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Surreal, schwebend, verlockend der erste Gedichtband von Margret Boysen enthält Texte, in denen man sich denkend verliert.

Produktbeschreibung
Surreal, schwebend, verlockend der erste Gedichtband von Margret Boysen enthält Texte, in denen man sich denkend verliert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2015

Auf dem steinigen Weg zum Helikon
Abwechslungsreich und metaphernselig: Das Lyrikdebüt von Margret Boysen lässt sich keinen gängigen Trends und Moden zuordnen

Der Dichter will ganz nach oben, und Margret Boysen begleitet ihn dorthin: "den Dichter tragen seine Metaphern zum Gipfel des Schreibens", schreibt sie im Gedicht "Die Bergwanderung des Dichters". Das ist durchaus auch als Confessio der Autorin gemeint; denn auf die Metaphern kommt es ihr entscheidend an beim Dichten. Aber ihr Poem ist zugleich auch voller Selbstironie und spielerischer Komik, denn das Wort "Metapher" wird darin in seine Buchstaben zerlegt, die ihrerseits ihre Bedeutung für die einzelnen Stationen der Kraxelei enthüllen: "Er ging los beim großen M, / das aus zwei Bergen und einem Tal besteht". Und so, nicht ohne Kalauerei, aber doch auch mit Tiefsinn (auf dem Berg sieht er "sich im Himmel die Wunder der Erde spiegeln, / bevor er sich verbannt fühlt aus dem Paradies, das sein Zuhause war") geht es weiter, bis der Dichter mit "Muskelkater in der Seele" wieder daheim ist und rückblickend selbstkritisch feststellen muss: "Alles Käse!"

Nein! Alles nicht. Aber doch dies und das, wie es bei einer Erstbesteigung schon mal vorkommen kann; und um die erste Lyrik-Publikation der 1967 im schleswig-holsteinischen Rendsburg geborenen Autorin handelt es sich hier. Margret Boysen hat in Berlin Geologie und Paläontologie studiert und eine journalistische Ausbildung absolviert. Während ihrer früheren Berufstätigkeiten hat sie Erfahrungen im Bereich von Ornithologie, Astronomie, Klimaforschung und Wissenschaftsjournalismus gesammelt. Sie ist verheiratet mit dem renommierten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, dem Begründer und Leiter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, in dem Margret Boysen zunächst als Pressereferentin tätig war und jetzt als Direktorin das künstlerische Programm des Instituts leitet.

In ihrem sorgfältig nach Themen gegliederten Gedichtband geht die Verfasserin von ihren beruflichen Arbeits- und Interessengebieten aus: Berge, Steine und Meere (Geologie) machen den Anfang, es folgen Sterne mit Sternbildern (Astronomie) und Vögel (Ornithologie). Erst im dritten Abschnitt kommt das im engeren Sinne Biographisch-Private der Autorin zur Sprache mit Erinnerungen an die Kindheit, mit Texten übers Älterwerden, Reden an den Sohn und ihrem persönlichen Gott. Den Abschluss bilden Gedichte, die es mit den Wörtern, den Versen, den Dichtern und der Poesie überhaupt zu tun haben: poetologische Gedichte.

Natürlich redet die Autorin nie "über" die Phänomene, schon gar nicht auf wissenschaftliche Art, sondern eher mit ihnen. Sie eignet sich ihnen zu und verwandelt sie sich an, wobei sie weder Pathos noch Emphase scheut: "Meer, herrisches Meer, ... selbst auf der Höhe der Berge dürste ich nach dir!" Das maßgebliche Instrument, das solche Aneignung und Anverwandlung leistet, ist die Metapher, zumal in der Form zusammengesetzter Nomina: Moosknie, Mondpfennig, Schuppenspiegel, Erdwange, Rosenwassergraben, Blütenblätterteig, Mondlichtfleckenhände. Ein metaphorisches Sprechen, das rätselhafte Deutungsspielräume öffnet, scheint für Margret Boysen Inbegriff der Poesie zu sein; sie verwendet es im Übermaß. Möglicherweise ist hier Paul Celan das große (unerreichte) Vorbild, denn eine Anweisung in Gedichtform, "Celan lesen", schreibt vor, wie man ihn zu lesen hat: "so mußt du seine Verse lesen / wie ein Rinnsal den Weg zwischen Kieseln / durch seine Zeilen gehen / wie durch die tiefgründige Haltlosigkeit des Schnees / seine Worte fühlen / wie ein in den Mund gestülptes Gebet". Man sollte mal ausprobieren, ob und wie das funktioniert!

Celan ist der einzige deutschsprachige Dichter, der namentlich genannt wird, aber einige weitere Dichterkollegen geistern (wohl eher unbeabsichtigt) in den Gedichten herum. Was ist beispielsweise von folgendem Anfang des Gedichts "zu Hause im Laternenfeld" (der bestirnte Himmel) zu halten:

maßgeschneidert um die Erde

dreht sich ein Laternenfeld:

begnadet ist, für den ein Gott

dies alles in den Händen hält.

Schillers "Lied von der Glocke" klingt hier ebenso an wie Rilkes "Herbst"-Gedicht ("Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen / unendlich sanft in seinen Händen hält") - aber zsätzliche Bedeutung gewinnen die Verse mit diesen Anspielungen nicht, und ein guter Berater hätte der Autorin wohl empfohlen, derlei Leichtfertigkeiten, zu denen auch umgangssprachliche Wendungen ("fliegen tu ich", "verstehen tun wir") gehören, zu streichen. Andererseits sind sie auf ihre Art auch wieder charakteristisch für einen Lyrikband, den eine hohe Varietät kennzeichnet. Er lässt sich kaum den gängigen Trends und Moden der gegenwärtigen Lyrikszene zuordnen und verrät auch keinen einheitlichen unverwechselbaren Ton. Im Gegenteil: Er ist thematisch und formal einfalls- und abwechslungsreich gestaltet, es gibt gereimte und ungereimte Gedichte, kurzzeilige liedhafte und weit ausgreifende Langverse, bekenntnishafte und balladenartig erzählende Rollen-Gedichte, übermütige Scherze und todernste Sentenzen, hochtrabende Formulierungen und slangartige Einsprengsel, treuherzige Naivitäten und, wie gesagt, ein dichtes Netz metaphorischer Einfälle und Erfindungen.

Wo der Autorin auf ihrem Gipfelgang die Luft und Lust zu den geliebten Metaphern ausgehen, da findet sie nur noch zu öden, steinernen Abstrakta: "wirf dich in die Arme der Schönheit / denn Schönheit ist eine Wahrheit / und Wahrheit ist Leben". Mit der Wahrheit hat sie es. Derzeit, so verrät der Klappentext, schreibt Margret Boysen ein "Märchenbuch über die Wahrheit".

WULF SEGEBRECHT

Margret Boysen: "Flucht vor der Laternenordnung". Gedichte.

Edition Rugerup, Berlin 2014. 94 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wulf Segebrecht kann sich nicht wirklich anfreunden mit dem dichterischen Debüt von Margret Boysen. Treuherzige Naivitäten entdeckt er, ein überstrapaziertes metaphorisches Sprechen und umgangssprachliche Leichtfertigkeiten, die einen guten Lektor verdient hätten, wie er findet. Dass sich die Autorin auf Celan beruft, scheint ihm doch etwas hochgegriffen. Dennoch: Dass die Autorin Emphase und Pathos nicht scheut und thematisch und betreffend ihren Ton äußerst abwechslungsreich unterwegs ist, kommt ihm jedenfalls recht eigenwillig vor.

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