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'Eigener Herd ist Goldes wert' - die eigene Wohnung und mehr noch das eigene Haus bilden die Erfüllung und den Rahmen des bürgerlichen Familienlebens. Pierre Bourdieu und seine Mitarbeiterinnen haben diese scheinbare Idylle in einer umfassenden Untersuchung hinterfragt.Die erweiterte Neuauflage des 1998 erstmals erschienenen Bandes enthält u.a. vertiefte Ausführungen zur Methodologie sowie eine globalisierungskritische Einbettung der Thematik.

Produktbeschreibung
'Eigener Herd ist Goldes wert' - die eigene Wohnung und mehr noch das eigene Haus bilden die Erfüllung und den Rahmen des bürgerlichen Familienlebens. Pierre Bourdieu und seine Mitarbeiterinnen haben diese scheinbare Idylle in einer umfassenden Untersuchung hinterfragt.Die erweiterte Neuauflage des 1998 erstmals erschienenen Bandes enthält u.a. vertiefte Ausführungen zur Methodologie sowie eine globalisierungskritische Einbettung der Thematik.
Autorenporträt
Der Autor: Pierre Bourdieu ist Professor für Soziologie am Collège de France in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2001

Wer jetzt kein Haus hat, kauft sich Bauerwartungsland
Nach dem Wüstenrot-Tag: Das deutsche Eigenheim und seine beiden Normen, volle Öffnung der Schranktür und Schmaldurchgang des Menschen / Von Stefan Kuß

Auf die Frage, welche pressure-group im Dienste des "Todestriebs unserer Zivilisation" stehe, gibt es, je nach Gusto, Temperament oder politischer Couleur, ganz unterschiedliche Antworten. Manche denken an internationale Terrororganisationen, anderen kommen Drogenkartelle oder Rüstungskonzerne in den Sinn. Hausbesitzer jedoch stehen nicht zwingend in dem Ruf, eilfertige Zuarbeiter der Apokalypse zu sein. Gerade sie aber hatte einst Alexander Mitscherlich ins Visier genommen; ihnen, den Vernichtern "stadtbürgerlichen Lebensbewußtseins", hat er seinen Essay gewidmet von der Unwirtlichkeit unserer Städte. Ein grimmiger, verstörter Furor durchzog dieses dünne Buch. Den Arzt und Psychoanalytiker drängt es zu Sprachbildern aus der Pathologie, er vergleicht die "wachsenden Gebilde, die einstmals Städte waren", mit einem Moribunden, der verzerrt werde durch "krebsige Tochtergeschwülste". Das Einfamilienhaus ist ihm "Vorbote des Unheils", "Begriff städtischer Verantwortungslosigkeit", "Manifestation des privaten Egoismus".

Mitscherlichs Zorn gegen die Eigenheimbesiedelung war keine spontane Eingebung eines auf Wirkung zielenden Pamphletisten, kein effektheischender Kunstgriff. Auch in seinen späteren Äußerungen steckt diese irritierende, verletzte Aggressivität. Die verbitterte Wut gegen Einzelhäuser, gegen den vielmals verspotteten, aber augenscheinlich doch ganz harmlosen Inbegriff deutschen Gemüts- und Biedersinns, den Häuslebauer, irritiert noch heute. Gleichfalls erstaunlich ist das erhellende Erweckungserlebnis, von dem Mitscherlich berichtet. Ein Spaziergang durch die Villenvororte des Taunus habe ihn "schockiert" und zum "Bedenken eines Zustandes" provoziert. Der Arzt war beim Durchstreifen dieser "Einfamilienweiden" überwältigt von der "rücksichtsfreien Demonstration pekuniärer Potenz" auf dem "Geschmacksniveau von Devotionalienhändlern". Doch nicht allein das Protzen und die zur "permanenten Maskerade" verkommene architektonische Selbstverwirklichung neureicher Bauherren brachten Mitscherlich in Rage. Ihn schmerzten die Vernichtung eines über Jahrhunderte gewachsenen stadtbürgerlichen Kanons, die Loslösung aus kommunaler Gemeinschaft und Verbindlichkeit, der Verlust von "städtischer Würde" und "stadt-bürgerlicher Obligation". Die städtische Hochkultur, einstmals Trägerin der Aufklärung, zerfalle, um der wohl aufwendigsten Form der Asozialität, dem provinziellen Vorortdasein, Platz zu machen.

Beharrte hier jemand, zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Hitler-Diktatur, auf der Propagandalosung von der Vorrangigkeit des Gemeinnutzes gegenüber dem Eigennutz? Mitscherlich, der Beobachter der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse war, diagnostiziert den Wunsch nach einem Eigenheim als zutiefst irrationales, "panisches Regressionsbedürfnis vom Vater weg zur Mutter Erde". Das Eigenheim erschien als Identitätsstütze einer verunsicherten Generation. Die Nachkriegsgesellschaft, angeblich unfähig zu trauern, flüchtete ins Grüne, in die eigenen vier Wände. Vor dieser Gesellschaft, so scheint es, hat auch Mitscherlich die Flucht ergriffen: in seinen streitbaren Furor, auf das neunzehnte Stockwerk seiner Frankfurter Wohnung. "Kälter und verzweifelter", schreibt Wolf Jobst Siedler 1967 in seiner Rezension der "Unwirtlichkeit unserer Städte", sei nie über die Leistung einer ganzen Generation von Bauherren und Architekten gesprochen worden.

Es ließe sich hinzufügen: auch nicht resignierter. Jede Planung und Neugestaltung der Städte erführen, so Mitscherlich, ihre engen Grenzen durch die Besitzverhältnisse an Grund und Boden. Privates Eigentumsrecht anzutasten gehöre zu den wirkkräftigsten Tabus unserer Gesellschaft. Diese pessimistische Einschätzung aber scheint nicht recht zu der Debatte um die Bodenrechtsreform zu passen, die gegen Ende der sechziger bis in die späten siebziger Jahre hauptsächlich von der Regierungspartei und den Gewerkschaften aufgegriffen wurde. Im Jahre 1969 verabschiedete der Evangelische Kirchentag eine Entschließung, in der die Aufhebung des privaten Eigentums an Grund und Boden durch eine neue Bodenordnung als Voraussetzung genannt wurde für eine gesellschaftlich sinnvolle Stadt- und Landesplanung. Doch die Debatte versickerte, die Änderungen des Baurechts blieben schließlich weit hinter den Hoffnungen der Bodenreformer zurück. Am Ende behielt Mitscherlich recht: Die Überführung privaten städtischen Grundbesitzes in die öffentliche Hand lag jenseits der "mobilisierbaren Toleranz".

Der Ingrimm seiner Philippika gegen Eigenheimbesitzer hat Mitscherlich im Jahre 1965 einem breiten Publikum entfremdet. Eine heutige Lektüre des Essays hingegen offenbart prophetische Qualitäten. Der Wunsch nach einem Eigenheim ist bis auf den heutigen Tag ungebrochen. Je nach Umfrage zieht es achtzig bis neunzig Prozent der Deutschen in die eigenen vier Wände und möglichst ins Grüne. Mehr als dreiunddreißig Millionen Bausparverträge harren ihrer Zuteilung. Die ungestillte Baulust hat Folgen. Standen im Jahre 1950 auf knapp sieben Prozent der Gesamtfläche im alten Bundesgebiet Häuser und Straßen, so hat sich der Bestand an versiegelter Fläche bis heute fast verdoppelt. An jedem Tag wird in Deutschland durchschnittlich eine Fläche von 129 Hektar bebaut - auf dieser Fläche hätten zweihundert Fußballfelder Platz. Im Jahre 1999 gerieten vierhunderteinundsiebzig Quadratkilometer unter Stein und Asphalt: ein Gebiet, größer als München, Köln oder das Bundesland Bremen. Dabei nimmt das Tempo des Flächenverbrauchs noch stetig zu. Für das Bundesumweltamt ist die Zersiedelung der Landschaft bereits zu einem vordringlichen Problem geworden, denn die Auswirkungen sind verheerend. Der Verlust an Artenvielfalt, eine erschwerte Grundwasserneubildung, Klimaveränderungen, irreversible Bodendegradierungen und riesige Pendlerströme sind die am häufigsten genannten Nebenwirkungen unkontrollierten Siedelns.

Speist sich die Kraft, die das Umland der Ballungszentren mit monotonen Reihenhaussiedlungen zustellt, aus dunklen Quellen? Läßt uns die Regression zur "Mutter Erde" jede Provinz- und Kleinstadt, ja jedes Dorf mit satteldachbewehrten Eigenheimen umkränzen? Aber entspricht die Stadtrandflucht überhaupt den Wünschen der Menschen? Wollen die Leute so wohnen? Oder flüchten sie vor überteuerten Wohnungsmärkten und bedrückendem Verkehrslärm? Zieht oder treibt es nach Suburbia?

Gewiß entspringt der Wunsch nach den eigenen vier Wänden nicht allein sachlicher Überlegung. Die Suburbanisierungswelle wird auch von irrationalen Kräften vorangetrieben, der Eigenheimgedanke hat, wie Eberhard Langer betont, "seine ideologischen Wurzeln bis auf den heutigen Tag bewahrt". Einer der Protagonisten dieser Ideologie ist Georg Kropp, Gründer der Bausparkasse Wüstenrot und rastloser Missionar der Eigenheimbewegung. Kropp kam im Dezember 1865 im pommerschen Swinemünde zur Welt. Sein Vater, Kapitän der Dreimastbark "Lessing", wurde früh Opfer des technischen Fortschritts. Die aufkommende Dampfschiffahrt nahm seinem Frachtschiff den Wind aus den Segeln. Georg wollte Missionar werden, doch der Vater drängte zum Beruf des Drogisten. Der Sohn fügt und arrangiert sich rasch. Er entwickelt ein Mittel gegen Zahnschmerzen, "Kropps Zahnwatte", verkauft als Pharmavertreter das Präparat "Lactagol" und beginnt mit wenig Fortune eine kleine pharmazeutische Fabrikation. Er schreibt Reklametexte für Drogerieartikel und übernimmt die Fachzeitschrift "Pilz und Kräuterfreund".

Seiner Rastlosigkeit in beruflichen Dingen entspricht eine wahllose Suche nach geistigen und religiösen Werten. Kropp schließt sich der Methodistengemeinde an, ohne jedoch aus der Landeskirche auszutreten. Er besucht katholische Gottesdienste, die Vorlesungen des Rabbiners Dr. Beermann und tritt dem Guttempler-Orden bei. Bald aber entdeckt er seine eigentliche Bestimmung. Gemeinsam mit einigen Abstinenzlern gründet er in dem württembergischen Dorf Wüstenrot die "Gemeinschaft der Freunde" (GdF), die im Jahre 1924 ihre Arbeit als Bausparkasse aufnimmt. Sparwillige werden zu regelmäßigen Ratenzahlungen verpflichtet und festen Gruppen zugeordnet. Sobald genügend Geld für die Finanzierung eines Hauses zusammengespart ist, kommt es innerhalb der jeweiligen Spargruppe zur feierlichen Ziehung des glücklichen Bauherrn.

Die Idee des kollektiven, selbstauferlegten Zwangssparens hat außergewöhnlichen Erfolg. Bereits im Juli 1925 können in der "Villa Daheim", dem Sitz der Bausparkasse, vor einer Kulisse von hundert evangelischen Pfarrern fünfundzwanzig Bausparer ausgelost werden. Am Ende des Jahres 1927 unterhält die Kasse 31 569 Bausparverträge mit einem Gesamtwert von mehr als 454 Millionen Reichsmark. Georg Kropp reist unermüdlich durch Württemberg, diesmal nicht mit der Salbe "Lactagol" im Gepäck, sondern mit der Heilsbotschaft vom eigenen Heim. Seine Predigten handeln vom bescheidenen Glück auf eigenem Grund und vom Dämon Stadt, der Großen Hure Babylon.

Die städtische Gesellschaft mit ihren "ungesunden Auswüchsen" wie Kino, Wirtshaus, "Tingeltangel" war für Kropp "entartetes Industriedasein". Das "Großstadtkulturleben" sei durch "geisttötende Maschinen-Gelderwerbsarbeit" geprägt, die "Übergroßstädte" mit ihren "Mietzinssklaven" einem "auslaugenden Weltmammonismus" ausgeliefert. Urbanes Leben, das bedeutet für Kropp "wesenlose Genießermassen", "eingebildete Überkultur" und "ästhetisierender Krimskrams". Das frei stehende Heim im Grünen entrückt ins Mythische, "Wohnkultur" wird in Wüstenrot zur "Grundlage und zum Ziel jeder Kultur".

Das Eigenheim ist der Gegenentwurf zur angstbesetzten Großstadt. Was der Flucht aus den Metropolen im Wege steht, wird dämonisiert. Bauvorschriften, die allzu wildes Siedeln untersagen, sind Kropp "teuflische Gesetze". In seiner programmatischen Schrift "Aus Armut zum Wohlstand" erinnert vieles an die These Alexander Mitscherlichs von der Abwendung von den Vätern und der Regression hin zur "Mutter Erde". Die "Führerschichten", schreibt Kropp im Jahre 1920, seien so erbärmlich geworden, daß es besser sein könnte, "alles zu zerschlagen, alles zerfallen zu lassen". Man müsse sich zur "Mutter Erde, zum Grund und Boden" neigen, sie liebenlernen, hegen und pflegen, auf daß sie zum Paradies werde. Eigenheim: Das ist auch die schlichte Antwort auf eine unüberschaubare Moderne. "Wer sich abriegeln kann im Eigentum", schreibt das Magazin der Bausparkasse Wüstenrot noch in den fünfziger Jahren, "der ist gefeit wider alle Anfechtungen dieser strudelnden und oft sinnlosen Welt." Der Eigenheimkult driftet ins Bizarre, gelegentlich versteigt sich die "Gemeinschaft der Freunde" zur Blasphemie. Es seien Menschen bekannt, berichtet das Eigenheim-Magazin im Jahre 1952, "die durch das erlösende Glück des eigenen Heims etwas wiederfanden, was ihnen im Strudel des Schicksals, sei es eines politischen, verlorenging. Nämlich den Glauben an Gott." Das Ziel, für das der Bausparer jahrelang entsagungsvoll zu dienen bereit ist, gleicht nicht dem Paradies. Am Ende spendet "Mutter Erde" dem Bauherrn ein sehr frugales Mahl, der Endzweck allen Sparens besteht im Grunde in erneuter Askese. Das Wohnen im Eigenheim scheint eher Zeugnis einer Lebenseinstellung zu sein als eine Frage der Unterkunft. Schon einer der ersten Ratgeber für den Hausbau, "Das Eigenheim des Mittelstandes" aus dem Jahre 1909, prägt künftigen Bauherren ein, mit eigenen Ansprüchen maßzuhalten, da es auf die verführerische "Talmi-Eleganz" der Mietwohnungen nicht ankomme. Die Vorzüge des "Kleinhauses" bestünden vielmehr in gesundheitlicher und vor allem "ethischer" Hinsicht.

Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Erwartungen an Architektur und Grundriß eines Hauses im Laufe von Jahrzehnten verändert haben. Klein, aber mein, diese Devise überdauert mühelos ein halbes Jahrhundert. Siegfried Stratemanns populäres Werk "Das große Buch vom eigenen Haus" hält auch noch 1959 alle Ansprüche der Bauherren nieder. Stratemann, der fortwährend gegen "starre und allseits eingepferchte Mietwohnungen" schimpft, entwickelt klaustrophobisch anmutende Baupläne. Die Größe des Elternschlafzimmers berechnet er aus Bettbreite, Schranktiefe und einem Bewegungsraum, "der die volle Öffnung der Schranktür zuläßt". Ein denkbarer Maßzuschlag, entsprechend dem "Schmaldurchgang eines Menschen zwischen Bett und geöffneter Schranktür", ermöglicht eine weitere "Größenstufe". Die konstruierte Enge folgt nicht allein dem Diktat wirtschaftlichen Planens, Raumgrößen jenseits des zwingend Notwendigen sind gar nicht erwünscht: "Jeder Zentimeter Zuschlag wäre auch dann barer Unsinn, wenn man sich sonst größere Räume leisten kann." Unsinn ist nach der Meinung Stratemanns auch eine Bettenbreite von hundert Zentimetern. Siebzig Zentimeter reichten "selbst zum bequemsten Liegen völlig" aus.

Auf Hunderten von Seiten entwirft Stratemann Pläne von Häusern, die oft nicht größer sind als sechzig, siebzig Quadratmeter. Für seinen Eigentümerstolz lebt der Bauherr wie in Liliput unterm Walmdach. Trotz seiner geringen Maße nennt Stratemann einen unanfechtbaren Vorzug des Eigenheims gegenüber dem städtischen Mietshaus: den Speicher. Fehlender Abstellraum ist ihm sinnfälliger Ausdruck dafür, daß man nichts über das "notwendige Gebrauchsgut" hinaus besitze, "somit freizügig - aber auch in mehrfacher Hinsicht heimatlos" sei. Eine Welt, in der Rasenmäher, Skier und Dachgepäckträger Heimat begründen, ist Stratemann eine "Bleibe, aus der man dereinst einmal nur herausgetragen wird". Mit den Füßen voran, kann hinzugefügt werden - wenn es der "Schmaldurchgang" der Diele denn erlaubt.

Verbundenheit bis in den Tod bezeichnet dabei noch den Idealfall. Oft treibt der Versteigerungshammer die Eigentümer vorzeitig aus dem Haus. Zins- und Tilgungsraten werden unterschätzt, Teuerung, Lohnausfälle und langwierige Erkrankungen nicht einkalkuliert. Mehr als fünfzigtausend Eigenheime und Eigentumswohnungen, so schätzt der Wirtschaftsverlag Argetra, werden in diesem Jahr zwangsversteigert.

Francesco Rosi erzählt uns in "Le mani sulla città", daß Häuser nicht allein zu Geldsorgen führen müssen, sondern auch Quell sein können für Reichtum und Wohlstand. Der Film zeigt den Bauunternehmer Nottola, wie er Kollegen das Siedlungsprojekt "Bellavista" vorstellt und von phantastischen Profitraten schwärmt, die weder im Handel noch in der Industrie zu erwirtschaften seien. Auch in Deutschland vermag der Eigenheimwunsch viele Nottolas zu ernähren. Die Baulandpreise sind im Zeitraum von 1950 bis 1970 im Bundesdurchschnitt um eintausendzweihundert Prozent gestiegen, in den Ballungsgebieten sogar um zweitausend Prozent. Die Immobilienspekulation hat sich nach Claus Schreer "wie ein Krebsgeschwür vom Zentrum über die Innenstadtrandgebiete auf die gesamte Region" ausgebreitet. No business like Baubusiness. Pierre Bourdieu hat es sich zur Aufgabe gemacht, der "Logik" des Eigenheimmarktes nachzugehen. Sein Buch "Der Einzige und sein Eigenheim" untersucht die Werbestrategien französischer Bauunternehmer und protokolliert minutiös professionell geführte Verkaufsgespräche, die Vertreter von Fertighausproduzenten mit ihren Kunden führen. Das Eigenheimstreben, "Hauptquelle des kleinbürgerlichen Elends", sei vornehmlich denjenigen Gruppen vorbehalten, die reicher seien an ökonomischem als an kulturellem Kapital. Professoren, Künstler, leitende Angestellte hingegen führten "meistens" eine Existenz als Mieter.

Der Gebildete baut nicht: Neben dieser anfechtbaren Aussage vertritt Bourdieu die These von der "Domestizierung" der Arbeiterklasse durch Eigentumsbildung. Das Eigenheim, das alle "Besetzungen" und Investitionen fixiere, stehe im Gegensatz zu "den kollektiven Projekten etwa des politischen Kampfes". Eine "Form des Konservativismus", so Bourdieu, produziere Eigentümer, die an ihren Besitz gekettet seien. Durch den Wegzug aus den städtischen Arbeitervierteln lösten sich solidarische Bindungen auf, entstehe politischer Konformismus. Gewiß hat konservative Politik den Eigenheimbau auch in Deutschland nachdrücklich gefördert. Konrad Adenauer bezeichnete Großstädte als "Verderbnis wahren Menschentums", und sein Wohnungsbauminister Paul Lücke meinte, die Mietwohnung töte "den Willen zum Kind". Die Linke stand dem aber kaum nach. Für Kurt Schumacher gehörte das Streben nach dem eigenen Haus zu den "Forderungen der modernen Arbeiterbewegung". Im Bundestagswahlkampf von 1949 warb eine Broschüre der KPD mit dem nicht ironisch gemeinten Titel "Trautes Heim - Glück allein" für die Ausgabe günstiger Eigenheimkredite.

Der Eigenheimgedanke entzieht sich vorschneller politischer Verortung. Der Wunsch nach einem Haus auf eigenem Grund und Boden ist nicht das Produkt konservativer oder sozialdemokratischer Politik, er ist eine sozialhistorische Konstante. "Was ist unantastbarer als das Haus eines jeden einzelnen Bürgers?" fragt Cicero in seiner Rede "De domo sua", mit der er die Rückgabe seines Grundstücks in Rom erstritten hat. Seither bedeutet "pro domo reden", für sich selbst, in eigener Sache sprechen. Wenn es darum zu tun ist, Menschen zu bestrafen, sie nachhaltig zu treffen und zu demütigen, werden ihre Häuser zerstört. Das wußte schon Clodius, der Widersacher Ciceros. Das weiß man auch in den Bulldozern und Panzern, die die Häuser des politischen, religiösen oder ethnischen Feindes niedermachen, in Palästina oder im Kosovo. Der Mensch ist nur eingeschränkt "modernisierbar". Wer zöge freiwillig in eines von Le Corbusiers Idealprojekten großstädtischen Wohnens? Wer favorisiert die Betonmoloche der Neuen Heimat als Wohnort? Welcher Eigenheimbesitzer verbringt gerne zwei, drei Stunden am Tag im Auto für die Fahrt ins Büro und zurück? Wir sind deutlich weniger modern, flexibel und mobil, als wir uns eingestehen wollen. Wenn Raum- und Städteplanung das berücksichtigen würden, triebe es nicht so viele Menschen aus der Stadt, dann müßten wir nicht den letzten Rest intakter Landschaft der Bauwut überlassen.

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