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Ein hauptstädtischer Repräsentationsverein mit Wurzeln im proletarischen Wedding - die Ausgangslage bei der 'Gleichschaltung' des Fußballclubs Hertha BSC war widersprüchlich. Der an der FU lehrende Historiker Prof. Daniel Koerfer hat diesen Prozess eingehend analysiert und dabei bislang kaum erschlossene Quellen ausgewertet. Er benennt Täter und Opfer und untersucht insbesondere die Beziehungen des damaligen Berliner Fußballhelden Hanne Sobek zur NSDAP.

Produktbeschreibung
Ein hauptstädtischer Repräsentationsverein mit Wurzeln im proletarischen Wedding - die Ausgangslage bei der 'Gleichschaltung' des Fußballclubs Hertha BSC war widersprüchlich. Der an der FU lehrende Historiker Prof. Daniel Koerfer hat diesen Prozess eingehend analysiert und dabei bislang kaum erschlossene Quellen ausgewertet. Er benennt Täter und Opfer und untersucht insbesondere die Beziehungen des damaligen Berliner Fußballhelden Hanne Sobek zur NSDAP.
Autorenporträt
Dr. Daniel Koerfer, geb. 1955 in Bern, Publizist, Honorarprofessor für Zeitgeschichte / Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin; Publikationen u.a. "Die FDP in der Identitätskrise - Die Jahre 1966 bis 1969", "Kampf umsKanzleramt - Erhard und Adenauer".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.06.2009

Freistoß in den Untergang
Wieder ein Buch über Krieg und Fußball? Ja, aber was für eins: Marcel Reif über Daniel Koerfers spannende Hertha-BSC-Recherche
Fußball und Geschichtsbücher, das ist wie Alphorn und Meeresrauschen – beides passt nicht zusammen. Oder es fällt meist quälend gewollt aus. Allenfalls autobiographisch befeuerte Texte, wie sie Nick Hornby verfasst, können den schnelllebigen Sport mit der bedächtigen Buchform „versöhnen”, dachte ich. Bis ich auf ein seltsames Buch gestoßen wurde. Im Mittelpunkt ein Berliner Fußballverein, bis heute „arm und erst in dieser Saison mal wieder etwas sexy”, jedenfalls für mich – die „blau-weiße” Hertha. Und dann auch noch über die Zeit im Dritten Reich.
Ich wollte das Paket gleich wieder zurückschicken. Und habe dann doch angefangen zu blättern. Viele Bilder, kaum fassliche Aufnahmen – wie im März 1933 fast 100 preußische Polizisten auf dem Boden des Sportpalastes ein riesiges Hakenkreuz formen. Selten habe ich die rasante Selbstunterwerfung der Deutschen unter die neue Diktatur, unter Hitler, so optisch schlagend vorgeführt gesehen. Es gibt einige Farbstrecken – von Aktenstücken und Zeitungsausschnitten. Das Ganze kommt wie ein Familienalbum daher, auf den ersten Blick ganz harmlos, bedächtig, fast altmodisch. Wie ein Buch aus fernen Zeiten.
Ich gestehe, ich habe dann tatsächlich angefangen zu lesen. Mittendrin. Mein erstes Kapitel: „Rassenantisemitismus als Waffe im Rosenkrieg ”. Da war es mit der Harmlosigkeit gleich vorbei. Da ist vom jüdischen Mannschaftsarzt der Hertha die Rede; da werden seine völlige Isolierung, Entrechtung, Ausplünderung – und sein Transport nach Auschwitz nachgezeichnet, wo er sterben, wo er umgebracht werden wird – Schritt für Schritt in all den vielen kleinen und immer perfideren Drangsalierungen der deutschen Machthaber. Des Arztes enteignete, ausgeplünderte (damals hieß das: verwertete) Wohnung in Berlin-Wilmersdorf vermittelt das staatliche Wohnungsplanungsamt an einen – ja, tatsächlich! – SS-Gruppenfürer, einen SS-General. Bittere Schlusspointe, historische Wirklichkeit und keineswegs die Erfindung eines Romanautors.
Nicht nur in diesem Fall hat Koerfer mit seinem Team eine verblüffende Fülle von Material aus unterschiedlichen Archiven zusammengetragen, – mehr als sechzig Jahre nach dem eigentlichen Geschehen. Die reiche Fülle der Funde wird fast beiläufig, ohne den lästigen Zeigefinger, präsentiert. Wer sich darauf einlässt, dem eröffnet sich eine für uns heute völlig fremde, ferne Welt. Im Fußball regierte noch nicht der Kommerz. Rückennummern, choreographierter Torjubel, Auswechslungen – alles gänzlich unbekannt. Im Krieg spielt der Fußball, neben Zigaretten als dem „eigentlichen Gold des Krieges”, eine große Rolle als „Ablenkungsdroge”. Das ist neben der Vereinsgeschichte das zweite große Thema des Buches. Nicht von ungefähr notierte Propagandaminister Goebbels, – wie Koerfer zitiert, nach der 2:3-Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Schweden im Herbst 1942 im Berliner Olympiastadion: „100 000 sind deprimiert aus dem Stadion weggegangen, und da diesen Leuten der Gewinn eines Fußballspiels mehr im Herzen liegt als die Einnahme einer Stadt im Osten, muss man für die Stimmung im Innern zukünftig schlichtweg eine derartige Fußballveranstaltung ablehnen.” Länderspiele werden anschließend verboten. Auf nationaler Ebene aber wird Fußball gespielt bis in den Untergang hinein, bis wenige Wochen vor der Kapitulation, während er in England als dem Mutterland des Fußballs in allen Jahren des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht stattfindet. Wie schwierig das in Berlin angesichts des zunehmenden Bombenkrieges und der an den verschiedenen Fronten kämpfenden Spieler war, kann man im Buch nachlesen. Für die Spieler und die massenhaft in die Stadien strömenden Zuschauer wurde dieser Sport aber auch „zunehmend wichtig, weil er Alltag vorgaukelte, der immer weniger normal war – und der Tod längst schon der heimliche Meister in Deutschland”.
Der Verein Hertha BSC ist klein damals, hat 400 Mitglieder, die boxen, kegeln, Fußball spielen – und gemeinsam wandern und singen. Heute, bei den mehr als 16 000 Mitgliedern eine seltsame Vorstellung. Damals war der interne Zusammenhalt eng. Man kannte, man vertraute sich. Schlüsselfigur und heimlicher Held der Studie: Wilhelm Wernicke, Gewerkschaftsmann, Sozialdemokrat aus dem „Roten Wedding” , Herthas damaliger Heimat, wo Koerfers Drama spielt. Wernicke darf im Dritten Reich offiziell kaum in Erscheinung treten, zieht aber weiter im Hintergrund die Fäden. Er verschickt im Krieg an die 300 Herthaner an der Front jede Woche (!) einen Brief aus der Heimat zusammen mit der offenbar heiß begehrten „Fußballwoche”.
Es sind bald so viele Sendungen, dass für Hertha von der Reichspost am Gesundbrunnen ein eigenes Postamt eröffnet wird. Koerfer hat viele solch kleine, aber ungemein anschauliche Details gesammelt und herausgefunden. Er greift auch über 1945 und 1950 hinaus, hat noch die Päckchenaktion des Vereins nach dem Mauerbau an die in Ostberlin plötzlich eingemauerten Herthaner „ausgegraben”. Sie lief von 1961 bis 74 – und ist uns überliefert, weil der mit seinen Akten offenbar durchweg recht chaotisch umgehende Verein gerade diesmal, – entgegen der Weisung des Sportsenators, die Unterlagen der geheimen Aktion nicht vernichtet und nicht verloren hat.
Neben Wernicke gib es weitere Haupt- und Schlüsselfiguren, die das Buch lebendig machen und die Erzählung so eindrucksvoll und farbig geraten lassen. Da ist der von Koerfer „entdeckte” Zwangsarbeiter Leonardus Abraham Appel, den die Nazi-Presse Leo oder Barm Appel titulieren wird. „Abraham” war schlicht zu jüdisch in jenen vom Rassenwahn verpesteten Zeiten. Appel wird Herthas Wunderstürmer in den Kriegsjahren, schießt den Verein zur letzten „Gau-Meisterschaft” 1944. Ihm rettet der Verein, ihm rettet der Fußball das Leben. Er überlebt 200 Bombenangriffe – die Geschichte mit Himmler und der Brandbombe muss jeder selber nachlesen, sie ist so bizarr, sie lässt sich nicht knapp zusammenfassen. 1945 kehrt er nach Holland zurück. Jahre später, 1988, hat er in einem großen Interview, in einem Lebensrückblick in seiner holländischen Heimt das für Koerfers eigene Wertung vermutlich entscheidende Fazit formuliert: „Hertha war kein Nazi-Club.”
Nach Appel bleibt aber auch das Schicksal von Hanne Sobek oder Heinz Tamm – dem letzten Stürmer der Kriegszeit, der heute, fast neunzig Jahre alt, Koerfer zweifellos wertvolle Hinweise übermittelt hat, – nachdrücklich in Erinnerung. Die Rolle und Bedeutung des Fußballs im sowjetischen Kriegsgefangenenlager kann man aus Tamms „Geschichte” erfahren. Er spielt bei einem jener sagenhaften „Lager-Länderspiele” für Ungarn gegen Deutschland, schießt drei Tore zum 4:3-Sieg und wird von den begeisterten Magyaren in deren Küchenteam aufgenommen – im Lager mit seinen Hungersnöten die Rettung.
Ähnlich eindrucksvoll, wenngleich viel bitterer sind die Schicksale zweier führender Mitarbeiter des Vereins, Jung und Siebeck, beide PG, kleine NSDAP-Mitglieder, die nach dem Krieg in die „roten Knochenmühlen” geraten. Der eine kommt für Jahre ins KZ Buchenwald – die Rote Armee nutzt die NS-Lager bekanntlich nahtlos weiter zur Unterbringung ihrer mehr als 170 000 politischen Gefangenen– der andere bleibt in der Sowjetunion „verschollen”.
Koerfer zeigt uns an solchen Einzelschicksalen konkret, fassbar und einfühlsam, wie der braune und der rote Totalitarismus sich auf deutschem Boden berührten und welche Verheerungen sie bewirkten.
Marcel Reif ist TV-Sportreporter und lebt in Zürich.
Daniel Koerfer: Hertha unter dem Hakenkreuz – ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich. Verlag Die Werkstatt Berlin , 288 Seiten 19,90 Euro.
Der Tod ist damals schon längst der heimliche Meister in Deutschland
Nach dem Krieg kamen viele der Spieler in die „rote Knochenmühle”.
Im Jahr 1935 wird Hertha BSC Gaumeister. Stürmer Hanne Sobek erhält die Meisterschaftsgabe durch den Gauführer Glöckler. Foto: dpa / PA
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Viel versprochen, erklärt der hier rezensierende Fußballreporter Marcel Reif, hat er sich von diesem ihm zugesandten Band zur Geschichte von Hertha BSC zur Zeit des Dritten Reichs nicht. Umso faszinierter aber zeigt er sich nun nach der Lektüre. Schon die Bild-Funde, die dem Autor und seinem Team gelungen sind, haben es in sich: So sieht man etwa 100 preußische Polizisten, die sich schon im Jahr 1933 im Sportpalast zum Hakenkreuz gruppieren. Und viele der hier nacherzählten Einzelschicksale seien, so Reif, so traurig wie exemplarisch. Das betrifft etwa den jüdischen Mannschaftsarzt, der in Auschwitz ermordet werden wird. Aber auch Briefe an Herthaner an der Kriegsfront sind erhalten. All das summiert sich, so das Resümee der Besprechung, zu einem Geschichtsbuch, das keineswegs nur Hertha-oder Fußballinteressierte begeistern dürfte.

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