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Was macht das BIP? Wohl und Wehe unserer Republik scheinen von diesem Kürzel abzuhängen: Das Bruttoinlandsprodukt ist die heilige Kuh der herrschenden Ökonomie. Seit Jahren gilt es als der Indikator für Wirtschaftskraft und Wohlstand - dabei ist es blind für so vieles, was unser Leben bereichert: ehrenamtliche Leistungen, gesunde Umwelt, gerechte Chancen für kommende Generationen. Dass das zu kurz greift, erkennt inzwischen auch die Politik: Großbritannien will einen »Glücksindikator« einführen, Frankreich forderte beim G20-Gipfel ein neues Bewertungssystem und der Deutsche Bundestag setzte…mehr

Produktbeschreibung
Was macht das BIP? Wohl und Wehe unserer Republik scheinen von diesem Kürzel abzuhängen: Das Bruttoinlandsprodukt ist die heilige Kuh der herrschenden Ökonomie. Seit Jahren gilt es als der Indikator für Wirtschaftskraft und Wohlstand - dabei ist es blind für so vieles, was unser Leben bereichert: ehrenamtliche Leistungen, gesunde Umwelt, gerechte Chancen für kommende Generationen. Dass das zu kurz greift, erkennt inzwischen auch die Politik: Großbritannien will einen »Glücksindikator« einführen, Frankreich forderte beim G20-Gipfel ein neues Bewertungssystem und der Deutsche Bundestag setzte gerade eine Enquete-Kommission zur Entwicklung eines neuen Indikators ein.In diese hochaktuelle Diskussion bringen Hans Diefenbacher und Roland Zieschank den »Nationalen Wohlfahrtsindex« ein - weil gutes Leben mehr bedeutet als viel Geld.
Autorenporträt
Hans Diefenbacher lehrt als Professor für VWL an der Universität Heidelberg und ist stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST). Roland Zieschank arbeitet seit 1990 an der Forschungsstelle für Umweltpolitik an der FU Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.09.2011

Neue Zahlen braucht das Land
Der Fetisch „Wachstum“ ist nicht zu halten, sagen Experten: Das Bruttoinlandsprodukt muss anders bemessen werden
Bruttoinlandsprodukt – dieses Wort klingt so, als würde der jährlich erzielte Fleischfasernzuwachs eines Hähnchenmastbetriebs gemessen. Und in der Tat funktioniert es auch ganz ähnlich. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie haben ein Atomkraftwerk gebaut. Das hat natürlich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesteigert.
Den dort produzierten Strom verkaufen Sie. Das steigert das BIP zum zweiten Mal, jedes Jahr. Wenn nur nicht dieser blöde Atommüll übrig bliebe. Doch BIP-technisch gesehen ist er kein Problem: Sie stecken den Atommüll in irgendein vorübergehend sicheres Bergwerk, und schon steigt das BIP zum dritten Mal. Wenn Sie das leckende Lager später mit großem Aufwand sanieren müssen, wenn gar Leute verstrahlt wurden und geheilt werden müssen – prima! Das BIP steigt zum vierten und fünften Mal. Und jedesmal finden sich Schreiber, Weise und Macher, die behaupten, alle diese Vorgänge hätten unseren Wohlstand gemehrt.
Gibt es sinnvolle Alternativen zu dieser Messmethode des Wirtschaftswachstums? Dieser Frage gehen der Volkswirtschaftler Hans Diefenbacher und der Umweltexperte Roland Zieschank in ihrem 109 Seiten starken Büchlein nach. Sie fassen die erstaunlich vielfältige internationale Diskussion gut verständlich zusammen und plädieren dafür, das BIP um einen Nationalen Wohlfahrts-Index zu ergänzen. Sie hegen die Hoffnung, eine zweite Zahl könnte uns, das Kaninchen, aus unserem starren Blick auf die Schlange BIP lösen und uns mehr Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Wirtschaft verschaffen.
Das BIP war ursprünglich gar nicht als Wohlstandsmaß gedacht, sondern einfach nur als Maß für alle auf dem Markt verkauften Waren und Dienstleistungen. Wenn man es trotzdem als Wohlstandsmaß verwendet, verzerrt das, so die Autoren, die Wirklichkeit. Auch deshalb vertrauen viele Menschen dem Hurrapatriotismus der Wachstumsfetischisten nicht mehr: Die Folgen des Wirtschaftens für Natur, Umwelt und Ressourcenbestand bleiben meist außen vor. Aufwände, die nur den Zweck haben, Schäden zu reparieren oder abzuwenden, steigern das BIP. Es nimmt keine Rücksicht auf die Wohlfahrt der Bevölkerung und die Verteilung des Wohlstands, steigt also auch dann, wenn bei der Masse der Bevölkerung kaum etwas ankommt. Andererseits steigern Leistungen, die die Menschen in Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe, Hausarbeit oder Ehrenamt erbringen, den Wohlstand einer Gesellschaft, aber im BIP kommen sie nicht vor.
Im Krisenjahr 2009 haben die Autoren im Auftrag des Umweltbundesamtes einen Nationalen Wohlfahrts-Index (NWI) entwickelt. Er ähnelt dem Konzept, das eine von den Nobelpreisträgern Joseph Stiglitz und Amartya Sen geführte Kommission 2008 in Frankreich vorlegte. Beide Konzepte wollen zunächst den Verbrauch der privaten Haushalte messen. Viele Umsätze, die Unternehmen untereinander machen, bleiben also außen vor. Dafür gehen unbezahlte Leistungen durch Hausarbeit, Ehrenamt und dergleichen in den Index ein (die Autoren erklären leider nicht, wie diese erfasst werden sollen). Größere Ungleichheit der Einkommen, der Verbrauch unwiederbringlicher Ressourcen, Unfallkosten und Ähnliches schlagen negativ zu Buche. Positiv wirken staatliche Ausgaben für Bildung und Gesundheit.
Stiglitz und Sen wollen auch Umfrageergebnisse zur subjektiv empfundenen Lebensqualität in den Index einbeziehen, die Deutschen dagegen nur in Geld bewertbare Größen. Unklar bleibt, ob Wohlstand (wealth) und Wohlfahrt (welfare) wirklich fast dasselbe sind, wovon die Autoren auszugehen scheinen. Diefenbach und Zieschank räumen ein, dass es zu einigen Faktoren des NWI bislang kaum gesicherte Daten gibt – schon in Deutschland nicht, geschweige denn in anderen Ländern. Gleichwohl haben sie ihn für die Jahre ab 2000 schon einmal berechnet und festgestellt, dass der Index in dieser Zeit leicht rückläufig gewesen sei. Immerhin: Das scheint sich mit der gefühlten Einschätzung breiter Bevölkerungsteile zu decken.
Die Debatte hängt mit der strittigen Frage zusammen, ob Wirtschaft in hoch entwickelten Ländern überhaupt noch weiterwachsen kann, ob sie es sollte und falls ja, wie. Der Charme des NWI und ähnlicher krisengeborener Indizes scheint darin zu liegen, dem Schrumpfen des BIP in der Krise – und den generell sinkenden Wachstumsraten – positive Seiten abzugewinnen: Die Wohlfahrt kann laut NWI nämlich auch dann weiterwachsen, wenn die konventionell gemessene Wirtschaftsleistung schrumpft. Etwa indem man Einkommen zugunsten der Ärmeren umverteilt, Kohle, Öl und Gas einspart, Flächen entsiegelt oder ehrenamtliche Netzwerke ausbaut. Ob allerdings eine simple Zahl, dazu noch eine derart schwammige, der Gesellschaft wirklich neue Einsichten in Struktur und Perspektiven der Wirtschaft verschaffen wird? Der Zahlenskeptiker zweifelt. JENS JÜRGEN KORFF
HANS DIEFENBACHER, ROLAND ZIESCHANK: Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt. Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt. oekom, München 2011. 109 Seiten, 12, 95 Euro.
Jens-Jürgen Korff ist Historiker, Werbetexter, Sachbuch- und Lexikonautor.
Das BIP sollte nicht nur in Euro,
sondern auch nach der
Lebensqualität bemessen werden.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Positiv hat Jens Jürgen Korff dieses Buch von Hans Diefenbacher und Roland Zieschank über Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) als maßgeblichen Wohlstandsindex aufgenommen. Er attestiert den beiden Autoren, Volkswirt der eine, Umweltexperte der andere, die komplexe internationalen Diskussion über das Thema verständlich zusammenzufassen. Auch die kritische Auseinandersetzung mit dem BIP findet er plausibel. Die Autoren zeigen für ihn die Schwächen dieser Messmethode auf und erläutern, wie diese zu einem verzerrten Blick auf die Wirklichkeit führt. Dagegen setzten die Autoren auf einen Nationalen Wohlfahrts-Index (NWI), der auch unbezahlte Leistungen durch Hausarbeit, Ehrenamt sowie staatliche Ausgaben für Bildung und Gesundheit einbezieht. Fraglich scheint Korff allerdings, ob dieser NWI wirklich zu "neuen Einsichten in Struktur und Perspektiven der Wirtschaft" beitragen wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Lektüre regt zum Nachdenken an - und dazu sollten, gerade angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise, auch die hartnäckigsten Wachstumsverfechter bereit sein.« Financial Times Deutschland