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Framed by ten words or phrases common in the Chinese vernacular, China in Ten Words reveals as never before the worlds most populous yet most often misunderstood nation. This is a refreshingly candid vision of the Chinese miracle and all its consequences, from the singularly invaluable perspective of a leading writer living in China today.

Produktbeschreibung
Framed by ten words or phrases common in the Chinese vernacular, China in Ten Words reveals as never before the worlds most populous yet most often misunderstood nation. This is a refreshingly candid vision of the Chinese miracle and all its consequences, from the singularly invaluable perspective of a leading writer living in China today.
Autorenporträt
Yu Hua, geb. 1960 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang, hat fünf Jahre als Zahnarzt praktiziert, bevor er Schriftsteller wurde. 'China in zehn Wörtern' durfte in China nicht erscheinen, in Frankreich und den USA erhielt das Buch hymnische Kritiken. Yu Hua lebt in Peking.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2013

Die Codewörter muss man kennen

Wie sich Kapitalismus und Maoismus doch gegenseitig erhellen: Yu Hua führt chinesische Lebenskunst in zehn pointierten Essays mit viel Sinn für skurrile Details vor Augen.

So ein Buch hat es über Chinas Aufstieg noch nicht gegeben. Denn die individuellen Aufstiegsgeschichten, die der Schriftsteller Yu Hua in seinem neuesten Werk erzählt, um sein Land zu erklären, sind so komisch, traurig und absurd, dass sie stets schon auf der Kippe zum Abstieg stehen, den sie meist dann auch tatsächlich noch vollziehen. "China in zehn Wörtern" heißt das Buch, und das klingt erst einmal nach einer typischen China-Expertise, die aus der Vogelperspektive ihr Wissen ausbreitet. Doch in Wirklichkeit stecken in den zehn Essays lauter literarische Miniaturen, die eher von schräg unten her auf die Welt gucken - nur dass ihr Stoff nicht erfunden ist, sondern dem Leben des Autors und seiner Landsleute entstammt.

Zum Beispiel dem Leben jenes unscheinbaren, etwas ängstlichen Mannes aus Yus Heimatstadt, über den sich die Kinder lustig machten, als die Kulturrevolution hereinbrach und ihm eine einmalige Chance eröffnete. Alle Leute, schreibt Yu Hua, wollten damals Teil irgendeiner Rebellenorganisation werden, doch keine wollte den harmlosen Mann aufnehmen. Da ließ er sich ein Siegel schneiden und gründete selbst eine "Die Mao-Tse-tung-Ideologie ist unbesiegbar!"-Agitpropgruppe, die nur ihn als Mitglied hatte. Mit seinem Siegel, einer Trillerpfeife und einer Ausgabe des kleinen roten Buchs mit Mao-Zitaten ausgerüstet, lief er durch die Straßen der kleinen Stadt und hielt wahllos Passanten an, denen er mit lauter Stimme befahl: "Seite 23 aufschlagen! Wir lesen jetzt gemeinsam ein Wort des Vorsitzenden Mao!"

Sich einer solchen Aufforderung zu widersetzen, wäre in der damaligen Konstellation riskant gewesen, und so stieg der bis dahin unauffällige Mann innerhalb kurzer Zeit zum obersten aller Rebellen der kleinen Stadt auf. Überall, wo seine Trillerpfeife erscholl, versammelten sich die Menschen, um im Chor Mao-Zitate zu rezitieren und danach noch väterlich zum fleißigen Selbststudium daheim ermahnt zu werden. Dank seines Siegels war er zudem in der Lage, Empfehlungsschreiben auszustellen, mit denen man inmitten des damaligen Stillstands aller Behörden, Betriebe und Schulen kostenlos über Land reisen konnte. So war er nicht nur gefürchtet, sondern populär - obwohl er doch, wie Yu Hua ein Sprichwort zitiert, bloß ein Fuchs war, der sich die Macht des Tigers zunutze machte. Sein Ruhm dauerte so lange, bis ihm beim Besuch einer öffentlichen Toilette das Siegel in die Jauchegrube fiel und ein Rotgardist ihn lauthals als Konterrevolutionär beschimpfte, der die Mao-Tsetung-Ideologie ins Klo schmeiße.

Obwohl der Rotgardist auf die Sache später nicht zurückkam, war der Mann gebrochen. Immer noch hielt er Passanten mit seiner Trillerpfeife an, doch jetzt drängte er ihnen seine von Selbstohrfeigen begleitete Anklage auf: "Tausendmal habe ich den Tod verdient! Hab die Mao-Tse-tung-Ideologie ins Klo fallen lassen!" - eine Selbstkritik, die die Passanten nach Lage der Dinge mit einer mindestens so scharfen Kritik an ihm quittieren mussten, um ihre revolutionäre Reinheit unter Beweis zu stellen. Schließlich verstummte der Mann und verschwand in der Versenkung der Erinnerung der kleinen Stadt.

Die mit Lakonik und viel Sinn für die grotesken Details erzählte Anekdote ist nicht bloß eine Kuriosität aus einer vergangenen Ära. Die Pointe von Yu Huas Aufsteiger-Galerie ist, dass er die chinesische Gegenwart für nicht weniger extrem als die Zeit der Kulturrevolution hält, was ihre Bodenlosigkeit betrifft und ihre Fähigkeit, mit zielsicher benutzten Anmaßungen und Fiktionen das Unterste zuoberst zu kehren. Beide Konstellationen erlaubten es Menschen, die nichts zu verlieren haben, alles auf eine Karte zu setzen und aus dem Nichts ein Traumschloss nach dem nächsten zu errichten. Wobei es selbstredend nicht auf Authentizität ankommt, sondern auf den Blick für die günstige Gelegenheit, die ihnen die Geschichte eröffnet. So wie der Außenseiter aus der Provinz über Nacht nach oben kam, in dem er kurzerhand Maos Demagogie für sich usurpierte, bringt auch die Epoche der sozialistischen Marktwirtschaft ein Heer von lebensklugen Habenichtsen hervor, die aus der geringsten Lücke im System ein Vermögen machen.

Der Autor erzählt eine Geschichte aus den Anfängen des chinesischen Kapitalismus, als das Staatsfernsehen die wertvollen fünf Sekunden Werbezeit vor den täglichen Abendnachrichten meistbietend versteigerte. Ein Privatunternehmer, der es bislang nur zu einem bescheidenen Vermögen gebracht hatte, witterte da die Chance, ganz groß herauszukommen. Er reiste nach Peking und erwarb die Werbezeit für den sagenhaften Preis von achtzig Millionen Yuan (fast zehn Millionen Euro). Zurück in seiner Heimatstadt, unterrichtete er die Kreisparteileitung darüber, dass er für die gesamte Stadt den Titel "Auktionskönig" erworben habe, er selbst aber nur über wenig Geld verfüge: "Was nun? Wenn Sie mich unterstützen, so hat unsere kleine Stadt einen landesweit berühmten Unternehmer hervorgebracht; falls nicht, den größten Betrüger im ganzen Land. Sie können es sich ja überlegen." Er hatte die Renommiersucht der örtlichen Funktionäre richtig eingeschätzt und wurde für seinen Bluff tatsächlich belohnt.

Doch nicht die Hochstapelei selbst ist der springende Punkt in Yu Huas hintergründigem Sittenbild, sondern eine Art permanente Revolution, in der sich die herkömmlichen Unterscheidungskriterien zusehends auflösen und deren Eckpunkte das gegenwärtige Alltagschinesisch durch drei Begriffe kennzeichnet, in denen mehr steckt, als man ihnen von außen ansieht: Graswurzeln, Gebirgsdorf, Schaukeln. Mit "Graswurzeln" (caogen) sind in Yu Huas Lesart kleine Leute ohne Protektion gemeint, denen es dank ihrer zielstrebigen, eigenständigen und unorthodoxen Denkweise manchmal gelingt, groß zu werden, und sei es mit Müllsammeln oder dem Blutverkauf an Krankenhäuser.

Mit "Gebirgsdorf" (Shanzhai), früher ein Wort für Zonen außerhalb der Behördenreichweite, werden heute Kopien von Markenprodukten bezeichnet, die ihren Nachahmungscharakter nicht verstecken, sondern stolz, bisweilen ironisch, ausstellen. Über die Schattenwirtschaft hinaus ist daraus mittlerweile ein alle möglichen Lebensbereiche erfassender kultureller Code geworden, der sich gegen Interpretationsmonopole jeglicher Art wendet. Als besonders markantes Beispiel berichtet der Autor von einem florierenden Bordell in Südchina, dessen Management sich die Organisationsstruktur der Kommunistischen Partei gegeben hatte und auch regelmäßig "Bestarbeiterinnen" auszeichnete.

"Schaukeln" (huyou) schließlich ist durch seine Lautähnlichkeit mit einem Begriff für Verleiten, Verführen, Manipulieren zu einem Modewort geworden, mit dem der systematische Täuschungscharakter vieler Aktionen von Behörden, Unternehmen und Privatpersonen bezeichnet wird. Auch hier erhellen sich maoistische und kapitalistische Ära gegenseitig. Schon beim "Großen Sprung" Ende der fünfziger Jahre, der in einer verheerenden Hungersnot endete, hieß es: "Das Feld bringt so viel, wie der Mensch von ihm will!"

Die Gebräuchlichkeit dieser subversiven Begriffe ist schon von sich aus interessant. Sie mildern die zynische Härte des Gemeinten ab, indem sie sie augenzwinkernd verkleiden, doch zugleich machen sie sie dadurch überhaupt erst benennbar. Ähnlich scheint es sich auch bei Yu Hua selbst zu verhalten, der in Romanen wie "Der Mann, der sein Blut verkaufte" oder "Brüder" schon eine Menge ausgesucht bizarre Karrieren geschildert hatte. In "China in zehn Wörtern" gibt er auch Bruchstücke seiner eigenen Autobiographie preis, insbesondere den Schlüsselmoment jener von Albträumen durchschüttelten Nacht, die ihn von den drastischen Gewaltszenen, durch die er in den achtziger Jahren in China berühmt wurde, abbrachte.

Er war in einer Umgebung groß geworden, in der Tod und Gewalt alltäglich waren: neben der Leichenhalle des Krankenhauses, in dem sein Vater als Chirurg arbeitete, und in einer Zeit, als nicht nur politische Denunziationen, sondern auch Exekutionen öffentlich zelebriert wurden. Die Leute strömten auf dem Sportplatz der Schule zur Urteilsverkündung zusammen und rannten danach zur Küste, um die Vollstreckung mitzuerleben. Diese Kindheitserinnerungen kehrten jetzt mit unüberbietbarer Präzision - "das kleine Löchlein am Hinterkopf des Delinquenten und die klaffende Wunde an seiner Stirn" - in der Nacht wieder, nun aber mit dem Autor als hinzurichtendem Protagonisten. Er fühlte sich einem Nervenzusammenbruch nahe und entschloss sich, auf eine direkte Darstellung von Gewaltexzessen künftig zu verzichten.

So kann man den typischen Yu-Hua-Ton, den Ulrich Kautz wieder einmal meisterhaft ins Deutsche übersetzt hat, die bodennahe, oft humoristische Zuspitzung grotesker Situationen, als eine Art Sublimierung verstehen: Auf seinem Grund ist noch der namenlose Schrecken spürbar, von dem er ausgeht. Dazu gehört auch die Niederschlagung der Demokratiebewegung vom 4. Juni 1989, an die er sich im ersten Essay zum Begriff "Volk" erinnert. Ebenso wenig wie bei der mit Codewörtern operierenden Alltagssprache darf man bei Yu Huas Sprache die Leutseligkeit, die Abwesenheit politischer Abstraktionen, mit Harmlosigkeit verwechseln. Dieses Buch mag sich in erster Linie an ein ausländisches Publikum wenden, aber es ist eine sehr chinesische Erfahrung, die es zum Ausdruck bringt.

MARK SIEMONS

Yu Hua: "China in zehn Wörtern". Eine Einführung.

Aus dem Chinesischen von Ulrich Kautz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 336 S., geb., 19,99 [Euro].

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