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Mike Davis konstatiert in diesem ambitionierten und verstörenden Buch eine »Kopernikanische Wende« der menschlichen Siedlungsgeschichte. Denn nie zuvor überstieg der Anteil der Stadtbevölkerung den Anteil der auf dem Land Wohnenden und nie zuvor sah sich eine ungeheure Anzahl von über einer Milliarde Menschen gezwungen, ihr Überleben in Armut, im Schmutz der Müllhalden, ohne (sauberes) Wasser, ohne Toiletten, ohne irgendeine Art der Gesundheits- oder Sozialversorgung zu organisieren. Die Megaslums des »Südens« sind Ausdruck einer im höchsten Maße ungleichen und instabilen urbanen Welt. Hier…mehr

Produktbeschreibung
Mike Davis konstatiert in diesem ambitionierten und verstörenden Buch eine »Kopernikanische Wende« der menschlichen Siedlungsgeschichte. Denn nie zuvor überstieg der Anteil der Stadtbevölkerung den Anteil der auf dem Land Wohnenden und nie zuvor sah sich eine ungeheure Anzahl von über einer Milliarde Menschen gezwungen, ihr Überleben in Armut, im Schmutz der Müllhalden, ohne (sauberes) Wasser, ohne Toiletten, ohne irgendeine Art der Gesundheits- oder Sozialversorgung zu organisieren. Die Megaslums des »Südens« sind Ausdruck einer im höchsten Maße ungleichen und instabilen urbanen Welt. Hier treffen die sozialen Fronten der Globalisierung in radikaler Weise aufeinander.

Davis zeichnet die globale Herausbildung der in den 1960er-Jahren als »Slums der Hoffnung« apostrophierten informellen Ansiedlungen nach - vom »Big Bang« der städtischen Armut im Verlauf der Verschuldungsdekaden der 1970er- und 1980er-Jahre bis hin zu den heutigen Megaslums von Sadr City oder Cape Flats. Vonden überquellenden »Barricadas« in Lima bis zu den Müllhalden in Manila, überall hat sich die Urbanisierung von industrieller Entwicklung und ökonomischem Wachstum entkoppelt.

»Weder in der klassischen Sozialtheorie, weder bei Karl Marx noch bei Max Weber oder in der neueren Modernisierungstheorie wurde vorausgesehen, was sich in den Städten innerhalb der letzten 30 oder 40 Jahre entwickelt hat. Nirgendwo wurde die Herausbildung einer riesigen Klasse hauptsächlich junger Menschen vorrausgesehen, die in Städten lebt, keine formelle Anbindung an die Weltökonomie hat noch irgendeine Chance, diese jemals zu bekommen. Diese informelle Arbeiterklasse ist nicht das "Lumpenproletariat" von Karl Marx und sie ist nicht der "Slum der Hoffnung". Diese informelle Arbeiterklasse repräsentiert eine von der Theorie völlig unvorhergesehene, beispiellose Entwicklung.«

In den armen Ländern des globalen Südens wird sich eine »gigantische Konzentration der Armut« herausbilden. Die Kapitalreproduktion in den Global Cities wird weitgehend ohne diese Menschen auskommen, die ihr Überleben auf dürftigstem Niveau werden organisieren müssen.
Autorenporträt
Mike Davis, geboren 1946 in Fontana/Kalifornien, ist einer der bedeutendsten Zeitdiagnostiker der Gegenwart.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2007

Im Zeitalter der Slums
Immer mehr Menschen leben in den Städten – doch die stehen nicht mehr für Hoffnung und ein besseres Leben
Die Geschichte steht an einem Wendepunkt: Seit 2006 leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land – über drei Milliarden. Bis 2030 werden 60 Prozent der Weltbevölkerung Städter sein, wobei das meist bedeutet, im Slum zu wohnen – laut UN jene „überfüllten, ärmlichen bzw. informellen Unterkünfte ohne angemessenem Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie ungesicherter Verfügungsgewalt über Grund und Boden”. Die Stadt steht nicht mehr für den Aufbruch in ein materiell besseres, gar glückliches, von traditionellen Zwängen befreites Leben, sondern wird zum Sammelbecken anderswo überflüssig gewordener Arbeitskräfte. Nicht mehr sozialer Aufstieg, sondern die verzweifelte Lage in ländlichen Regionen wird zum Movens für den Umzug. Die Visionen der Urbanisten versinken somit in „Umweltverschmutzung, Exkrementen und Abfall”. Der Historiker und Stadtforscher Mike Davis spürt in seinem Buch, einer faktenreichen Anklage der „Überurbanisierung”, diesem Wandel nach.
Im „Wörterbuch der Gaunersprache” von 1812 findet sich der Ausdruck „Slum” als Synonym für „kriminelle Machenschaften”, schon bald wurde daraus der Ort, „an dem dunkle Geschäfte gemacht werden”. Bis heute hält sich die moralische Komponente in der Definition von Armenvierteln, immer wieder wurde unter Bekämpfung der Armut die Bekämpfung der Armen und die Zerstörung ihrer Viertel verstanden. Dennoch entwickelte sich ab etwa Mitte des letzten Jahrhunderts eine große Vielfalt des Lebens in Armut. Mehr als 200 000 Slums beherbergen heute weltweit Milliarden Menschen, seien es die Megaslums – wie die „Rio/São Paulo Extended Metropolitan Region” – an der Peripherie großer Städte des Südens oder innerstädtische Gebiete wie die Pekinger Altstadt. Besonders bizarr ist die Totenstadt in Kairo: Etwa eine Million Menschen wohnt auf einem riesigen Friedhof, umgeben von Autobahnen und Industrie.
Für Davis geht diese Entwicklung einher mit einem „Verrat des Staates”. Während bis in die 60er Jahre sowohl sozialistische als auch sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten zumindest den Anspruch hochhielten, mittels sozialem Wohnungsbau und Schaffung von Arbeitsplätzen Armut abzubauen, habe sich der Staat zunehmend zurückgezogen. In den 70er Jahren kommt es schließlich zu einer interessanten historischen Koalition: Der Weltbankpräsident Robert McNamara, Stratege des Vietnamkriegs und der ehemalige Kriegsgegner und Anarchist John Turner, ein britischer Architekt, der in peruanischen Slums begeistert Nachbarschaftsprojekte entdeckt, entwickeln für die Weltbank das Konzept der Unterstützung der Selbsthilfe: „Die Lobpreisung der Selbsttätigkeit der Armen wurde zum Deckmantel für die Aufkündigung der historischen Verpflichtung des Staates, Armut und Obdachlosigkeit zu beseitigen.” Heute zeige sich, so Davis, dass die negativen Auswirkungen des Rückzugs des Staates bei weitem die positiven Folgen der Investitionen in die Slums überwiegen. Für ihn stehen diese „brutalen Verwerfungen der neoliberalen Globalisierung” historisch in einer Reihe mit den „katastrophalen Prozessen, die während des spätviktorianischen Imperialismus zwischen 1870 und 1900 die ‚Dritte Welt‘ überhaupt erst geformt haben”.
Aus der kritischen Forschung zur „informellen Ökonomie”, jener Form der Existenzsicherung in der illegalen Grauzone jenseits anerkannter Beschäftigungsverhältnisse, übernimmt Davis den Begriff der „passiven Proletarisierung”. Dieser beschreibt die Auflösung traditioneller Arbeits- und Lebensformen, ohne dass etwas Neues an ihre Stelle tritt: „Insgesamt zählt die globale informelle Arbeiterklasse etwa eine Milliarde Menschen, damit ist sie die am schnellsten wachsende soziale Klasse der Welt und historisch ohne Beispiel.” Für die Weltbank ist der informelle Sektor ein „potenzieller Deus ex machina der urbanen Dritten Welt”; allerdings können nur wenige Kleinstunternehmer existenzsichernd arbeiten. Außerdem gebe es keine Vorstellungen, wie die Arbeitslosen und Unterbeschäftigten, derzeit etwa ein Drittel der Weltarbeitskraft, wieder in den allgemeinen Lauf der Weltwirtschaft eingegliedert werden können.
Aus dieser Entwicklung Positives zu schöpfen, verbietet sich Davis. Für ihn gibt es keinen „Slum der Hoffnung”. Dennoch macht er von der „entschlossenen Weigerung der neuen städtischen Armen, ihre endgültige Marginalisierung zu akzeptieren”, nicht weniger als die Zukunft der Menschheit abhängig. Paradox? Vielleicht die richtige Antwort auf eine widersinnige Entwicklung GOTTFRIED OY
MIKE DAVIS: Planet der Slums. Aus dem Englischen von Ingrid Scherf. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2007. 248 Seiten, 20 Euro.
In einer Favela im südbrasilianischen Porto Alegre. Ein Reporter interviewt eine Bewohnerin. Foto: AFP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2007

Jeder sechste Erdbewohner lebt im Slum
Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es mehr Menschen in den Städten als auf dem Land - was das bedeutet, erklärt Mike Davis in einem erschreckenden Buch

Bebrütet wird in den städtischen Molochs der politische und religiöse Fanatismus: Die kommenden Schlachtfelder des 21. Jahrhunderts werden daher die Slums der Dritten Welt sein - sagt Davis und amerikanische Militärstrategen stimmen ihm zu.

Wie ein verstimmter Leierkasten spielen manche Waren die Melodie ihrer Städte, sie klingen nach der Welt, für die sie gemacht sind - in Mollakkorden. Ein Beispiel: der Panikknopf. Der Panikknopf ist Teil eines tragbaren Alarmgeräts, wie Mike Davis in seinem neuen Buch "Planet der Slums" berichtet, und mit einem bewaffneten Sicherheitsdienst gekoppelt. Verkauft wird er an die Bewohner der nördlichen Vororte von Johannesburg, und wer das weiß, braucht keinen Fuß nach Johannesburg zu setzen, um zu verstehen, was es für eine Stadt ist: riesig, verslumt, mit Millionen Armen.

Noch ein Beispiel: Zehntausend-Volt-Zäune. Ursprünglich wurden diese entwickelt, um in Afrika Löwen von Viehherden fernzuhalten. Jetzt schützen sie den wohlhabenden Vorstadtgürtel von Kapstadt in Südafrika. Die Anbieterfirma schwärmt von expandierenden Märkten: Brasilien, Russland, die Vereinigten Staaten, China.

Zwei würden der Firma ebenfalls eine große Zukunft vorraussagen: Mike Davis, der amerikanische Soziologe und Historiker, dessen Buch über die Zukunft der Städte nun auf Deutsch erschienen ist; und das Autorenkollektiv des UN-Berichts "The Challenge of Slums", der 2003 innerhalb des Wohn- und Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen erstellt wurde. Den Hintergrund der UN-Studie bildet, was Davis zu Recht "einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte" nennt, "vergleichbar mit der neolithischen Wende oder der industriellen Revolution": Zum ersten Mal in der Geschichte wohnen auf der Welt mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Und "Stadt" bedeutet inzwischen für jeden sechsten Menschen auf dieser Welt "Slum". Von der Utopie eines modernen urbanen Lebens, von Städten mit Parkanlagen und lichtdurchfluteten Gebäuden, mit Plätzen, Cafés, Büros und einer funktionierenden Infrastruktur ist für eine explosiv wachsende Bevölkerungsmehrheit nichts abgefallen. Geblieben sind Hochsicherheitstrakts für Superreiche, die in Kairo, Peking oder Bangalore nach kalifornischen Städten benannt werden - "Beverly Hills", "Long Beach", "Orange County". Dort gibt es Swimmingpools, Golfplätze und Panikknöpfe.

Ein amerikanischer Kritiker warf Davis vor, sein Buch würde sich zu stark an die Analyse "Challenge of Slums" anlehnen und klänge "wie ein Polizeibericht". Tatsächlich unterscheidet sich "Planet der Slums" deutlich von den vorangegangenen Publikationen. Bekannt wurde Davis vor über fünfzehn Jahren mit "City of Quartz. Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles". In dieser Studie begrub er den kalifornischen Traum in einem apokalyptischen Szenario und mischte zugleich Soziologie, Geschichte, Filmkritik und Alltagskultur zu einem völlig neuen Sachbuchsound: scharf, wütend, wortgewaltig.

Im Vergleich dazu ist "Planet der Slums" nüchtern. Auffällig im Schriftbild diesmal: Zahlen, Tabellen. Vorzuwerfen ist das dem Autor nicht, denn sie sprechen eine so klare Sprache, dass meistens wenig hinzuzufügen ist. So gab es im Jahr 1950 weltweit 86 Städte mit über eine Million Einwohner, heute sind es 400, und bis 2015 werden es mindestens 550 sein. In den letzten Jahrzehnten wuchsen nicht nur die sogenannten Megastädte, deren Bevölkerung bei über acht Millionen liegt. Neu hinzugekommen sind auch Hyperstädte mit über zwanzig Millionen Einwohnern - Mexiko-Stadt etwa oder Seoul-Incheon in Südkorea. In Kenia haben die Slums von Nairobi und Mombasa 85 Prozent des Bevölkerungswachstums verschluckt, in Äthiopien leben bereits 99,4 Prozent der Stadtbevölkerung in Slums, 44,2 Prozent sind es in Iran, gefolgt von 42,6 in der Türkei. Und die Zahlen steigen weiter.

Was ein Slum ist, definiert Davis zunächst historisch anhand des "Vocabulary of the Flash Language" - dem englischen Wörterbuch der Gaunersprache von 1812. "Slum", so lautet dort der Eintrag, bedeute so viel wie "Gaunerei" oder "kriminelle Machenschaften". Schon wenig später bezeichnete das Wort jedoch den Raum, wo die dunklen Geschäfte gemacht werden. Hohe Kriminalitätsraten zeichnen die Slums bis heute aus, auch wenn die offizielle Definition inzwischen diesen Zusammenhang ausspart. "Slums" heißen heute Unterkünfte ohne angemessenen Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. Ein weiteres Erkennungsmerkmal ist die unsichere Verfügungsgewalt über Grund und Boden.

In Europa wuchsen die Slums im neunzehnten Jahrhundert. Davis unternimmt daher immer wieder Ausflüge in die Geschichte, die er mit zeitgenössischen Entwicklungen parallelisiert. Das Vorbild für die heutigen Slums in Afrika, Asien oder Amerika sieht er allerdings nicht in London, der größten Stadt des neunzehnten Jahrhunderts. Vergleichbar, so Davis, sind sie vielmehr mit Dublin oder Neapel, Städten, deren Wachstum nicht an die industrielle Revolution gebunden war. Für Kinshasa, Luanda, Khartoum, Daressalam, Guayaquil und Lima gilt: Sie wachsen trotz des Niedergangs von Industrien, trotz eines geschrumpften öffentlichen Sektors und trotz der in einen Abstriegsstrudel verschwindenden Mittelklasse.

Überleben heißt deshalb für viele, auf einem Müllberg zu wohnen, dafür sogar Miete zu zahlen, irgendwie zu versuchen, sich mit dem Verkauf von völlig wertlosen Waren über Wasser zu halten - oder zu stehlen, sich zu prostituieren, kriminell zu werden. Nach einer Hochrechnung der Vereinten Nationen wird der informelle Sektor neunzig Prozent der neuen städtischen Arbeitskräfte in Afrika auffangen müssen.

Bebrütet wird in den städtischen Molochs der Fanatismus. Nach Davis kann die Radikalisierung verschiedene Wege einschlagen: kriminelle, religiöse, politische. Für diese Einschätzung nimmt er das Militär der Vereinigten Staaten zum Zeugen: Die Schlachtfelder des 21. Jahrhunderts werden - auch nach Einschätzung der Militärstrategen - die "failed cities der Dritten Welt" sein.

Die eigentliche Ursache für die Verslumung der Städte sieht Davis nicht in der städtische Armut, sondern im städtischen Reichtum und bringt damit einen vielleicht altmodisch klingenden Begriff ins Spiel: Umverteilung. In London werden in der Zwischenzeit die ersten "gated communities" errichtet, bewachte Reichenbezirke also. Ihr Widerpart sind wachsende Armenviertel. Mit Davis steht als Frage im Raum: Was für ein Reichtum wäre es wert, sein Leben hinter Zehntausend-Volt-Zäunen zu verbringen?

JULIA VOSS

Mike Davis: "Planet der Slums". Aus dem Englischen von Ingrid Scherf. Verlag Assoziation A, Berlin 2007. 247 S., br., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hurra-Optimismus möchte Gottfried Oy dem Historiker und Stadtforscher Mike Davis ganz bestimmt nicht attestieren. Zu finster ist diese "faktenreiche" Studie über die Slums. Einleuchtend erscheinen Oy die gegen den verantwortungslosen Staat geführte Anklage des Autors und dessen Vergleich neoliberaler Entwicklungen mit dem spätviktorianischen Imperialismus. Der Staat ziehe sich fahrlässig aus diesen Gebieten zurück, was den informellen Sektor zum Blühen, die Steuereinnahmen aber eher schrumpfen lässt, fasst Oy zusammen. Überhaupt beschränkt sich Oy eher auf die Wiedergabe als die Wertung, was auf Zustimmung schließen lässt. Diese Annahme wird durch den letzten Satz gestützt. Wenn Davis den Protest der "neuen städtische Armen" schließlich als Hoffnung für die Menschheit versteht, hält der Rezensent das am Ende sogar "vielleicht" für "die richtige Antwort".

© Perlentaucher Medien GmbH