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»In der Not wird das Gold gewogen, und in der Verzweiflung schluckt man die Uhr.«Securitate und Sex, das Banat und Berlin, Wandermönch und Linienflug: ein lyrisches Lebenswerk in über 100 Gedichten von einem unserer wichtigsten zeitgenössischen Dichter, in weiten Teilen unveröffentlicht.»Die Poesie gibt einem das, was sie einem nimmt«, sagt Richard Wagner. Zwischen 1969 und 2016 hat er an die tausend Gedichte geschrieben. Während sich seine frühe Lyrik an Brecht orientierte, griff Wagner Anfang der 80er Jahre die Strömungen der Pop- und Beatkultur auf. Sein Werk der 90er Jahre steht stark…mehr

Produktbeschreibung
»In der Not wird das Gold gewogen, und in der Verzweiflung schluckt man die Uhr.«Securitate und Sex, das Banat und Berlin, Wandermönch und Linienflug: ein lyrisches Lebenswerk in über 100 Gedichten von einem unserer wichtigsten zeitgenössischen Dichter, in weiten Teilen unveröffentlicht.»Die Poesie gibt einem das, was sie einem nimmt«, sagt Richard Wagner. Zwischen 1969 und 2016 hat er an die tausend Gedichte geschrieben. Während sich seine frühe Lyrik an Brecht orientierte, griff Wagner Anfang der 80er Jahre die Strömungen der Pop- und Beatkultur auf. Sein Werk der 90er Jahre steht stark unter dem Eindruck der Ausreise nach Deutschland im Jahr 1987 mit Herta Müller. Seine späte Lyrik ist existentiell und dicht-aphoristisch. Sie lässt einen Dichter erkennen, der im Angesicht der Krankheit das Leben verteidigt.
Autorenporträt
Richard Wagner, geboren 1953, ist Autor von Lyrik und Prosa sowie Journalist und Essayist. Geboren im Banat, begann er im Kreis der Aktionsgruppe Banat engagierte Lyrik zu schreiben. 1987 konnte er mit seiner damaligen Frau Herta Müller in die BRD ausreisen und lebte seitdem in Berlin. Er starb im März 2023.

Veröffentlichung mehrerer Gedichtbände, ausgezeichnet u. a. mit dem Sonderpreis des Leonce-und-Lena-Preises und dem Förderpreis des Andreas-Gryphius-Preises. 2014 wurde ihm das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Christina Rossi, geboren 1983, ist Juristin und Literaturwissenschaftlerin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Augsburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2017

Nachrichten aus dem Hotel Atemzug
Galgenhumor inklusive: Eine lyrische Werkschau Richard Wagners

Im Frühjahr 1987 erhielt der Rumäniendeutsche Richard Wagner beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb den Sonderpreis für das beste politische Gedicht. Sein "Curriculum" fasste die Erfahrungen zusammen, die der Autor mit Ceausescus Securitate gemacht hatte: "Nicht erschlagen, fertiggemacht. / Belogen, bis ich selber log. / Nicht nackt, nur mir selber entzogen. / Nicht mit Steinen beworfen, nicht mit Worten. / Bloß mit Schweigen traktiert. / Nicht verhungert, aber der Kopf eine Höhle. / Davongekommen, überlebt, das auch, ja." Der davongekommene, eben in die Bundesrepublik übergesiedelte Autor nannte die Preissumme fürs Gedicht sein Begrüßungsgeld in Deutschland. Wer den Text heute liest, hört aus dem Schluss Skepsis heraus: "Davongekommen, überlebt, das auch, ja."

Dabei ließ sich die deutsche Ära gut an, mit weiteren Preisen und Publikationen. Die Gedichtbände "Rostregen" und "Schwarze Kreide" wurden stark beachtet, wenn auch "Heiße Maroni" die eher mageren Resultate eines Villa-Massimo-Stipendiums waren. In seiner Prosa arbeitete Wagner sich an seiner Vergangenheit ab: in "Ausreiseantrag" am Alltag im Securitate-Rumänien, in "Begrüßungsgeld" an der Anpassung im westdeutschen Kapitalismus. Vollends stürzte in dem Roman "Die Muren von Wien" das Geröll der Vergangenheit auf den Protagonisten ein.

Unterdes war die siebenbürgische Epoche historisch geworden, und Wagner geriet aus dem Fokus des Literaturbetriebs. Zudem wurden seine persönlichen Verhältnisse prekär. 2012 hatte er eine schwere Erkrankung zu überstehen; schon seit 2003 leidet Wagner an Parkinson - tapfer hat er 2015 in "Herr Parkinson" die Auseinandersetzung mit dieser Krankheit aufgenommen. Dazu gehört das Weiterschreiben, und so darf man den Gedichtband "Gold", den Wagner zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag jetzt erscheinen lässt, als Dokument eines fortgesetzten Existenzkampfes lesen.

"Gold" versammelt Gedichte von 1972 bis 2016, also aus vierzig Jahren. Das Titelgedicht operiert mit leicht verrätseltem Galgenhumor. Da heißt es: "In der Not wird das Gold gewogen und in der Verzweiflung schluckt man die Uhr." Der Dichter lässt offen, ob und in welcher Not er sich befindet. Er rafft etwas Mut zusammen und sagt: "Ich verdrehe kurz mal die Nase / wie um Zeit zu gewinnen." Zeit zum Leben vermutlich, Zeit für Lyrik.

In seinen frühen Gedichten mischt Wagner in die Aufmüpfigkeit des Banater Jungautors die Töne einer politischen Ambivalenz. In einem dieser Gedichte heißt es: "die wir in den kränen der poesie hocken / und aufbauen die tribünen des sozialismus / stück für stück." Dass im Sozialismus bloß Tribünen aufgebaut werden, scheint der Zensur damals entgangen zu sein. Inzwischen ist solche Sklavensprache tiefe Vergangenheit. Von den Gedichten der mittleren Jahre berühren diejenigen am meisten, die ein misslingendes Leben zeichnen. So der Schluss von "Es ist Nacht": "Du nimmst die Frau bei der Hand. / Du flüsterst wie im Leben. / Ein Wort ums andre trifft daneben." Wo das Leben scheinhaft geworden ist, bleibt der Poesie nur die Klage um ihr Versagen.

In den Gedichten der letzten Jahre unternimmt der Dichter Anstrengungen, die Lücke zwischen Leben und Schreiben aufzuheben. Und sei es, indem die Gedichte länger werden. So erscheint zwar ein "Hotel Atemzug", doch darin gibt es trotz des optimistischen Titels keine Erlösung: "Du kommst hier vielleicht raus / Aber du kommst von der Hölle in den Himmel / Und vom Himmel in die Hölle / Und hier hast du alles / Und es ist alles auf Eis."

Die knapp 140 Gedichte von "Gold" beleuchten den Weg vom Aktivisten der Aktionsgruppe Banat zum bedrängten Poeten seiner sechziger Lebensjahre - eine Zeit der Wandlungen. Doch Wagner meint erstaunlicherweise, seine Poesie habe sich nicht verändert. Zu Christina Rossi, die ihm ein sympathetisches Nachwort schrieb, sagte er: "Meine frühesten Gedichte sind genauso wie das, was ich jetzt schreibe. Was habe ich denn da in der Zwischenzeit bloß gemacht." Eine rhetorische Frage. Der Leser wird dem Dichter nicht widersprechen, der über sich selbst staunt, auch wenn seine Erfahrungen anders sind.

HARALD HARTUNG

Richard Wagner: "Gold". Gedichte.

Mit einem Nachwort von Christina Rossi. Aufbau Verlag, Berlin 2017. 208 S., br., 20,- [Euro].

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