Historiker konzentrieren sich meist auf die Geschichte von Reichen, Großmächte oder Ländern, die es heute noch gibt - vielleicht mit Ausnahme des antiken Griechenlands und des Römischen Reiches. Sie schreiben über deutsche, französische oder englische Geschichte … und so fort.
Nicht so Norman
Davies. Der emeritierte Geschichtsprofessor mehrerer Universitäten interessiert sich für…mehrHistoriker konzentrieren sich meist auf die Geschichte von Reichen, Großmächte oder Ländern, die es heute noch gibt - vielleicht mit Ausnahme des antiken Griechenlands und des Römischen Reiches. Sie schreiben über deutsche, französische oder englische Geschichte … und so fort.
Nicht so Norman Davies. Der emeritierte Geschichtsprofessor mehrerer Universitäten interessiert sich für untergegangene, ja verschwundene Reiche, die er mit wissenschaftlicher Neugier erforscht. Für ihn ist es die Aufgabe des Historikers, die Geschichte dieser Reichen ebenso zu pflegen wie die Geschichte der heute noch existierenden Staaten.
In seinem neuen Buch stellt er eine Auswahl ausgestorbener Reiche vor. Eine Auswahl bei fast 1000 Seiten - das lässt schon erkennen, wie vielfältig und komplex dieses historische Kapitel ist. Insgesamt fünfzehn verschwundene Reiche in Europa beleuchtet Davies - von dem Tolosanischen Reich (418-507 n.Chr.) bis zum Untergang der UdSSR (1924-1991).
Wer kennt heute z.B. noch das Königreich Burgund? Dabei umfasste das hochmittelalterliche Königreich (um 411 bis 1795) das geographisch vielfältig gegliederte Rhónegebiet. Es war nicht nur über Tausend Jahre ein unterschiedlich politisches Gebilde sondern auch Ausgangspunkt der Nibelungensage. Fast vergessen ist auch das Königreich Aragón (1137-1714) im heutigen Nordspanien, dabei begann von diesem „kurzlebigen“ Mittelmeerreich die Zurückdrängung der muslimischen Mauren.
Weiterhin betrachtet Davies u.a. Byzanz, Borussia (Land der Prußen), Savoyen oder Galizien. Breiten Raum nehmen auch die osteuropäischen Reiche wie das historische Litauen oder die ehemaligen Sowjetrepubliken ein. Jedes Kapitel ist dreigeteilt aufgebaut. Teil 1 skizziert die jeweilige Region, wie sie heute aussieht, Teil 2 erzählt die Geschichte des verschwundenen Reiches und Teil 3 untersucht, wie dieses in Erinnerung geblieben oder in Vergessenheit geraten ist.
Im Abschlusskapitel „Wie Staaten sterben“ untersucht der Autor kurz die unzähligen Erscheinungsformen des politischen Siechtums. Zahlreiche Abbildungen (historische Karten, Stammbäume und Fotos) ergänzen die äußerst detailreichen Darstellungen. Ein umfangreicher Anhang mit Anmerkungen und bibliografischen Hinweisen zu jedem Kapitel sowie einem ausführlichen Register komplettiert diese Monumentalgeschichte der verschwundenen Reiche. Diese spannende, nicht rein wissenschaftliche Darstellung ist mit großer Sachkenntnis aber auch mit großem Einfühlungsvermögen geschrieben und macht sie daher auch für historisch interessierte Laien zu einer gewinnbringenden Lektüre - allerdings muss man etwas Zeit mitbringen.