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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2008

Wie man Gebirge von Vorurteilen abräumt
Rundum gelungen: Der zweite Band des deutsch-französischen Geschichtsbuches für die Oberstufe
In dem Maße, wie die verklärende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte als Medium nationaler Selbstvergewisserung verblasst, wächst die Chance, bislang konkurrierende Erzählungen und Deutungen derart zu vermitteln, dass sich Erkenntnisgewinn einstellt. Diese Chance wurde mit dem 2003 angeregten Projekt eines gemeinsamen deutsch-französischen Werks für den Geschichtsunterricht in den gymnasialen Oberstufen beider Länder, von dem jetzt der zweite von insgesamt drei Bänden veröffentlicht wurde, realisiert. Im Unterschied zum ersten Band, der die weltgeschichtliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-französischen Verhältnisses von 1945 bis in die Gegenwart darstellte und an dem zu Recht manche Kritik geübt wurde, ist der jetzt vorgelegte zweite Band, der „Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945” behandelt, ein rundum gelungener Wurf.
Das ist umso bemerkenswerter, als das Geschehen in dieser Epoche lange Zeit beiderseits des Rheins in der Perspektive einer deutsch-französischen „Erbfeindschaft” interpretiert wurde. Das bedingte zählebige antagonistische Deutungen, die noch dadurch erhärtet wurden, dass sie ausgiebig propagandistisch ausgeschlachtet und zur Rechtfertigung der je aktuellen Politik in dieser Zeit genutzt wurden. Auf Vorwürfe eines spätestens seit Ludwig XIV. angeblich historisch verbürgten Interventionsstrebens Frankreichs, mit denen Bismarck beispielsweise im September 1870 in den Friedensverhandlungen mit Adolphe Thiers die von ihm verlangte Abtretung von Elsaß-Lothringen begründete, antwortete Clemenceau dann 1918/19 mit einer Reihe von historisch-politischen Pamphleten, die ebenso pauschal das Deutsche Reich einer entsprechenden Aggressivität gegenüber Frankreich beschuldigten und die dazu dienten, die harten Friedensbedingungen des Versailler Friedens zu rechtfertigen.
Vom Nutzen der Gehässigkeit
Historiker beider Länder ließen es sich lange angelegen sein, diese Ansichten argumentativ zu unterfüttern, die nicht zuletzt durch den Geschichtsunterricht in den Schulen vermittelt das historische und damit auch das politische Bewusstsein ganzer Generationen prägten.
Das erhellt, warum vor allem in dem jetzt vorliegenden zweiten Band des deutsch-französischen Geschichtswerks wahre Gebirge von eingelebten Vorurteilen und Fehldeutungen abgeräumt werden mussten. Das Ergebnis überzeugt umso mehr, als die in insgesamt 19 Kapitel gegliederte Darstellung die alten Frontlinien gehässiger Interpretation nicht verwischt, sondern diese durch jeweils gezielte Infragestellungen für einen Gewinn an historischer Einsicht genutzt wurden. Voraussetzung dafür, diesen pädagogisch auszumünzen, ist jedoch, dass die Geschichtslehrer es verstehen, die Fülle der didaktischen Handreichungen dieses Lehrbuchs im Unterricht angemessen umzusetzen, was angesichts der angeschnittenen Fülle von Themen und Perspektiven ein hohes Maß an Wissen und pädagogischer Kompetenz verlangt.
Im besonderen gilt das dafür, dass nicht die Ereignisfolge der politischen Geschichte so gut wie ausschließlich dargestellt, sondern dass auch gesellschafts-, kultur-, religions- und kunstgeschichtliche Entwicklungen in Dossiers, die den einzelnen Kapiteln hinzugesellt sind, ausführlich berücksichtigt werden. Zwar knapp, aber durch eine Fülle von Schaubildern anschaulich dargestellt werden so die großen Unterschiede etwa im Verständnis von Religion, Staat und Gesellschaft herauspräpariert, die in Frankreich und Deutschland vorhanden sind. Hervorzuheben sind auch die zahlreichen Zitate aus zeitgenössischen Quellen, die sehr anschaulich die jeweiligen Urteile und Vorurteile, von denen die wechselseitige Wahrnehmung von Deutschen und Franzosen stark beeinflusst wurde, illustrieren.
Dank der schier erschöpfenden Vielfalt der angeschnittenen Themen, die jeweils mit Verweisen auf weiterführende Literatur zu einem vertiefenden Selbststudium einladen, ist dieser zweite Band des deutsch-französischen Unterrichtswerks nichts weniger als ein Beispiel pädagogisch-historischer Aufklärungsarbeit. Man kann deshalb nur darauf hoffen, dass dieses Maßstäbe setzende Werk im Oberstufenunterricht beiderseits des Rheins auch die Nutzung erfahren wird, die es verdient.JOHANNES WILLMS
DANIEL HENRI, GUILLAUME LE QUINTREC, PETER GEISS (Hrsg.): Histoire/Geschichte. Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945. Ernst Klett Verlag Stuttgart u. Leipzig für die deutsche und Nathan, Paris, für die französische Ausgabe.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2008

Historische Verständigung
Der zweite Band des deutsch-französischen Geschichtsbuchs ist mehr als ein Schulbuch / Von Heike Schmoll

BERLIN, 7. April

"Ich will den Hass gegen die Franzosen . . . ich will ihn für immer." Das schrieb Ernst Moritz Arndt, der Privatsekretär des preußischen Reformers Freiherr vom Stein, 1813 im Kontext der Kriege gegen die französische Vorherrschaft in Deutschland. Knapp zweihundert Jahre später erscheinen solche Feststellungen nicht nur unzeitgemäß, sondern fast unwirklich. Denn nun wird der zweite Band des deutsch-französischen Geschichtsbuchs vorgestellt, das für die Oberstufe aller 16 Bundesländer und für die französischen Gymnasien zugelassen ist. Offensichtlich mussten erst die Grenzen zum Nachbarland überwunden werden, um ein länderübergreifendes Geschichtsbuch für die Oberstufe herauszubringen, das auch noch den neuen Bildungsstandards und den Abiturvorgaben der Länder entspricht. Am Mittwoch wird es in Berlin vom französischen Bildungsminister Xavier Darcos und dem Bevollmächtigten für die deutsch-französische Zusammenarbeit, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), präsentiert.

Das Projekt geht zurück auf eine Bitte des deutsch-französischen Jugendparlaments vom 23. Januar 2003, durch ein deutsch-französisches Geschichtsbuch die Unwissenheit der jüngeren Generation auf beiden Seiten zu mindern. Der zweite Band des insgesamt auf drei Bände angelegten Projekts umfasst die europäische und deutsch-französische Geschichte vom Wiener Kongress bis 1945 (Histoire/Geschichte, Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945, Nathan/Klett 2008).

Während der zunächst vorliegende Band so manchen misslichen Fehler aufwies, merkt man diesem Band an, dass er mit größerer Ruhe fertiggestellt und sorgfältig überarbeitet wurde. Das deutsch-französische Autorenteam hat sich längst zusammengefunden und lässt sich nicht mehr unter Druck setzen. Die lange Zeit strittigen Fragen - etwa zur Bedeutung Elsass-Lothringens - spielen heute eine geringere Rolle. Jetzt diskutieren die Historiker und Didaktiker aus beiden Ländern eher über zusätzliche Themen - etwa ein Dossier über die Rolle der Frau. Noch überzeugender als im ersten Band ist es gelungen, auf engstem Raum Geschichte darzustellen, aber auch sozialgeschichtliche Entwicklungen, religionsgeschichtliche und vor allem kulturgeschichtliche stärker zu berücksichtigen.

So findet sich ein eigenes Kapitel über die Ursprünge der modernen Kunst, über Romantik und Impressionismus mit Beispielbildern und den unerlässlichen Begriffserklärungen, von den Dossiers über die Belle Époque, die Kultur der Weimarer Republik und Picasso, die notwendige Erläuterungen zum zeitgeschichtlichen Kontext bringen, ganz zu schweigen. Die Schüler lernen dabei auch, dass die klassische Epoche in Frankreich und Deutschland keineswegs gleichzusetzen ist, denn die französische Klassik bezieht sich auf Literatur und Künste des "grand siècle" in der Regierungszeit Ludwigs XIV. All das findet sich in einem übersichtlichen Kasten unter der Titelzeile "Deutsch-Französischer Perspektivwechsel". Auf engstem Raum werden hier die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Denktraditionen der beiden Länder dargestellt.

In einem eigenen Kapitel über die Schulen in der Dritten Französischen Republik und im deutschen Kaiserreich spiegelt sich eines der wichtigsten Erziehungsziele etwa der École Maternelle bis heute in einem Text von Buisson: "Um jemanden zu einem Republikaner zu machen, muss man den Menschen nehmen . . . und ihm die Vorstellung geben, dass er selbst denken soll . . . Um selbst vernünftig urteilen zu können, ist ein langer und gründlicher Unterricht nötig." Verdienstvoll ist auch das Kapitel zu Staat und Religion und den damit verbundenen unterschiedlichen Entwicklungen (Trennung von Staat und Kirche in Frankreich, in Deutschland jedoch nicht). Eine Karte über die Verteilung der unterschiedlichen Religionen in Europa sowie das Glaubensbekenntnis der Heilsarmee öffnen den Blick auf die Rolle der Religion überhaupt.

Wirkliches Verständnis für die Prägungen des Nachbarlandes geben die zeitgenössischen Quellen zur gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Franzosen. Um 1900 und im Grunde bis heute gilt: "Der Franzose nennt mit Selbstgefühl sein Volk la grande nation, und es ist groß, insofern es Sinn für das Große hat. Die Begriffe Vaterland, Ehre, Ruhm (oder richtiger gloire) haben über ein französisches Herz eine wunderbare Macht."

Neu hinzugekommen sind in diesem Band die historiographischen Dossiers, die dem französischen Geschichtsunterricht bisher weitgehend fremd waren. Dazu zählt eine Doppelseite unter der Frage "War die Weimarer Republik zum Scheitern verurteilt?", aber auch über den Faschismus, die Rolle Hitlers im Spiegel der Forschung oder das Dossier zur Entwicklung des Totalitarismus, das in der Arbeitsgruppe heftig diskutiert wurde. Überall finden sich kurze Quellentexte und weitere Literaturhinweise, so dass sich interessierte Leser selbständig weiterbilden können. Die Hinweise beziehen sich keineswegs nur auf Texte, sondern auch auf künstlerische Darstellungen, Filme und Internetseiten. Gleichzeitig werden gezielte europäische Vergleiche ermöglicht - etwa über die Entwicklung des Personenkults um Stalin und sein Regime, die Sowjetherrschaft der dreißiger Jahre. Bilanz-Kapitel fassen die wichtigsten Daten auf engstem Raum zusammen und bieten eine Synopse der Schlüsselbegriffe auf Deutsch, Französisch und Englisch.

Wie im bereits vorliegenden Band spielen Karten eine besondere Rolle, die etwa die Frontverläufe im Ersten und Zweiten Weltkrieg zeigen, aber auch ein gezieltes Lesen und Kommentieren von Karten trainieren. So wird auf einer Doppelseite erläutert, wie Geschichtskarten zu lesen und zu interpretieren sind, um Quellentexte und Darstellung sinnvoll zu ergänzen. Zu den erschreckendsten Darstellungen gehören das System der Konzentrationslager sowie ein Lageplan von Auschwitz. Es ist sinnvoll, der Phase des Widerstands und der Judenvernichtung so breiten Raum zu geben und dabei vor allem Quellen, Zeitzeugen und Bilder sprechen zu lassen. Um möglichen Diskussionen etwa über die Anzahl der Opfer in den verschiedenen Ländern (aufgeteilt nach Zivilisten insgesamt, Soldaten und ermordeten Juden) vorzubeugen, kommen andere Sichtweisen in den Fußnoten zu Wort.

Es ist kein Wunder, dass das Buch im Frühsommer auch in einer koreanischen und einer japanischen Fassung erscheinen wird. Es ist ein Vorbild für die beiden Nachbarstaaten. Auch dort wird es weit über die Schulen hinaus Verbreitung finden.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Johannes Willms zeigt sich sehr angetan von diesem Musterbeispiel "pädagogisch-historischer Aufklärungsarbeit". Die Herausgeber Daniel Henri, Guillaume Le Quintrec und Peter Geiss beleuchten in dem Schulbuch auf eine seiner Meinung nach gelungene, weil historische Konfliktlinien offensiv benennende Weise die deutsch-französische Geschichte. Im Vergleich zum weniger fokussierten ersten Band über die Zeit seit 1945 ist dieser zweite Band, der sich mit der Geschichte vom Wiener Kongress bis zum Zweiten Weltkrieg befasst, nach Meinung des Rezensenten "ein rundum gelungener Wurf". Allerdings verlangt er den Pädagogen, die den Stoff dieses Schulbuchs vermitteln sollen, einiges ab - gerade weil "die alten Frontlinien gehässiger Interpretation nicht verwischt, sondern diese durch jeweils gezielte Infragestellungen für einen Gewinn an historischer Einsicht genutzt" werden. Auch gesellschaftliche Unterschiede werden in dem Buch knapp, aber anschaulich thematisiert. Alles in allem ein sehr gelungenes Unterfangen, findet Willms.

© Perlentaucher Medien GmbH