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A biography of one of the most important historians of the age by another

Produktbeschreibung
A biography of one of the most important historians of the age by another
Autorenporträt
Richard Evans was Regius Professor of history at Cambridge University and, until his retirement, President of Wolfson College. He is Provost of Gresham College in London, and was knighted for his service to scholarship in 2012.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2019

Der Liebling der Linken im Zeitalter der Extreme
Dem Kommunismus hat er nie abgeschworen: Richard J. Evans hat viel Sympathie für das Leben des englischen Historikers Eric Hobsbawm

Eric Hobsbawm war einer der größten Historiker des zwanzigsten Jahrhunderts und zugleich einer der weltweit geachtetsten öffentlichen Intellektuellen des "Zeitalters der Extreme", wie Hobsbawm selbst sein Buch zur Geschichte des kurzen zwanzigsten Jahrhunderts überschrieben hat. Er entstammte einer jüdischen Familie - sein Großvater war in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aus "Kongress-Polen" nach Großbritannien gekommen. Sein bereits in England geborener Vater folgte seinem Cousin 1913 nach Ägypten, um im dortigen Post- und Telegraphenamt zu arbeiten. Hier lernte er auch Nelly Grün aus der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie kennen. Sie heirateten mitten im Weltkrieg, mit einer Ausnahmegenehmigung des britischen Konsuls. 1917 wurde Eric in Alexandria geboren - ein Kind des zu Ende gehenden Zeitalters der Imperien.

Nach dem frühen Tod der Eltern zog der vierzehnjährige Eric 1931 nach Berlin zu seinem Onkel, wo ihn seine Erfahrungen und Bekanntschaften, unter anderen mit dem jungen Stephan Hermlin, zum Kommunisten machten. In seiner Autobiographie gab er später zu Protokoll, dass es für jüdische Intellektuelle in den dreißiger Jahren nur die Wahl zwischen Zionismus oder Kommunismus gegeben habe. Dass es dazwischen und daneben viele andere Möglichkeiten gab, ignorierte Hobsbawm souverän, um seine Lebensentscheidung für den Kommunismus zu rechtfertigen. Viele seiner Freunde und Weggefährten aus den dreißiger Jahren wendeten sich im Laufe der Zeit, spätestens 1968, vom Kommunismus ab, angewidert von den stalinistischen Verbrechen und den inhumanen Diktaturen der sogenannten Volksdemokratien. Nicht so Hobsbawm, der bis zu seinem Tod Parteimitglied blieb und in seinen Publikationen nie mit dem Kommunismus abrechnete, ja nicht einmal einen halbwegs kritischen Blick auf ihn richtete. Im "Zeitalter der Extreme" rechtfertigt er den Kommunismus noch damit, dass es ohne ihn im Westen kein sozialdemokratisches Zeitalter gegeben hätte, welches das Raubtier Kapitalismus zumindest für kurze Zeit hatte bändigen können.

Richard Evans entscheidet sich dafür, den Kommunisten Hobsbawm kurzerhand zum Sozialdemokraten zu erklären. Sicher, er war ein enger Freund Giorgio Napolitanos und ein Anhänger des Eurokommunismus; auch mit dem ehemaligen britischen Premier und langjährigen Schatzkanzler Gordon Brown war er befreundet, und führende Labour-Politiker in Großbritannien schätzten spätestens seit den achtziger Jahren seinen Rat. Aber er sagte sich nie vom Kommunismus los und blieb bei einer rosaroten Brille, wenn es um den real existierenden Sozialismus ging. Evans' eindeutige Sympathien für Hobsbawm verleiten ihn dazu, seine eigenen politischen Sympathien für die Sozialdemokratie mit denen seines Gegenstandes gleichzusetzen, was den Stellenwert des Kommunismus in Hobsbawms Leben zu niedrig ansetzt.

Was Evans dagegen wunderbar gelingt, ist, das persönliche Leben Hobsbawms ganz in den Vordergrund seiner Biographie zu stellen. Auf der Grundlage von Hobsbawms Tagebüchern, seiner Korrespondenz und seines umfangreichen Nachlasses zeichnet Evans ein lebendiges Bild des Privatmenschen Hobsbawm - etwas, das man in Hobsbawms Autobiographie vergeblich sucht. Hobsbawms Sexualität, sein kompliziertes Verhältnis zu Frauen, seine Selbstzweifel über seine äußere Erscheinung, seine Beziehungen zu Kindern, Familie und Freunden, all das wird hier ausführlich und einfühlsam dargestellt. Der literarische Erzähler Evans zieht seine Leser in den Bann, die schriftstellerische Qualität stellt eine enge Beziehung zu Hobsbawm her, der selbst immer auch ein wunderbarer Erzähler war.

Evans bedauert es, dass besonders in Großbritannien Hobsbawms politisches Engagement oftmals seine historischen Arbeiten überlagerte, weshalb er auch dessen akademischer Karriere große Aufmerksamkeit widmet. Von den dreißiger bis in die sechziger Jahre wird Hobsbawm immer wieder vom britischen Geheimdienst überwacht. Aufgrund seiner politischen Überzeugungen bleiben ihm Anstellungen verwehrt, und seine Publikationen werden mehr als einmal von Zeitschriften und Verlagen abgelehnt.

Dennoch zeichnet Evans das Bild eines ungemein selbstsicheren und von seinen eigenen intellektuellen Fähigkeiten absolut überzeugten Hobsbawm, der schon als Student in Cambridge keinerlei Zweifel an eigenen Positionen zu kennen scheint. Das Birkbeck College der Universität London, eine Art Abenduniversität für berufstätige Studierende, wird ihm schließlich zur akademischen Heimat. Sehr spannend sind Evans' Ausführungen zur zentralen Rolle von Hobsbawm bei der Gründung von "Past and Present", sein spannungsreiches Verhältnis zu E. P. Thompson und sein beständiges Bemühen, Geschichte nicht nur für einen kleinen Kreis von Historikern und Historikerinnen zu schreiben.

Hobsbawm prägte auch zahlreiche Begriffe und Konzepte, wie etwa "social banditry", das ganze Forschungsbibliotheken zu diesem Phänomen entstehen ließ. Trotz seines großen Einflusses auf viele Historiker hat Hobsbawm keine Schule hinterlassen, was sicher auch darin gründet, dass das eigene kritische Infragestellen von etablierten Positionen zum Signum des Hobsbawmschen Denkens wurde. Eine solche Geisteshaltung verbindet sich nur schlecht mit einem jüngerhaften Lehrer-Schüler-Verhältnis. Dabei war die Lehre Hobsbawm zeitlebens wichtig. Zahlreiche ehemalige Schüler bekräftigen, welche Ausstrahlungskraft er als akademischer Lehrer hatte, und es ist bezeichnend, dass er nach seiner Emeritierung in Großbritannien noch jahrelang an der New School in New York lehrte.

Hobsbawm ist seit den neunziger Jahren weltweit mit Ehrungen überhäuft worden. Am Ende seines langen Lebens war er, der kommunistische Außenseiter, der Liebling einer verbliebenen revolutionären antikapitalistischen Linken, etwa in Lateinamerika, zu einem festen Bestandteil des britischen Establishments und zu einem gefeierten Intellektuellen geworden.

STEFAN BERGER.

Richard J. Evans: "Eric Hobsbawm. A Life in History".

Little, Brown Book Group, New York 2019. 800 S., geb., 30,- [Euro].

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