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Das Konzept vom "Männerbund" wurde um 1900 in verschiedenen Wissenschaftsfeldern wie der Ethnologie oder der Medizin, aber auch in der Politik und im Adelskreis um Kaiser Wilhelm II. diskutiert. Dessen engste Berater standen in den Jahren 1906 und 1908 unter dem Verdacht, eine homosexuelle "Verbündelung" um den Kaiser zu bilden. Die Tatsache, dass dies auch in der Presse diskutiert wurde, zog eine enorme Popularisierung des Männerbundgedankens in der breiten Bevölkerung nach sich. Die Autorin macht vor diesem Hintergrund deutlich, dass besonders die junge, männliche Generation vom bündischen…mehr

Produktbeschreibung
Das Konzept vom "Männerbund" wurde um 1900 in verschiedenen Wissenschaftsfeldern wie der Ethnologie oder der Medizin, aber auch in der Politik und im Adelskreis um Kaiser Wilhelm II. diskutiert. Dessen engste Berater standen in den Jahren 1906 und 1908 unter dem Verdacht, eine homosexuelle "Verbündelung" um den Kaiser zu bilden. Die Tatsache, dass dies auch in der Presse diskutiert wurde, zog eine enorme Popularisierung des Männerbundgedankens in der breiten Bevölkerung nach sich. Die Autorin macht vor diesem Hintergrund deutlich, dass besonders die junge, männliche Generation vom bündischen Gedanken fasziniert war, der ihr politisches Handeln bis in ihre Selbstentwürfe hinein prägte. Die Vorstellung vom (homo)erotischen Bündnis unter Männern half nicht nur, Formen einer modernen und gefühlvolleren Männlichkeit zu entwickeln, sondern diesen auch politisches Gewicht zu verleihen. Der Männerbunddiskurs verteidigte ein exklusiv männliches Staatsverständnis und sprach zugleich wirkungsvoll Frauen und Juden das Recht auf politische Partizipation ab. Am Beispiel des populären Wandervogelchronisten und Laienanalytikers, Hans Blüher (1888-1955), der sich von einem Vorkämpfer der Homosexuellenemanzipation im Umfeld Freuds und Hirschfelds zu einem der radikalsten Antisemiten der Weimarer Republik und Anhänger der Konservativen Revolution entwickelte, zeigt die Studie eindrucksvoll das Ineinandergreifen von Wissensdiskursen, Machtstrukturen und Subjektentwürfen.
Autorenporträt
Claudia Bruns ist Professorin für Historische Anthropologie und Geschlechterforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2009

Und wie steht es mit der Männerfrage?

Es musste auch ohne die verwirrenden Frauen gehen: Claudia Bruns gewinnt dem Fall Hans Blüher manche Einsichten zum Verhältnis von Politik und Männlichkeit um 1900 ab.

Man stelle sich vor, man gelange auf einer langen Reise, die Traum und Wirklichkeit verschwimmen lässt, zu einer Pension. Erschöpft bezieht man das Zimmer, das einem der wunderliche Portier zugewiesen hat, und erstaunt stellt man fest, dass es sich um kein gewöhnliches Zimmer handelt: Vielmehr ist man geradewegs im Oberstübchen, in der Innenwelt eines Menschen gelandet. Verwirrt-verstohlen ergreift man die Gelegenheit, sich im Leben dieses Menschen umzuschauen.

Wie dem Ankömmling in der Pension, so ergeht es dem Leser des Buches von Claudia Bruns. Man wird eingeladen zur Besichtigung der Innenwelt eines Sonderlings. Das Buch bietet nicht nur einen Abriss zum Verhältnis von Politik und Männlichkeit um 1900, vor allem gewährt es Einblick ins Leben, Denken und Fühlen Hans Blühers. Nur als Nebenfiguren lässt Bruns noch andere bewegte Männer des frühen zwanzigsten Jahrhunderts auftreten, so etwa Heinrich Schurtz, der als Völkerkundler die Männerbund-Propaganda vom Zaun brach, oder den "Maskulinisten" Benedict Friedlaender.

Dass Hans Blüher ein Sonderling war, ist allerdings fast schon untertrieben; er selbst erklärte im Jahre 1912, er sei als "eine ziemlich pathologische Natur" dabei, sich in "eine Art Explosivkörper" zu verwandeln. In Blühers Geschichte mischen sich auf verzwickte Weise Abseitiges und Einschlägiges, Furchtbares und Bedeutsames. Er trieb die Wandervögel zur Ekstase, wollte die wahre Männlichkeit vor dem "entartenden" Einfluss von Frauen und Juden schützen und pries die Homosexualität als höchsten Zustand des Menschseins. Er war ein schrecklich schräg justierter Seismograph für Spannungsfelder in der Moderne - und er stellte eine Frage, die der im späten neunzehnten Jahrhundert heftig diskutierten "Frauenfrage" eigentlich auf dem Fuße hätte folgen müssen und doch heute noch sperrig klingt: "Und wie steht es mit der Männerfrage?" Sei es nicht "interessant für unsere Art zu denken", so Blüher 1917, "dass es dieses Wort überhaupt nicht gibt?"

Blüher und seine Mitstreiter machten im Tragwerk moderner Gesellschaften eine wacklige Stelle ausfindig. Wir seien, so schrieb Blüher 1913, "längst darüber hinaus, in der Familiengründung die Grundlage zur Staatenbildung zu sehen". Damit lag er richtig: Er bekräftigte nur ein Prinzip, das sich seit dem siebzehnten Jahrhundert in der westlichen Welt langsam, aber sicher durchgesetzt hatte: dass die Politik nämlich nicht nach dem Modell der patriarchalen Familie organisiert werden soll und die monarchische Herrschaft des Landesvaters von einer Gesellschaft der Gleichen abzulösen ist. Und doch blieb die neue Grundlage der Politik wacklig: Umstritten war, ob neben den Männern auch die Frauen zu dieser Gesellschaft der Gleichen Zugang erhalten sollten; und offen blieb auch, wie Politik und Familie neu zueinander ins Verhältnis zu setzen seien.

Claudia Bruns führt vor, wie Blüher und seine Mitstreiter mit großer Verve eine Lösung für jene offenen Punkte entwickeln, die zugleich simpel und radikal verdreht ist. Diese Lösung setzt an bei der alten Devise, dass die Politik Sache der Männer, die Familie Sache der Frauen sei. Um nun aber sicherzustellen, dass die Männer vom "weichen, unheldischen, trägen" Einfluss der Frauen ferngehalten werden, müssen sie nach Blüher ihre Identität ausschließlich im "Männerbund" finden. Der Bund ist ein Sammelbecken für Männer, die vor den Frauen die Beine in die Hand nehmen.

An die Stelle des üblichen Multitasking, bei dem Männer wie Frauen in Beruf, Familie und Politik jeweils verschiedene Aufgaben wahrnehmen, tritt ein geschlossenes Modell, in dem jeder Mann vor allem eines sein soll: ein "Mann-Mann". Die Familie ist, wie es heißt, "antisocial" (Otto Ammon), die Frau "antigenial" (Benedict Friedlaender), der Männerbund bringt eine "weiberfreie Geselligkeit" zur Entfaltung, in der heterosexuelle Energien bekämpft werden und homosexuelle Energien zur Entfaltung kommen. Mit dem Kampf gegen die familiäre Privatsphäre stellt sich der Männerbund geradewegs in den Dienst des Vaterlands, weshalb Blüher den Kampf gegen die strafrechtliche Verfolgung der Homosexuellen kurzerhand zu einer "völkischen Angelegenheit" erklärt. Bruns schildert einen ziemlich abenteuerlichen Schulterschluss zwischen denen, die sich für die Emanzipation der Homosexuellen einsetzen, und denen, die die faschistoide Selbstinszenierung wahrer Männlichkeit proben.

Allzu beiläufig erwähnt die Autorin, dass sie sich mit ihrer Geschichte des Männerbunds als eine Art Anti-Theweleit positionieren möchte. Klaus Theweleit hatte in seinen "Männerphantasien" die Rettung vor der faschistischen Panzerung der Männer in der "Anrufung einer heilenden Weiblichkeit" gesucht. Bruns sieht darin eine Idealisierung der Frau-Frau, in der sich spiegelbildlich die Idealisierung des Mann-Mannes wiederholt. Ihre Sympathien gehören offenbar eher denen, die den Mann-Frau-Gegensatz entdramatisieren wollen. In diesem Zusammenhang wirft sie auch einen Seitenblick auf die romantische Subjektivität. Erhellend ist Bruns' auf entlegene Quellen und Nachlässe gestützte Darstellung der Krise der Männlichkeit um 1900 allemal; in weiten Teilen liest sie sich auch wie ein vorweggenommenes Echo auf die aktuelle Debatte um die Frage, wann ein Mann ein Mann sei, ob er sich auf Frauen einlassen oder mit Kumpeln die Sau rauslassen soll.

Das Buch hat allerdings einen Haken: Es trägt einen Titel, der ein falsches Versprechen enthält. Angekündigt wird eine Darstellung, die von 1880 bis 1934 reicht. Wahrscheinlich sah sich die Autorin geradezu gezwungen, dieses Versprechen zu geben, denn es passt zu der Erwartung, die wohl jeden Leser sofort überkommt: dass man nämlich Näheres über die Transformation der Männerbünde in die nationalsozialistischen Schlägertrupps erfahren möge. Natürlich war die Jugendbewegung, waren Blühers Wandervögel und all die anderen Organisationen nicht allesamt faschistoid; bekanntlich kam es schon 1914 bei der Frage, wie zum Weltkrieg Stellung zu beziehen sei, zu inneren Streitigkeiten. Entsprechend gespannt wartet man auf Bruns' Antwort auf die Frage, welche Arrangements es zwischen Militarismus und Homosexualität gegeben hat und mit welchen politisch-erotischen Strategien die Männer dann faschistisch eingeordnet wurden. Doch Bruns' Darstellung bleibt fast durchweg auf die Jahre vor 1914 fixiert. Schon der Streit im Ersten Weltkrieg wird stiefmütterlich behandelt, über die revolutionäre Hoffnung auf eine "vaterlose Gesellschaft" nach 1918 verliert sie kein Wort. Was schließlich die Radikalisierung um 1933 betrifft, bei der der Nazi-Philosoph Alfred Baeumler eine Schlüsselrolle gespielt hat, so wird man mit zehn Seiten abgespeist; das ist ein Jammer.

Wahrscheinlich ist das Schwächeln der Autorin beim Spannen des historischen Bogens auch eine Folge der Unsitte, dass glänzende Dissertationen wie diese geradewegs in Bücher umgetopft werden; verzichtet wird - so auch hier - auf den Versuch, eine akademische Schrift in ein von vorne bis hinten stimmiges Werk zu verwandeln, das dem Leben im Schattenreich der Bibliotheken zu entkommen vermag. So muss man sich mit dem begnügen, was - immerhin! - geboten wird: die spannende Besichtigung einer ganz besonderen Männerwelt im frühen zwanzigsten Jahrhundert.

DIETER THOMÄ

Claudia Bruns: "Politik des Eros". Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880-1934). Böhlau Verlag, Köln 2008. 545 S., br., 44,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Man wird eingeladen zur Besichtigung der Innenwelt eines Sonderlings. Das Buch bietet nicht nur einen Abriss zum Verhältnis von Politik und Männlichkeit um 1900, vor allem gewährt es Einblick ins Leben, Denken und Fühlen Hans Blühers. [...] Erhellend ist Bruns' auf entlegene Quellen und Nachlässe gestützte Darstellung der Krise der Männlichkeit um 1900 allemal; in weiten Teilen liest sie sich auch wie ein vorweggenommenes Echo auf die aktuelle Debatte um die Frage, wann ein Mann ein Mann sei, ob er sich auf Frauen einlassen oder mit Kumpeln die Sau rauslassen soll [...].
[Eine] spannende Besichtigung einer ganz besonderen Männerwelt im frühen zwanzigsten Jahrhundert." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Claudia Bruns' aus einer Dissertation hervorgegangenes Buch über den Männerbund um 1900 und insbesondere die Figur des exzentrischen und sonderlichen Hans Blüher, der die Homosexualität propagierte und sich gegen Frauen und Juden wendete, hat Dieter Thomä mit größtem Interesse gelesen. Dabei konzentriere sich die Autorin auf Blüher, der eine wichtige Rolle in der Theorie der Wandervogelbewegung spielte und Politik grundsätzlich zur Männersache erklärte, erklärt der Rezensent. Auch wenn Thomä die Ausführungen als sehr "erhellend" lobt, empfindet er den Titel als Etikettenschwindel, beschränke sich Bruns trotz Ankündigung, sich des Zeitraums zwischen 1880 und 1934 anzunehmen, doch fast ausschließlich mit der Zeit bis 1914. Dabei hätte ihn insbesondere die "Radikalisierung" der Bühler'schen Überzeugungen in der Naziphilosophie brennend interessiert, die dann aber auf mageren zehn Seiten abgehandelt wird, wie Thomä bedauert. Und trotzdem, für die "Krise der Männlichkeit um 1900 bietet das Buch auch für den Rezensenten eine spannende und erkenntnisreiche Darstellung, wie er betont.

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