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Pferde
Bedrohung und Flucht
im Zweiten Weltkrieg
Das Buchcover ist schon ein deutlicher Hinweis: Hier wird es mit Sicherheit geheimnisvoll, ja mysteriös werden. Ein Mädchen tritt, nein schreitet, den Blick in die Ferne gerichtet, aus einem verschneiten bläulichen Wald, hinter ihr trotten zwei Pferde, dahinter lugt ein Hund um einen Baum. Zu dem romantischen Auftritt passt der an Mädchenbücher erinnernde Titel: Winterpferde. Doch dieser Roman des erfolgreichen schottischen Schriftstellers Philip Kerr ist alles andere als heimelig. Er spielt in der Ukraine zur Zeit der mörderischen deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Kerr wagt das scheinbar Unmögliche: Ohne die Grausamkeiten in diesem besonders geschundenen Land zu verschweigen oder zu bemänteln, gelingt es ihm, die jungen Leser nicht in die Verzweiflung zu treiben, sondern ihnen Hoffnung zu geben: So fürchterlich alles ist, es gibt immer noch eine bessere Zukunft. Für die muss man kämpfen. Es lohnt sich.
Kerr hat schon zehn Romane geschrieben, die auch im Weltkrieg spielen, in denen er immer Fiktion und Realität geschickt vermengt. Auch Winterpferde ist kein Geschichtsbuch, sondern hat einen ganz realen Hintergrund, in dem aber märchenhafte Dinge passieren. Eine wichtige Rolle spielen die Przewalski-Pferde, eine fast ausgestorbene Rasse, die, und das ist wieder die wahre Historie, von einem deutsch-russischen Adligen namens Friedrich von Falz-Fein Ende des 19. Jahrhunderts aus den mongolischen Steppen importiert und auf einem Gut in der Südukraine gezüchtet wurde. Dieses Gut Askania Nova ist heute wieder ein Naturschutzgebiet.
Die Heldin des Buches ist Kalinka, ein 14- bis 15 Jahre altes jüdisches Mädchen, dessen gesamte Familie von den Nazis erschossen wurde. Sie freundet sich mit dem letzten noch nicht vor den Deutschen geflohenen Bediensteten von Askania Nova, Maxim Borisowitsch Melnik, genannt Max, an. Der sollte eigentlich alle Tiere in dem Wildpark töten, um sie den heranrückenden Deutschen nicht als Fleischquelle zu überlassen. Das bringt er aber nicht übers Herz. Was nichts ändert, weil die deutschen Soldaten tatsächlich fast alle Tiere umbringen und schlachten. Melnik selbst wird von den Nazis ermordet, als sie herausfinden, dass er eine Jüdin bei sich beherbergt hatte. Der Hauptmann, ein gebildeter Münchner mit einem Goethe-Band im Gepäck, ein begeisterter Reiter und Goldmedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1936, ordnet die Erschießung an, obwohl er sich als „Freund“ des alten Ukrainers sieht, dessen gute Deutschkenntnisse ihn anfangs milde gestimmt hatten. Diese leider wohl relativ authentische Figur will alle Przewalski-Pferde umbringen, weil diese nicht in die rassistische Ideologie des Hauptmanns passen, die er auch auf Pferde anwendet. Es kann eigentlich keine Rettung mehr geben. So trostlos will Kerr sein Buch aber nicht enden lassen. Er verleiht Kalinka, den letzten beiden von ihr versteckten Pferden und einem Wolfshund einen unglaublichen Überlebenswillen, der sie schließlich vor den deutschen Häschern rettet. Kerr sagt zu dieser märchenhaften Volte selbst in der Einleitung: „Wenn es eine Wahrheit gibt, die größer ist als alle anderen, dann ist es die, dass historische Fakten manchmal hinter der Legende zurücktreten müssen.“ (ab 13 Jahre)
RALF HUSEMANN
Philip Kerr: Winterpferde. Aus dem Englischen von Christiane Steen. Rowohlt 2015. 287 Seiten, 16,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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