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Die Geschichte der Menschheit lässt sich als eine Geschichte der Entdeckungen, der Eroberungen oder der Aufklärung erzählen. Hansjörg Küster lehrt uns in diesem bedeutenden Buch einen anderen Blick: Der Mensch ist, was er sät und erntet. Kultivierung ist der Akt der Menschwerdung schlechthin. Um Kulturpflanzen anzubauen, wurden Menschen sesshaft; sie wurden Bauern, die sich die Erde untertan machten, wie es in der Bibel heißt. Landwirtschaft und Kulturpflanzenanbau entwickelten sich an mehreren Orten der Erde etwa zur gleichen Zeit, aber unabhängig voneinander: in Vorderasien, in Südostasien,…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der Menschheit lässt sich als eine Geschichte der Entdeckungen, der Eroberungen oder der Aufklärung erzählen. Hansjörg Küster lehrt uns in diesem bedeutenden Buch einen anderen Blick: Der Mensch ist, was er sät und erntet. Kultivierung ist der Akt der Menschwerdung schlechthin. Um Kulturpflanzen anzubauen, wurden Menschen sesshaft; sie wurden Bauern, die sich die Erde untertan machten, wie es in der Bibel heißt.
Landwirtschaft und Kulturpflanzenanbau entwickelten sich an mehreren Orten der Erde etwa zur gleichen Zeit, aber unabhängig voneinander: in Vorderasien, in Südostasien, an verschiedenen Orten in Afrika, in Mittel- und Südamerika. Um den Anbau von Korn, Hülsenfrüchtlern und Ölpflanzen zu ermöglichen, musste die Umwelt teilweise stark verändert werden. An den großen Strömen des Orients brauchte man eine künstliche Bewässerung. Sie funktionierte nur, wenn eine weit entwickelte öffentliche Verwaltung vorhanden war. Man schuf staatliche Strukturen und dieSchrift. Kulturpflanzen wie Weizen und Roggen, Erbse und Linse, Mais und Kartoffel sowie die vielen Gewürze sind aber auch Vorboten der Globalisierung. Schon vor Jahrtausenden wurden Kulturpflanzen und die Techniken ihres Anbaus zwischen den Zentren der kulturellen Entwicklung ausgetauscht. Weizen aus dem Orient gelangte nach China, von dort aber kam die Technik, Bäume zu veredeln, bereits im Altertum nach Europa.
Autorenporträt
Prof. Dr. rer. nat. Dr. rer. silv. habil. Hansjörg Küster, Jg. 1956, hat Biologie studiert. Nach langjähriger Tätigkeit an der Universität München ist er seit 1998 Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover. Seine Arbeitsgebiete sind vor allem Grundlagen von Ökologie und Landschaft sowie Landschaftsgeschichte; zu diesen Themen hat er mehrere Bücher geschrieben. Seit 2004 ist er ehrenamtlicher Präsident des Niedersächsischen Heimatbundes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2013

Von diesem Acker können wir uns nicht mehr machen

Vom Wildgetreide bis zur modernen Landwirtschaft: Hansjörg Küster schreibt eine Geschichte der Nutzpflanzen, ohne die unsere Kultur nicht in Fahrt gekommen wäre.

Am Anfang stand der Sündenfall. So steht es in der Bibel. Gott der Herr vertrieb Adam und Eva aus dem Paradies, weil sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten. Fortan mussten sie "im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen", und das auf einer Erde, die sich mit "Dornen und Disteln" gegen das Korn wehrte. Der Mühsal setzt Hansjörg Küster die Vorteile des Ackerbaus entgegen, die dieser den Menschen brachte. Es war die Entwicklung der Nutzpflanzen, die Agrikultur, so seine zentrale Botschaft, die den Menschen auf den neuen Weg in die Kultur führte.

Küster versucht diesen Weg nachzuzeichnen, von den ersten Anfängen der Nutzung von Wildgetreide bis zu den gentechnisch veränderten Hochleistungssorten der Gegenwart. Aber nicht nur das Getreide im engeren Sinne behandelt er, sondern auch andere wichtige Nutzpflanzen bis hin zu Hanf, Flachs und Obst. Eine "Geschichte der Pflanzenkultur" könnte man sein Buch also nennen. Es folgt dem in seinen Büchern über die "Geschichte des Waldes" und der "Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa" vorgezeichneten, historisch beschreibenden Verfahren, ist gut lesbar geschrieben und informativ. Insofern wird es die Erwartungen erfüllen, die sich daran aufgrund seiner früheren Werke knüpfen. Doch wird es auch dem Anspruch gerecht, den der Untertitel, "Eine andere Geschichte der Menschheit", erhebt?

Zur Begründung des Ursprungs der Getreidenutzung stützt sich Küster auf die These des Archäologen Vere Gordon Childe, den er jedoch nicht zitiert. Dieser ging 1936 davon aus, dass die Wälder, die sich am Ende der Eiszeit ausbreiteten, zu einem Mangel an Jagdwild führten. Damit kam es zu Nahrungsknappheit bei den steinzeitlichen Jägern und Sammlern. Mit der Nutzung von Wildgetreide und dessen allmählicher Kultivierung lösten sie ihr Ernährungsproblem. Dass dies ausgerechnet im wildreichen Vorderasien geschah und nicht in den Wäldern Europas und Asiens, in denen die Menschen weiterhin als Wildbeuter, örtlich sogar bis in unsere Zeit lebten, stellt die Hypothese der Nahrungsverknappung in Frage.

Gerade im Ursprungsgebiet des Ackerbaus herrschten in den Jahrtausenden nach Ende der letzten Eiszeit für die Menschen sogar besonders günstige Lebensbedingungen, die sich nicht zuletzt auch in der Bezeichnung "Fruchtbarer Halbmond" spiegeln. Jedenfalls kam es dort nach allem, was wir wissen, zu den ersten Formen der Nutzung von Wildgetreide und zur Entwicklung aus ihm gewonnener Kultursorten. Die Agrikultur ging vom Fruchtbaren Halbmond aus. Zu ähnlichen Entwicklungen kam es später im Industal und in Ostasien (China) sowie jenseits des Pazifiks in Mittelamerika.

Küster betont zu Recht, dass sich die Geschichte (des größten Teils) der Menschheit ohne die Entwicklung des Ackerbaus nicht nachvollziehen lässt. Hinzuzufügen wäre: auch nicht ohne die Entwicklung der Viehzucht. Doch wie die Landwirtschaft tatsächlich Einfluss nahm auf den Gang der Geschichte, lässt sich aus seinen Ausführungen allenfalls erahnen, nicht aber konkret entnehmen. Küster bleibt auf der beschreibenden Seite. Die Querverbindungen und Wechselwirkungen mit der Geschichte im engeren Sinne müssen erst noch ausgearbeitet werden. Ansätze dazu gibt es, wie etwa der Hinweis auf die Rolle der exorbitant gestiegenen Brotpreise für den Sturm auf die Bastille und damit die Französische Revolution von 1789. Oder darauf, dass die Kartoffelfäule im 19. Jahrhundert Massenauswanderungen von Iren und anderen Westeuropäern in die Vereinigten Staaten auslöste, die dadurch erst überwiegend englischsprachig wurden.

Doch zurück zu den Kulturpflanzen. Im Hauptteil des Buches legt Küster dar, wie sich die frühen Formen der Landwirtschaft entlang der vorderasiatischen Ströme und am Nil entwickelten, wie der Ackerbau ausstrahlte auf die Regionen rund ums Mittelmeer und sich sodann die Donau aufwärts nach Mitteleuropa hinein ausbreitete. Aus dem anfänglich bäuerlichen Nutzungssystem wurde die mittelalterliche, bis weit in die Neuzeit hinein reichende und nachwirkende Feudalwirtschaft. Doch bereits mit der Eroberung Amerikas durch die Westeuropäer vor einem halben Jahrtausend setzte die Globalisierung ein. Die Neue Welt lieferte gezwungenermaßen die Kartoffel und den Mais sowie Genusspflanzen wie Tabak und Kakao und empfing im Gegenzug den Weizen und die Sklaverei.

Küster betont von Anfang an, dass Landwirtschaft nie "im Einklang mit der Natur" stand und auch nicht stehen kann, da sie auf Ausbeutung ausgerichtet ist. Er räumt so nebenbei auch mit Vorurteilen auf wie den "alten, reichhaltigen Bauerngärten" oder den "alten Obstsorten". Die Bauerngärten waren eine Begleitentwicklung der Industrialisierung im 19. Jahrhundert; "alt" hingegen sind (waren) die Klostergärten. Auch die meisten der als alt bezeichneten Obstsorten stammen aus der Neuzeit, während so manche Gemüsesorte tatsächlich bereits seit den Zeiten der Römer gezüchtet wurde und mit ihnen über die Alpen gekommen ist.

Es geht in Küsters Buch also keineswegs nur um das Getreide, um "das Korn", das je nach Region durchaus ganz verschiedene Nutzpflanzen meinen kann. In Deutschland wurde damit der Roggen bezeichnet, der ursprünglich ein störendes Unkraut in den vorderasiatischen Weizenfeldern gewesen war. Erst im winterkalten Klima nördlich der Alpen kamen seine Vorzüge zum Tragen, und er wurde hier "das Korn". In Nordamerika meint "corn" den Mais. Mit seiner Vielfalt an Informationen, die sich eher mosaikartig zusammenfügen denn einer historischen Leitlinie folgen, geht Küster deutlich über das großartige Werk von Henry Hobhouse, "Fünf Pflanzen verändern die Welt", hinaus.

Doch dann kommen die Schlusskapitel. "Die Produktion von Lebensmitteln", heißt es da, "wird immer stärker und strenger überwacht, so dass eine sehr hohe Qualität der Agrarprodukte gewährleistet ist." Dass ein Skandal den anderen jagte, wird nicht einmal erwähnt. Küster hält sogar die Unterscheidung von Kunstdünger und biologisch-organischer Düngung für nicht gerechtfertigt. Er geht vom "Precision Farming" aus, "bei dem schon während der Ernte festgestellt wird, welche Düngermengen auf jeden Teil des Ackers bei der nächsten Feldbestellung gelangen sollen", und "exakt diese Düngermengen werden dann auch ausgebracht". Biologische und ökologische Landwirtschaft charakterisiert er als "von manchen für fortschrittlich gehalten". Die Güllefluten, die unser Land mehrmals im Jahr zum Himmel stinken lassen, werden ebenso wenig diskutiert wie die Vernichtung artenreicher Tropenwälder für die Erzeugung von Soja, von dem ein (viel zu) großer Teil unseres Stallviehs lebt. Oder dass die deutsche Landwirtschaft erheblich mehr zur Belastung der Erdatmosphäre mit klimawirksamen Gasen beiträgt als unser gesamter Kraftfahrzeugverkehr.

Küsters Schlusssatz lässt sich daher kaum beipflichten: "Mit dem Korn also fing alles an, vom Korn hängt alles ab, gestern, heute und auch morgen." Denn längst geht es bei uns wie im landwirtschaftlichen Weltmarkt nicht mehr um Korn für Brot, sondern um Fleischerzeugung und Energiepflanzen - so nötig ein beträchtlicher Teil der Menschheit das Korn auch hätte.

JOSEF H. REICHHOLF

Hansjörg Küster: "Am Anfang war das Korn". Eine andere Geschichte der Menschheit.

Verlag C. H. Beck, München 2013. 298 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Was für ein Buch! Burkhard Müller ist gleich viel wohler angesichts von Genmanipulation und Lebensmittelskandalen - zeigen sie doch, wie weit unsere Kontrolle der Natur gediehen ist. Solche Weisheiten teilt ihm der Ökologe Hansjörg Küster glaubhaft mit, indem er die Menschheitsgeschichte vom Korn und dessen Zähmung her erzählt. Müller erfährt Lehrreiches über tetraploide Kreuzungen, über antike und mittelalterliche Wirtschaftsräume und überhaupt über eine bodenbestellende Menschheit, alles frei von räumlichen und zeitlichen Ablenkungen. Richtig praktikabel wird das Buch, wenn der Autor Müller auseinandersetzt, wie unendlich fade mittelalterliches Essen war und dass der Slogan "Zurück zur Natur" aus historischer Perspektive einen Irrweg bedeutet, da "Kultur oder Natur?" gar nicht die Frage sein kann. Neuerdings jedenfalls erlebt Müller den Supermarkt als den wahren Garten Eden. Kleinere Wiederholungen und fehlende Illustrationen schmälern Müllers Genuss an dem Buch nur geringfügig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2014

Unbewusste Heldentaten der Menschheit
Mit seiner grandiosen Geschichte des Ackerbaus gibt Hansjörg Küster den
gegenwärtigen Debatten darüber, was wir essen und sind, eine historische Perspektive
VON BURKHARD MÜLLER
Hansjörg Küster hat uns bereits eine Geschichte des Waldes, der Elbe, des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs und der Landschaft in Mitteleuropa gegeben. Diesmal geht der Pflanzenökologe an der Universität Hannover aufs Ganze und legt „Eine andere Geschichte der Menschheit“ vor – dies der Untertitel seines neuen Buchs „Am Anfang war das Korn“.
  Die Menschheit mag stolz sein auf ihre Imperien, Kathedralen und Mondreisen, aber alles das basiert auf einer Grundvoraussetzung, über die sie nur selten nachdenkt: dem Ackerbau. „Ohne Kulturpflanzen“, beginnt der Autor seine Erzählung, „wäre die Geschichte der Menschheit völlig anders verlaufen. Vielleicht hätte sie gar nicht stattgefunden. Menschen wären Jäger und Sammler geblieben, die sich die Erde nicht untertan gemacht hätten. Die Schrift wäre nicht erfunden worden, weil sie nicht gebraucht wurde. Menschen hätten keine Städte und Staaten gegründet, weil dazu keine Notwendigkeit bestand, hätten nie Industrieanlagen gegründet. Es war eine Weichenstellung besonderer Art, die die Menschen vor etwa zehntausend Jahren dazu brachte, Pflanzen oder Teile von ihnen nicht nur zu sammeln, sondern auch zu produzieren: durch Anbau von Kulturpflanzen auf einem Feld oder in einem Garten.“
  Lange wusste man sehr wenig über jene schriftlose Vorzeit, in der diese erstaunliche Weichenstellung geschehen war. Fast ausschließlich auf die kärgliche Evidenz von Gerätefunden angewiesen, sortierte die Geschichtsschreibung die Epochen nach Stein-, Bronze- und Eisenzeit, obwohl der entscheidende Epochenbruch noch mitten in der Steinzeit geschah. Und obwohl noch immer sehr vieles, ja das Meiste dieser frühen Revolutionäre im Dunkel liegt und man kaum weiß, was für eine Rasse, Sprache, Religion sie hatten, lässt sich doch inzwischen ziemlich detailliert nachzeichnen, was sie aßen und wo sie es herbekamen. An vielen Stellen annähernd gleichzeitig wurde nach dem Ende der letzten Eiszeit die gleiche Entdeckung gemacht: dass man das Leben sichern und erleichtern und viel mehr Menschen auf demselben Stück Land das Dasein ermöglichen konnte, wenn man ein kleines Set einander ergänzender Pflanzen planvoll auf einem Acker ausbrachte.
  Dazu gehörten immer mindestens zwei Arten Getreide (in den Tropen: Knollengewächse), ein Öl- und ein Proteinlieferant sowie eine Faserpflanze für die Kleidung. Im vorderasiatischen Raum, der zur Keimzelle auch der gesamten europäischen Landwirtschaft wurde, waren das Einkorn, Emmer, Gerste, ferner Linsen und dicke Bohnen, dann Flachs und Hanf. Man erfährt ziemlich viel über diploide und tetraploide Kreuzungen, darüber, unter welchen Mühen Kulturrassen von Wildpflanzen abgetrennt wurden und wie viel es die frühen Menschen gekostet haben muss, bis sie Ähren hatten, aus denen die Körner nicht herausfielen, sobald sie reif waren, sondern beieinanderblieben, bis man sie auf einmal drosch. Oder Küster vergleicht den antiken Wirtschaftsraum des Mittelmeers und den mittelalterlichen der Ostsee und kommt zum Ergebnis, dass ein zukunftsfähiges Modell des Welthandels, obwohl auf einer begrenzten Fläche, tatsächlich erst auf der Ostsee eingeübt wurde: weil hier nämlich alle Anrainer unterschiedliche Erzeugnisse lieferten – der Süden Getreide und weitere Nahrungsmittel, der Norden Holz, Eisen und anderen Rohstoff – und erst in deren Austausch zu einem Ganzen fanden.
  Das Buch bietet eine tiefe Geschichte, die sich nicht von oberflächlichen Bewegungen in Raum und Zeit beirren lässt. Es wird ersichtlich, wie kohärent das Geschick der bodenbestellenden Zivilisationen seit den frühen Anfängen verlief, aber auch, wie viel grundstürzender die Veränderungen waren, die das alltägliche Leben betrafen. Europa war, wie der Autor es sieht, in der frühen Neuzeit ökologisch am Ende; mit begrenzten Mitteln und Methoden betrieb es zerstörerischen Raubbau in jeder Hinsicht, an Boden, Wasser und Wäldern, und es bestand die akute Gefahr, dass eine komplette Zivilisation unterging, ähnlich wie bereits die römische während der Völkerwanderungszeit. Da wurde, sozusagen gerade rechtzeitig, Amerika entdeckt, das bislang unbekannte, hochergiebige Massennahrungsmittel wie Kartoffeln und Mais lieferte, neue Konzepte zur Nachhaltigkeit wurden entwickelt und der Druck von Wald und Boden genommen, indem man Kohle (zum Brennen) und Kunstdünger (zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit) nutzte, Entlastung für die Lebenssysteme also aus dem Reich des Unbelebten nahm. Von wegen gute alte Zeit! Das, was man sich immer so darunter vorstellt, die bunten Blumenwiesen und hübschen Bauerngärten, sind junge Errungenschaften. Wiesen muss man düngen, was aufwändig ist, und dazu im Besitz der Sense sein. Und Gärten legten die Bauern erst in der Neuzeit an, ja eigentlich erst im 19.und 20. Jahrhundert – das unterblieb vorher schon aus dem Grund, weil so ziemlich alle heutigen Gemüse- und Obstsorten ganz junge Züchtungen darstellen. Das Essen im Mittelalter muss ungeheuer fade und monoton gewesen sein.
  So bedeutet dieses Buch vor allem eine Absage an den naiven Kampfruf „Zurück zur Natur!“. Die Alternative von Kultur und Natur stellt sich ihm gar nicht: Auf der einen Seite war Landwirtschaft nie Natur. Auf der anderen Seite gedeiht aber auch die Kultur der Pflanzen und Tiere immer nur, indem sie sich natürliche Lebens- und Wachstumsprozesse zunutze macht.
  Küster betrachtet manche panisch geführten Diskussionen der Gegenwart mit Gelassenheit. Warum sollte es keine gentechnischen Veränderungen geben? Leisten sie doch nur auf kürzerem Weg, wozu die klassische Züchtung länger braucht, nämlich die Veränderung des Erbguts. Sollte es Eigentumsrecht und Patente auf so erzeugte neue Pflanzensorten geben? Das, meint der Autor, sei unter wirtschaftlichen und juristischen Gesichtspunkten vielleicht wünschenswert, biologisch aber undurchführbar, da jede Sorte sich in den Folgegenerationen schon wieder neu zu verändern beginnt, so dass gar nichts in der Hand bleibt, was sich patentieren ließe.
  Gerade weil Küster im Hauptberuf Ökologe ist, sieht er ökologische Fragen differenzierter. Ein gespritzter Apfel belastet den Konsumenten nicht mit Chemikalien; aber ein ungespritzter dafür vielleicht mit noch viel ungesünderen Schimmelpilzen. Sind die vielen Lebensmittelskandale der jüngeren Zeit ein Zeichen, dass die Qualität der Nahrungsmittel zurückgeht? Eher im Gegenteil, sie beweisen, dass die Kontrollen schärfer geworden sind und der allgemeine Standard also gestiegen ist. Die heutige industrielle Landwirtschaft bereitet Probleme, gewiss; aber sie sorgt auch dafür, dass das Gros der Menschheit so gut ernährt werden kann wie noch nie in der Geschichte. Nahrungsmittel sind heute jederzeit ohne Anstrengung preiswert überall zu haben, ein Supermarkt ist der wahre Garten Eden – wollen wir das wirklich aufgeben? Die Infrastruktur der Versorgung hält Küster für die wahre zivilisatorische Großtat der Menschheit, nicht minder bemerkenswert, weil sie kollektiv und heldenlos vollbracht wurde.
  Der Mensch ist, was er isst: Dieser alten Binse verleiht Küster eine neue Tiefe und Evidenz und gibt den gegenwärtigen Debatten darüber, was wir essen und sind, historische Perspektive. Wenn man gegen das Buch etwas einwenden könnte, dann höchstens, dass es angesichts der Riesenhaftigkeit seines Themas allzu schmal ausgefallen ist. Rund 250 Pflanzen-Spezies zählt das Register zwischen Ackerbohne und Zwiebel auf; es ist dann doch zu viel, als dass alle zu ihrem Recht gelangen könnten. Der Mittelteil geht da manchmal etwas ins Listenförmige über. Auch wäre der Leser zuweilen, da er eben doch tief in die Botanik speziell der Getreidesorten hinein muss, für einige Kommentare und besonders Zeichnungen dankbar gewesen. Der Raum dafür hätte sich leicht finden lassen, wenn die zahlreichen Wiederholungen bestimmter Details ausgedünnt worden wären; der Information etwa, dass Hartweizen sich wegen seines hohen Gluten-Gehalts vor allem für die Herstellung von Nudeln eignet, begegnet man gleich viermal. Davon sollte man sich jedoch die Lektüre dieses gehaltvollen und aufschlussreichen Werks nicht verderben lassen. Sein größter Mangel und zugleich das Beste, was sich von ihm sagen lässt: Es enthält in embryonaler Gestalt noch eine ganze Reihe weiterer Bücher, die darauf warten, geschrieben zu werden.
Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit. Verlag C.H. Beck, München 2013. 298 Seiten, 24,95 Euro.
In der frühen Neuzeit war Europa
ökologisch am Ende, zum Glück
wurde Amerika entdeckt
Ein Supermarkt ist der wahre
Garten Eden – Wollen wir das
wirklich aufgeben?
Ein Bauer in Asagirt, Äthiopien, pflügt seinen Acker. Die großen Leistungen der Menschheit
beruhen auf dem Ackerbau. „Ohne Kulturpflanzen“, so Hansjörg Küster, „wäre die Geschichte der Menschheit völlig
anders verlaufen. Vielleicht hätte sie gar nicht stattgefunden.“
Foto: dpa
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