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Die Geburt Europas aus dem dreifachen Glauben an einen Gott
Im Mittelalter wächst Europa aus der Welt der Antike heraus. Was Europa jedoch erst entstehen ließ, war der Sieg des Monotheismus über die Vielgötterei der Antike. Christen, Juden und Muslime leben nebeneinander in multireligiösen Gesellschaften. Der Autor zeigt, wie es seit dem zwölften Jahrhundert zum Aufstieg des christlichen Abendlandes gekommen ist.
Es war der Sieg des Monotheismus, der Europa von der vorchristlichen Antike ebenso unterschied wie von der Welt des Fernen Ostens. Er hat Europa in der Spätantike und im
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Produktbeschreibung
Die Geburt Europas aus dem dreifachen Glauben an einen Gott

Im Mittelalter wächst Europa aus der Welt der Antike heraus. Was Europa jedoch erst entstehen ließ, war der Sieg des Monotheismus über die Vielgötterei der Antike. Christen, Juden und Muslime leben nebeneinander in multireligiösen Gesellschaften. Der Autor zeigt, wie es seit dem zwölften Jahrhundert zum Aufstieg des christlichen Abendlandes gekommen ist.

Es war der Sieg des Monotheismus, der Europa von der vorchristlichen Antike ebenso unterschied wie von der Welt des Fernen Ostens. Er hat Europa in der Spätantike und im Mittelalter erst hervorgebracht. Zeichnet man die Verbreitung der monotheistischen Religionen und der durch sie geprägten Kulturen nach, ergibt sich ein Bild, das bunter ist, als sich viele träumen lassen. Doch wenn nur ein Gott die Welt lenkt, aber verschiedene Religionen von ihm erzählen, dann sind Konflikte unvermeidlich.
Michael Borgoltes glänzende Darstellung widmet sich auch der Frage, weshalb es seit dem zwölften Jahrhundert zum Aufstieg des Okzidents gekommen ist - und weshalb andere Kulturen zurückblieben oder andere Wege einschlugen. Dabei zeigt sich, dass die Dominanz, die das lateinische Christentum am Ende des Mittelalters errungen hatte, bereits den Keim der Selbstzerstörung in sich trug.
Europa ist historisch betrachtet weder eine geographische Einheit noch eine Wertegemeinschaft noch eine ideelle Größe; es war bisher noch nie »fertig« und hatte nie eine unstrittige Identität. Borgoltes historisches Standardwerk ist von verblüffender Aktualität: Wer über die Grenzen des heutigen Europa nachdenkt, tut gut daran, auch die Vorgeschichte und das Verhältnis von Christen, Juden und Muslimen im europäischen Mittelalter zu kennen.

Ein großer historischer Wurf von überraschender Aktualität.

Ausstattung: zahlreiche Abbildungen
Autorenporträt
Michael Borgolte, geboren 1948, ist Professor für Geschichte des Mittelalters und Leiter des Instituts für vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Schwerpunkte seiner Forschungen sind neben der historischen Komparatistik die Sozial-, Verfassungs- und Kirchengeschichte des europäischen Mittelalters. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören "Die mittelalterliche Kirche" (1992) und "Europa entdeckt seine Vielfalt 1050-1250" (2002).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2006

Wie kann man soviel wissen?
Michael Borgoltes origineller Schneisenschlag durchs Mittelalter

Ein Riesenstoff, behandelt von einem einzigen Autor in einem Buch: die Grundlegung des modernen Europas. Michael Borgolte fragt, wie Christentum, Judentum und Islam den Aufstieg des Abendlandes beförderten.

Um das Jahr 300 bestand das Römische Reich ebenso wie seine Vorländer aus lauter Polytheismen, die bei aller Buntscheckigkeit das gleiche kultische Grundmuster verrieten. Untereinander waren sie verträglich. Im Mittelalter aber standen sich drei Monotheismen gegenüber, von denen jeder auf seine alleinige Rechtgläubigkeit pochte. Von diesem schroffen Wandel her - so verstehe ich Michael Borgoltes Buch - müssen wir das Mittelalter neu verstehen. Dem Verfasser geht es, gelegentlich von der Fülle der ausgebreiteten Fakten verdeckt, um einen bisher noch unerprobten Deutungsansatz.

Wie läßt sich dieser ehrgeizige Versuch einordnen? Borgolte, der an der Berliner Humboldt-Universität Mittelalterliche Geschichte lehrt, den Lesern dieser Zeitung als Rezensent bekannt ist und sich in seinem Fach auch als rühriger Wissenschaftsorganisator betätigt, ist seit langem erpicht, das Mittelalter im gesamteuropäischen Rahmen zu überschauen. Daß ihn besonders die Kirchen- und Religionsgeschichte interessiert, zeigt sich darin, daß er ihr diesmal über die Hälfte seines neuen Buches widmet. Borgolte reiht sich ein in die imponierende Initiative des dynamischen Verlegers Wolf Jobst Siedler sen., Vergangenheit für einen breiteren Kreis von Gebildeten verstehbar zu machen. Drei Reihen haben nacheinander diesem Ziel gedient. Die erste behandelte die deutsche Geschichte seit 1750, die zweite lieferte die Rückverlängerung bis 1250 nach. Markenzeichen war durchweg, daß keine gelehrten Herausgeber, sondern der Verleger selbst verantwortlich zeichnet. Weiterhin, daß jeder Band einem einzigen Verfasser von Rang anvertraut wurde. Die dritte Reihe weitet das Konzept auf das Mittelalter und die Antike aus, wobei der zeitliche und räumliche Rahmen jedes Bandes viel breiter als in den ersten Reihen abgesteckt wird. In Borgoltes Band geht es um die Grundlegung des modernen Europas, wobei er die lange Strecke von 300 bis 1400 verfolgt, ohne die Wahl des Endpunktes zu begründen. Weniger als die früher erschienenen beiden Bände der Mittelalterreihe wird hier die Gesamtdarstellung eines Zeitraums angestrebt. Das eigentliche Ziel ist ein Schneisenschlag mit ganz bestimmter, origineller Ausrichtung.

In diesen Dimensionen sind interessante Gegenüberstellungen möglich: etwa das scheiternde Großreich der Karolinger mit den lang andauernden, höchst wirksamen Versuchen des Papsttums, die westliche Kirche stärker als bisher zu integrieren und administrativ zu modernisieren. Die Ostkirche wird in ihrer Eigenart ernstgenommen, aber auch, wo es sinnvoll erscheint, mit der Westkirche verzahnt: etwa in ihrem Kampf gegen die dualistischen Häresien von Bogumilen und Katharern.

Borgolte greift seinen Riesenstoff mit beachtlicher Kompetenz an. Manchmal fragte ich mich staunend, wie man soviel wissen kann wie er. Aber gelegentlich kam mir der Verdacht, daß er seine Leser - die Laien wie die Fachleute - überfordert. Die Umsetzung von Geschichte in Literatur ist immer ein Balanceakt zwischen einem Erzählen von Geschehenem und dem Versuch, die Fakten zu analysieren und in eine Ordnung zu bringen. Manchmal scheint mir Borgolte es mit dem Erzählen zu weit zu treiben. So verfolgt er für Mitteleuropa die Dynastien der Könige und Kaiser im einzelnen, ohne für Westeuropa eine ähnliche Ausführlichkeit anzustreben. Die mit den Sachsen beginnenden Bekehrungen in Europa müßten nicht jede für sich abgehandelt werden. Denn der langen Reihe läßt sich ein einfacheres Grundmuster ablesen.

Was ist von Borgoltes Grundanlage zu halten? Die Konfrontation dreier Monotheismen ist erst im vergangenen Jahrhundert zu einem noch heute andauernden Kernproblem geworden. Aber diese Konfrontation wird, wohlgemerkt, im Vorderen Orient und nicht in Europa ausgetragen. Man muß vorsichtig sein, wenn man ein Stück Gegenwart in einen anderen Raum und in eine andere Zeit zurückprojiziert.

Instruktiv und weiterführend erscheint, wenn Borgolte der jüdischen Diaspora mehr Aufmerksamkeit schenkt, als es bislang die Regel ist. Aber ich würde die jüdische Komponente nicht zu einem Faktor hochstilisieren, der den Gang der europäischen Geschichte entscheidend mitbestimmt hat. Die Grundkonstellation war vielmehr, daß sich ein christliches Abendland und ein islamisches Morgenland gegenüberstanden, das eben keinen Anteil an der Gestaltwerdung des nachantiken Europas hatte. Vereinfacht gesprochen: Nur südlich der Pyrenäen und dem normannisch-staufischen Sizilien standen sich die beiden religiösen Kulturen aufmerksam Auge in Auge gegenüber. Spanien konnte Américo Castro 1948 nachrühmen, hier hätten - bis zum jähen Abbruch von 1492 - drei Religionen zu einer großen europäischen Kultur beigetragen. Aber sonst haben wir es wohl mehr mit gegensätzlichen Welten zu tun: getrennt verfaßt, anders gesinnt und in der Grundtendenz feindlich.

Die Kreuzzüge, die eine Ausgrenzung des Islams befestigten, haben das Zusammenwachsen Europas mehr geprägt als die fruchtbaren Berührungen, übrigens auch die zunehmende Ausgrenzung des orthodoxen Ostens von der wachsenden Gemeinsamkeit des katholischen Westens, auf die Borgolte durchaus eingeht.

Für Borgolte ist wichtig, daß Christentum, Judentum und Islam aus ein und derselben monotheistischen Wurzel hervorgegangen sind. Aber entspricht auch dies der wechselseitigen Wahrnehmung im Mittelalter? Die Juden wie die Muslime sahen ja in den Christen gerade keine Monotheisten. Denn die Trinität erschien ihnen als verabscheuungswürdiger Verrat am abrahamitischen Erbe des Glaubens an einen einzigen Gott. Kurz: Das Schema von drei Komponenten europäischer Religionsgeschichte erscheint mir problematisch.

In seiner Gliederung dünnt das Buch, je weiter es voranschreitet, aus. Die Religionen werden breit abgehandelt. Die politische Ordnung kommt schon kürzer weg, noch kürzer der letzte Themenbereich, den der Leser erst aus kryptischen Ober- und Untertiteln freilegen muß. Hier geht es um die höhere Bildung und die denkwürdige Frühgeschichte der abendländischen Universität.

Die drei Felder, auf die sich Borgolte konzentriert, lassen wesentliche Bereiche unberücksichtigt. Das gilt besonders für die Wirtschaft, wo - das hat sich in der letzten Generation immer deutlicher gezeigt - wichtige Weichen auf dem Sonderweg unseres Kontinents gestellt wurden. Wer diesen in seiner Breite überschauen will, dem sei zur Ergänzung die glänzende Analyse empfohlen, die der Wiener Wirtschafts- und Sozialhistoriker Michael Mitterauer unter den provozierenden Titel "Warum Europa?" gestellt hat.

Es spricht keineswegs gegen Borgolte, wenn man ihm sein Konzept nicht undiskutiert abnimmt. Denn es geht ja in der Historie heute weniger um das Anhäufen von immer neuen Einzelerkenntnissen, sondern um das Durchspielen von verschiedenen Deutungen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Man verstehe also meine Vorbehalte als Aufforderung zu einer Diskussion, deren Ausgang offen ist.

GOTTFRIED SCHRAMM

Michael Borgolte: "Christen, Juden, Muselmanen". Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 nach Christus. Siedler Verlag, München 2006. 608 S., geb., 74,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.06.2006

Die monotheistische Epoche des Abendlandes
Christen, Juden, Muselmanen: Michael Borgolte wehrt sich gegen die Gleichsetzung von Mittelalter und christlicher Religiosität
Die im Siedler Verlag erscheinende Geschichte Europas schreitet von der Gegenwart in die Vergangenheit voran: nach dem 1740 einsetzenden Band zur Neuzeit von Hagen Schulze (1998) und dem von Heinz Schilling verfassten Buch zu den Jahrhunderten zwischen 1250 und 1740 (1999) widmet sich der jüngste Teilband des Werks der Zeit zwischen 300 und 1400. Er stammt aus der Feder des bekannten Berliner Mediävisten Michael Borgolte, dem es offenbar gelungen ist, das ursprüngliche Verlagskonzept abzuwandeln. In der Tat war der angekündigte Titel „Antikes Erbe und christlicher Glaube. Die Einheit der christlichen Welt” einer seit dem 19. Jahrhundert weit verbreiteten Sicht des europäischen Mittelalters verpflichtet. Borgolte macht deutlich, dass er von einem allein christlich definierten Mittelalter nicht viel hält; er behandelt „Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und den Aufstieg des Abendlandes” auf nahezu 600 Seiten und setzt damit seine mehrfach vorgetragenen Bemühungen um eine differenziertere Sicht der mittelalterlichen Geschichte energisch fort.
Dreimal ein Gott
Der Band gliedert sich in drei Teile, von denen allerdings die beiden ersten mit zusammen etwa 500 Seiten ein fast erdrückendes Übergewicht gegenüber dem dritten Teil aufweisen. Der erste, bei weitem umfangreichste Teil bietet eine vergleichende Religionsgeschichte von der Spätantike bis zum Spätmittelalter, in der die Verdrängung der vielfältigen heidnischen Götterwelt durch die „Ausbreitung des dreifachen Eingottglaubens” thematisiert wird. Unter diesem Begriff werden Judentum, Islam und die Varianten des mittelalterlichen Christentums, also die drei großen monotheistischen Religionen, zusammengefasst. Das Verhältnis von Christentum und Islam wird dabei mit einer Schilderung der osmanischen Expansion bis in die Frühe Neuzeit dargestellt. Am Ende steht die Forderung, man solle statt vom christlichen besser vom monotheistischen Mittelalter sprechen. Das hat viel für sich, wenngleich Borgolte sich gleichzeitig genötigt sieht, die auch von ihm nicht geleugnete Dominanz des Christentums im mittelalterlichen Europa zu erklären. Er macht dafür neben dem Missionsauftrag Jesu politische und soziale Gründe geltend.
Diesen Themenfeldern geht er in dem etwas kürzer ausgefallenen zweiten Teil nach, der eine politische Geschichte der europäischen Völker erzählt. Im Zentrum stehen die Ansprüche auf eine ‚universale’ Führungsposition, wie sie einerseits vom Basileus in Byzanz und seit Karl dem Großen auch von den westlichen Kaisern, andererseits von den Päpsten erhoben wurden. Die chronologisch aufgebaute Darstellung erschöpft sich keineswegs in der Ereignisgeschichte, sondern nimmt immer wieder auf den ideengeschichtlichen Hintergrund Bezug. Den Abschluss bildet ein Überblick über jene Großregionen, die sich rund um das zentral in Mitteleuropa liegende römisch-deutsche Reich gruppierten, sich dessen Ansprüchen aber auf die Dauer erfolgreich entzogen.
Die Quintessenz des politikgeschichtlichen Teils lautet, dass die Integration Europas weit mehr durch den Zentralismus der Päpste als durch den imperialen Anspruch der Kaiser gefördert wurde. Zuletzt folgt ein mit nicht einmal siebzig Seiten recht knapp ausgefallener Abschnitt zur europäischen Bildungsgeschichte, der den Umgang mit der Antike in den großen Glaubens- und Sprachgemeinschaften verfolgt. Der lateinische Kulturraum gewinnt für Borgolte den Vorrang gegenüber dem traditionshörigen Byzanz durch seinen beispiellos dynamischen Umgang mit der Tradition, worin aber zugleich - dies sind die letzten Worte des Bandes - die Ansätze zur „Entchristlichung” Europas grundgelegt waren.
Der Verlagskonzeption geschuldet ist die merkwürdige Tatsache, dass sich die Teilbände von H. Schilling und M. Borgolte chronologisch überlappen. Es steht zu vermuten, dass dem Mittelalterband die Aufgabe zugedacht war, die Einheit der christlichen Welt zu schildern, während dem zur Neuzeit überleitenden Band die zukunftweisende Differenzierung vorbehalten sein sollte. Diese Absicht wird von M. Borgolte wirkungsvoll unterlaufen. Eine parallele Lektüre der beiden Bände ist nicht ohne Reiz und vermag plastisch die unterschiedlichen Perspektiven der beiden Autoren vor Augen zu führen, die von ihrer hauptsächlich vertretenen Epoche aus auf das Spätmittelalter blicken: der eine eher zurück, der andere eher nach vorn. Der Frühneuzeitler Schilling versichert für das 15. Jahrhundert, „dass Europa längst keine Einheit mehr bildete”, doch was den Europabegriff in mittelalterlichen Texten häufig füllte, wird bei ihm nur nebenbei sichtbar: nämlich das „Christenheitseuropa”. Die kämpferische Selbstdefinition dieses christlichen Europa im Zuge der spätmittelalterlichen Türkenabwehr liefert Borgolte im religionsgeschichtlichen Kapitel nach; die entsprechenden Beobachtungen gehen allerdings ein bisschen unter und hätten einen prominenteren Platz verdient. Wer die Abbildungen von mittelalterlichen Weltkarten in beiden Bänden aufmerksam betrachtet, kann übrigens ein interessantes Detail feststellen: im Frühneuzeitband vertritt der Kommentar die Auffassung, das Mittelalter habe die Erde für eine Scheibe gehalten, während der Mittelalterband dies zu Recht als eine neuzeitliche Fabel zurückweist.
Entfaltung der Reichsidee
Das Verdienst der voluminösen Monographie Borgoltes liegt in dem Bemühen, gegenüber dem allzu simplen Bild eines monolithisch christlichen Mittelalters die Vielfalt dieses Zeitalters zur Geltung zu bringen, das vom Nebeneinander der Kulturen, ihrer gegenseitigen Anziehung, Abstoßung und Durchdringung geprägt war. In der Dialektik von Integration und Desintegration sieht Borgolte die auf die Gegenwart vorausweisende Eigenart des Mittelalters. Das Zeitalter Karls IV. (†1378) schließt er ab mit der Bemerkung, dass dessen „keineswegs auf einen Nationalstaat” angelegtes, sondern viele Kulturen integrierendes Reich die „Konstellationen und Anforderungen” vorwegnehme, „denen sich auch die Gestalter des noch viel größeren Europa von heute stellen müssen”. Dem Leser wird allerdings nirgends zusammenhängend erklärt, was es mit dem Begriff Europa im Mittelalter auf sich hatte, sieht man von einigen knappen Sätzen am Anfang des politikgeschichtlichen Teils ab, denen der Nichtfachmann nur entnehmen kann, dass „Europa” damals eben nicht das bedeutete, was man heute darunter verstehen will. In solchem Zusammenhang fällt „übervölkische Einheit”; auch ist später von einem „völkischen Eigenbewusstsein” des böhmischen Adels die Rede, Vokabeln, die ob ihres merklichen Hautgouts eigentlich nicht zum Wortschatz heutiger Historiker gehören sollten.
Hin und wieder scheint es, als habe sich Borgolte etwas zu stark auf die Abwehr der Identifikation von Mittelalter, christlich-kirchlicher Religiosität und universalem Denken konzentriert und paradoxerweise gerade dadurch das abgewehrte Bild zementiert. Einige Aspekte, die in dem behandelten Zeitraum für weite Bereiche der europäischen Kultur konstitutiv werden, kommen eindeutig zu kurz. Wer diese Geschichte Europas zur Hand nimmt, wird erfahren, dass die Idee des karolingischen Großreichs eine politisch verfehlte Konstruktion war, worüber man durchaus diskutieren kann. Die Entfaltung dieser Reichsidee war jedoch von einer der bedeutendsten Bildungsreformen der europäischen Geschichte begleitet. Die Grundlagen der mittelalterlichen Latinität wurden in karolingischer Zeit gelegt, die einflussreichste europäische Schrift wurde damals neu geschaffen, die Überlieferung eines Großteils der antiken lateinischen Literatur ist allein karolingischen Schreibern zu verdanken. Zudem pflegten die Hofliteraten Karls des Großen einen überaus produktiven und einfallsreichen Umgang mit der antiken Tradition. Von all dem ist hier nichts zu lesen.
Rückprojektion Europa
Statt dessen muss der Leser den Eindruck gewinnen, dass eine Auseinandersetzung des lateinischen Westens mit der Antike erst an den hochmittelalterlichen Schulen und Universitäten stattfand, was für die Rezeption philosophischer Texte gewiss richtig ist, die literarische Tradition jedoch unterschätzt. Unter die vernachlässigten Faktoren fällt auch die von Westeuropa aus verbreitete ritterlich-höfische Kultur, ein wesentlich von Laien getragenes Phänomen. Angesichts der Betonung von Erscheinungen des Transfers hätte die Schilderung der politischen Dynamik Frankreichs durch einen Hinweis auf seine kulturelle Ausstrahlung gewonnen. Auch hätte eine Konturierung des ausgehenden Mittelalters als einer Zeit der höfischen Zentren und ihrer Austauschbeziehungen dem Kapitel über die „Regionalisierung des katholischen Europa” Farbe verliehen, das sich auf die im engen Sinn politischen und dynastischen Beziehungen beschränkt.
Der Band ist mit ansprechendem Layout und qualitätvollen Abbildungen auf dem hohen Niveau aufgemacht, das man vom Siedler Verlag gewohnt ist. Nützlich sind insbesondere die beigegebenen Karten. Leider folgt die Bildredaktion der üblichen Gepflogenheit, den Entstehungskontext der Vorlagen nicht immer hinreichend zu erklären, so etwa bei den Bildern Dantes und Petrarcas, die entgegen der Beischrift nicht als Beispiele „authentischer Menschenbilder” des 14. Jahrhunderts dienen können, da sie sichtlich nicht aus diesem Jahrhundert stammen. Hingegen entstammen auf derselben Seite die beiden Bilder der im 13. Jahrhundert lebenden Dominikaner Albertus Magnus und Thomas von Aquin dem 14. Jahrhundert, was nicht erwähnt wird. Auch wird in einem Fall eine alte, aber falsche Bildinterpretation wiederholt: die Abbildung aus Wolframs „Willehalm” zeigt keineswegs eine Versöhnungsszene, sondern illustriert laut Text den bemitleidenswerten Zustand des Helden, der selbst das Mitleid von Muslimen und Juden verdienen würde.
Es steht noch der Band zur Antike aus, als dessen Autor der Münchner Althistoriker Christian Meier gewonnen wurde. Bis jetzt ließ jeder der Verfasser der drei vorliegenden Bände Vorbehalte gegenüber der Anwendung des Begriffs „Europa” auf seinen Darstellungsgegenstand erkennen. Professionellen Historikern widerstrebt offenbar die einfache Rückprojektion „Europas” in seiner heute politisch erwünschten Gestalt. Man darf gespannt sein, ob sich die Alte Geschichte mit Europa leichter tut.
CLAUDIA MÄRTL
MICHAEL BORGOLTE: Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. Siedler Geschichte Europas, Band 2. Siedler Verlag, München 2006. 608 Seiten, 74,00 Euro.
Das Mittelalter, ein Kampf und ein Austausch zwischen den monotheistischen Religionen: Der franziskanische Theologe und Philosoph Ramon Lull aus Mallorca (gestorben 1316) hat sich intensiv mit dem Islam beschäftigt und schrieb auch Werke in arabischer Sprache. Das Bild stammt aus einer Prachthandschrift über das Leben Lulls, die der Arzt und Kanoniker Thomas Le Myésier für die Königin Johanna von Frankreich verfasst hat. Es zeigt den Gelehrten, wie er bei einer Missionsreise von einer aufgebrachten Menschenmenge angegriffen wird.
Abbildung aus dem besprochenen Band
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"Michael Borgolte hat mit seinem Beitrag zur "Siedler Geschichte Europas" ein wichtiges Buch geschrieben. In eine Zeit, die über christliche Bezüge in europäischen Verfassungsdokumenten oder Leitkulturkonzepte diskutiert, stellt Borgolte ein Werk, das nicht zuletzt die religiöse Vielfalt als Kennzeichen europäischer Vergangenheit betont." Geschichte, Politik und ihre Didaktik

"Eine Riesenaufgabe von hoher Aktualität. Borgolte gibt eine genaue und verständliche Nachzeichnung." Gronauer Nachrichten

"Anregend für die Fachwelt." H-Soz-u-Kult

"Überdies beeindruckt sein Buch durch die reiche Kenntnis byzantinischer und islamwissenschaftlicher Fachliteratur, die von den Mediävisten gewöhnlich wenig oder gar nicht rezipiert wird." H-Soz-u-Kult

"Genaue und verständliche Nachzeichnung und eine glänzende Darstellung." Westfälischen Nachrichten

"Das Buch ist opulent, umfangreich und reich bebildert, fast ein kleines Schmuckstück für das bildungsbürgerliche Bücherregal. Jenseits aller Aktualitätsbezüge ist es jedoch auch harter wissenschaftlicher Stoff, Ergebnis eines atemberaubenden Wissens." Kommune Forum

"[Der Autor] schreibt mit der peniblen Trockenheit des Gelehrten, der weiß, dass seine Materie ungeheuer spannend ist." Südkurier

"Wer sich ... auf die Erzählfreude des Autors einmal eingelassen hat, wird sich immer mehr so vorkommen, als bewege er sich ganz langsam über einen bunten, aber wohlgeordneten historischen Basar. ... Hier [ist] ein Historiker am Werk, der sich wie alle Vertreter seiner Zunft seit Thukydides auch in die Diskussionen seiner Zeit einschalten will. Dass solche Diskussionen aber, recht verstanden, eines gehörigen Quantums an Wissen bedürfen, macht das Buch allenthalben deutlich und liefert das Benötigte in eindrucksvoller Weise." Neue Zürcher Zeitung

"Borgoltes Blick auf diese Geschichte ist dabei ein ungewöhnlicher, sozusagen universalhistorischer und transeuropäischer, weil er Gegner und Verlierer der Christianisierung des Mittelalters in seine Perspektive mit einbezieht. ... Das Buch ist opulent, umfangreich und reich bebildert, fast ein kleines Schmuckstück für das bildungsbürgerliche Bücherregal." Tages-Anzeiger

"Geschichtliche Gesamtdarstellungen sind heute selten geworden. Das liegt an der verständlichen Scheu, die Historiker angesichts der Komplexität von Geschichte und ihrer verworrenen Zusammenhänge empfinden. Umso bemerkenswerter ist es daher, wenn ein Historiker wie der Deutsche Michael Borgolte so souverän und leicht von Europa erzählt." Kleine Zeitung

"Das vorliegende historische Standardwerk ist von verblüffender Aktualität. Wer über die Grenzen des heutigen Europa nachdenkt, tut gut daran, auch die Vorgeschichte und das Verhältnis von Christen, Juden und Muslimen im europäischen Mittelalter zu kennen." Passauer Neue Presse

"Eine anregende Lektüre." Damals

"Das Verdienst der voluminösen Monographie Borgoltes liegt in dem Bemühen, gegenüber dem allzu simplen Bild eines monolithischen christlichen Mittelalters die Vielfalt dieses Zeitalters zur Geltung zu bringen, das vom Nebeneinander der Kulturen, ihrer gegenseitigen Anziehung, Abstoßung und Durchdringung geprägt war. (...) Der Band ist mit ansprechendem Layout und qualitätvollen Abbildungen auf dem hohen Niveau gemacht, das man vom Siedler Verlag gewohnt ist." Süddeutsche Zeitung

"Staunenswert ist schon allein, wie locker Borgolte sein Riesengebiet überblickt und bewältigt. ... Dieser Autor gehört einer neuen Historikergeneration an, die das europäische Mittelalter als Schmelztiegel von Ideen und Methoden ernst nimmt. So kommt denn aus solch souveräner Gipfelperspektive eines staunenswert gebildeten Europa-Historikers Deutschland auch in der Geschichtsschreibung dort an, wohin es sowieso gehört: in der Mitte des Kontinents." Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Borgoltes Buch ist eine Fundgrube für jeden, der jene Momente in der europäischen Geschichte sucht, in denen jemand sich nicht auf eine Identität beruft, um andere niederzuargumentieren und/oder niederzumetzeln, sondern um mit allen, die da sind, zusammen Staat, Nation, Gemeinschaft zu machen. Borgoltes große, dicke Geschichte wäre aber keine, wenn sie sich auf kurze Formeln bringen ließe. Man muss sich schon die Mühe machen, das Buch Zeile für Zeile zu lesen, um seinen Reichtum zu entdecken. Eines lehrt Borgoltes Buch: Bescheidenheit. Wir sind nicht weiter, wir sind nicht besser, klüger. Wir basteln an den gleichen Problemen herum, so ungeschickt, so hilflos wie Wladimir von Nowgorod. Mit keiner Hoffnung auf einen besseren Ausgang." Berliner Zeitung

"Der Autor öffnet den Blick für die Chancen des Dialogs mit dem Islam." Lausitzer Rundschau

"'Christen, Juden, Muselmanen' ist ein großer historischer Wurf von überraschender Aktualität." Fantasia aktuell

"Das Anliegen Borgoltes, die gemeinsame Geschichte der drei großen monotheistischen Religionen Europas darzustellen, ist ... insgesamt gelungen umgesetzt und hat zu einer überaus lehrreichen Darstellung geführt, die jedem empfohlen sei, der nach neuen Zugängen zur mittelalterlichen Geschichte sucht." Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Gottfried Schramm von Michael Borgoltes Arbeit über die Grundlegung des modernen Europas im europäischen Mittelalter. Mit dessen Deutungen ist er gleichwohl nicht immer einverstanden. Er bescheinigt dem Autor auf jeden Fall profunde Sachkenntnis und stupendes Wissen. Zugleich fühlt er sich von der Fülle des angehäuften Materials manchmal fast ein wenig erschlagen. Borgoltes Ansatz, das Mittelalter vom konfrontativen Verhältnis der drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam her zu verstehen, findet Schramm durchaus originell. Gerade hier aber liegen auch seine Einwände. So bewertet er den Einfluss des Judentums bei der Gestaltung Europas zurückhaltender als Borgolte und akzentuiert auch die Gegenüberstellung des christlichen Abendlandes und des islamischen Morgenlandes anders. Kritisch betrachtet Schramm schließlich das Gewicht, das Borgolte auf die Kirchen- und Religionsgeschichte legt, während die politische Ordnung und die Universitätsgeschichte seines Erachtens zu kurz kommen.

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"Überdies beeindruckt sein Buch durch die reiche Kenntnis byzantinischer und islamwissenschaftlicher Fachliteratur, die von den Mediävisten gewöhnlich wenig oder gar nicht rezipiert wird." H-Soz-u-Kult