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Nelly Sachs feierte Karin Boye (1900-1941) als »leidenschaftliche Verschwenderin ihrer Seelenkräfte«, der »Schweden einige seiner schönsten Gedichte zu verdanken hat« und Peter Weiss setzte ihr im dritten Band seiner »Ästhetik des Widerstands« ein literarisches Denkmal. Am bedeutendsten ist sie als bildmächtige Lyrikerin der Sehnsucht, der Nacht, des Unbewussten und nicht zuletzt des Coming-out. Sie verdient ihren Platz neben anderen Ikonen des 20. Jahrhunderts wie Anna Achmatova, Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmann. Ihr lyrisches Gesamtwerk erscheint nun erstmals auf Deutsch.

Produktbeschreibung
Nelly Sachs feierte Karin Boye (1900-1941) als »leidenschaftliche Verschwenderin ihrer Seelenkräfte«, der »Schweden einige seiner schönsten Gedichte zu verdanken hat« und Peter Weiss setzte ihr im dritten Band seiner »Ästhetik des Widerstands« ein literarisches Denkmal. Am bedeutendsten ist sie als bildmächtige Lyrikerin der Sehnsucht, der Nacht, des Unbewussten und nicht zuletzt des Coming-out. Sie verdient ihren Platz neben anderen Ikonen des 20. Jahrhunderts wie Anna Achmatova, Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmann. Ihr lyrisches Gesamtwerk erscheint nun erstmals auf Deutsch.
Autorenporträt
Karin Boye wurde in Göteborg (Schweden) geboren und zog 1909 mit ihrer Familie nach Stockholm. In Stockholm studierte sie bis 1920 an der Åhlinska skolan. Von 1921 bis 1926 studierte sie an der Universität Uppsala und debütierte 1922 mit der Gedichtsammlung "Wolken" (schwedisch: Moln). Während ihrer Zeit in Uppsala und bis 1930 war Boye Mitglied der schwedischen Clarté-Liga, einer sozialistischen Gruppe, die stark antifaschistisch eingestellt war. 1931 gründete Boye zusammen mit Erik Mesterton und Josef Riwkin die Lyrikzeitschrift Spektrum und machte T. S. Eliot und die Surrealisten in Schweden bekannt. Sie übersetzte viele Werke von Eliot ins Schwedische; gemeinsam mit Mesterton übersetzte sie "The Waste Land". Von 1931 bis zu ihrem Tod im Jahr 1941 war sie Mitglied der schwedischen Literaturgesellschaft Samfundet De Nio (Die Neun). Zwischen 1929 und 1932 war Boye mit einem anderen Clarté-Mitglied, Leif Björck, verheiratet. Die Ehe war offenbar eine Scheinehe. Nach der Trennung von ihrem Mann hatte sie 1932 eine lesbische Beziehung mit Gunnel Bergström, die ihren Mann, den Dichter Gunnar Ekelöf, für Boye verließ. Während eines Aufenthalts in Berlin 1932-1933 lernte sie Margot Hanel (7. April 1912 - 30. Mai 1941) kennen, mit der sie für den Rest ihres Lebens zusammenlebte und die sie als "ihre Frau" bezeichnete. Boye starb am 23. April 1941 durch Selbstmord. Sie nahm eine Überdosis Schlaftabletten und wurde (laut Polizeibericht des Regionalarchivs in Göteborg) am 27. April von einem Landwirt, der einen Spaziergang machte, zusammengerollt auf einem Felsbrocken auf einer Anhöhe mit Aussicht nördlich von Alingsås, in der Nähe des Bolltorpsvägen, gefunden. Auch Margot Hanel starb kurz darauf durch Selbstmord. Der Felsbrocken ist heute ein Gedenkstein. Am bekanntesten sind in Schweden Karin Boyes Gedichte "Ja, natürlich tut es weh" (Schwedisch: Ja visst gör det ont) und "In Bewegung" (I rörelse) aus ihren Gedichtsammlungen "Die Herde" (Härdarna), 1927, und "Dem Baum zuliebe" (För trädets skull), 1935. Boyes Roman "Crisis" (Kris) schildert ihre religiöse Krise und ihr Lesbischsein. In ihren Romanen "Merit erwacht" (Merit vaknar) und "Zu wenig" (För lite) setzt sie sich mit männlichen und weiblichen Rollenspielen auseinander. Außerhalb Schwedens ist ihr bekanntestes Werk wohl der Roman Kallocain. Inspiriert von ihrem Besuch in Deutschland während des Aufstiegs des Nationalsozialismus, schildert sie darin (mehr als ein Jahrzehnt vor dem Erscheinen von George Orwells Hauptwerk) eine dystopische Gesellschaft in der Art von George Orwells "Neunzehnhundertvierundachtzig" und Aldous Huxleys "Schöne neue Welt". (Quelle: Wikipedia)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2022

Gewiss, es schmerzt, wenn Knospen springen
Strenger Zauber der Worte: Karin Boyes "Sämtliche Gedichte" erscheinen neu auf Deutsch

Es fällt nicht leicht, sich der im Norden hochverehrten Lyrikerin Karin Boye zu nähern. Selbst die besten Übersetzungen müssen daran scheitern, den beschwörenden Klang des Schwedischen ins Deutsche zu heben, und die Hingabe, mit der Boye immer wieder Religiöses erörtert, ist uns heute - hundert Jahre nach Erscheinen ihres Debütbandes "Wolken" - auch eher fremd.

Der strenge Zauber ihres Werks nimmt einen trotzdem gefangen. Hier schreibt eine innerlich zerrissene Frau, für die das Schreiben seit jeher auch eine Überlebensstrategie gewesen zu sein scheint, eine Suchende, die seit ihrer Jugend von einer Lebenskrise in die andere rasselt und sich nicht zuletzt fragt, wie ihr Glaube und ihre Bisexualität zusammenpassen. Und wie die Autorin, die im Oktober 1900 in Göteborg geboren wurde, trägt auch die Form ihrer Gedichte viel Widersprüchliches in sich: Klassisches und Modernes wechseln einander ab, fließen sogar ab und an ineinander.

Auf "Wolken" folgten die Bände "Verborgenes Land" (1924), "Herde" (1927), "Um des Baumes Willen" (1935) sowie "Die sieben Todsünden und weitere nachgelassene Gedichte" (1941). Jeder einzelne von ihnen ist voller Zeilen, die dunkel sind und berühren: "Ach lass mich richtig leben / und einst mich richtig sterben, / dass ich berühr die Wirklichkeit / im Guten wie im Bösen . . . / Ach mach mich klar und rein!" Oder bewegen: "Tageslichtland ist Fremdenland / Dort gehen wir gekleidet in Rüstung und Maske."

Christian Ebbertz, im Hauptberuf Gymnasiallehrer für Deutsch und Musik, hat diese Lyrik nunmehr komplett übersetzt. Das ist schon quantitativ eine beachtliche Leistung. Aber noch faszinierender wird sein Projekt durch die Geschichte dahinter: Ebbertz spricht kein Wort Schwedisch. Als er Boye entdeckte, arbeitete er an seinem kleinen, vor allem für Schüler gedachten Lyrik-Kanal auf Youtube. Er las die kleine Auswahl von Boye-Gedichten, die Nelly Sachs einst übersetzt hatte, suchte mehr und wurde kaum fündig.

Und so näherte er sich den Originaltexten, die er im Internet fand, erst mal mithilfe von Übersetzungsprogrammen und der englischen Boye-Übersetzung von David McDuff - um anschließend mit großer Freude an der Detailarbeit und lyrischem Gespür eine eigene Fassung erstellen zu können. "Ich hätte mir selbst nicht träumen lassen, dass ich dann tatsächlich alle Gedichte übersetzen würde, aber jedes einzelne war eine solche Offenbarung, dass es für mich keinen Grund gab, damit aufzuhören, als den, dass der Vorrat irgendwann erschöpft war." Unterstützend konsultierte er das Wörterbuch der Schwedischen Akademie, bei einigen kniffligen Fällen bat er eine Muttersprachlerin und eine Skandinavistin um Rat.

Ob man vor der Lektüre wissen muss, was jedem Leser der "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiß geläufig ist: dass Boye im April 1941 Suizid beging? Das sicher nicht, die zeitgenössischen Leser haben es ja auch nicht gewusst. Aber mit einem Blick auf ihre Biographie - zu der auch eine Zeit in Berlin gehört: Die depressive Boye unterzog sich dort parallel zum Untergang der Weimarer Republik psychoanalytischen Behandlungen, stürzte sich in Affären und verliebte sich in die Halbjüdin Margot Hanel, die 1934 nach Schweden zog - entschlüsseln sich die Gedichte vielleicht etwas leichter.

In einem knappen Nachwort geht Ebbertz auf die wichtigsten Eckpunkte ein. Er vergisst nicht zu erwähnen, dass Boye, die sich in den Zwanzigern in einem sozialistischen Intellektuellenzirkel engagierte, 1928 mit der Übersetzung von Thomas Manns "Zauberberg" ins Schwedische beauftragt wurde. Und natürlich weist er auch auf Boyes bekannte Romane hin: den konsumkritischen Erstling "Astarte" über eine Schaufensterpuppe, den autobiographisch geprägten Roman "Krise" und die kurz vor ihrem Tod veröffentlichte Dystopie "Kallocain" (die Paul Berf 2018 neu übersetzt hat).

In Schweden gilt Boye als eine der bedeutendsten Autorinnen des Landes. Dort sind die ersten Zeilen von ihrem Gedicht "Ja visst gör det ont" von 1935 vielen geläufig. "Ja visst gör det ont när knoppar brister / Varför skulle annars våren tveka? / Varför skulle all vår heta längtan / bindas i det frusna bitterbleka?" Nelly Sachs, die 1939 nach Schweden geflohen war, übersetzte das folgendermaßen: "Ja, es schmerzt gewiß, wenn Knospen springen / Warum sollte sonst der Frühling zaudern? / Warum sollte unsre heiße Sehnsucht / In dem bitterbleichen Froste schaudern?"

Auf der Webseite der Karin-Boye-Gesellschaft lautet die Übersetzung Marcus Petrisons: "Gewiss tut es weh, wenn Knospen springen / Wieso würde sonst der Frühling schwanken? / Wieso würde unsere ganze heiße Sehnsucht / In die Gefrorenheit sich fesseln und bitter, blass erkranken". Deepl spuckt aus: "Ja, es tut weh, wenn die Knospen platzen / Warum sollte der Frühling sonst zögern? / Warum sollte all unsere heiße Sehnsucht / In der gefrorenen, bitteren Bleiche gebunden sein?" Und bei Christian Ebbertz heißt es nun: "Gewiss, es schmerzt, wenn Knospen springen / Was sonst hält den Frühling zurück, sich zu zeigen? / Was sonst hält unser heißes Verlangen / gebunden in eisiger bitterer Bleiche?"

Auch nicht schlecht, meint man auf den ersten Blick. Obwohl der Reim von der zweiten auf die vierte Zeile verloren geht. Wie der Klassiker im Original klingt, kann man sich im Lyrik-Kanal von Ebbertz auf Youtube anhören, raunend gelesen von Karin Boye selbst. Wie die Fachwelt auf das Projekt reagiert, wird sich zeigen. Wir warten gespannt. MATTHIAS HANNEMANN

Karin Boye: "Sämtliche Gedichte".

Aus dem Schwedischen von Christian Ebbertz. Razamba-Verlag, Offenbach 2022. 218 S., br., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Matthias Hannemann hält sich zurück mit einem Urteil über die Übertragung von Karin Boyes Gedichten durch den des Schwedischen unkundigen Übersetzer Christian Ebbertz. So übel aber kann Ebbertz' Arbeit nicht sein, erkennt Hannemann doch beim Lesen die Zerrissenheit der Autorin in dem mal klassischen, mal modernen Duktus der Texte wieder. Verständlicher werden die Texte laut Hannemann mit etwas biografischem Wissen über Boye, die in Schweden sehr bekannt ist, wie er erklärt. Boyes Homosexualität, ihr depressives Leiden und ihr rastloses Leben, das sie 1941 selbst beendete, bieten einen Schlüssel zum lyrischen Werk, glaubt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH