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Galor ist Nobelpreiskandidat. Dies ist sein großer Wurf.
Oded Galor wagt die ganz große Theorie. Der renommierte Ökonom lüftet das Geheimnis von Wohlstand und Ungleichheit, indem er die Geschichte der Menschheit vom Beginn bis heute neu erzählt: Warum sind wir Menschen die einzige Spezies, die der Subsistenz entkommen ist? Wieso lebte die Masse noch bis Ende des 18. Jh. in Armut, wie gelang der Übergang von Stagnation zu Wachstum? Und: Warum haben wir so ungleiche Fortschritte gemacht, dass der Wohlstand der Nationen so unterschiedlich ausfällt? Galor verschmilzt Ideen aus der…mehr

Produktbeschreibung
Galor ist Nobelpreiskandidat. Dies ist sein großer Wurf.

Oded Galor wagt die ganz große Theorie. Der renommierte Ökonom lüftet das Geheimnis von Wohlstand und Ungleichheit, indem er die Geschichte der Menschheit vom Beginn bis heute neu erzählt: Warum sind wir Menschen die einzige Spezies, die der Subsistenz entkommen ist? Wieso lebte die Masse noch bis Ende des 18. Jh. in Armut, wie gelang der Übergang von Stagnation zu Wachstum? Und: Warum haben wir so ungleiche Fortschritte gemacht, dass der Wohlstand der Nationen so unterschiedlich ausfällt? Galor verschmilzt Ideen aus der Wirtschaftswissenschaft mit Erkenntnissen aus Anthropologie, Geschichte und den Naturwissenschaften und liefert erstmals eine allumfassende, evidenzbasierte Theorie. Ein Big-Idea-Buch von fesselnder Originalität.

Von 'The Times' ausgewählt als eines der besten Bücher 2022
Autorenporträt
Oded Galor, geboren 1953, ist israelischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der renommierten Brown University, USA. Seine Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere im Bereich Wirtschaftswachstum. Er hat verschiedene Auszeichnungen erhalten, darunter den Doctor Honoris Causa der Universität Poznä und der Université Catholique de Louvain, und ist gewähltes Mitglied der Academia Europaea in London. Er war Herausgeber des ¿Journal of Economic Growth¿ und des ¿Journal of Population Economics¿ sowie Mitherausgeber anderer wissenschaftlicher Zeitschriften. Bekanntheit erlangte er vor allem als Schöpfer der Unified Growth Theory.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2023

Wie zähmt man die Tech-Giganten?

Wirtschaftliche Macht gefährdet die Demokratie. Ein Buch sucht nach Antworten.

Von Gerald ­Braunberger

Das Wirtschaftsbuch des Jahres 2022 ist vermutlich Oded Galors "The Journey to Humanity - Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende" gewesen. In einem kühnen Wurf zeichnete Galor die Geschichte der Menschheit als die Geschichte des technischen Fortschritts, der - häufig mit erheblicher Verzögerung - die Erde für die meisten Menschen zu einem besseren Platz gemacht hat. Der Verfasser war nicht unkritisch gegenüber negativen Begleiterscheinungen technischen Fortschritts, aber seine grundsätzliche Botschaft war von einem erfreulichen Optimismus getragen.

Ein Kandidat für den Titel des Wirtschaftsbuchs des Jahres 2023 ist gera- de erschienen. In "Power and Pro- gress" entwerfen die Ökonomen Daron Acemoglu und Simon Johnson ein sehr viel weniger optimistisches Bild von den Folgen technischen Fortschritts. Sie bestreiten nicht, dass er besonders seit der industriellen Revolution des 20. Jahrhunderts viele Menschen reicher und glücklicher gemacht hat. Sie bestreiten allerdings eine lange Zeit sehr verbreitete, von Zuversicht getragene These, nach der technischer Fortschritt quasi automatisch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt zur Folge habe. Tatsächlich sei in der Geschichte der technische Fortschritt häufig nur einer kleinen Minderheit nützlich gewesen. Er habe politische und gesellschaftliche Spannungen verursacht. In manchen Ausprägungen der aktuellen digitalen Revolution sehen sie nichts weniger als eine Gefahr für Freiheit und Demokratie. Technischer Fortschritt dürfe nicht wenigen Menschen in der Privatwirtschaft überlassen werden. Er bedürfe der politischen und gesellschaftlichen Lenkung und Kontrolle.

Das Buch ist erkennbar aus einer amerikanischen Perspektive geschrieben, in der die behandelten Phänomene ausgeprägter vorliegen mögen als in vielen europäischen Ländern. Acemoglu und Johnson lehren am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Acemoglu zählt mit einer beeindruckenden Liste von Fachpublikationen zudem zu den forschungsstärksten und meistzitierten Ökonomen der Welt. Interesse verdient das Buch aber auch außerhalb der Vereinigten Staaten.

Die herkömmliche Überzeugung von der Vorteilhaftigkeit technischen Fortschritts beruht auf dem sogenannten "Mitläufereffekt", den Acemoglu und Johnson wie folgt definieren: "Nach dieser Idee sorgen neue Maschinen und Produktionsverfahren, die mit einem Anstieg der Produktivität einhergehen, auch für höhere Löhne. In dem Maße, in dem die Produktivität steigt, wird der Mitläufereffekt alle ergreifen, nicht nur Unternehmen und Kapitaleigner." Wie dies funktioniert, findet sich in jedem besseren Lehrbuch: Die Unternehmen wollen von einer steigenden Produktivität durch eine Ausweitung ihrer Geschäfte profitieren. Dazu benötigen sie zusätzliche Beschäftigte, und diese Nachfrage nach Arbeit sorgt für steigende Löhne.

Es fällt leicht, Beispiele für solche Prozesse in der Ausweitung der industriellen Massenfertigung zu finden. Acemoglu und Johnson nennen das von technischem Fortschritt begleitete Wachstum der amerikanischen Automobilindustrie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Zudem muss sich der "Mitläufereffekt" keineswegs auf einen Wirtschaftszweig beziehen. Technischer Fortschritt und steigende Beschäftigung in der Automobilindustrie dürften sich positiv auf Zulieferer aus der Industrie auswirken, aber auch auf Dienstleister unterschiedlichen Typs vom Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bis zum Wachdienst und Kantinenbetreiber. "Das Produktivitätswachstum in den Automobilfabriken war in diesen Jahrzehnten ein wichtiger Antrieb für das Wachstum der Öl-, Stahl und Chemieindustrie", schreiben die Autoren. Die Massenherstellung revolutionierte ebenso die Transportmöglichkeiten, was den Aufstieg des Einzelhandels, der Unterhaltungsbranche und anderer Dienstleistungen begünstigte. Acemoglu und Johnson konzedieren, dass vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Mitte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts die Arbeitseinkommen nicht sehr gut ausgebildeter amerikanischer Arbeitnehmer mit einer ähnlichen Rate zugenommen haben wie die Einkommen von Universitätsabsolventen. Um ein bekanntes Bild zu benutzen: Die Flut hebt alle Boote.

Dieser Befund gelte jedoch bei Weitem nicht immer, wenden Acemoglu und Johnson ein. Bescheidene Produktivitätsfortschritte im Spätmittelalter ermöglichten weltlichen und kirchlichen Mächtigen den Bau von Schlössern, Burgen und Kathedralen, aber die Masse der Bevölkerung blieb bettelarm. Die industrielle Revolution kam zunächst vor allem den Unternehmern zugute, während viele Arbeiter für lange Zeit zu niedrigen Löhnen schufteten.

David Ricardo, einer der besten Ökonomen jener Zeit, hatte technischen Fortschritt zunächst als grundsätzlich positiv begrüßt. In der dritten Auflage seines Standardwerks "Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung" zeigte er sich plötzlich skeptisch. Technischer Fortschritt dürfte für Landbesitzer und Kapitalisten immer vorteilhaft sein, aber für die Arbeiter lasse sich eine solche Prognose nicht stellen, warnte er. Arbeiter, die als Folge technischen Fortschritts ihren Job verlören, fänden nicht automatisch eine neue Beschäftigung.

Für unsere Zeit sehen Acemoglu und Johnson keine bedeutenden positiven Beschäftigungseffekte, wenn sich technischer Fortschritt beispielsweise in besserer Überwachung äußert. Die Möglichkeit von Kunden, ihre Waren im Lebensmittelladen selbst einzuscannen, führe auch nicht zu zusätzlicher Arbeit: "Die Lebensmittel werden nicht deutlich billiger, es folgt keine Ausweitung der Produktion von Lebensmitteln und die Konsumenten leben nicht anders als vorher." Acemoglu hat in Arbeiten mit einem anderen Kollegen, Pascual Restrepo, für solche Beispiele den Begriff "Soso-Automatisierung" geprägt. "Industrieroboter, die bereits die moderne Industrie revolutioniert haben, erzeugen für Arbeitnehmer keine oder nur geringe Vorteile, wenn sie nicht von weiteren Technologien begleitet werden, die neue Aufgaben und Möglichkeiten für menschliche Arbeit schaffen", schreiben Acemoglu und Johnson.

Mit dem Aufkommen der Giganten aus dem Silicon Valley und der von ihnen geförderten Künstlichen Intelligenz (KI) sehen die beiden Autoren nichts weniger als eine ernste Bedrohung der Demokratie, weil wie während der industriellen Revolution Eliten zulasten der Masse vom Fortschritt profitieren. "Die Tragödie ist, dass die KI die Demokratie in dem Moment weiter unterminiert, in dem wir sie besonders brauchen", klagen die Autoren. Solange die Richtung des digitalen Fortschritts keine deutliche Änderung erfahre, werde er im Westen, aber auch zunehmend im Rest der Welt die Ungleichheit fördern und große Teile der Arbeiterschaft marginalisieren.

Besonders kritisch betrachten die beiden Ökonomen das vor allem auf Werbeeinnahmen und weniger auf Abonnementgebühren fußende Geschäftsmodell sozialer Plattformen, das Tech-Giganten die Sammlung von Daten erleichtere und der Verbreitung von Hass und Fake News Vorschub leiste. Auf kostenpflichtige Abonnements setzende Plattformen seien zwar nicht perfekt, aber aus gesellschaftlicher Sicht deutlich vorteilhafter, weil sie nicht auf eine maximale Nutzung der Plattform durch die Nutzer ("Engagement") setzten, "die nachweislich zur schlimmsten Form sozialer Interaktion führe und damit sowohl der mentalen Gesundheit wie dem demokratischen Diskurs Schaden zufüge".

Ihr wirtschaftlicher Erfolg wird die Tech-Giganten nicht zu einer Änderung ihres Verhaltens veranlassen. "Man kann seine Hoffnungen auf den Mitläufereffekt richten", schreiben Acemoglu und Johnson. "Aber es bestehen keine Hinweise auf eine baldige Teilung der Produktivitätsgewinne. Manager und Unternehmer tendieren zum Gebrauch neuer Technologien, um Arbeit zu automatisieren und damit Menschen zu entmachten, solange sich keine Gegenmacht bildet. Eine gewaltige Sammlung von Daten hat diese Neigung verstärkt."

In dieser Passage taucht ein vor rund 70 Jahren von dem Ökonomen John Kenneth Galbraith popularisiertes Thema auf: Zu große Macht in einer Gesellschaft bedarf zur Neutralisierung einer Gegenmacht ("countervailing power"). Galbraith befürwortete damals die Bildung starker Gewerkschaften, um den rasch wachsenden amerikanischen Konzernen Paroli bieten zu können. Gesellschaftliches Engagement, das sich in politische Mehrheiten verwandeln lässt, wünschen sich auch Acemoglu und Johnson. Nicht zufällig bilden sie in ihrem Buch Ralph Nader ab, einen engagierten Anwalt von Verbraucherinteressen und erfolglosen grünen Kandidaten für die amerikanische Präsidentschaft. Mit Teilen ihrer politischen Analyse nähern sie sich, wie weiland Galbraith mit seinen Überzeugungen, dem linken Flügel der Demokratischen Partei an.

Dass technischer Fortschritt nicht alleine privaten Unternehmern überlassen, sondern durch demokratisch legitimierte Institutionen gelenkt werden sollte, ist eine von Acemoglu seit Langem vertretene Überzeugung. Einwänden, damit wende er sich gegen ein fundamentales marktwirtschaftliches Prinzip, hält er entgegen, dass in den Vereinigten Staaten ein nicht geringer Teil des von Privatunternehmen genutzten technischen Fortschritts ohnehin staatlich induziert sei. Ein Beispiel bildet die staatlich geförderte Militärforschung, von der auch der zivile Flugzeugbau profitiert hat.

Überbordende Macht von Unternehmen gehört als Thema freilich keineswegs alleine der politischen Linken, sondern wird auch seit Jahrzehnten von (Ordo-)Liberalen behandelt. Ihre Antwort auf eine solche Macht besteht in einer aktiven Wettbewerbspolitik. Acemoglu und Johnson machen sich diesen Gedanken zu eigen, indem sie für eine Zerschlagung der Tech-Giganten eintreten. Ihres Erachtens führt die Wettbewerbspolitik aber kein scharfes Schwert.

Bestandteile ihres politischen Programms sind daher auch staatliche Subventionen für Anbieter weniger schädlicher Technologien, ein Steuersystem, das Automatisierung nicht belohnt, eine bessere Bildung und Ausbildung für die Arbeitnehmer, eine Steuer auf digitale Werbung, ein besserer Schutz privater Daten sowie eine stärkere Einflussnahme des Staates in der Grundlagenforschung. Das klingt wie ein Sammelsurium des Interventionismus. Andererseits sprechen sich Acemoglu und Johnson klar gegen eine traditionelle Idee von Industriepolitik aus, bei der Bürokraten versuchen, vermeintlich zukunftsträchtige Unternehmen mit Staatsgeld aufzupäppeln.

Wer mit offenen Augen auf die Welt blickt, sieht in zahlreichen Demokratien Kräfte im Aufschwung, deren Vorstellung von Demokratie in beunruhigendem Maße autokratische Züge trägt. Durch Strukturwandel bedingte Langzeitarbeitslosigkeit und Verarmung ehemals reicher Regionen erklären nicht alleine die Anziehungskraft populistischer Kräfte, zu deren Unterstützung keineswegs nur gesellschaftliche Verlierer zählen. Doch die Verteidiger der liberalen Demokratie müssen sich schonungslos die Frage stellen, wie sie den Trend zu Populismus und Autokratie aufhalten wollen. Die Analyse von Acemoglu und Johnson mag zu stark den Fokus auf die Tech-Giganten richten, und viele ihrer Politikvorschläge sind aus liberaler Sicht eindeutig zu interventionistisch. Aber es bleibt unbestritten, dass gerade in einer Zeit tiefgreifenden Wandels Gedanken kluger Köpfe als Diskussionsanstoß willkommen sein sollten. In diesem Sinne ist dieses Buch wichtig.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Gustav Seibt freut sich über den höchst optimistischen Blick auf die Menschheitsgeschichte und -zukunft im Buch des israelischen Ökonomen Oded Galor. So wie Galor es sieht, hat es die Menschheit seit Ende des 19. Jahrhunderts geschafft, technischen Fortschritt und Bevölkerungswachstum zu entkoppeln, so Seibt. Das stimmt den Autor positiv auch im Hinblick auf den Umgang mit aktuellen Krisen wie dem Klimawandel, erklärt der Rezensent. Wenn Galors These stimmt, meint Seibt, sollten künftig immer weniger, immer besser ausgebildete Menschen den Planeten bevölkern und die technische Entwicklung beschleunigen. Dass der Autor letztere anhand vieler gut recherchierter Einzelbeispiele diskutiert, von kleinteiliger Geografie bis zu religiösen Arbeitsethiken, macht die Lektüre für Seibt anregend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2022

Im
Weltgarten
Gräuel sind nur Oberflächengekräusel:
Oded Galors ungewöhnlich optimistischer Blick
auf die Geschichte der Menschheit
VON GUSTAV SEIBT
Wenn man die Geschichte der menschlichen Gattung aus großer Entfernung betrachtet, dann zeigen sich zwei tiefgreifende Umbrüche. Der eine ist die neolithische Revolution, bei der die Menschen am Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren sesshaft wurden, ihre Wirtschaft vom Jagen und Sammeln auf Ackerbau und Viehzucht umstellten und damit auch Arbeitsteilungen, Handwerk, Wissen, Künste, Schrift, differenzierte soziale Schichtungen und Herrschaftsformen entwickelten. Damals begann alles, was wir als menschliche Hochkultur beschreiben.
Die zweite dieser Fundamentalumwälzungen begann erst vor knapp 300 Jahren: die industrielle Revolution. Sie installierte einen selbsttragenden technischen Fortschritt, automatisierte weite Arbeitsgebiete, zapfte in großem Umfang fossile Energien an, entwickelte Formen von Echtzeit- und Distanzkommunikation über den ganzen Erdball – Telefon, Radio, Fernsehen, Internet –, sie steigerte Wohlstand und Konsum auf fantastische Höhen. Sie brachte damit allerdings auch das Ökosystem der Erde in eine beispiellose Krise. Die Menschheit wurde zu einer erdgeschichtlichen Macht. Man nennt es Anthropozän. Es ist der Moment, in dem wir leben.
Was aber ist der entscheidende Unterschied zwischen der nachneolithischen und der industriellen Epoche? Könnte man nicht einfach von einer ungeheuren Steigerung aller schon durch die Sesshaftwerdung erreichten Errungenschaften sprechen? Oded Galor, in den USA lehrender israelischer Ökonom, macht einen Hauptunterschied zum Angelpunkt seiner kurzen, weiträumigen Menschheitsgeschichte: Vor der industriellen Revolution wurden alle durch agrarische und technische Fortschritte erreichten Nahrungszugewinne alsbald vom Bevölkerungswachstum wieder aufgezehrt.
Man nennt es „malthusianische Falle“, nach dem englischen Ökonomen Thomas Malthus. Dieser stellte um 1800 die These auf, dass jede Ausweitung der Nahrungsbasis sogleich durch Bevölkerungsvermehrung wieder verschlungen werde – ganz wie im stationären Tierreich auch. Die Menschheit sei also zu einem Leben am Subsistenzminimum verdammt. Und im Blick auf die Jahrhunderte vor Malthus stimmte das auch. Bevölkerungsschwankungen folgten getreulich diesen Nahrungsspielräumen, die nicht nur durch handwerkliche Errungenschaften, sondern auch durch Seuchen- oder Kriegsverluste variierten.
Malthus entwarf seine Theorie allerdings genau in dem Moment, als ihre Geltung ans Ende kam. Denn das ist der entscheidende Unterschied, auf den es Galor ankommt: Das Industriesystem entkoppelte erstmals in der Geschichte technischen Wandel von Bevölkerungswachstum. Das wurde in Europa im Jahrhundert nach Malthus sichtbar. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begannen in den hochentwickelten Industriegesellschaften die Geburtenraten deutlich zu sinken – ein Trend, der sich bis heute fortsetzt und allmählich auch auf die postkolonialen Entwicklungsländer übergreift. Deren vor allem dem medizinischen Fortschritt geschuldete Bevölkerungsexplosion im 20. Jahrhundert war also nur eine vorübergehende Erscheinung. Die Zeichen stehen überall auf Rückgang. Das ist mit Blick auf den Klimawandel eine gute Nachricht.
Warum aber kam es so? Galors entscheidendes Wort heißt „Humankapital“. Der technische Fortschritt verlangte immer besser ausgebildete Menschen, nicht nur um ihn weiterzutreiben, sondern schon um die anspruchsvollen technisierten Wirtschaftsformen aufrechtzuerhalten. Ungelernte Arbeit, gar Kinderarbeit, Analphabetismus, körperliches Schuften bis zum frühen Verschleiß lohnte sich in einer hochtechnisierten Umgebung nicht mehr. So setzten sich evolutionär Familienmodelle durch, in denen weniger Kinder besser und langwieriger ausgebildet wurden, um dann produktiver zu arbeiten, um viel besser und auch länger zu leben. Qualität ging vor Quantität. Dazu gehörte die Möglichkeit für Frauen, am nichthäuslichen Wirtschaftsprozess mitzuarbeiten.
Im Industriesystem wird also nicht fürs Bevölkerungswachstum, sondern für Wohlstand und Konsum gearbeitet. Galor lässt keine Zweifel daran, dass er das für einen enormen Gewinn hält – die Menschheit befreite sich von elementarer Not. Kinderarbeit beispielsweise ist entgegen den Bildern, die die Romane von Charles Dickens hinterlassen haben, vor allem ein Kennzeichen vorindustrieller Agrarkulturen, während sie sich in der Industrie auf Dauer nicht lohnt – die braucht ausgebildete Arbeiter. Schon die Skandalisierung von Kinderarbeit seit dem 18. Jahrhundert kündigt den Zeitenwechsel an. Der neue Industriekapitalismus führte auf lange Sicht gerade nicht in die Verelendung, sondern zum Wohlstand für viele, so Galors optimistische Diagnose.
Galor nennt diese Umstellung von Masse auf Humankapital den „demografischen Übergang“, die größte Umwälzung der Menschheit seit 10 000 Jahren. Doch wie kam es dazu und warum zunächst nur an bestimmten Orten? Das ist die Frage, die seine Geschichte der Menschheitsreise eigentlich beantworten will.
Schon in den frühen sesshaften Kulturen gab es technisch-handwerklichen Fortschritt, außerdem wuchs die Bevölkerung so an, dass bald große Siedlungen und Städte entstanden. Der Fortschritt wurde in einem Umfeld, in dem technische Fähigkeiten dauerhaft überliefert und kommunikativ unentwegt erweitert wurden – hier ist die bloße Tatsache großer Menschenansammlungen wichtig –, allmählich selbsttragend. Wo viele Menschen zusammen sind, werden viele Ideen entwickelt, wo gutes Handwerk herrscht, können Erfinder ihre Ideen rasch ausprobieren und umsetzen. Dabei entstehen materielle Überschüsse, die nicht in mehr Kinder, sondern in die Ausbildung von weniger Kindern investiert werden – samt allen Freiheitsgewinnen, die damit möglich werden.
Das führt zur zweiten Frage, der nach dem Wo und Wann. Warum Europa? Das ist eine der meistbehandelten Fragen der Geschichtswissenschaft und des historischen Denkens. Angesichts der Jahrtausendzeiträume, die Galor überblickt, könnte man sie fast für zweitrangig halten, es geht in menschheitsgeschichtlichen Zeitdimensionen fast um Augenblicke, Jahrzehnte und Jahrhunderte. Interessant ist es trotzdem, sich diese Fragen vorzulegen. Im zweiten Teil seines Buches sammelt Galor zahlreiche Faktoren, die von liberalen politischen Institutionen bis zu Klimafragen, von kleinteiliger Geografie (begünstigt Wettbewerb) bis zu religiösen Arbeitsethiken reichen. Kommt das Wasser eher von oben (Regenkulturen) oder aus den Flüssen (Flusskulturen)? Regen begünstigt Kleinbetriebe und Individualismus, Flüsse müssen kollektiv bewirtschaftet werden, sie fördern Despotien und Sklaverei, hemmen aber womöglich Ideenreichtum. Schwere Pflüge begünstigen Männerarbeit, bei leichten Harken können auch Frauen mithalten.
Dutzende solcher Überlegungen, die meisten aus der kulturhistorischen Tradition gut bekannt, stellt Galor an. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er nicht der verbreiteten Versuchung erliegt, einen einzelnen Faktor (einen „Trick siebzehn“, mit dem Kulturtheorie sich gern populär macht) zu privilegieren, sondern viele Möglichkeiten erwägt.
Das macht Spaß, auch weil es den Blick auf soziale Tatsachen und ihre nicht immer offensichtlichen Funktionen öffnet. An einer Stelle allerdings vertut sich Galor in den Kategorien. Er hält menschliche Diversität oder Vielfalt, solange sie nicht das kooperative Vertrauen innerhalb von Gesellschaften in Gefahr bringt, für einen wichtigen Fortschrittsmotor. Dabei meint er zunächst genetische Vielfalt, und diese sei bei Bevölkerungen, die dem afrikanischen Ursprung der Menschheit geografisch näher blieben, zwangsläufig größer als bei Populationen, die sich durch Abspaltungen in immer entferntere Weltgegenden ausbreiteten, also in Europa größer als in Fernost oder in Südamerika.
Aber Galor geht aus von einem kulturellen Beispiel, der Entstehung des Rock’n’Roll im Zusammenwirken afrikanischer und europäischer Einwanderer in den USA. Doch das ist ein kultureller Begriff von Diversität, der sich nicht eins zu eins auf den genetischen abbilden lässt. Genetisch diverse Gesellschaften können kulturell – sprachlich, religiös, moralisch – natürlich völlig homogen sein. Die von Galor behauptete „Nähe zum afrikanischen Ursprung“ lässt sich in der von Wanderungen durchmischten europäisch-asiatischen Landmasse im Einzelnen kaum noch ausmachen. Und auch die genetisch abgelegenen mittelamerikanischen Populationen waren zu imponierenden hochkulturellen Leistungen fähig.
Galors Buch hat einen stringenten Gedankengang und eine überreiche Kasuistik, die Unmengen von Forschung verarbeitet. Und sie bietet einen optimistischen Ausblick: Die Kombination von langfristigem Bevölkerungsrückgang und technischem Fortschritt wird uns, so Galor, auch befähigen, dem Klimawandel zu trotzen. Weniger Menschen mit mehr Wohlstand seien weit weniger klimaschädlich als viele Menschen mit bescheidenem Wohlstand. Deshalb sollten die Entwicklungsländer auch nicht bestehende Industrien kopieren (damit würden sie immer hinterherhinken und das Klimaübel vermehren), sondern in die Ausbildung ihrer Kinder und in die Freiheit der Frauen investieren.
Wäre hier das eigentliche Ende der Geschichte? Kleinere, reichere Gesellschaften auf einer wieder geräumigeren Erde, ein von raffinierter Technik immer effizienter kultivierter Weltgarten mit frischer Luft und blauem Himmel? Kriege und Gräuel sind in Galors Welt nur Oberflächengekräusel. Im Jahrtausendblick zeigt sich, dass die Menschheit alle Zerstörungen immer wieder schnell ausgeglichen hat. Sie muss jetzt, daran lässt auch Galor keinen Zweifel, eine Klippe umschiffen. Aber dass sie das kann, auch daran hat dieses zuversichtliche Buch keinen Zweifel.
Kinderarbeit ist ein Kennzeichen
vorindustrieller Agrarkulturen,
in der Industrie lohnt sie nicht
Alle Zerstörungen hat die
Menschheit immer wieder
schnell ausgeglichen
Wirtschaftsforscher
Oded Galor
Foto: Peter Goldberg
Fanal für die ewige Armut und Ungleichheit oder bloß bedauerliches Übergangsphänomen? Blick auf die Favela da Rocinha, den größten Slum Brasiliens, im Hintergrund die Skyline von Rio de Janeiro.
Foto: Imago
Oded Galor: The Journey of Humanity. Über die Entstehung von Wohlstand und Ungleichheit. Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke und Thomas Wollermann. DTV, München 2022.
382 Seiten 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Galors Buch hat einen stringenten Gedankengang und eine überreiche Kasuistik, die Unmengen von Forschung verarbeitet. Und sie bietet einen optimistischen Ausblick. Gustav Seibt Süddeutsche Zeitung 20220611