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Dieser Band vereinigt die beiden berühmten Monographien Goethe von 1912 und Rembrandt von 1916, ergänzt um die einst separat erschienenen Vorträge »Deutschlands innere Wandlung« von 1914 und »Das Problem der historischen Zeit« von 1916. Die beiden Schriften Goethe und Rembrandt stießen bei ihrem Erscheinen auf starke Resonanz und große Beachtung in der Literatur- und Kunstwissenschaft und gehören bis heute fraglos zu den bekanntesten und einflußreichsten Studien Simmels. Dies ist um so erstaunlicher, da es keineswegs Simmels Anliegen war, in fachdisziplinäre Diskussionen einzugreifen. Simmel…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Band vereinigt die beiden berühmten Monographien Goethe von 1912 und Rembrandt von 1916, ergänzt um die einst separat erschienenen Vorträge »Deutschlands innere Wandlung« von 1914 und »Das Problem der historischen Zeit« von 1916. Die beiden Schriften Goethe und Rembrandt stießen bei ihrem Erscheinen auf starke Resonanz und große Beachtung in der Literatur- und Kunstwissenschaft und gehören bis heute fraglos zu den bekanntesten und einflußreichsten Studien Simmels. Dies ist um so erstaunlicher, da es keineswegs Simmels Anliegen war, in fachdisziplinäre Diskussionen einzugreifen. Simmel hatte die Studien im Rahmen seiner kunstphilosophischen Überlegungen geschrieben und dabei besonderes Gewicht auf die beiden Künstlerpersönlichkeiten gelegt, mit denen er ein Leben lang vertraut war. An Rodin und Michelangelo entwickelte er seine Theorie eines »individuellen Gesetzes«, die er nun im Zusammenhang seiner Lebensphilosophie und in Hinblick auf das Prinzip der Ethik an zentraler Stelle zu plazieren gedachte - und die er dann auch später in seine Lebensanschauungen (1918) einfügte. Die Beschäftigung mit Goethe und Rembrandt galt ihm als Entfaltung dieses Gedankens. Sein früher Tod verhinderte die geplante Fortführung in Monographien zu Shakespeare und Beethoven.
Autorenporträt
Rammstedt, OttheinOtthein Rammstedt ist Professor em. der Universität Bielefeld und ist Herausgeber der Georg Simmel Gesamtausgabe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2003

Goethe schließt die philosophische Bude
Georg Simmel macht sie wieder auf: Geistreicher wurde das Dasein der Normalität kaum gewürdigt

Goethe, man weiß es, war kein Philosoph. Interessant ist allerdings, daß seine Distanz stets eine gewisse Nachdrücklichkeit erkennen läßt. Die Zeugnisse dieses Widerstandes sind Legion. Ausgerechnet dem philosophisch so bemühten Freund und Mitstreiter Schiller teilt Goethe Ende 1795 mit, er müsse die "philosophische Bude" nun schließen, sein Herz schmachte "nach einem betastlichen Objekt". Doch so leichthin, wie die humoristisch-beschwichtigende Rede vom philosophischen Budenzauber die Sache hinstellt, ist sie dann doch nicht abgetan. Fünfundzwanzig Jahre später, nach eben überstandenen Kant-Studien, sieht Goethe sich zum Bekenntnis eines tieferen Unwillens genötigt und erklärt rundheraus, für "Philosophie im eigentlichen Sinne" kein Organ zu haben.

Die Vorbehalte Goethes sind bekannt, er hat nie ein Hehl daraus gemacht. Um so erstaunlicher, daß sich Generationen später ein offener Kreis von Denkern diesem philosophischen Fremdling zuzuwenden begann und damit ein Faszinosum entdeckte, dessen Erregungspotential bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein spürbar blieb. Zweifellos haben diese philosophischen Goethe-Leser, haben Cassirer und Löwith, haben Lukács und Benjamin, Merleau-Ponty und Ortega y Gasset, sich jeweils ihren eigenen Goethe zurechtgemacht. Gemeinsam aber war ihnen der Gedanke, mit der zwischen Passion und Polemik schwankenden Verweigerung Goethes einen idealen Gegenstand der Bewährung ihres Faches und seines Weltbezuges vor sich zu haben, eine lebendige Herausforderung für die Philosophie.

Der Entdecker dieser anregenden, noch wenig erforschten Konstellation war der Soziologe und Philosoph Georg Simmel. Daß seine Eingebung dann auf germanistischer Seite als beispiellose "Inbesitznahme" Goethes durch die Philosophie beanstandet wurde, ist ein Musterfall akademischer Krähwinkelei und entsprang zudem einem Mißverständnis. Nicht als philosophischen Diskurs suchte Simmel die "Idee Goethe" in Anspruch zu nehmen, sondern als Probe auf ein Denken, dessen Substanz er von innen heraus, das heißt: durch Spezialisierung, Formelhaftigkeit und Begriffsidealismus, gefährdet sah.

Aus Simmels Interesse an Goethe sprach die Sorge um die Philosophie. Parallel zu seinen kulturphilosophischen Beiträgen entstanden seit der Jahrhundertwende neben vergleichenden Studien zu Kant und Goethe weitere Spezialuntersuchungen ("Das Verhältnis von Leben und Schaffen bei Goethe", "Goethe und die Frauen", "Goethes Individualismus"), die bis 1913 zu einer Monographie erweitert und prompt mit Erfolg veröffentlicht wurden. Bereits 1918, im Todesjahr Simmels, erschien der "Goethe" in dritter Auflage.

Nein, Simmel war kein Philologe - so wenig übrigens wie Goethe, dem die selbstgenügsame "Spezialkritik von Stellen und Worten" ein Greuel war. Was dem Biographen vorschwebte, war eine Aktualisierung. Im Geiste der älteren Unterscheidung zwischen Weltweisheit und Schulgelehrsamkeit stellte Simmel seinen Lesern die Physiognomie einer überempirischen Individualität vor Augen, der es gelungen sei, "nicht nur ein Punkt in der Welt" zu sein, "sondern selbst eine Welt". Dem parallel entstandenen Leonardo-Projekt Paul Valérys vergleichbar, nahm Simmel die biographischen Daten zum Anlaß, um das Erscheinungsbild einer geistigen Existenz zu zeichnen. Sein Goethe ist eine Gestalt, die die Zerrissenheit der Moderne früh schon verspürte und der es gelang, ihre Individualität erfolgreich zu behaupten und über die Auseinandersetzung mit ihrer Welt zu unvergleichlichen Höhen der inneren Vollendung zu führen. Neben Goethe, und mit vergleichbarer Intensität, skizzierte Simmel auch Rembrandt als idealen Entwurf, und so ist es nur folgerichtig, wenn der fünfzehnte Band der Gesamtausgabe nun beide Schriften nebeneinanderstellt. Der noch Ende 1916 geäußerte Vorsatz Simmels, "auch noch einen Shakespeare und einen Beethoven zu machen", ist nicht mehr verwirklicht worden.

Was Simmel faszinierte, war Goethes Erfolg - sein Erfolg als Mensch und als Person. Niemand, so gesteht der Biograph seine Bewunderung, habe in vergleichbarer Weise "den Nachlebenden mit dem, was doch schließlich nur als seine einzelnen Lebensäußerungen dasteht, die Anschauung einer so hoch über all dies Einzelne erhabenen Einheit seines Seins" hinterlassen. An Stellen wie dieser gleiten Porträt und philosophische Theorie ununterscheidbar ineinander. Denn was auf den ersten Blick bloß als Ausdruck eines Namenzaubers erscheinen mag, wie ihm etwa Nietzsche und, wiederum parallel zu Simmels späten Arbeiten, der George-Kreis huldigte, erweist sich bei schärferem Hinsehen als der Versuch, eine Personifikation für jenes umfassende und für den Zeitdiagnostiker Simmel entscheidende Prinzip anzubieten, das sich die Moderne im rasenden Wechsel ihrer Erscheinungsformen vor sich selbst verbirgt: für das Prinzip des Lebens.

Auch als Biograph, und gerade als solcher, ist Simmel Lebensphilosoph. Goethes Individualität gilt ihm als die fortlaufende und letztlich immer neu geglückte Integration widerstrebender Kräfte, zu denen Simmel, als die zweifellos entscheidende, den Dualismus von Form und Leben zählt. Die Idee der Entsagung habe Goethe endlich das Mittel an die Hand gegeben, mit den Verhärtungen der Form, die auch ihn bedrängten, ein Auskommen zu finden und sich zu ihnen zu bekennen. Es ist diese Konsequenz, diese zuweilen starre "Formalistik" des späten Goethe, die erklären dürfte, weshalb Simmel darauf verzichtet hat, das virtuose Integrationsvermögen dieses einen als populäre Lösung für jedermann zu propagieren. Statt dessen beschließt Simmel seinen "Goethe" mit einem paradoxen Bild: der Koinzidenz von Normalität und Größe, die sich darin zeige, daß mit Goethe "einer der größten und exzeptionellsten Menschen aller Zeiten" den Weg des "Allgemein-Menschlichen" gegangen sei.

Spektakulärer, geistreicher, verschwenderischer als in dieser Schrift ist das Dasein der Normalität wohl selten gewürdigt worden: als das Ergebnis einer erfolgreich bewältigten, tief in die Gründe der individuellen Existenz eingesenkten Tragik. Alle großen Namen, mit denen Simmel umging, repräsentieren in dieser Weise Konfliktlösungen, denn von allen läßt sich sagen, sie hätten in der endlich gefundenen Balance ihrer künstlerischen Existenz die "Tragödie der Kultur" bezwungen.

Simmels eigener Weg war problematischer. Neben einer hellsichtigen Studie über das Problem der historischen Zeit, die seine Überlegungen zur Hermeneutik der Geschichte fortsetzt, bietet dieser Band auch einen bestürzenden Vortrag aus dem November 1914, in dem der Philosophiedozent der Straßburger Universität von der "absoluten Situation" des Krieges und der Geburtsstunde des "neuen Menschen" schwadroniert. Gewiß, Simmel hat sich rasch eines Besseren besonnen. Und doch enthüllt das Pathos des Lebens auf diesen Blättern seine ganze Fragwürdigkeit. Selbst ein Denker diesen Formats hat sich durch seinen zentralen Begriff des Lebens, der zugleich sein dunkelster gewesen ist, auf die irrwitzigsten Abwege führen lassen. Der fünfzehnte Band der Gesamtausgabe bietet somit den ganzen Simmel, Dokumente seiner frappierenden Klarsicht ebenso wie seiner Verblendung.

RALF KONERSMANN

Georg Simmel: "Gesamtausgabe". Herausgegeben von Otthein Rammstedt. Band 15: "Goethe. Deutschlands innere Wandlung. Das Problem der historischen Zeit. Rembrandt". Herausgegeben von Uta Kösser, Hans-Martin Kruckis und Otthein Rammstedt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 678 S., 16 Abb., geb., 38,80 [Euro].

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»Als das Jahrhundert schon fast in den Weltkrieg zog, konzentrierte sich der Philosoph Georg Simmel, 1912, auf das 'Urphänomen Goethe'. ... Die Rede zum Kriegsbeginn, 1914, zeigt den Lebensphilosophen dann wie benommen vom Warten auf den neuen Menschen, von der 'mysteriösen Innenseite' des Krieges - bis 1916 die methodische Frage entsteht, was das Verstehen von Geschichte heiße.« Elisabeth von Thadden DIE ZEIT 20030828