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Disparates aus verschiedenen Lebenszeiten von Simone Weil wird hier vorgelegt. Das Kernstück, Die Person und das Heilige (La Personne et le Sacré) aus dem Jahr 1942 ist aus der Übersetzung von Reiner Wimmers Buch über Simone Weil übernommen, der es auf Grund der zentralen Bedeutung dort erstmals vollständig ins Deutsche übertragen und kommentiert hatte; der Band ist inzwischen nicht mehr greifbar und wird auch nach Auskunft des Verlages nicht wieder aufgelegt.Weils kurze Notizen über ein Gespräch mit Trotzki aus dem Jahre 1933 legen wir erstmals auf Deutsch vor: sie bekunden, wie die in der…mehr

Produktbeschreibung
Disparates aus verschiedenen Lebenszeiten von Simone Weil wird hier vorgelegt. Das Kernstück, Die Person und das Heilige (La Personne et le Sacré) aus dem Jahr 1942 ist aus der Übersetzung von Reiner Wimmers Buch über Simone Weil übernommen, der es auf Grund der zentralen Bedeutung dort erstmals vollständig ins Deutsche übertragen und kommentiert hatte; der Band ist inzwischen nicht mehr greifbar und wird auch nach Auskunft des Verlages nicht wieder aufgelegt.Weils kurze Notizen über ein Gespräch mit Trotzki aus dem Jahre 1933 legen wir erstmals auf Deutsch vor: sie bekunden, wie die in der realen Politik und Theorie engagierte junge Frau von 23 Jahren einem Monument der Revolution, bei aller Wertschätzung, resolut und eigenständig entgegentritt.Eine ganz andere Sicht auf Simone Weil eröffnen die Aufsätze über Occitanien, das Südfrankreich der Langue d'Oc. Sie wurden über Aufforderung von Jean Bellard für eine Sonderausgabe der Zeitschrift Actes du Sud über das Pays d'Oc nach ausgedehnten Literaturstudien 1941 in Marseille verfaßt. Die Trauer über den politischen und kulturellen Untergang der Region wird mit dem spirituellen Verlust der katharischen Religion verfugt, die der Albigenserkreuzzug und der Waffengang mit dem französischen König im 13. Jahrhundert mit sich brachte. Auch dieser Aufsatz ist hier erstmals auf Deutsch zu lesen.In der Antike war Persona die Maske des Schauspielers, die Individualität des Dargestellten. "Der Essai über Die Person und das Heilige, den Weil im letzten Jahr ihres Lebens geschrieben hat, trifft uns aus zumindest zwei Gründen: Der erste ist die Kritik des Begriffes der Person, die auch nach einem halben Jahrhundert nichts an Aktualität verloren hat. Der zweite, wahrscheinlich ebenso aktuell, ist die leidenschaftliche Suche nach einem Prinzip, das sich jenseits der Institutionen, des Rechts und der demokratischen Freiheiten findet und ohne dem die letzteren jeden Sinn und Nutzen verlieren ." - Giorgio Agamben
Autorenporträt
Weil, SimoneSimone Weil (1908-1942), studierte Philosophin, Anarchosyndikalistin, Gymnasiallehrerin. Fließbandarbeiterin, aus jüdischer Familie stammende christliche Mystikerin und Autorin: vom Übermaß ihrer Interessen aufgezehrt hat sie sich freilich in ihren schriftlichen Einlassungen manchmal überhoben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2019

Zuflucht bei den Häretikern Okzitaniens
Erinnerung an eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Philosophin: Ein Band präsentiert späte Texte von Simone Weil

Es zeugt von Selbstbewusstsein, wenn ein Herausgeber vorab bescheinigt, die Autorin des Buches habe "sich freilich in ihren schriftlichen Einlassungen manchmal überhoben". Schon auf den ersten Blick gilt genau das nur für den Herausgeber selbst: Namen werden fast prinzipiell falsch geschrieben (Florence de Lusky, Jean Bellard, Joe Bosquet), geographische ebenfalls (Occitanien); Titel von Aufsätzen erscheinen in ständig wechselnden Formulierungen, fremdsprachliche naturgemäß falsch; die Zeitschrift "Actes du Sud" hat es nie gegeben; Midi-Pyrenées und Languedoc-Roussillon sind keine Départements; Trotzkis berühmtes Buch heißt nicht "Und jetzt?", sondern "Was nun?"; Simone Weil hat mit diesem Trotzki gewiss nicht über "die Rolle der DKP" diskutiert, denn diese wurde erst 1968 gegründet. Und da ein Band 8 der "OEuvres complètes", aus dem der Herausgeber die vorliegenden Texte entnommen haben will, weder "2004" noch sonst irgendwann erschienen ist, fragt man sich, worin seine Arbeit eigentlich bestand. Wer jedoch bereit ist, über diese Stümperei und die wackelige Übersetzung hinwegzusehen, der wird belohnt durch einen kurzen Blick in die späten Gedanken einer in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Philosophin. Simone Weil (1909-1943) hat in ihrem kurzen Leben extrem weite Wege zurückgelegt, dies jedoch mit äußerster Konsequenz: vom radikalen Pazifismus zur Résistance, vom linksradikalen Aktivismus zur religiösen Mystik, von der rationalistischen Schulphilosophie zu einer ganz eigenen Synthese aus Philosophie, Politik, Geschichte und Religion.

Der gewichtigste Teil ihres Werkes stammt aus den dreißiger und beginnenden vierziger Jahren, und diese Daten der Zwischenkriegszeit zeigen bereits, unter welch unmittelbarem Druck ihr Denken steht: Die wirtschaftliche und politische Krise in Frankreich spitzt sich bürgerkriegsähnlich zu; die demokratischen Institutionen werden von links und rechts aufs Äußerste bedroht; das sowjetische Revolutionsregime rutscht in den mörderischen Stalinismus; im Nachbarland hat sich die aggressive, auf Krieg und Vernichtung zusteuernde NS-Diktatur fest etabliert. Nur wenige Intellektuelle haben sich so illusionslos Rechenschaft über die Lage gegeben wie diese junge Frau: Die liberale Demokratie, die sie kritisiert hat, kapituliert; die proletarische Revolution, für die sie sich engagiert hat, ist gescheitert, und gescheitert ist auch der pazifistische Kampf gegen einen neuen Weltkrieg. Europas Politik bestimmen die beiden totalitären Großmächte.

Der schmale Band bietet keineswegs "Disparates", wie das nur improvisierte Vorwort behauptet; er bietet vielmehr Versuche, aus der ideologischen Falle der Epoche zu entkommen. 1943 stellt Simone Weil fest: "Dieser Krieg ist ein Religionskrieg" - Ausdruck dafür, dass es sich nicht um einen klassisch imperialen Krieg handle, sondern um einen Konflikt, der an die Wurzeln menschlicher Wertsetzungen rührt. Denken und Schreiben widmet Weil jetzt der Frage nach den Ursprüngen dieser Zivilisationskatastrophe und nach möglichen Auswegen. Wie es dieser radikalen Denkerin entspricht, geht sie zurück zu den Wurzeln der europäischen Kultur. Auf der einen Seite analysiert sie die Quellen des abendländischen Begriffs der Macht in Rom und Athen; zum anderen sucht sie nach unbekannten und vergessenen, nach unterdrückten und zerstörten Traditionen religiösen Denkens, eine Suche, die sie auch bis zu den Religionen des Fernen Ostens führt.

Einen entscheidenden Anknüpfungspunkt entdeckt sie jedoch bei jenen christlichen Seitenwegen, die als Häresien verdammt wurden, bei den Katharern und Albigensern des südfranzösischen Okzitanien. Seit ihrer mystischen Konversion sucht Simone Weil nach einem Christentum, das vom römischen Machtstreben des päpstlichen Katholizismus frei wäre; bei den Häretikern Okzitaniens, die in einem brutalen Kreuzzug ausgelöscht wurden, sieht sie die ursprünglichen Wurzeln eines mystischen, pazifistischen Christentums, zugleich zieht sie die historische Parallele zur Vernichtungspolitik im gegenwärtigen Weltkrieg.

Zwei Aufsätze des Bandes widmen sich der Geschichte und der Religion Okzitaniens; ein dritter, "Die Person und das Heilige", aus Simone Weils letztem Lebensjahr, versucht Konsequenzen zu ziehen für eine überlebensfähige Idee der menschlichen Gesellschaft. An dieser Stelle bricht Weil bewusst mit der neuzeitlichen Vorstellung der Menschenrechte - für sie ein der Revolution 1789 entstammender, falscher Gebrauch des Begriffs vom Recht. Das ist einerseits die Wiederaufnahme der klassischen Naturrechtskontroverse, zum anderen, wie problematisch auch immer, der Versuch, ein Konzept des Heiligen in der menschlichen Person zur Basis eines Gemeinwesens jenseits gewaltsamer Machtverhältnisse zu machen.

1943 ist Europa beherrscht vom NS-Regime. Simone Weils späte Aufsätze, von denen hier ein kleiner Ausschnitt vorliegt, sind Versuche der Reflexion an einem historischen, moralischen, kulturellen Nullpunkt. Ausgearbeitet sind sie nicht. Es sind Fragmente aus der Hand eines jener Menschen, die im schwärzesten Moment des Jahrhunderts in äußerster Isolation und nur auf das eigene Denken gestellt nach Möglichkeiten suchen, mit welchen Ideen und Wertvorstellungen Europa nach dem Untergang wieder aufzurichten wäre. Simone Weil hat diesen Neuanfang nicht mehr erlebt; am 24. August 1943 stirbt sie entkräftet im englischen Exil.

WOLFGANG MATZ

Simone Weil: "Die Person und das Heilige".

Mit einem Beitrag von Giorgio Agamben. Hrsg. von Martin Bertleff. Aus dem Französischen von Reiner Wimmer und Peter Weiß. Karolinger Verlag, Wien und Leipzig 2018. 100 S., geb., 18,- [Euro].

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