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Über eine Wild-West-Legende
Billy the Kid, eigentlich Mr. William Bonney, geboren 1859, erschossen im Alter von 22 Jahren - und für jedes Lebensjahr gab es einen Toten, sagten die Leute. Von allen Legenden, die es je im Wilden Westen gab, war er die größte. In ihm vereinigten sich die Romantik und Gewalttätigkeit dieser Zeit, er war Liebhaber und Killer, ein halbes Kind noch und stets dem Tode nah. Hier tauchen sie alle auf, die Freunde und die Feinde: John und Sallie Chisum, auf deren Farm Billy immer wieder Zuflucht suchte; Angela D, die ehemalige Prostituierte, Billys Geliebte; Charlie…mehr

Produktbeschreibung
Über eine Wild-West-Legende

Billy the Kid, eigentlich Mr. William Bonney, geboren 1859, erschossen im Alter von 22 Jahren - und für jedes Lebensjahr gab es einen Toten, sagten die Leute. Von allen Legenden, die es je im Wilden Westen gab, war er die größte. In ihm vereinigten sich die Romantik und Gewalttätigkeit dieser Zeit, er war Liebhaber und Killer, ein halbes Kind noch und stets dem Tode nah. Hier tauchen sie alle auf, die Freunde und die Feinde: John und Sallie Chisum, auf deren Farm Billy immer wieder Zuflucht suchte; Angela D, die ehemalige Prostituierte, Billys Geliebte; Charlie Bowdre und Tom O'Folliard, die so elend ums Leben kamen, und Billys Nemesis, sein einstiger Freund Pat Garrett. - Leben und Sterben des Menschen, der bis heute den Wilden Westen verkörpert.
Autorenporträt
Michael Ondaatje wurde am 10. September 1943 in Sri Lanka geboren. Nach seiner Schulausbildung in England übersiedelte er 1962 nach Kanada, wo er heute noch lebt. Mit seinem Roman 'Der englische Patient', für den er 1992 den Booker Prize sowie zum fünfzigjährigen Jubiläum des Preises 2018 den Golden Man Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. Michael Ondaatje lebt in Toronto.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.1997

Porträt des Rauhbeins als junger Mann
Michael Ondaatje schreibt die "Gesammelten Werke von Billy the Kid" · Von Paul Ingendaay

Wer sich bei Billy the Kid mit dem Begriff "Mythos" nicht zufriedengeben will, muß die Archive bemühen. Ihnen ist zu entnehmen, daß das Leben des berühmten Pistolenhelden und vielfachen Mörders zwischen 1930 und 1973 viermal verfilmt wurde. Es gibt zahlreiche Erinnerungen, Zeugenberichte, erfundene Interviews, Billy als Musik und Theaterstück, als T-Shirt und Wandteller. Doch erst das Internet erteilt Auskunft darüber, wie die Legende heute verwaltet wird. Neben touristischen Führungen, Abenteuer-Camping und einem jährlichen Kochwettbewerb in New Mexico können auch die Reste der Gebäude bestaunt werden, die bei Leben und Sterben Billys ihre bescheidene Rolle spielten.

Das Buch "Die gesammelten Werke von Billy the Kid" des tamilisch-singhalesischen, in Kanada lebenden Schriftstellers Michael Ondaatje, im Original bereits 1970 erschienen, hat mit den dickeren Schichten der kollektiven Mythisierung nichts zu tun. Es beginnt mit einer Ironie, die einen entspannten Autor verrät. "Ich schicke dir ein Bild von Billy, aufgenommen mit dem Perry-Verschluß, so schnell es möglich ist mit Blitzpulver und Soda-Entwickler", heißt es da auf der ersten Seite. Es folgen technische Einzelheiten aus den frühen Tagen der Fotografie, etwa über die Schwierigkeit, gehende Männer, sich drehende Radspeichen oder Pferde im Trab abzulichten (auch für Fotografen war der Wilde Westen voller Herausforderungen). Dann schaut man wieder auf die obere Hälfte der Seite, die eine gerahmte Fläche zeigt. Aber dort ist weder Billy noch sonst etwas zu sehen: Die Fläche ist leer.

Man könnte es sich leichtmachen und daraus auf die Haltung des Autors schließen: Ich weiß, daß ich nichts weiß. Vielleicht will Ondaatje aber auch nur an die Domäne des Wortes erinnern, an die Notwendigkeit, das Visuelle energisch zu verscheuchen. Authentische Bilder zu Billys Leben sind ja auch rar. Eine einzige Fotografie zeigt zweifelsfrei den Mann, der für seinen Umgang mit Pferd und Pistole, für Kühnheit und Kaltblütigkeit berühmt war, und ausgerechnet auf sie verzichtet Ondaatje. Die "harten" unter den überlieferten biographischen Daten (Billys Raubüberfälle, Morde, Gefängnisausbrüche) sind durch lustvoll-schaudernde Romantisierung ohnehin zu einem üppig ausladenden Baum geworden, unter dem kein gewöhnliches Gras mehr wächst.

Ondaatjes Buch, eine Collage aus Prosastücken, Gedichten, bearbeitetem Quellenmaterial und einigen grobkörnigen Fotos, meidet die oft befahrenen Wege. Manche Zusammenhänge setzt es voraus, andere ergeben sich im Lauf der Lektüre: daß Billy the Kid, der eigentlich William H. Bonney hieß, 1859 in New York geboren wurde und in Arizona als Pferdedieb auffiel, daß er im Lincoln-County-Bürgerkrieg kämpfte, einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen Großkaufleuten, und daß seine Bande einen Sheriff und dessen Hilfssheriff umbrachte. Dem achtzehnjährigen Billy the Kid wurden zwölf Morde zur Last gelegt. Am Ende, also kaum drei Jahre später, sollen es einundzwanzig gewesen sein, "Mexikaner nicht eingerechnet". Sein früherer Freund Pat Garrett, den man zum Sheriff ernannt hatte, um die Gegend von Kriminellen zu säubern, erschoß ihn am 13. Juli 1881 in einem dunklen Zimmer.

Borges schreibt in seinem Essay über Billy the Kid, die Geschichte arbeite "in ihrem Fortschreiten ähnlich wie gewisse Filmregisseure mit zusammenhanglosen Bildern". Ondaatje hat diese Erkenntnis zur Grundlage seines technischen Verfahrens gemacht. Nach Büchern wie "Buddy Boldens Blues" (dem "Billy the Kid" am ehesten ähnelt), "In der Haut eines Löwen" und "Der englische Patient" darf er als Spezialist für fragmentarische Lebensläufe gelten. Daß er als Lyriker angefangen hat, sieht man beim vorliegenden Buch auch an der systematischen Vereinzelung: Die Wahrnehmungen stehen in spröder Schönheit allein, ohne sich zu einem epischen Gesamtbild verrechnen zu lassen, nicht des Menschen und nicht seiner Zeit. "Ein Fluß, in dem man sich verlieren konnte / und die Sonne ein blitzender Habicht / an seinem Ufer": So beginnt eine Impression über einen Mann unterwegs, seine Blicke über Meilen hinweg und den langen Tag im Sattel, "bis der Abend dämmert und es kalt wird / und das Pferd dich anstupst / und du schaust hoch und da ist / der Mond das Auge eines erfrorenen Vogels".

Ondaatje schildert die Monate der Jahre 1880 und 1881, in denen Billy und seine Leute gejagt, in die Enge getrieben und erschossen werden. Werner Herzog muß zu dem Buch eine besondere Affinität verspüren, sonst hätte er kaum die Bühnenversion übersetzt, die letztes Jahr hier gespielt wurde, und nun den Urtext folgen lassen. Seine Übertragung ist zuverlässig und so poetisch, wie das Deutsche es hergibt. (Der Verlag hat allerdings die Bilder auf den Seiten 84 und 90 vertauscht.) Was das Buch vergleichbaren Werken voraus hat, mag auch Herzog angezogen haben: seine Askese im Deuten und Bewerten. Hier wird kein "neuer" Billy the Kid sichtbar gemacht und auch nicht die Wahrheit eines schrecklichen Mannes erzählt. Die Gewalttaten, die Billy verübte, werden weder verklärt noch analysiert. Ondaatje nistet sich im Bewußtsein seines Protagonisten ein, um Stimmungen zu rekonstruieren. Natürlich kann das nur Erfindung sein, dafür sind Romanautoren da. Billys Welt kennt Licht in vielen Schattierungen, aber wenig Geräusch, sie kennt feste Punkte wie das Besäufnis am vereinbarten Ort und die Abwesenheit moralischer Erwägungen. Den Schriftsteller Michael Ondaatje fasziniert Gewalt. Jetzt wissen wir, daß er ihre Bezirke ähnlich genau kennt wie Cormac McCarthy.

Ein Glanzstück ist die Beschreibung des fünftägigen Ritts, der den gefesselten Billy zur Gerichtsverhandlung bringt. Man ist zu gebannt von der Schilderung, als daß man denken könnte: Geschieht dem Mörder recht, daß er keinen Hut mehr hat und die Sonne ihm den Schädel bis auf den Knochen und tiefer verbrennt. Klar ist immerhin, daß andere in seiner Umgebung kaum besser waren als er, nur gerissener, etwa Pat Garrett, der dem Morden auf eigene Rechnung gerade noch rechtzeitig entsagte.

"Die gesammelten Werke von Billy the Kid" ist kein opulentes Buch wie "Der englische Patient". Aber in mancherlei Beziehung ein besseres. Es zeigt Ondaatjes frühe Begabung - und läßt einer Verfilmung keine Arbeit mehr übrig. Wie sehr Ondaatje den Schöpfer als Träumer begreift, offenbart die wunderbare, an Diskretion kaum zu überbietende Komik der allerletzten Seite, die den Leser mit einer briefmarkengroßen Fotografie eines Cowboys entläßt. Nirgendwo steht, daß sie den Autor selbst darstellt, ein Kind mit Hut und Patronengurt und einer Pistole in jeder Faust, aufgenommen in einem Land, das damals noch Ceylon hieß.

Michael Ondaatje: "Die gesammelten Werke von Billy the Kid". Aus dem Englischen übersetzt von Werner Herzog. Carl Hanser Verlag, München 1997. 144 Seiten, geb., 29,80 DM.

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