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Die Welt im 21. Jahrhundert: Eine neuartige und tödliche Seuche breitet sich aus. Sie hat verheerende Auswirkungen auf die Menschheit, auf Wirtschaft und Politik. Über allen schwebt eine Frage: Was ist angesichts einer weltweiten Krise der öffentlichen Gesundheit zu tun? Shelleys Roman von 1826, die allererste Dystopie der Weltliteratur, liest sich beklemmend gegenwärtig. Die Erzählung folgt Lionel Verney, der sich mit seiner Schwester und seinen Freunden zunächst in der jungen englischen Republik politisch engagiert. Sie machen sich auf nach Griechenland, und im Süden geraten sie erstmals in…mehr

Produktbeschreibung
Die Welt im 21. Jahrhundert: Eine neuartige und tödliche Seuche breitet sich aus. Sie hat verheerende Auswirkungen auf die Menschheit, auf Wirtschaft und Politik. Über allen schwebt eine Frage: Was ist angesichts einer weltweiten Krise der öffentlichen Gesundheit zu tun? Shelleys Roman von 1826, die allererste Dystopie der Weltliteratur, liest sich beklemmend gegenwärtig. Die Erzählung folgt Lionel Verney, der sich mit seiner Schwester und seinen Freunden zunächst in der jungen englischen Republik politisch engagiert. Sie machen sich auf nach Griechenland, und im Süden geraten sie erstmals in Kontakt mit einer neuartigen Pest, die sich nach und nach in Europa und Nordamerika ausbreitet. Bald herrschen in England apokalyptische Zustände. Den Freunden und ihren Familien bleibt nur die Flucht ...
Autorenporträt
Mary Shelley (1797¿1851), englische Schriftstellerin der Romantik und Verfasserin von »Frankenstein« (1818), gilt als eine der berühmtesten Autorinnen des 19. Jahrhunderts. Ihren Roman »Der letzte Mensch« hielt sie selbst für eines ihrer wichtigsten Werke. Irina Philippi ist freie Übersetzerin und lebt in Freisen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2021

Seelenlandschaft mit Monstrum

Vom ersten künstlichen Wesen zum Untergang der Menschheit: "Der letzte Mensch" von Mary Shelley, der Autorin von "Frankenstein", wird endlich wiederentdeckt.

Als Mary Shelley 1824 mit der Arbeit an ihrem dritten Roman begann, war sie 27 Jahre alt und dank ihres sechs Jahre zuvor erschienenen Debütromans "Frankenstein" eine erfolgreiche und berühmte Autorin. Das "English Opera House" in London hatte die Geschichte von Frankenstein und seinem Monstrum 1823 sogar auf die Bühne gebracht, angekündigt als "Romanze von besonderem Interesse". London war damals eine unvergleichliche Metropole, die einzige Stadt Europas, die mehr als eine Million Einwohner hatte. Auf Seite 372 von Shelleys drittem Roman sind noch etwa tausend Londoner übrig. Alle anderen, Männer, Frauen, Kinder, hatte die Autorin im Verlauf ihres Buches sterben lassen.

Offenbar las man dergleichen damals nicht gern. Das Buch über eine weltweite Pandemie, der nach und nach die gesamte Menschheit zum Opfer fiel - den letzten tausend Londonern sollte es nicht besser ergehen -, wurde Shelleys größter Misserfolg. Die Rezensionen waren niederschmetternd und der Leserzuspruch so gering, dass "Verney oder Der letzte Mensch" mehr als ein Jahrhundert lang nicht wieder aufgelegt wurde. Erst 1965, als Hiroshima und der stetig eskalierende Kalte Krieg das Interesse an Weltuntergangsszenarien und dystopischen Romanen geweckt hatten, wurde das Buch wiederentdeckt, ohne jemals auch nur annähernd so bekanntzuwerden wie "Frankenstein". Die erste deutsche Ausgabe erschien erst 1982 und wurde nicht nur ihrer umfangreichen Kürzungen wegen heftig kritisiert. Jetzt hat Irina Philippi Mary Shelleys "Der letzte Mensch" für den Reclam Verlag neu übersetzt, ungekürzt. Eine Buchpremiere gewissermaßen, nach beinahe zweihundert Jahren.

In ihrem Debüt, das Mary Shelley 1816 in Lord Byrons Villa am Genfersee schrieb, während Byrons Leibarzt Polidori gleichzeitig die erste Vampirerzählung der Literaturgeschichte verfasste, verschafft Mary Shelley der Kreatur einen Zugang zu ihrer eigenen Gefühlswelt sowie Vorstellungen von sozialen Verhältnissen, indem sie ihr das Lesen beibringt. Der einsame Unhold beobachtet das einfache Familienleben in einer armseligen Bauernhütte und liest - Plutarch, Goethes "Werther" und Miltons "Paradise Lost". Mary Shelleys eigene Sozialisation dürfte nicht viel anders verlaufen sein. Die Autorin gab dem vermeintlichen Monstrum ein Frauenschicksal: beobachten, zuhören, lesen. Im Stillen eine schöne Seele ausbilden und darauf hoffen, dass es irgendjemand bemerkt. Im Vorwort zur überarbeiteten Ausgabe des "Frankenstein" von 1831 erinnert sie sich an die Tage am Genfersee: "Die Gespräche zwischen Shelley und Byron, bei denen ich eine hingebungsvolle, aber beinahe völlig stille Zuhörerin gewesen bin, waren zahlreich und dauerten lange."

Im Jahr 1822 stirbt ihr Ehemann Percy Shelley, zwei Jahre später Lord Byron, der bewunderte, skandalumwitterte gemeinsame Freund. Ihre Mutter, die berühmte Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, starb elf Tage nach der Geburt der Tochter. Nur eines von Mary Shelleys Kindern überlebte die ersten Jahre. Im Alter von knapp fünfundzwanzig wurde sie Witwe und blieb unverheiratet bis zu ihrem Tod. Die großen Männer, die es in ihrem Leben gegeben hatte, waren fort. Sie hörte weniger zu und schrieb mehr.

In "Der letzte Mensch" lässt Mary Shelley nicht einfach nur die gesamte Menschheit aussterben. Ein Sintflut-Szenario hätte sie nicht interessiert. Sie stellt die Welt auf den Kopf, bevor sie ihr den Untergang bereitet. Das fängt mit der Einleitung an: Die Autorin berichtet, wie sie im Jahr 1818 Neapel besucht und die Höhle eines antiken Orakels, der Sibylle von Cumae, entdeckt. Dort stößt sie auf zahllose beschriftete Blätter, ungeordnete Fragmente von männlicher Hand, aus denen die Autorin den vorliegenden Roman formt.

Eine Frau eignet sich die Vorarbeiten eines Mannes an und macht daraus ihr eigenes Werk. Ungewöhnlich genug für das frühe neunzehnte Jahrhundert. Aber das ist nicht alles: Shelley siedelt das Romangeschehen in den letzten Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts an. Der englische König ist kurz zuvor zurückgetreten, die Monarchie abgeschafft, aber in vielen Köpfen noch fest verankert. Der Adel kämpft um seine verbliebenen Vorrechte, die Frage, wer regieren soll und welche Form sich die englische Gesellschaft geben will, ist längst nicht geklärt. Fortschritt interessiert Shelley fast nur in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Technik, Wissenschaft, Industrie lässt sie links liegen. Man bestellt Felder oder lässt sie bestellen, reist mit Kutsche und zu Pferd, in Ausnahmefällen wird ein Ballon bestiegen. Bei Shelley hat die Menschheit also das gesamte zwanzigste Jahrhundert über nichts erfunden, sondern nur abgeschafft, was seit der Französischen Revolution ohnehin nur noch auf Abruf zu existieren schien: die Monarchie und die unumschränkte Adelsherrschaft.

Der einzige Wissenschaftler, der im Roman eine Rolle spielt, ist ein völlig lebensuntüchtiger, bis zur Tragik verkauzter Astronom. Die Medizin erweist sich gegenüber der Pandemie als hilflos. Angesichts der um sich greifenden Pest stürzen alle gesellschaftlichen Institutionen ein wie Kartenhäuser. Das Einzige, was die Herrschaft von Chaos, Anarchie, falschen Propheten und Erlösern verhindern kann, sind vorzügliche, tugendhafte, alle anderen überragende heldenhafte Männer. Womit wir wieder bei Mary Shelleys teuren Toten wären, bei Byron und Percy Shelley.

In den männlichen Hauptfiguren des Romans, in Raymond, Adrian und Lionel Verney, dem Ich-Erzähler, porträtiert die Autorin Lord Byron, ihren Ehemann Percy Shelley sowie sich selbst. Wichtiger als die Auslöschung der Menschheit scheint die Feier der Freundschaft dieser vorzüglichen Menschen. So ist der eigentliche Schauplatz dieses Romans, der in Schottland beginnt und auf gut fünfhundert Seiten unter anderem nach London, Athen, Konstantinopel, Paris, Versailles und Rom führt, die Landschaft der schönen Seelen ihrer Hauptfiguren. Freundschaftskult, Dystopie, skeptische Sozialutopie und eine durch und durch literarisierte Kunstreligion werden von einer so idealistischen wie illusionslosen Schriftstellerin vermengt, der am Ende womöglich derselbe Satz Trost spenden musste wie ihrem männlichen Alter Ego Lionel Verney, dem letzten Menschen auf Erden: "Aber die Bibliotheken der Welt stehen mir offen."

HUBERT SPIEGEL

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Werner von Koppenfels empfiehlt Mary Shelleys Liebes- und Reiseschauerroman von 1826 in der überarbeiteten Neuübersetzung von Irina Philippi als Alternative zu den Krimischmonzetten des Fernsehprogramms. Den Rezensenten durchaus fordernd mit "windungsreicher" Handlung und Privatissima des Shelley-Byron-Kreises, die die Autorin in ihrem Dreibänder verfremdend verarbeitet, führt der Text Koppenfels in die Wirren der Pest und der Demagogie. Der rebellische, lyrisch inspirierte Erzähler geleitet ihn von Istanbul über die Schweiz bis nach Rom, wo er als letzter Mensch auf Erden die Geschichte aufschreibt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das Buch zur Pandemie!« DIE ZEIT, 07.12.2020 »Die thematische Spannweite des Romans ist erstaunlich, die düstere Entschlossenheit, mit der hier die Vision vom Weltende ausgemalt wird, ist erschreckend, die emotionale Dramatik der Handlung, die sich immer wieder aufs Neue überbietet, wirkt zugleich aufwühlend und virtuos inszeniert. Auch Mary Shelley wusste schon, wie leicht Notstände den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerreißen können. Überhaupt wird dem heutigen pandemieerfahrenen Blick hier manches bekannt vorkommen - ein düster glänzender Roman.« Deutschlandfunk »Büchermarkt«, 22.02.2021 »Freundschaftskult, Dystopie, skeptische Sozialutopie und eine durch und durch literarisierte Kunstreligion werden von einer so idealistischen wie illusionslosen Schriftstellerin vermengt« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.02.2021 »Eine präzise, verdienstvolle Übersetzung - ergreifend und unter allen Umständen zeitlos gültig!« NZZ am Sonntag, 28.02.2021 »Mary Shelley: Die Frau, die zweimal Science-Fiction erfunden hat. [...] Nicht allein, dass sie in 'Der letzte Mensch' von einer weltweiten Pandemie erzählt, der nach und nach die gesamte Menschheit zum Opfer fällt, und ihre Geschichte am Ende unseres Jahrhunderts ansiedelt, macht sie zu einer Entdeckung oder Wiederentdeckung in unserer Zeit.« FAZ-Bücher-Podcast, 06.03.2021 »Eine literarische Abenteuerreise, die wir schaudernd genießen dürfen, denn wir blicken mit einiger Zuversicht in die Zukunft.« ORF »Ex libris«, 28.03.2021 »Es ist, als hätte Mary losgeschrieben, um verlorene Träume zu erfüllen.« Die Literarische WELT, 03.04.2021 »Eine tolle Wiederentdeckung, danke dafür an die Pandemie. Eine große Leseempfehlung.« mdr Kultur, »Unter Büchern«, 11.05.2021 »Mary Shelleys 'Der letzte Mensch' stand immer im Schatten von 'Frankenstein'. Nun verschafft Corona dem Roman neue Aufmerksamkeit. In der eloquenten Übertragung von Irina Philippi eine echte Alternative zu den Krimis und Schmonzetten des pandemischen Fernsehens.« Neue Zürcher Zeitung, 18.06.2021 »Das Buch zur Pandemie. [...] Politisch ausgeprägt ist Mary Shelleys apokalyptische Vision einer Pandemie, die alle gesellschaftlichen Unterschiede beseitigt. Seit Corona weiß man jedoch, dass die Hierarchien bestehen bleiben. So ist der Roman [...] auch als Zeitdokument zu lesen - in seiner Radikalität faszinierend, vielleicht auch erschreckend, auf jeden Fall herausfordernd.« Westfalen-Blatt, 13.07.2021 »Ein kluges Gedankenexperiment« die tageszeitung, 10.05.2022…mehr