• Broschiertes Buch

3 Kundenbewertungen

Mustermütter und Karrierefrauen, Eurythmie und Hysterie, Alleinerziehende und Problemkinder, Wohlstand und Verwahrlosung.Was geschieht, wenn man das Leben, das man immer haben wollte, endlich führt? Wenn die Kompromisse in Zwang umschlagen und das Glück sich nicht einstellt?In ihrer literarisch bestechenden Bestandsaufnahme erzählt Anna Katharina Hahn von Frauen, deren Lebensraum zum Käfig geworden ist - und von einem Jungen, der ausbricht.

Produktbeschreibung
Mustermütter und Karrierefrauen, Eurythmie und Hysterie, Alleinerziehende und Problemkinder, Wohlstand und Verwahrlosung.Was geschieht, wenn man das Leben, das man immer haben wollte, endlich führt? Wenn die Kompromisse in Zwang umschlagen und das Glück sich nicht einstellt?In ihrer literarisch bestechenden Bestandsaufnahme erzählt Anna Katharina Hahn von Frauen, deren Lebensraum zum Käfig geworden ist - und von einem Jungen, der ausbricht.
Autorenporträt
Anna Katharina Hahn, geboren 1970, lebt in Stuttgart. 2009 erschien ihr Longseller Kürzere Tage. Ihr zweiter Roman, Am schwarzen Berg, stand 2012 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse und auf Platz 1 der SWR-Bestenliste. Mit Das Kleid meiner Mutter hat sie 2016, so Denis Scheck, 'ein großes europäisches Tableau' entworfen. Ihr Roman Aus und davon erschien 2020 und stand mehrfach auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Rezensionen
»Die Topographie erfrischt den Blick, sie verbietet die Einengung auf ein Milieu oder auf einen Kiez.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2009

Keinen Hintern in der Hose
„Kürzere Tage”: Anna Katharina Hahn erzählt von der Verbürgerlichung
Wie einen Psalm leiert der Typ im Jogginganzug die Namen der Psychopharmaka herunter, die er am Stuttgarter Hauptbahnhof vertickt. In akuter Notlage hat sich Judith, die weibliche Hauptfigur des Romans, früher manchmal dort eingedeckt. Inzwischen hat sie die Magisterarbeit über Otto Dix abgebrochen, und auch aus der demütigenden Beziehung mit einem Medizinstudenten ist sie ausgestiegen. Sie hat die Flucht nach vorn ergriffen, ist in die offenen Arme eines früheren Nachbarn gelaufen, der sie hartnäckig umworben hat. Klaus ist ein netter, freundlicher Mensch, der zwar keinen „Hintern in der Hose” hat, aber das Herz am rechten Fleck. Wenn der Roman beginnt, haben die beiden bereits zwei Kinder. Sie leben in einem bürgerlichen Viertel Stuttgarts. Und doch braucht Judith noch manchmal ihre „Tavor tabs”, versteckt in einem Gläschen mit der Aufschrift „Biotin”. Sobald die Familie aus dem Haus ist, nestelt sie die Zigarettenschachtel aus der Handtasche und gönnt sich ein paar Züge auf dem Balkon.
Mit anschaulicher Intensität erzählt Anna Katharina Hahn von jener Lebensphase, die vielen als die beste gilt: die Jahre zwischen dreißig und vierzig, wenn man noch jung und doch schon einigermaßen etabliert ist. Es sind aber auch die Jahre der Doppelbelastung. Anna Katharina Hahn, die 1970 geboren wurde und in Stuttgart lebt, hat eine überzeugende Form gefunden, um vom ganz speziellen Wahnsinn zu erzählen, dem vor allem Frauen ausgesetzt sind. Egal welches Leben sie davor geführt haben, sobald sie Mutter werden, kommt ihre Existenz auf den Prüfstand. Es beginnt eine Phase der Selbstentfremdung, die sie sich niemals so vorgestellt hätten. Die Rumhockerei auf Spielplätzen! Das ständige Maßregeln und Vergleichen der Kinder!
Der in der dritten Person erzählte Roman wechselt den Focus von Kapitel zu Kapitel. Er beleuchtet die Innenwelten verschiedener Figuren aus einer Art Nah-Distanz. Man spürt die Sympathie der Autorin und zugleich ihren strengen Blick. Sie sieht alles, kann es formulieren und treibt es treffend ins Sarkastische. Doch sie bleibt mit ihren Figuren solidarisch. Egal was sie anstellen. „Kürzere Tage” fängt an wie ein Familienkammerspiel und weitet sich zum Welttheater auf engstem Raum. Der vergleichsweise noble Stuttgarter Süden wird zum Pfuhl von allerlei Sünden: vom Ehebruch bis zum Mordversuch, von mütterlicher Überprotektion bis hin zur Beinahe-Vergiftung eines Kindes. Höchst erstaunlich, dass das Ganze nicht aufgesetzt und schematisch wirkt.
Ein Kaffee im Gärtle
Judith und Klaus führen eine Ehe nach überholtem Muster. Er ernährt als Professor des Maschinenbaus die Familie, sie ist Hausfrau und hat in den kruden Regeln der Waldorfpädagogik ein Stützkorsett gefunden. Leonie und Simon wohnen im Nachbarhaus. Wenn Leonie, abgehetzt zwischen ihrem Job bei einer Bank und dem Kindergarten ihrer beiden Töchter, einen Blick ins Fenster von Judith wirft, kann sie sehen, dass die Mutter dort Zeit für ihre Kinder hat. Eines Tages lernen sich die beiden Frauen kennen. Sie könnten Freundinnen werden, doch die Konkurrenz ihrer Lebensmodelle bringt sie immer wieder in Konfrontation. Da schleppen Leonies Mädchen Süßigkeiten an, die Judith wieder verschwinden lassen muss, da fürchtet die eine, was die andere über sie denken könnte. Leonie beneidet Judith um ihren Mann, der früh nach Hause kommt und seiner Frau einen Kaffee ins „Gärtle” bringt. Sie schätzt zwar den Sex-Appeal ihres eigenen Gatten, wirft ihm aber nicht nur seine langen Arbeitszeiten als Vertriebsleiter in der Automobilbranche vor, sondern hackt auch bei jeder Gelegenheit auf seiner Herkunft herum. Er ist der uneheliche Sohn einer Parfümerieverkäuferin aus dem prolligen Heslach.
Anna Katharina Hahn gelingt nicht nur das Porträt dieser beiden Familien, sondern auch die einfühlsame Beschreibung einer alten Frau, die gerade in den Tagen, als sich der Roman in ihr Leben blendet, mit dem Tod ihres Mannes fertig werden muss. Eines Morgens liegt er reglos im Bett. Sie bemerkt seinen Tod erst, als sie die Mühsal des Aufstehens, das schwierige Waschen mit dem Waschlappen (als Ersatz für das gefährlich gewordene Duschen) und das Kaffeekochen hinter sich gebracht hat und zurück ins Schlafzimmer geht, um ihn zu wecken. Während sie seine Leiche wäscht, werden alte Erinnerungen wach. Und das schöne Geheimnis, dass ihr Mann sie noch immer begehrt, verkehrt sich ins Bewusstsein, nun für den Rest ihres Lebens eine alte Frau zu sein, die keiner mehr anfassen wird.
Türkengangs und Ghettokids komplettieren das Bild. Die Geschichte von Marco, einem hübschen, frechen Knaben, der seinem prügelnden Stiefvater entkommen will, nimmt eine fatale Wendung und kostet den türkischen Gemüsehändler Nâzim beinahe das Leben. In seinem Laden laufen die Fäden des Showdowns zusammen. Am Ende sehen wir Marco im Zug nach Berlin. Ohne zu wissen, wie man dort hinkommt, will er nach Estland, wo ein Ex-Freund seiner Mutter lebt, dem er vertraut. „Kürzere Tage” spielt nicht zufällig an Halloween. Der rasant und liebevoll erzählte Roman ist eine Art Teufelsaustreibung weiblicher Ängste: Fratzenhaft an die Wand gemalt, sollen sie sich als Trugbilder zu erkennen geben. MEIKE FESSMANN
ANNA KATHARINA HAHN: Kürzere Tage. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 222 Seiten, 19,80 Euro.
Gibt es für Mütter noch Gespräche jenseits der Kinder? Foto: Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wiederholt fühlt sich Gisa Funck bei diesem Debütroman von Anna Katharina Hahn an Katharina Hackers "Die Habenichtse" erinnert. Nicht zuletzt, weil die Autorin ähnlich lakonisch und nüchtern über zwei von Identitätskrisen geschüttelte Akademiker-Familien des gehobenen Mittelstandes erzählt. Anders als bei Hackers glamourösem Pärchen in London stehen in "Kürzere Tage" zwei studierte Stuttgarter Mütter im Mittelpunkt, die verzweifelt versuchen, Beruf, Familie und Selbstverwirklichung zu realisieren, unter ständigem schlechten Gewissen leiden und dabei eine "schleichenden Verrohung" durchmachen, erklärt die Rezensentin (wenigstens haben sie keine Geldsorgen!). Das ganze endet in einer Katastrophe, von der die Rezensentin nichts weiter verraten will, aber sie verspricht ein äußerst fesselndes und in seiner Alltäglichkeit zutiefst erschreckendes Lektüreerlebnis.

© Perlentaucher Medien GmbH