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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Sonnige Erkenntnis: Neue Gedichte von Klaus Merz
Man findet leicht hinein in diese Gedichte des 1945 geborenen Schweizers, aber schwer wieder heraus. Nach Art eines Labyrinths halten sie ihre Leser fest, zwingen sie zum Nach- und Weiterdenken. "Gedichte sind Denk- / fortsätze. Über das / Bedachte hinaus" - so lautet das auf dem Umschlag des Buches zitierte Gedicht, das den Titel "Ins Freie" trägt. Poesie öffnet Schutzräume (Überdachungen) und führt zugleich ins Ungeschützte; sie ist mit dem vertrauten Denken eng verbunden und lässt es doch weit hinter sich. Klaus Merz: ein traditionsgebundener Neuerer.
Das gibt schon das erste Gedicht des nach ihm benannten Bandes, "Helios Transport", zu erkennen: "Mit wankendem Wagen / befuhr Helios die Strassen / der frühen Fünfzigerjahre: / Lasten, Transporte aller Art. // Noch heute zuweilen / beliefert er meine Träume / bringt Licht in die hintersten / Räume meiner Kreidezeit." Die tief in die Mythologie reichende Erinnerung gilt offenbar einem Transportunternehmen namens Helios, das während der "frühen Fünfzigerjahre" - Klaus Merz war damals, in seiner "Kreidezeit", ein Schulbub - "Lasten, Transporte aller Art" offerierte. Der Firmenname war gut gewählt. Denn der Sonnengott Helios transportiert Tag für Tag auf seinem von vier Rössern gezogenen Wagen pünktlich und zuverlässig die Sonne. Die klärt auf, liefert Erkenntnisse "aller Art" bis in die Träume hinein. Helios erweist sich im übertragenen und im übertragenden Sinn als Metapher und als Metaphernlieferant.
Klaus Merz kommt auf geradem Wege zu den Gegenständen seiner metaphorischen Betrachtungen. "Es sind die nächsten Dinge / Baum, Schatten, Licht und / Traum, die uns im Labyrinth / der Tage die Richtung weisen / und den Weg", heißt es in dem Gedicht "Gemalte Welt", das dem Maler und Bildhauer Otto Scherer gewidmet ist, das aber, wie das Wort "uns" verrät, auch für Merz gilt. Er sucht und findet die bündigsten Mehrdeutigkeiten der Dinge und der Wörter. Seine Gedichte sind fertig, wenn sie die äußerste Kürze und eine bedeutende Pointe erreicht haben. Das ist mehrfach schon nach sieben bis neun Wörtern oder drei Zeilen der Fall wie in dem Gedicht "Unterkulm Nord": "Mit der Strassenbahn / passieren wir das Verlangen. / Ohne Halt." In Unterkulm im Aargau ist Klaus Merz daheim. Die Station Unterkulm Nord scheint eine Bedarfshaltestelle der Wynental-Schmalspurbahn zu sein, die zwischen Aarau und Menzigen verkehrt; der Zug hält in Unterkulm Nord nur auf Verlangen. Diesen Umstand überträgt der kurze Text auf die Gemütsverfassung der Fahrgäste: Sie fahren an der Station vorbei, unterdrücken das Verlangen nach einem Halt (im Leben?) und überlassen sich passierend der Haltlosigkeit. Ob sie das beklagen oder genießen, wird nicht gesagt. Der Sprachwitz, die offensichtliche Freude am bedeutungsvollen Spiel mit den Wörtern, die Merz' Texte auszeichnen, spricht eher für Letzteres.
In den spielerischen Umgang mit der Sprache bezieht Merz ohne Larmoyanz auch die Erinnerung an die Jugend, die Reflexion über das Alter und das Bedenken des unvermeidlichen Todes ein. Eine Wasserlilie wird zur "Gedenkstätte" an den gestrengen Vater, die "Manikür" lässt "mit jedem / zurückgeschnittenen / Fingernagel . . . das eigene Ende / immer klarer vor Augen" treten, und ein "Epitaph" endet mit den Worten: "lebensfroh / sterbenswach", die als Motto über dem ganzen Gedichtband stehen könnten.
Gelegentlich kommt es zum lustvollen Grenzübertritt ins Land des Kalauers, wenn beispielsweise der Weg vom "Neander- ins Digital" nachgezeichnet oder wenn das Hollywood-Klischee aufgemöbelt wird: "Es ist alles da: / Der Whirlpool / die Schaukel / Eis im Glas./ Und ein Star / scheißt ins Gras". Das könnte natürlich auch jedes Filmsternchen tun, aber in Hollywood gibt es neben den Stars auch die ganz gewöhnlichen Stare.
Den Abschluss bildet das anrührende Gedicht "Migration". Es enthält sogar - ganz ungewöhnlich für Merz - einen erzählerischen Kern: Mit seinem Enkel, der schon alle Planeten aufzählen kann, unternimmt der Erzähler auf dem Karussell "Saturn" eine fiktive Wanderung ins All: "Grau und geringelt züngelt / unser Haar durchs All / wir schauen mild // zurück auf unsere enge / Heimat, halten einander / bei der Hand."
WULF SEGEBRECHT.
Klaus Merz: "Helios Transport". Gedichte.
Mit fünf Pinselzeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 2016.
80 S., geb., 16,90 [Euro].
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