am Ende des Jahrzehnts mit dem Godesberger Programm vollzog: "Wir beabsichtigen keine Experimente. Wir sind weder Dogmatiker noch Utopisten. Die Politik der Regierung wird maßvoll sein. Sie wird sich Ziele setzen, die bei ernstem Wollen und einigermaßen günstigen Umständen erreichbar sind."

Als Ministerpräsident konnte der bisweilen spröde wirkende Jurist Zinn für sein Bundesland Pflöcke einschlagen: Vor allem die verschiedenen "Hessenpläne" machten Furore. In diesen zeigte sich sozialdemokratischer Gründergeist und unternehmerischer Wagemut: Die Programme, sei es für den Wohnungsbau, sei es für die Ansiedlung und Integration einer außergewöhnlichen Zahl von heimatvertriebenen Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten, aber auch Sozialpläne für die Älteren, zeugten von Fortschrittsoptimismus und sozialtechnologischer Planungseuphorie. Sie gipfelten im "Großen Hessenplan" von 1965, der sich als umfassendes Modell sozialdemokratischer Versorgungspolitik verstand, aber - anders als der planwirtschaftliche Dirigismus jenseits des Eisernen Vorgangs - auf sozialwirtschaftliche Konzepte und einen eingehegten Kapitalismus setzte. Jugendpläne und Mittelpunktschulen gehörten zu einer Bildungsoffensive, die Hessen einen Namen als "rote Bastion" verschaffte. Die Genese der umstrittenen Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre von 1972 für die Bundesrepublik lässt sich ohne den Einfluss von Zinn kaum angemessen einordnen, obwohl dieser zu diesem Zeitpunkt bereits seine Ämter abgegeben hatte. Beier lässt keinen Zweifel, dass Zinns glanzvollste Zeit die 1950er- bis Mitte der 1960er-Jahre waren; danach schwankten seine Stellungnahmen "zunehmend zwischen der milden Unverbindlichkeit des Alterswerkes und der Verletztheit des großen Mannes, dessen Fell verteilt werden sollte". Der abschließenden Einordnung des Bearbeiters, dass Zinn das Selbstbewusstsein des Landes Hessen "als politische Avantgarde und Labor der Moderne" prägte, wird man nach der Lektüre jedenfalls zustimmen können. JOACHIM SCHOLTYSECK

Gerhard Beier: Hessen vorn. Die Biographie des hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn. Herausgegeben von Christopher Kopper.

Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2022. 463 S., 32,- Euro.

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