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Stellenlektüre ist verpönt. Und doch eröffnet die Stelle den Zugang zum Ganzen. Die Stelle ist der Ort, an dem die literarische Erfahrung konkret und von besonderer Intensität wird. So ist es kein Zufall, dass durch die Literaturgeschichte des Abendlands hindurch seit Augustinus 'tolle lege' die Stelle im Buch auch immer wieder zum Kreuzungspunkt zwischen Literatur und Leben wurde.

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Produktbeschreibung
Stellenlektüre ist verpönt. Und doch eröffnet die Stelle den Zugang zum Ganzen. Die Stelle ist der Ort, an dem die literarische Erfahrung konkret und von besonderer Intensität wird. So ist es kein Zufall, dass durch die Literaturgeschichte des Abendlands hindurch seit Augustinus 'tolle lege' die Stelle im Buch auch immer wieder zum Kreuzungspunkt zwischen Literatur und Leben wurde.

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Autorenporträt
Wolfgang Braungart, geb. 1956. Er lehrt seit 1985 Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an den Universitäten Gießen und seit 1996 Bielefeld.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2013

Wie schön!

Woran kann man den Kulturbanausen sicher erkennen? Eine gängige Antwort lautet: Er interessiert sich nur für schöne Stellen. Die Reise nach London dient ihm der Besichtigung der fünf schönsten Sehenswürdigkeiten und der Besuch des Louvre der Ansicht der zehn schönsten Kunstwerke. Der Banause hört keine vollständige Oper, sondern nur deren schönste Arie; und er liest kein ganzes literarisches Werk, sondern nur dessen schönste Passage. Wer sich Kunst nur über schöne Stellen erschließt, steht im Verdacht, ein Pauschaltourist im Reich des Geistes zu sein, der wenig Zeit hat, weil er sie sich nicht nimmt.

Die Liste der Vorwürfe ist lang und bekannt. Aber: Woher kommt diese Herablassung gegenüber dem Genießer der "schönen Stelle"? Wie Wolfgang Braungart und Joachim Jacob - Literaturprofessoren in Bielefeld und Gießen - in zwei charmanten Plädoyers für die schöne Stelle in der Literatur vor kurzem deutlich machten, hat die Stelle spätestens seit der Frühromantik in Deutschland einen schlechten Ruf ("Stellen, schöne Stellen". Oder: Wo das Verstehen beginnt. Wallstein Verlag, Göttingen 2012). Die gebildeten Leser der Frühen Neuzeit suchten noch ganz schamlos schöne Stellen und horteten ihre Funde glücklich in umfangreichen Sammelbüchern.

Erst Friedrich Schlegel formuliert um 1800 den strengen ästhetischen Glaubensartikel, es reiche nicht, "die schöne Stelle" zu empfinden; man müsse "den Eindruck des Ganzen" fassen. "Durchlesen!" lautete jetzt der kategorische Imperativ: Zitiere niemals ein Buch, von dem du nicht zugleich wollen kannst, dass es vollständig zur Kenntnis genommen werde. Fast dreißig Jahre später mokiert sich Friedrich Schleiermacher über Interpreten, die nur einzelne "Stellen" eines Werks erklären wollen. Und umgekehrt nahmen sich Vertreter des "Ganzen", wie Hegel, die Lizenz, einzelne Stellen recht frei zu zitieren, wenn sie irgendwo gebraucht wurden. Für Schleiermacher, den Freund Schlegels, galt: "Jedes Verstehen des Einzelnen ist bedingt durch ein Verstehen des Ganzen." Die hier wirksame Totalitätsemphase lautet: Nicht einzelne Stellen, sondern nur das Werk kann ein legitimer Gegenstand ästhetischer Erfahrung und hermeneutischer Rekonstruktion sein.

Die illustre deutsche Linie der Stellenverächter reicht, so lautet die etablierte Einschätzung, bis zu Adorno und Heidegger. In Frankfurt hält man die Suche nach schönen Stellen für schlechthin dilettantisch; im Schwarzwald wird das Anführen von Stellen in philosophischen Texten als widerlich empfunden.

Wie Jacob in seinem Essay "Kleine Stellenkunde" zeigen kann, ist diese Einschätzung wenigstens im Hinblick auf Adorno falsch. In einer "Schöne Stellen" betitelten Rundfunksendung räumt Adorno 1965 nämlich ein, dass Musik durchaus viele "schöne Stellen" enthalten könne. Weitere Bemerkungen Adornos aus der postum publizierten "Ästhetischen Theorie" stützen Jacobs Argument. Dort schreibt Adorno zwar, dass der Jäger nach schönen musikalischen Stellen ein "Dilettant" sei, räumt aber noch im selben Satz ein, dass derjenige wohl "taub" sein müsse, der die schöne Stelle nicht als solche wahrzunehmen vermöge.

Adorno versagt der schönen Stelle seine Anerkennung nicht. Trotzdem steht er immer noch fest in der von Schlegel und Schleiermacher eröffneten deutschen Tradition, wenn er sie weiterhin fest an das Werkganze knüpft: Selbst die schönste Stelle empfange ihre "Leuchtkraft nur vermöge des Ganzen". Für Braungart und Jacob besitzt die "schöne Stelle" nicht nur in der Musik, sondern auch in der Literatur eine große Leuchtkraft; ihnen gilt die "schöne Stelle" als ein Ort der ästhetischen Erfahrung von Intensität.

Braungart widmet sich in seinem Essay "Vom Sinn und Leben der Stelle" der Deutung schöner erbaulicher Stellen bei Rilke. Das Plädoyer für die schöne Stelle als Ort der Ergriffenheit wird hier zur Verteidigung eines emphatischen Literaturverständnisses ausgebaut. Die tiefgreifende Erfahrung der schönen Stelle verweise direkt auf eine existentielle Betroffenheit des Lesers - und diese wiederum auf die religiöse Dimension der Literatur. Auch wenn man Braungarts beeindruckende Studien zur Kunstreligion schätzt, wird man diesen weiten argumentativen Dreisprung von der bewunderten Passage oder dem glänzenden Vers über den lebhaften Lektüreeindruck auf eine kunstreligiöse Literaturästhetik wohl für etwas überhastet halten. Das macht aber nichts: In der literarischen Gattung des Essays sind solche wagemutigen Gedankensprünge genau am richtigen Platz.

Mit ihrem essayistischen Plädoyer für das Lesen von "schönen Stellen" eröffnen Braungart und Jacob eine neue, von ihnen verantwortete Reihe von "Kleinen Schriften zur literarischen Ästhetik und Hermeneutik". Der erste Band erfüllt, was die Reihe verspricht: Er versammelt zwei elegante und thesenstarke literaturtheoretische Essays. Diese hier zerstreuen mit sicherer Hand das literaturwissenschaftliche Gerücht, das Interesse für schöne Stellen sei nur etwas für unmusische Müßiggänger, die wenig Zeit haben und leicht zu beeindrucken sind.

CARLOS SPOERHASE

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