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Jedes Jahr am 14. Juli soll Georg Wilhelm Friedrich Hegel ein Glas Champagner auf den Beginn der Französischen Revolution getrunken haben. Diese Revolution war das sein Leben und Denken prägende Ereignis. Das Grundmotiv der Freiheit durchzieht den gesamten Denk- und Lebensweg des bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. Zu Hegels 250. Geburtstag erscheint die erste umfassende deutschsprachige Biographie dieses Meisterdenkers seit 175 Jahren.
Nach Kindheit und Jugend in Stuttgart und Studium im benachbarten Tübingen ging der junge Philosoph zunächst als Hofmeister nach Bern und nach
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Produktbeschreibung
Jedes Jahr am 14. Juli soll Georg Wilhelm Friedrich Hegel ein Glas Champagner auf den Beginn der Französischen Revolution getrunken haben. Diese Revolution war das sein Leben und Denken prägende Ereignis. Das Grundmotiv der Freiheit durchzieht den gesamten Denk- und Lebensweg des bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. Zu Hegels 250. Geburtstag erscheint die erste umfassende deutschsprachige Biographie dieses Meisterdenkers seit 175 Jahren.

Nach Kindheit und Jugend in Stuttgart und Studium im benachbarten Tübingen ging der junge Philosoph zunächst als Hofmeister nach Bern und nach Frankfurt am Main. Die akademische Laufbahn begann mit einer Privatdozentur in Jena, wo Hegel eng mit dem einstigen Tübinger Kommilitonen Schelling zusammenarbeitete. Erst nach zwei Stationen in Franken ereilte ihn der Ruf nach Heidelberg. 1818 schließlich wurde Hegel Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Johann Gottlieb Fichte im königlich-preußischen "Mittelpunkt" Berlin, wo er zum herausragenden Philosophen des Zeitalters aufstieg.
Der in Jena lehrende Philosoph Klaus Vieweg zeichnet in dieser Leben und Werk Hegels gleichermaßen würdigenden großen Biographie ein neues Bild des bedeutendsten Vertreters des deutschen Idealismus.
Autorenporträt
Klaus Vieweg ist Professor für klassische deutsche Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und einer der international führenden Hegel-Experten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2019

Der Maulwurf trägt Talar
Die Rechtsphilosophie als Kassiber an Freiheitsfreunde und Republikaner:
Klaus Viewegs große Hegel-Biografie entdeckt im preußischen Staatsphilosophen den Erben der Französischen Revolution
VON THOMAS STEINFELD
Die Zeiten sind dem Philosophieren nicht günstig. Im Angesicht der kommenden Katastrophen verblassen die Gedanken. Wer wollte Erkenntnistheorie treiben, wenn der Untergang nahe ist? Wer die Ideale der parlamentarischen Demokratie erläutert bekommen, wenn doch eine ökologische Diktatur das Gebot der Stunde zu sein scheint? Wer das Weltwissen beschwören, wenn das Höchste, das der Verstand zu ergreifen imstande sein soll, aus Blasen oder Metapherngewölk besteht? Und wer dennoch das Philosophieren noch nicht eingestellt hat, der bekommt es mittels Versprechen zur Selbstoptimierung und Hilfsangeboten bei der Sinnsuche ausgetrieben.
In einer solchen Lage erscheint ein großes Buch, das sich dem idealistischen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zuwendet, zumindest als etwas Fremdes. Es tut es umso mehr, als das Werk dieses Denkers wie ein einsames Monstrum in der Geschichte der Philosophie herumzustehen scheint, als ein Monolith zudem, dem man sich nicht gern nähert. Hatte Hegel nicht darauf bestanden, Philosophie als Wissenschaft zu betreiben, zumal als eine Wissenschaft von allem, buchstäblich und systematisch? Heißt Wissenschaft nicht, auf Fortschritten der Erkenntnis zu bestehen? Und ist Fortschritt nicht eine Errungenschaft, die man zuallerletzt mit Philosophie verbände?
Belastet ist die Erinnerung an Hegel zudem durch zwei politische Hypotheken, die sich auch noch zu widersprechen scheinen: Karl Marx hat sich auf Hegel wie auf einen Lehrer berufen, nicht zuletzt, indem er beanspruchte, diesen „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen. Zugleich heißt es immer wieder über Hegels „Rechtsphilosophie“ aus dem Jahr 1820, in dieser verberge sich eine Apologie des preußischen Staats.
Klaus Viewegs Buch „Hegel. Der Philosoph der Freiheit“ ist eine Biografie, so vollständig, wie es noch keine Biografie zuvor war. Dabei scheint sich dieser Philosoph den Lebensgeschichten nicht anzubieten: Die bislang jüngste, von Horst Althaus verfasst, erschien im Jahr 1992. Die von Karl Rosenkranz, einem Schüler Hegels, im Jahr 1844 verfasste Lebensgeschichte ist unter den älteren Biografien immer noch die lesenswerteste. Ein aufregendes Leben führte Hegel gewiss nicht. Doch immerhin kann Vieweg dem Vorurteil entgegentreten, es sei darin, außer Denken, nur wenig geschehen.
Zugleich aber ist Viewegs Werk viel mehr als eine Biografie, nämlich eine Einführung in Hegels Philosophie, die, ihrem Gegenstand gemäß, entwicklungsgeschichtlich angelegt wird. Der Leser bekommt also einen Abriss geboten, der die Architektur eines großen und komplizierten Baus von den ersten, rohen Skizzen bis zur Inneneinrichtung der fertigen Anlage beschreibt. Biografien von Gelehrten oder Künstlern dienen oft der intellektuellen Ermäßigung. Wenn der Kopf sich nicht anstrengen will, soll der Verweis auf das Leben genügen. Es ehrt den Autor und seinen Verlag, dass sie sich auf solche Bequemlichkeiten nicht einlassen.
Klaus Vieweg hat indessen, wenn er Leben und Werk Hegels schildert, auch Höheres im Sinn. Offensichtlich ist er selbst ein Hegelianer, und zwar in einem emphatischen, positiven Sinn. Deshalb endet der Abriss zur Entwicklungsgeschichte der Philosophie Hegels mit einer Skizze der Philosophiegeschichte überhaupt. Sie erstreckt sich von der griechischen Antike, die begann, das Denken zu denken, über den Mystiker Jakob Böhme, den „ersten deutschen Philosophen“, bis zum jungen Schelling, bei dem zum ersten Mal Subjekt und Objekt als etwas Identisches erscheinen. Die Geschichte der Philosophie endet, selbstverständlich, bei Hegel, dem Verfasser einer nicht zu überbietenden Philosophie der Freiheit. Diese, schreibt Klaus Vieweg, „ist ein Recht an und für sich, ewig unantastbar“. An dieser Stelle ist, wie in mehreren Passagen dieses Buches, nicht mehr deutlich zu trennen, wer da spricht: der Philosoph oder sein Biograf.
Unter „Freiheit“, so wie Hegel das Wort versteht, ist allerdings mehr und auch anderes zu fassen als die bürgerliche Freiheit, so wie sie sich im Recht auf Eigentum, in der Möglichkeit, sich eine Regierung zu wählen, oder in der Meinungsfreiheit dokumentiert. „Freiheit“, schreibt Hegel in seiner „Enzyklopädie“, sei „eben dies, in seinem anderen bei sich selbst zu sein, von sich abzuhängen, das Bestimmende seiner selbst zu sein“.
Gemeint ist damit auch das Verhältnis des Denkens zu seinem Gegenstand: Wenn es diesen vollständig durchdrungen hat, dann ist dieser Gegenstand ganz im Denken aufgehoben und dieses folglich bei sich selbst. Man kann über diesen Gegenstand frei verfügen, im eigenen Kopf. Freiheit und Wissen sind insofern zwei Seiten desselben Verhältnisses, was unter anderem dazu führt, dass, Platon, Jean-Jacques Rousseau und Friedrich Nietzsche zum Trotz, Hegel bis auf den heutigen Tag der interessanteste aller Philosophen ist. Hegel weiß unendlich viele Dinge. Man kann sich von ihm erklären lassen, was ein Vertrag und was Arbeit ist, er kennt sich in der Geometrie ebenso aus wie in der Architektur griechischer Tempel, und wie Familie und „Katzenjammer“ zusammengehören, das weiß er auch.
Im Tübinger Stift, in den späten Achtzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts, lebte Hegel in einer Stube zusammen mit Friedrich Hölderlin und Friedrich Schelling. Letzterer wurde, obwohl jünger als Hegel, schon 1798 Professor für Philosophie in Jena, mit erst 23 Jahren. Friedrich Hölderlin zog nach Beendigung seines Studiums durch ein paar Anstellungen als Hauslehrer und verschwand dann in der Obhut seiner Pfleger. Hegel indessen ging einen langen Weg durch die intellektuellen Berufe, vom Hauslehrer in Bern und Frankfurt zum Privatdozenten in Jena, vom Journalisten in Bamberg zum Schulrektor in Nürnberg, und erst dann zum Professor, zunächst in Heidelberg und erst ab 1818, im Alter von fast fünfzig Jahren, an die kurz zuvor gegründete Universität zu Berlin. Klaus Vieweg beschreibt diese lange Wanderung auch als einen Weg durch das praktische Wissen, nicht zuletzt im Hinblick auf Staats- und Gesellschaftsordnungen. Zugleich insistiert er darauf, dass Hegel nie von seiner Bewunderung für die Französische Revolution abließ. Mehr noch: Seine gesamte Philosophie sei Ausdruck eines Rechtsbewusstseins, wie es erst entfalteten bürgerlichen Verhältnissen zugehöre.
In dieser Biografie erscheint Hegel als ein zuallererst politischer Philosoph, der auch dann, als er längst als preußischer Staatsphilosoph betrachtet wurde und auch in diesem Sinn zu agieren schien, seine republikanische, universalistische Gesinnung nicht preisgab.
Klaus Viewegs Biografie ist also ein Versuch zur Richtigstellung. Der Versuch beginnt im Persönlichen und Privaten, damit etwa, dass Hegel ein geselliger und unterhaltsamer Mensch gewesen sein muss, der Oper, der Kunst, allfälligen Unterhaltungen und dem Wein mehr als nur leichthin zugetan. Und er zielt hinauf bis in die „Rechtsphilosophie“ mit dem berüchtigten Satz: „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig“, der oft als Verklärung eines Obrigkeits- und Polizeistaates gelesen wurde.
Um die Formel richtig zu verstehen, meint Klaus Vieweg, müsse man einen anderen Satz hinzuziehen, der sich in der Nachschrift zu einer Vorlesung findet. Dort heißt es: „Was wirklich ist, ist vernünftig. Aber nicht alles ist wirklich, was existiert.“ Was, so wie der Biograf diese Passagen liest, bedeuten würde, dass es im Staate Preußen durchaus auch unvernünftig oder besser: unphilosophisch zugehen konnte. Vieweg kennt eine Reihe solcher Stellen, in denen sich, seiner Ansicht nach, wohlbedachte Kassiber verstecken. So verwandelt sich der Rektor der Berliner Universität in einen politischen Maulwurf, der sich hauptsächlich aus lebenspraktischen Gründen einen Talar umwarf.
Idealismus wäre das Letzte, was man Hegel absprechen könnte. Ob dieser aber, auch wenn er, wie Vieweg berichtet, von der Geheimpolizei beobachtet wurde, ein politischer Idealist war, erscheint indessen zweifelhaft. Ist der erste Teil jenes berüchtigten Satzes nicht schlicht eine Kritik an einer Philosophie, die noch nicht Wissenschaft ist: in dem Sinne, dass Gedanken eine Wirklichkeit zu erfassen haben? Und ist der zweite Teil jenes Satzes nicht der Versuch, die Philosophie als Organ des Weltwissens zu etablieren? Nicht die Politik oder gar eine politische Umgestaltung des Gemeinwesens wäre mithin das höchste Interesse der idealistischen Philosophie, sondern die Ausgestaltung eines philosophischen Universums.
Dieses Ineinander einer Philosophie, die Wissenschaft sein, und einer Philosophie, die ihr höchstes Interesse an sich selber finden soll, ist Ausdruck einer historischen Situation, wie sie vermutlich nur wenige Jahre bestand. Noch gab es, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Republik der Gelehrten, die, getrennt von den Sphären der Macht, einen freien Austausch der Gedanken unter Gleichen betrieb. Zugleich aber war mit der Berliner Universität die erste moderne Hochschule entstanden, die als Bildungseinrichtung einer ganzen Gesellschaft fungierte und bald auch die Philosophie in eine spezielle Disziplin verwandelte – getrennt vom positiven Wissen, das die Philosophie bei Hegel erfüllt, und, als Denken des Denkens, hauptsächlich sich selbst zugewandt.
Man versteht Viewegs Enthusiasmus für eine solche Philosophie in „allgemeiner Freiheit“, wie sie den Endpunkt des Hegel’schen Denkens gebildet haben soll. Aber man zögert, ein solches Ende, gar in Gestalt eines beginnenden „Zeitalters, in dem der Mensch schlechthin, jeder Mensch Hegel zufolge als ,neuer, höchster und letzter Heiliger‘ gilt“, für erreicht oder auch nur erreichbar zu halten, von der Wünschbarkeit solcher Verhältnisse ganz abgesehen. Doch auch wenn man diesen Umschlag ins Weltanschauliche nicht teilen mag, ist diese Biografie ein beachtliches und erfreuliches Werk: nicht nur eine lebendige Erinnerung daran, dass das Denken einst hätte helfen können sollen, sondern auch die Rückforderung einer Philosophie, die etwas anderes und mehr sein will als Moral, Lebenshilfe und persönliches Sinnversprechen.
Freiheit? „Eben dies, in seinem
anderen bei sich selbst
zu sein, von sich abzuhängen,
das sich Bestimmende
seiner selbst zu sein.“
Klaus Vieweg:
Hegel.
Der Philosoph der Freiheit.
Biographie.
Verlag C.H. Beck,
München 2019.
824 Seiten, 34 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2019

Wirklichkeit aus Gedanken

Wenn der Idealismus plötzlich ganz materialistisch aussieht: Klaus Viewegs große Hegel-Biographie.

Am 27. August 2020 jährt sich Hegels 250. Geburtstag, und das ist ein guter Zeitpunkt für den erneuten Versuch einer Gesamtdarstellung seines Lebens und Werks, die den Anspruch erhebt, Hegel so zu präsentieren, dass klar wird, warum wir ihn heute lesen sollen. Die große Biographie, die der Jenenser Philosoph Klaus Vieweg vorlegt, erhebt diesen Anspruch nachdrücklich. Und sie macht schon in ihrem Titel klar, worin sie die Gegenwärtigkeit Hegels sieht: Hegel ist "der Philosoph der Freiheit". Hegels Philosophie ist dies für Vieweg so sehr und durch und durch, dass er für sein Buch die Hoffnung hegt, es könne nicht weniger als ein "mittels der Biographie artikuliertes Plädoyer für freies Denken" sein.

Es ist klar, dass in dieser Perspektive Hegels intensives politisches Interesse eine zentrale Rolle spielen muss. Dieses Interesse zeigt sich bereits in der Rousseau- und Schillerlektüre des Stuttgarter Gymnasiasten und gewinnt während der Zeit im Tübinger Stift ab 1788 in den Ereignissen der Französischen Revolution einen Attraktions- und Konzentrationspunkt, dem Hegel zeitlebens eine unvergleichliche weltgeschichtliche Bedeutung zusprechen wird. Denn noch nie zuvor, so Hegel in einer späten Berliner Vorlesung, war "gesehen worden, dass der Mensch sich auf den Kopf d. i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach dem Gedanken erbaut."

Daran interessierte Hegel aber, wie Vieweg material- und kenntnisreich zeigt, zeitlebens nicht nur die Volte des revolutionären Kopfstands, sondern ebenso, wie man aus dem Gedanken eine Wirklichkeit erbaut: Seitdem er als Berner Hofmeister 1795 eine girondistische Kampfschrift übersetzte, die die Herrschaft der "Oligarchie" der Stadt Bern über das Waadtland einer "staatsrechtlichen" Analyse unterzog, stehen verfassungstheoretische Überlegungen im Zentrum von Hegels politischem Denken. Viewegs überraschende Kennzeichnung von Napoleon als der "große Pariser Staatsrechtslehrer" bringt dieses Interesse präzise auf den Punkt; in Hegels Heidelberger Intervention in den Württemberger Verfassungsstreit, seiner Polemik gegen eine politische Romantik, die auf den spontanen Selbstausdruck des Volkes ohne konstitutionelle Ordnung vertraut, und in seiner letzten Schrift zur englischen Verfassungsreform findet es prägnanten Ausdruck.

Damit nimmt Hegel unmittelbar an den politischen Kämpfen seiner Zeit teil. Das gilt nicht nur für die fast zehn Jahre, in denen er, vor seiner späten Berufung 1816 auf seine erste Professur in Heidelberg, als Redakteur der "Bamberger Zeitung" und Nürnberger Rektor eines humanistischen Reformgymnasiums arbeitet. Sondern, wie Vieweg lebhaft und engagiert schildert, auch für Hegels Berliner Jahre, in denen er für seine politisch aktiven Studenten bei der und gegen die Obrigkeit interveniert. Aber so eindrucksvoll Vieweg dieses Bild des politisch denkenden und handelnden Hegel auch zeichnet - all dies macht jenen noch nicht zu "dem Philosophen" der Freiheit. Er ist es auch noch nicht einmal deshalb, weil er sein verfassungsrechtliches Denken in dem einen Prinzip der Freiheit begründet - was ihn nach Vieweg zu einem Liberalen macht. Der Philosoph der Freiheit ist Hegel vielmehr gerade deshalb, weil die Freiheit für ihn kein bloßes Prinzip, keine Voraussetzung ist, von der er ausgeht - gar ein Vermögen, das jeder Mensch "von Natur aus" hat (wie die Liberalen meinen). Sondern weil er die Freiheit so denkt, dass sie sich selbst hervorbringt: Der Geist ist nur frei, indem er seine Freiheit hervorbringt, und das tut er, indem er alles Bestehende, alle "Positivität", durch die Kraft der Negativität auflöst und aus dieser Kraft neu gestaltet.

Die Freiheit so zu denken heißt aber, weit darüber hinauszugehen, was mit einer liberalen Beteuerung ihres "Werts" gemeint ist. Hegels Philosophie geht es um viel mehr; die Freiheit, radikal und daher fundamental zu denken, heißt für Hegel nicht weniger als die systematische Ausarbeitung einer Philosophie, die Vieweg als "monistischen Idealismus" bezeichnet. Mit diesem (nicht ganz glücklichen) Ausdruck meint Vieweg eine Philosophie, die antidualistisch ist und zugleich Differenz und Entzweiung zu denken, ja zu bejahen vermag.

Die Grundbestimmung dieses Idealismus ist das Denken. Alles ist Denken; Denken ist nicht eine spezielle Aktivität, sondern wenn wir fühlen, anschauen, handeln, denken wir. Und alles ist im Denken; alles wird, indem wir es denken, zu einem Gedachten. Nur als allumfassendes, als unendliche Macht ist das Denken nach Hegel frei. Als begrenztes wäre es unfrei. Zugleich aber ist es nach Hegel nur frei und wahrhaft allumfassend, wenn es nicht in und bei sich selbst bleibt (und daher ist sein "absoluter Idealismus" nicht monistisch). Das freie Denken entzweit sich vielmehr von sich selbst und gibt das Äußere als Äußeres frei, ja es bringt das Denken das Äußere genau dadurch hervor, dass es sich gegen sich selbst wendet. Hegel radikalisiert den Idealismus des Denkens bis zu dem Punkt, an dem er in Materialismus umschlägt.

Vieweg schildert eindrücklich, wie Hegel erst langsam und über viele Umwege - Hegel war ein Spätzünder - zu dieser Einsicht gelangt und dann in rascher Folge in vier großen Werken entfaltet, die zwischen 1807 und 1821, innerhalb von nur vierzehn Jahren, erscheinen: die "Phänomenologie des Geistes", die "Wissenschaft der Logik", die "Enzyklopädie der Wissenschaften" und die "Grundlinien der Philosophie des Rechts". Sie zielen darauf, den Idealismus als die einzige konsequente, radikale Philosophie der Freiheit zu exponieren. Sein Grundgedanke lautet, dass es die Freiheit nur "im Anderen" gibt: Die Freiheit besteht darin, das Andere, also jede Schranke der Freiheit - die Welt mir gegenüber, die Wirklichkeit von Interaktionen und Institutionen, die äußere und innere Natur, das Schicksal und den Zufall, zuletzt: der Tod, vor allem auch: den Tod Gottes -, nicht aufzulösen, sondern als Moment in der Freiheit zu bejahen.

Wenn man Hegel als den Philosophen der Freiheit begreifen will, dann führt also die Gedankenbewegung von seinem politischen Enthusiasmus, Engagement und Denken zu seiner systematischen Philosophie, dem Idealismus der Freiheit. Die Stärke von Viewegs Darstellung liegt darin, dass er diese Herausforderung klar hervortreten lässt. Aber damit stellt sich zugleich eine Frage, die die Form seiner Darstellung betrifft: die Gattung der Biographie. Wie kann in einer Biographie, der Erzählung eines Lebens, die Philosophie vorkommen? Wie hängen Philosophie und Leben zusammen? Man meint, dies gut zu verstehen, solange Vieweg vom politischen Hegel handelt, politisches Erleben, Engagement und Denken scheinen ineinander überzugehen und eine Einheit zu bilden. Aber dieses Band wird brüchig, wenn es zur Philosophie, dem Denken der Freiheit des Denkens, kommt.

Man merkt das an Sätzen, in denen Vieweg beides unmittelbar nebeneinander stellt: Etwa im Titel des Kapitels über Hegels Nürnberger Jahre: "Nürnberg - Das erste humanistische Gymnasium, die große Logik und die kleine Familie". Was heißt hier "und"? Bezeichnet es ein Nebeneinander, so wie Tagwerk (Gymnasialunterricht) und Abend- oder Freizeitbeschäftigung (Logikschreiben) oder wie privat (Familie) und offiziell (Logik) nebeneinander stehen? Oder aber sind dies alles nur Teile des einen und selben Unternehmens?

Beides ist für eine Philosophie der Freiheit nicht überzeugend: Zwischen Leben und Philosophie kann weder bloße Verschiedenheit noch bloße Identität herrschen; die Philosophie kann weder bloß ein Ausdruck des Lebens (und Erlebten) noch dem Leben gegenüber gleichgültig anders (oder "höher") sein. Denn zwar ist es etwas anderes, ob man lebt, also denkt, oder ob man philosophisch denkt, wie man denkt. Aber zugleich gelangt man zur Philosophie nur durch einen Prozess der "Erfahrung" - Hegels zentrales Wort in der "Phänomenologie des Geistes" -, die sich im Leben abspielt.

Von hier aus lässt sich vielleicht die Formulierung verstehen, die Vieweg aus Hegels Jenenser Vorlesungen zitiert und die so gar nicht nach Hegel klingt: dass es das Anliegen der Philosophie sei, "von ihr und durch sie leben zu lernen". Das darf man nicht so verstehen, dass Hegel die Philosophie zum Hort der Weisheit und zur Instanz der Orientierung erklärte. Das Denken des Denkens gibt keine Anleitung dazu, wie man denken soll. Aber es lässt auch nicht alles, wie es ist. Denn wenn das philosophische Denken des Denkens das Denken der Freiheit und sonst nichts ist, dann ist der "Weg der Seele" zur Philosophie - wie Hegel später gesagt hat - ein Prozess der "Befreiung".

CHRISTOPH MENKE

Klaus Vieweg: "Hegel".

Der Philosoph der Freiheit. Biographie.

C. H. Beck Verlag, München 2019.

824 S., Abb., geb., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Die Lüneburger Philosophin Charlotte Szász vergleicht in ihrer Rezension die beiden neuen Biografien von Klaus Vieweg und Jürgen Kaube (Slavoj Zizeks Buch erwähnt sie nur am Rande). Viewegs Deutung des Philosophen liest sie als eher sozialdemokratisch, denn der Autor lege einen starken Fokus auf Hegel als Vordenker des Sozialstaats, was Szász keineswegs unplausibel findet. Zwar hätte sich die Rezensentin etwas mehr Zugeständnisse des Autors an die Lesefreundlichkeit seines Werks und etwas weniger Superlative gewünscht. Aber dennoch steht für sie fest, dass Vieweg ein Grundlagenwerk verfasst hat, das interessanterweise auch Hegels kleinere und weniger bekannte Arbeiten würdigt.

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