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Heideggers Kritik der modernen Technologie, die er in seinem berühmten Aufsatz "Die Frage der Technik" formulierte, grundiert alles philosophische Nachdenken über Technik. Auch im östlichen Denken ist die darin festgestellte Beziehung der Technik zur Metaphysik allgemein akzeptiert. Doch ist die darin zugrunde gelegte Annahme, es gäbe nur eine - ursprünglich griechische - Form der Technik, ein Hindernis, wenn es darum geht, ein zeitgemäßes kritisches Denken in Bezug auf Technologie zu entwickeln. Yuk Hui zeigt in diesem wegweisenden Essay die Notwendigkeit einer Suche nach einem ganz…mehr

Produktbeschreibung
Heideggers Kritik der modernen Technologie, die er in seinem berühmten Aufsatz "Die Frage der Technik" formulierte, grundiert alles philosophische Nachdenken über Technik. Auch im östlichen Denken ist die darin festgestellte Beziehung der Technik zur Metaphysik allgemein akzeptiert. Doch ist die darin zugrunde gelegte Annahme, es gäbe nur eine - ursprünglich griechische - Form der Technik, ein Hindernis, wenn es darum geht, ein zeitgemäßes kritisches Denken in Bezug auf Technologie zu entwickeln. Yuk Hui zeigt in diesem wegweisenden Essay die Notwendigkeit einer Suche nach einem ganz spezifisch chinesischem Denken über Technologie, das sowohl in der Lage ist, mit Heidegger in Dialog zu treten, als auch die affirmative Haltung gegenüber Technik und Technologie problematisiert. Unter Bezugnahme auf Denker wie Lyotard, Simondon und Stiegler, aber auch auf östliche Philosophen wie Feng Youlan, Mou Zongsan und Keiji Nishitani gelangt Hui zu einem besseren Verständnis der Eigenheiten chinesischen Denkens in Bezug auf Technologie. Er geht dabei so grundsätzlichen Fragen auf den Grund wie: Warum hat chinesisches Denken Technik so lange ausgeklammert? Warum war Zeit nie ein Thema für chinesische Philosophie? Yuk Hui liefert einen Überblick über Geschichte und aktuelle Debatten chinesischen Denkens und versucht davon ausgehend, Antworten auf die Fragen zu finden, die uns die entfesselte Technologie jeden Tag neu stellt.
Autorenporträt
Yuk Hui, Philosoph aus Hongkong, studierte Technische Informatik, Kulturtheorie und Philosophie an der Universität Hongkong und am Goldsmiths College in London. Er unterrichtete u. a. am Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft der Leuphana Universität Lüneburg, an der Chinesischen Hochschule der Künste und an der Bauhaus Universität Weimar. Yuk Hui ist Autor mehrerer Bücher zu Philosophie und Technik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2021

Eröffnet das Feuer gegen die Natur!
Der Philosoph Yuk Hui entwickelt in seinem Buch über chinesisches und westliches Technikverständnis das Modell einer ökologischen Alternative.

Als am 1. Juni 2003 mit der Flutung der "Drei-Schluchten-Talsperre" am Jangtsekiang begonnen wurde, war das ein Ereignis nicht nur der Technikgeschichte. Tausende Touristen hatten in den Wochen zuvor die Baustelle besucht, um die drei Schluchten noch im wasserlosen Zustand zu sehen. Die riesige Talsperre mit Wasserkraftwerk, Staumauern und Schiffshebewerk ist bis heute eine Touristenattraktion geblieben. Und bricht immer wieder neue Stromerzeugungsrekorde, derzeit gilt es als leistungsstärkstes Wasserkraftwerk der Welt.

Die Talsperre oder besser: Schluchtensperre zählt zu den gigantischen Industrieprojekten Chinas. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals geplant, gehörte das Projekt zu den zentralen Anliegen von Deng Xiaopings in den achtziger Jahren gestarteter Reform- und Modernisierungspolitik. Seit seiner Inbetriebnahme sind die Überschwemmungskatastrophen im Einzugsgebiet des Jangtsekiang, denen allein im 20. Jahrhundert mehr als drei Millionen Menschen zum Opfer fielen, deutlich abgemildert, wenn auch nicht gänzlich beseitigt.

Aber das Großprojekt hatte auch unerfreuliche Folgen. Die über den Jangtsekiang ins Meer gelangenden Abwässer aus Industrie und Landwirtschaft führen durch die Stickstoff- und Phosphorverbindungen im Mündungsgebiet des Flusses in der Nähe von Schanghai regelmäßig zu sogenannten "Dead Zones", zu durch Überdüngung erzeugten sauerstoffarmen Gebieten im Meer. Im für die Fischwirtschaft Chinas so wichtigen Mündungsdelta des Flusses und in der vorgelagerten Bucht im Ostchinesischen Meer ließen sich die drastischen Folgen bereits fünf Monate nach der Flutung des Tals messen. Vor dem Projekt lag der Anteil der Löwenmähnenqualle Cyanea in den Netzen der Fischer bei weniger als einem halben Prozent, im November 2003 waren es bereits 85 Prozent, im Mai 2004 98 Prozent. Ein Wert, der seitdem ganze Fischfangjahre nahezu ausfallen lässt. Da der Jangtsekiang zudem noch der Fluss ist, der sehr große Mengen Plastik ins Meer führt, schlagen seit ein paar Jahren auch chinesische Ökologen und Meeresbiologen Alarm.

Diese Koinzidenz von hochambitionierten, gigantomanen Technikprojekten und drastischen Folgen für die Umwelt bildet den Hintergrund, vor dem der in Hongkong lebende Philosoph Yuk Hui in seinem Essay "Die Frage nach der Technik in China" fragt, ob Chinas gegenwärtige Technikphilosophie und Naturdenken den Herausforderungen im Anthropozän gewachsen seien. Wenig überraschend ist, dass Hui seine eigene Frage verneint. Überraschend aber ist seine Begründung. Weil China den Blick auf seine eigene Technikgeschichte aktiv verweigere, stehe es hilflos vor den Zerstörungen, die die Folgen der rapiden Technisierung der letzten Jahre im Land selbst angerichtet haben.

Für Hui ist das nicht einfach nur die Folge einer rücksichtslosen Industrialisierung, wie sie überall auf der Welt zu finden ist, sondern Ausdruck eines Technologieverständnisses, das sich von dem des Westens grundlegend unterscheidet: "Technik in dem Sinne, wie wir sie heute verstehen - oder zumindest, wie sie von gewissen europäischen Philosophien definiert wird -, hat es in China nie gegeben", lautet eine seiner zentralen Thesen. Erst "während der letzten dreißig Jahre bildeten die Philosophien der Technologie Chinas eine lebhafte Reaktion auf die technologische Globalisierung und das chinesische Wirtschaftswachstum".

Was aber machte das Spezifische des chinesischen Technikdenkens aus, wenn es in der chinesischen Geschichte der Industrialisierung gar keine Rolle spielte? Und könnte eine Neuinterpretation der Traditionen dazu beitragen, ein neues Technikverständnis zu entwickeln, das auch ein neues Verhältnis zur Natur, zum Leben beinhalten würde? Hui ist die Komplexität dieser Fragestellung bewusst. Er weiß, dass auch die frühe chinesische Geschichte keine von anderen Kulturen unbeeinflusste Geschichte war, und gibt eine entschiedene Antwort. Er postuliert, dass die Herrschaft über die Welt als Wille zur Macht in China "nicht in Erscheinung trat". Der Konflikt zwischen Technik und Natur, der in der westlichen Geschichte als Herrschaft des Menschen über die Natur zu lösen versucht wurde, spielte in China bis ins 19. Jahrhundert keine Rolle. Erst die unter dem Druck der Kolonialmächte, besonders der britischen, geführten Opiumkriege rückten Technik und Technologie als Problem in das Blickfeld. Es waren die Kolonialmächte, die in China Technologie als von Kosmologie und Moral unabhängigen Bereich etablierten.

Vor der Kolonialisierung Chinas, so Hui, habe die chinesische Metaphysik der Beziehungen von Qi - den Werkzeugen und Techniken - und Dao - der Lehre von dem guten, rechten Weg und den kosmologischen Prinzipien, die Erde und Himmel zusammenhalten - den Umgang mit der Technik und der Natur mehr oder weniger bestimmt. Den Bauern war schon aufgegeben, das Wachstum ihrer Pflanzen zu fördern, nur erzwingen sollten sie es nicht, weil das einen gegenteiligen Effekt haben könne, weil man den Pflanzen damit Gewalt angetan haben könnte. Hui nennt dieses alte, aus einem metaphysischen Prinzip - dem Zusammenspiel von Qi und Dao - abgeleitete Technik- und Naturkonzept "Kosmotechnik". In dieser an der Dialektik von Qi und Dao geschulten Kosmotechnik, die den von den technischen Werkzeugen behandelten Gegenständen eine eigene Empfindsamkeit zuspricht, scheint Hui zumindest erst einmal einen denkbaren Ansatz zur Lösung der aktuellen Umweltkatastrophen zu sehen.

Dabei stellt er seine Fragen jedoch mit aller gebotenen Vorsicht, und das nicht nur, weil sein Buch auch an die chinesische Philosophie und Gesellschaft adressiert ist. (Die Tatsache, dass das Buch in China nach der Rücknahme des zugesagten Druckes nicht erscheinen wird, deutet allerdings darauf hin, dass Huis Kritik doch zu deutlich war. Denn obwohl schwer zu entscheiden ist, ob es sich bloß um eine Verlagsentscheidung gegen den Druck handelt oder um ein unausgesprochenes Verbot, bleibt das Ergebnis: Das Buch wird es vorerst nur in der deutschen und englischen Version geben.)

Huis Vorsicht ist aber auch dem Gegenstand geschuldet. Er kennt einerseits die westliche Technikkritik von Philosophen wie Martin Heidegger, dessen berühmter Vortrag von 1953, "Die Frage nach der Technik", schon im Buchtitel prominent auftaucht, sehr genau. Zum anderen kennt er auch die Gefahren seiner Rückschau in die Geschichte der chinesischen Metaphysik mit ihrer spezifischen Beziehung zwischen den Werkzeugen und den Lehren vom rechten oder guten Weg als Maximen einer ausgeglichenen Lebensführung im Verhältnis zum Kosmos. Auch deshalb betont er in seiner Argumentation immer wieder, dass es ihm nicht um ein Zurück in die gute alte chinesische Zeit geht, zu einer "ursprünglichen" oder "authentischen" Relation zwischen Qi und Dao, Technik und Kosmos. Sondern darum, diese Kategorien "mit neuen Bedeutungen und Kräften auszurüsten" und jenseits westlichen Fortschrittsdenkens und -kritik "über die Produktion und den Einsatz von Technologie nachzudenken". Hui will vor allem den Blick für die wirklich eigenen Denkformen der chinesischen Geschichte in Bezug auf Technik und Natur schärfen - und sie davor retten, zu "Dogmen" zu erstarren, "die nur noch als Selbsthilfemethoden Verwendung finden".

Weil Hui, der nach dem Studium an der Leuphana Universität in Lüneburg an der Chinesischen Hochschule der Künste und an der Bauhaus Universität in Weimar unterrichtete, die chinesische Geistes- und Wissenschaftsgeschichte genauso gut kennt wie die westlichen Philosophien, ist er immer dann besonders brillant, wenn er der westlichen Version der Universalgeschichte deren Schwächen aufzeigt. Wenn etwa der große britische Historiker, Sinologe und Pionier der chinesischen Wissenschaftsgeschichte Joseph Needham (1900-1995) anmerkte, dass es im alten China keine Geometrie, sondern nur Algebra gegeben habe, korrigiert Hui die Feststellung sogleich. Das heiße, schreibt er, natürlich nicht, dass es in China kein geometrisches Wissen gegeben habe. Weil die Geschichte Chinas auch als die Geschichte zweier Flüsse, des Jangtsekiangs und des Gelben Flusses, gelesen werden könne, die zu regelmäßigen Überschwemmungen und gelegentlicher Dürre neigen, müsse die Verwaltung der beiden Flüsse zwangsläufig geometrisches Wissen, Messungen und Kalkulation erforderlich gemacht haben. Mit den immer akut gebliebenen Umweltproblemen um die beiden großen Flüsse Chinas ist man mittendrin in Huis Problem. Er möchte einerseits das immer noch vom griechischen "Ursprung" her als universell definierte westliche Konzept der Technik relativieren und andererseits ein spezifisches Modell einer pluralisierten Technikgeschichte entwerfen. Dabei ist ihm klar, dass sich die Werkzeuge und Techniken aller Art in verschiedenen Kulturen nie vollkommen autonom und unabhängig voneinander entwickeln. Es gibt immer Einflüsse von anderen Kulturen, und das gilt entschieden auch für das Denken über die Technik im modernen China.

Wie Hui den bis heute immensen Einfluss von Friedrich Engels' "Dialektik der Natur" im gegenwärtigen chinesischen Denken über Technik und Natur beschreibt, das kann man als ein Lehrstück über die Aneignung fremder Denksysteme lesen. Während des chinesischen Bürgerkriegs (1927-1937 und 1945-1950) und später, in der Folge der Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion, sah sich China gezwungen, Wissenschaft und Technologie aus den fragmentierten und unzureichenden Kenntnissen, über die das Land zu jener Zeit verfügte, zu entwickeln. Zu diesem Zweck wurde von Naturwissenschaftlern ein "Zwölfjahresplan (1956-1967) zur Erforschung der Dialektik der Natur (Philosophische Fragen innerhalb der Mathematik und Naturwissenschaft)" entworfen. Engels' "Dialektik der Natur" wurde damit zum leitenden System einer 1958 von Mao angeregten nationalen Bewegung. Unter dem Slogan "Eröffnet das Feuer gegen die Natur, verwirklicht technische Innovation und technologische Revolution" wurden in der Folge in einer beispiellosen Hetzjagd nicht nur alle Spatzen Chinas vernichtet, es wurden nach der "erfolgreichen" Spatzenkampagne auch die Ernten der Vernichtung überlassen, was zu bis heute nicht vollständig aufgearbeiteten Hungerkatastrophen führte.

Nachdem die Spatzenfrage durch den Import von Vögeln aus der Sowjetunion und aufgrund der ganz undialektischen Fruchtbarkeit der Vögel binnen zwei Jahren behoben werden konnte, hatte Engels noch immer nicht an Reputation verloren. Im Jahr 1981 wurde mit Billigung Deng Xiaopings die "Chinesische Gesellschaft für die Dialektik der Natur" gegründet, die den Einfluss von Engels' Schrift über die Wissenschaftstheorie hinaus auf die Technology Studies ausweiten sollte, um zu einer Waffe zur Optimierung der Produktivität in allen Bereichen zu werden. Daran hat sich bis jetzt nichts geändert.

Huis Versuch, in dieses System von Beherrschung der Natur durch Technik und Optimierung der Produktionsprozesse mit Hilfe der alten chinesischen Metaphysik so etwas wie eine empfindsame Ökologie einzuführen, eine Ökologie, die mit dem Eigenleben von Technik wie Natur rechnet, ohne es unbedingt und gewaltsam beherrschen zu wollen, käme angesichts der "Dead Zones" nicht nur im Delta des Jangtsekiangs eigentlich gerade zur richtigen Zeit.

CORD RIECHELMANN

Yuk Hui: "Die Frage nach der Technik in China. Ein Essay über die Kosmotechnik". Übersetzt von David Frühauf. Matthes & Seitz, 326 Seiten, 28 Euro

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