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Maggie Nelson wirft Fragen auf, die uns dazu auffordern, neu über Freiheit nachzudenken. Nach "Bluets" und "Die Argonauten" verknüpft sie erneut gekonnt Philosophie mit radikaler Kritik.
Was es heißen könnte, frei zu sein, beschäftigt Maggie Nelson fast ihr ganzes Leben. Kaum ein anderer Wert ist so eng mit unserer Vorstellung vom Menschsein verbunden. Doch seine Bedeutung entgleitet ihr immer wieder. Handelt es sich um einen andauernden Lebenszustand oder um einen einmaligen Moment, der uns befreien wird? Ist Freiheit unerlässlich für Gerechtigkeit und Wohlergehen? Maggie Nelson erkundet…mehr

Produktbeschreibung
Maggie Nelson wirft Fragen auf, die uns dazu auffordern, neu über Freiheit nachzudenken. Nach "Bluets" und "Die Argonauten" verknüpft sie erneut gekonnt Philosophie mit radikaler Kritik.

Was es heißen könnte, frei zu sein, beschäftigt Maggie Nelson fast ihr ganzes Leben. Kaum ein anderer Wert ist so eng mit unserer Vorstellung vom Menschsein verbunden. Doch seine Bedeutung entgleitet ihr immer wieder. Handelt es sich um einen andauernden Lebenszustand oder um einen einmaligen Moment, der uns befreien wird? Ist Freiheit unerlässlich für Gerechtigkeit und Wohlergehen?
Maggie Nelson erkundet kontroverse Debatten in der Kunstwelt, das Erbe der sexuellen Befreiung, die schmerzhaften Paradoxien der Sucht und die Unabwendbarkeit der Klimakrise und vollzieht damit selbst eine Praxis der Freiheit. Sie bietet keine einfachen Antworten, sondern wirft Fragen auf, die uns dazu auffordern, neu über Freiheit nachzudenken.
Autorenporträt
Maggie Nelson, geboren 1973, ist Dichterin, Kritikerin und Essayistin. Sie lehrt an der University of Southern California und lebt mit ihrer Familie in Los Angeles. Für ihr hoch gelobtes Buch "Die Argonauten", 2017 in deutscher Übersetzung veröffentlicht, wurde sie mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihr 2020 "Die roten Stellen. Autobiographie eines Prozesses".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eigentlich ist Maggie Nelson eine Gute, erinnert sich Caspar Shaller in einer zunächst etwas insiderhaft, dann ratlos klingenden Rezension. Also eine, die sich nicht über "Cancel Culture" beschwert oder gar von Toleranz und Aufklärung überzeugt sei. Nein nein, eigentlich ist sie eine der "wichtigsten Stimmen der feministischen und queeren Literatur". Nun scheint sie hier aber für Komplexität zu plädieren, und das macht die Sache dann tatsächlich komplex. Die dezidierteren der Queeren und Woken in Amerika wie Andrea Long Chu, die eigentlich als eine Adeptin Nelsons gegolten habe, hätten Nelsons Essays in den USA äußerst aggressiv in Grund und Boden gerammt. Und hier fragt sich Shaller nun wieder, ob wir in Europa nun die Scharmützel der modischen Theorie in Amerika wirklich in allen Einzelheiten nachvollziehen müssen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2022

Gegen die Logik der Paranoia
Maggie Nelson, eine der wichtigsten Stimmen der feministischen Theorie, eckt in woken Kreisen an. Was ist passiert?
Seltsame Dinge geschehen im sogenannten Diskurs. Die amerikanische Autorin Maggie Nelson hat einen Essayband herausgegeben: „Freiheit. Vier Variationen über Zuwendung und Zwang“. In vier Aufsätzen setzt sich Nelson mit Debatten zum Thema Kunst, Sex, Drogen und der Klimakrise auseinander. Auf den ersten Blick erscheinen vor allem die Kapitel über Kunst und Sex wie eine weitere Salve gegen die angeblich außer Kontrolle geratene Cancel Culture. Es geht um Vorwürfe der sexuellen Übergriffigkeit, um Kunstzensur, um verletzte Gefühle, die durch Bestrafung wieder gut gemacht werden sollen. Im Gegenzug plädiert Nelson für mehr Toleranz gegenüber komplexen und vielleicht verstörenden Ideen und Kunstwerken. Wir haben in den letzten Jahren viele solcher Einwürfe kennengelernt.
Doch hier beginnt die Verwirrung: Maggie Nelson eignet sich nicht wirklich als Stimme im Chor derjenigen, die vor dem Meinungsterror der „Woko Haram“ warnen und das Loblied der angeblich toleranten Aufklärung singen. Denn Nelson gehört zu den wichtigsten Stimmen der feministischen und queeren Literatur und Theorie des vergangenen Jahrzehnts. In ihrem Roman „Die Argonauten“ von 2015 beschrieb sie ihre Auseinandersetzung mit Psychoanalyse und Queer Theory, um ihre Beziehung und die Testosteron-Therapie ihres Partners gedanklich und emotional zu durchdringen. Damit begründete sie zusammen mit dem spanischen Queertheoretiker Paul Preciado das Genre der „Autotheorie“, der literarische Gipfel des feministischen Diktums, wonach das Persönliche politisch sei.
In „Freiheit“ findet sich noch immer viel Theorie, vom „auto“ aber ist wenig übrig geblieben. Es ist, als hätte Maggie Nelson die Angst ergriffen. Sie wappnet sich mit Zitaten und Endnoten, als würde sie sich einen Schild bauen, der sie vor den Angriffen ihrer Kritikerinnen schützen soll. Auf manchen Seiten erwähnt sie bis zu zehn Denkerinnen, auf die sich bezieht. So wird Nelsons Werk zum ersten Mal vom Calvinismus erfasst, ohne den identitätspolitische Debatten kaum zu verstehen sind: Die fast schon theologisch anmutende Textexegese, um den überlegenen moralischen Standpunkt zu rechtfertigen. Das Bezaubernde an Nelsons bisherigen Büchern war ja genau, dass es nicht darum ging, wer Fred Motten oder Lauren Berlant korrekt gelesen hatte, sondern wie diese trockene Theorie helfen kann, tatsächliches Leben voller Blut, Schweiß und Vaginalsekreten zu verstehen und emotional zu bewältigen.
Die von Nelson in „Freiheit“ bearbeiteten Beispiele und Fälle sind so zahlreich, dass ihre Aufzählung den Rahmen sprengen würde. Zu den wichtigsten Themen gehören Vorwürfe der sexuellen Übergriffigkeit gegen die Literaturwissenschaftlerin Avital Ronnel und den Comedian Aziz Anzari. Im „Kunstlied“ setzt sie sich vertieft mit den Debatten um ein Gemälde einer weißen Malerin, das die aufgebahrte Leiche eines schwarzen Jungen zeigte und 2017 den Zorn von Aktivistinnen auf sich zog, die forderten, es zu zerstören.
Leitmotiv ist dabei Nelsons Plädoyer, Komplexität und Ambiguität auszuhalten, statt sich in Verfolgungswahn und Bestrafungs- und Ausschlusslogik zu ergeben. Die Vielfalt sei bedroht von einer „homogenisierende Logik der Paranoia, die keine Mühe scheut, Unterschiede einzuebnen.“ Michel Foucaults Unterscheidung zwischen Befreiung (als einem momentanen Akt) und Praktiken der Freiheit (als etwas andauerndem) bezeichnet sie dabei als Leitmotiv. Freiheit müsse in Aushandlungsprozessen ständig erneuert werden. Die „Ballade des sexuellen Optimismus“ etwa handelt von sexueller Selbstbestimmung und Begehren. Sexuelle Befreiung werde immer den Makel in sich tragen, Menschen in Situationen zu bringen, in denen ihre Bedürfnisse im Widerspruch denen eines anderen liegen.
Doch Maggie Nelson verstrickt sich selbst in Widersprüche. Im letzten Teil „Blinde Passagiere“ widmet sich Nelson der von Franco Berardi entlehnten These, Politik und Therapie würden im von ökologischer Katastrophe und sozialer Ungleichheit zerrütteten 21. Jahrhundert in eins fallen. Einerseits wehrt sich Nelson gegen „die Verwandlung weiterer Lebensbereiche in Bereiche der Fürsorge und Therapie“, doch hat sie genau diesen Prozess (zumindest literarisch) vorgemacht. Sie zieht kritische Theorie dafür hinzu, Brüche und Beziehungen in ihrem Leben ausführlich nicht nur theoretisch und therapeutisch, sondern auch politisch zu durchdringen.
Vielleicht lag es an dieser Unentschiedenheit, an den widersprüchlichen Signalen, die das Buch aussendet, dass es von der angelsächsischen Kritik zerrissen wurde. Doch es ist erstaunlich auf welche Ablehnung, ja Verachtung Nelsons Buch gestoßen ist. Hier beginnt der Diskurs wirklich seltsam zu werden: „Freiheit“ sei abstrus, medioker, amorph, voller Plattitüden, bereits bei Veröffentlichung schlecht gealtert und vor allem: „tödlich langweilig,“ hieß es. Nelson habe keine Ideen, nur Meinungen, schrieb eine Kritikerin – ausgerechnet Andrea Long Chu, die man zu den intellektuellen Erbinnen Nelson zählen dürfte. Chu habe „die zweite Welle der Trans Studies“ begründet, heißt es oft. „Freiheit“ watschte Chu nun als langweilige Klage „noch einer Vertreterin der Generation X“ ab, die sich über eine unterstellte „Gier nach öffentlicher Demütigung“ echaufiere.
Womit hat Nelson die nachkommenden Generationen an Denkerinnen erzürnt? Aus „Freiheit“ liest man stellenweise Entsetzen über die Moralisierung der Debatte, ein Entsetzen darüber, was man selbst losgetreten hat. Chu selbst wird im Buch kritisch beharkt. Ihr Unterscheidung zwischen „dem Wunsch zu bestrafen“ und der Strafe an sich, die Chu in einem Essay über MeToo aufwarf, sei nicht so ethisch tragfähig, wie die jüngere Denkerin glaube, schreibt Nelson. An diesen Stellen entsteht ein etwas seltsamer Dialog zwischen den Positionen. Nelson kritisiert in ihrem Buch ein Internetessay, diese Kritik wird dann wiederum in einem anderen Internetessay auseinandergenommen, es ist eine diskursive Echokammer, die nur noch ermüdend wirkt, insbesondere, wenn man sie über den Atlantik hinweg aus der Ferne beobachtet.
Cornelius Reiber hat Maggie Nelsons dichten und komplexen Schreibstil zwar leichtfüßig ins Deutsche übersetzt. Aber man fragt sich, ob der amerikanische Kulturkampf wirklich so einfach nach Deutschland zu übertragen ist. Viele der erwähnten Beispiele werden einem hiesigen Publikum unbekannt sein, und von den angeblichen Kulturkämpfen auf Campusen sind unsere Debatten ja auch ohne Zutun amerikanischer Autorinnen voll genug. Wer soll dieses Buch hierzulande lesen? Ewig erboste Kolumnisten, sich ebenfalls in Kulturkämpfen wähnende Redakteure? Dafür ist Maggie Nelson selber zu queer, zu woke, zu „linksgrün versifft“, wie man das in der Sprache von Goethe und Schiller sagt. Brauchen wir inmitten der eigenen Verwirrungen auch noch die ödipalen Abrechnungen aus den USA?
CASPAR SHALLER
Leitmotiv ist heute Nelsons
Plädoyer, Komplexität und
Ambiguität auszuhalten
Es ist erstaunlich auf
welche Verachtung „Freiheit“ im
angelsächsischen Raum stößt
Maggie Nelson:
Freiheit – Vier
Variationen über
Zuwendung und Zwang. Hanser Berlin, 2022.
400 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2022

Du bist so eitel, du meinst, dieser Text sei über dich?
Obacht im Achtsamkeitsdiskurs: Maggie Nelsons Überlegungen zu Kunst- und Interpretationsfreiheit

Der stilistische Einfluss der 1973 geborenen Amerikanerin Maggie Nelson auf die aktuelle deutschsprachige Literatur ist kaum hoch genug einzuschätzen: Es ist vielerorts ein mehr oder weniger eingestandenes Nacheifern und Abkupfern ihrer Schreibweise zu beobachten, die zwischen Roman, Essay und Dichtung kaum noch trennt, literaturgeschichtlich und theoretisch schwer bepackt ist und doch leichthändig mit Einflüssen aus allen Künsten und Epochen jongliert, oft mit dem Ziel, zwischen polemischen Meinungen eine Position der Vagheit einzunehmen.

Werke von Maggie Nelson zu lesen bedeutet, sich in ein Netz der Intertextualität zu begeben. Es besteht die Gefahr, eingesponnen zu werden. Bei dem Versuch, sich aus den Fäden zu wickeln, gibt es allerdings viel zu lernen. Im vorliegenden Band über die von Nelson "empfundene Komplexität des Freiheitsdrangs in vier verschiedenen Bereichen - Sex, Kunst, Drogen und Klima" begegnet intertextuelle Verwicklung allerorten - und besonders im Bezug auf die Kunstfreiheit.

Eingestimmt mit Nelsons grundsätzlicher Betrachtung, dass der Freiheitsbegriff inzwischen so ausgehöhlt sei, dass er auch zu sehr fragwürdigen Auslegungen komme, welche dann die Freiheit anderer beschneiden (Beispiele aus der Trump-Ära finden sich leicht), kommt die Autorin auf eine Grundbewegung der Künste von den historischen Avantgarden bis heute zu sprechen, bei der die radikale Freiheit und die Ästhetik des Schocks, die etwa mit dem Futurismus geradewegs zur Vorstellung von "hygienischer Gewalt" (Marinetti) und Krieg geführt habe, ihr Gegenstück in einer "reparativen" Kunst gefunden hat, die davon ausgeht, dass "das Publikum beschädigt ist und Heilung, Hilfe und Schutz braucht". Diesen Zug weist sie dann auch in der Interpretation und Bewertung von Kunst und Literatur nach. Auch hier ist ein reparativer Ansatz zu beobachten, für den Nelson grundsätzlich Verständnis hat: "In einer Zeit, in der Hetzer und Brutalos die 'freie Meinungsäußerung' zu ihrem unaufrichtigen Schlachtruf erkoren haben und für ihre Zwecke instrumentalisieren, ist es verständlich, dass einige dem Freiheitsdiskurs mit Kritik, Verweigerung oder Diffamierung begegnen und fordern, dass Freiheit durch Care ersetzt wird."

Im Buchtitel und an anderer Stelle wird "care" mit "Zuwendung" übersetzt, es läge freilich auch der Begriff der Achtsamkeit nahe. Die Care-Schule in Anwendung auf Interpretation birgt indes, wie andere literaturwissenschaftliche und kritische Schulen auch, die Gefahr der arroganten Fehldeutung. Auch diese problematisiert Nelson, und zwar anhand eines 2003 veröffentlichten Aufsatzes der Literaturwissenschaftlerin Eve Kosofsky Sedgwick mit dem kuriosen Titel "Paranoid reading and reparative reading, or, You're so paranoid, you probably think this essay is about you". Der Titel ist seinerseits eine gewitzte Anspielung auf eine Liedzeile von Carly Simon: "You're so vain, you probably think this song is about you."

Während Nelson das "paranoide Lesen" gesellschaftlich und insbesondere aus feministischer Sicht für hilfreich und heilsam hält, findet sie dessen Anwendung auf die Kunst äußerst fragwürdig. Hier ist sie erfreulicherweise nicht vage, sondern sehr klar: "Denn wenn wir schon wissen, was ein Kunstwerk ausdrücken oder wie es wirken soll, bevor wir es herstellen oder erleben, wenn seine Aussage auch durch einen TED-Talk, eine PowerPoint-Präsentation, einen Leitartikel, ein Demoschild oder einen Tweet vermittelt werden könnte, wenn seine Interpretation vorprogrammiert und einheitlich wäre, warum sollten wir uns dann mit der langsamen Arbeit des Schauens, Machens, Lesens oder Denkens herumplagen?"

Nelson legt dann mit vielen interessanten Beispielen die "gewaltigen Ironien" des Achtsamkeitsdiskurses offen und damit den Finger in die Wunde einer Literaturkritik, die immer öfter gar nicht mehr bereit dazu scheint, einen literarischen Text als offenes Kunstwerk statt als Meinungsäußerung zu verstehen, und noch weniger bereit, diesen jenseits von identifikatorischer Lektüre (eine Romanfigur oder Erzählstimme gefällt mir nicht, ist also böse) vielleicht auch gerade in seiner Abschreckung als hilfreich und heilsam zu begreifen.

Die dann folgenden Überlegungen Nelsons über "verletzende Worte" und "Polizisten im Kopf" mit ebendieser Haltung zu lesen und nachzuvollziehen, auch und gerade wenn nicht alles davon Zustimmung findet, sondern auch zum Widerspruch fordert, könnte hilfreich und heilsam sein. JAN WIELE

Maggie Nelson:

"Freiheit". Vier Variationen über Zuwendung und Zwang.

Aus dem Englischen

von Cornelius Reiber.

Hanser Berlin Verlag, Berlin 2022. 400 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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