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der ’Ndrangheta
Die ’Ndrangheta ist eine der geheimnisvollsten Organisationen der organisierten Kriminalität und im Grunde das größte Familienunternehmen der Welt. In Deutschland ist sie durch den Sechsfachmord 2007 vor einem Duisburger Restaurant bekannt geworden. Kaum jemand hat das Schweigegelübde der durch Familienbande eng verwobenen Organisation gebrochen. Giuseppe Di Bella tat es – jahrzehntelang war er die rechte Hand eines ’Ndrangheta-Bosses, der in Norditalien die Organisation aufbaute. Seiner krebskranken Frau versprach er am Totenbett, reinen Tisch zu machen, um dem gemeinsamen Sohn eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Er griff zum Telefonhörer und rief den Journalisten Gianluigi Nuzzi an, der mit seinem Buch „Vatikan AG“ bekannt geworden ist. Gemeinsam mit seinen Kollegen Claudio Antonelli hat er den reuigen Kriminellen vielfach getroffen, in einer Bäckerei, genauso wie in dessen Wohnung. Die beiden Journalisten kamen stets in Handwerkerkluft, und bei den Gesprächen lief ständig der Fernseher, damit die Nachbarn nichts mitbekamen. Es hat sich gelohnt, dass sie der Lebensbeichte des Verbrechers zugehört haben. Bei der Präsentation des Buches in Berlin verbarg Di Bella sein Gesicht hinter einer venezianischen weißen Gesichtsmaske. Er hat eine Verlängerung des Zeugenschutzprogramms für Kronzeugen nach zehn Jahren abgelehnt und ist sich zu „99,9 Prozent sicher“, eines unnatürlichen Todes zu sterben.
Lesenswert ist das Buch schon wegen des Psychogramms der ’Ndrangheta. Einer Organisation, die vielfach in Italien und Europa „unterschätzt“ worden sei und deren Aktivitäten in Norditalien lange bestritten worden seien, wie Nicola Gratteri schildert. Er ist Oberstaatsanwalt in der Reggio di Calabria, der Ursprungsregion der ’Ndrangheta und gilt als einer der wichtigsten Mafia-Ermittler Italiens. Erst kürzlich hat er den für die Duisburger Morde verantwortlichen Mafia-Killer Giovanni Strangio lebenslänglich hinter Gittern gebracht. Das Buch verrate viel über die „Mentalität“ innerhalb der Organisation, sagte Gratteri bei der Buchpräsentation in Berlin. Der Leser lernt die Aufnahmerituale der Verbrecherorganisation kennen, bei denen sich die Mitglieder zum absoluten Gehorsam verpflichten. Erschreckend sind die Schilderungen über die Verbreitung der Organisation, deren Jahresumsatz das Europäische Institut für politische, ökonomische und soziale Studien (Eurispes) in Rom auf 44 Milliarden Euro schätzt. Dies entspricht 2,9 Prozent des italienischen Bruttosozialprodukts. So besitze die ’Ndrangheta das Großhandelsmonopol in Europa für Kokain.
Spannend sind die Schilderungen über die angeblichen Verbindungen des Modeschöpfers Gianni Versace zur ’Ndrangheta. Di Bella will den Modezaren sogar einmal mit einem ’Ndrangheta-Boss in einem Eiscafé gesehen haben. Offen bleibt, ob der Modedesigner tatsächlich Geld für die Mafia gewaschen oder wertvolle gestohlene Bilder an Kunden vermittelt hat. Die Familie bestreitet jede Verbindung.
Versace wurde im Jahre 1997 in Miami Beach in Florida ermordet. Um dessen sterblichen Überreste rankt sich eine Aussage von Di Bella: Er habe den Auftrag erhalten, die Asche Versaces aus dem Grab zu stehlen. Zur Begründung will er erfahren haben, dass es sich bei der Leiche gar nicht um Versace handeln sollte. Den Autoren ist jedoch nicht daran gelegen, eine verklärende Geschichte aus der Mafia-Welt zu erzählen. Ihnen geht es um eine genaue Aufklärung der Innenwelt dieser Verbrecherorganisation. Das ist ihnen mit diesem absolut lesenswerten und spannenden Buch gelungen. Di Bella sei Dank!
Caspar Dohmen
Gianluigi Nuzzi, Claudio Antonelli: Metastasen. Ein Kronzeuge der ’Ndrangheta enthüllt die Geheimnisse des größten Familienunternehmens der Welt. Aus dem Italienischen von Elisabeth Liebl. Ecowin Verlag, Salzburg 2011. 279 Seiten. 21,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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