8,99 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

Textaufgaben sind aus dem Mathematikunterricht nicht wegzudenken. Dass sie aber nicht nur mathematisches Wissen abfragen, sondern auch grandiose Zeitzeugen sind, beweist dieses humorvolle Buch mit seiner Sammlung von Matheaufgaben vom Kaiserreich bis heute. Je nach Jahrzehnt und politischem System sind statt zwei Zügen, die von A nach B fahren, nämlich Bombenflieger, unproduktive Weststaaten oder fleißige Hausfrauen Gegenstand der Aufgaben.Textaufgaben sind weltfremd und unpraktisch? Im Gegenteil - sie sind lebensnaher, als man denkt, und im Rückblick oft lustig oder skurril.

Produktbeschreibung
Textaufgaben sind aus dem Mathematikunterricht nicht wegzudenken. Dass sie aber nicht nur mathematisches Wissen abfragen, sondern auch grandiose Zeitzeugen sind, beweist dieses humorvolle Buch mit seiner Sammlung von Matheaufgaben vom Kaiserreich bis heute. Je nach Jahrzehnt und politischem System sind statt zwei Zügen, die von A nach B fahren, nämlich Bombenflieger, unproduktive Weststaaten oder fleißige Hausfrauen Gegenstand der Aufgaben.Textaufgaben sind weltfremd und unpraktisch? Im Gegenteil - sie sind lebensnaher, als man denkt, und im Rückblick oft lustig oder skurril.
Autorenporträt
Bernhard Neff, geboren 1968, studierte an der TU Darmstadt Geschichte und Mathematik. Im Jahre 2001 wurde er in Geschichte promoviert. Gegenwärtig ist er als Gymnasiallehrer in der Erwachsenenbildung in Hessen tätig. Er ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2019

Realsatire
im
Quadrat
Was verrät uns der Matheunterricht
an deutschen Schulen über
die Gesellschaft? Eine ganze Menge.
Ein Lehrer hat herrlich
absurde Beispiele gesammelt
VON PAUL MUNZINGER
VON PAUL MUNZINGER
Die Mathematik ist hierzulande traditionell eine verdammt ernste Angelegenheit. Man merkt das schon an der Sprache: Die Mathematik ist eine Wissenschaft für Menschen, deren Lebenswerk darin besteht, fünfe nie und unter keinen Umständen gerade sein zu lassen. Ihr Handwerk ist das Abrechnen, das eine von Natur aus neutrale und durchaus sinnvolle Tätigkeit sein mag, aber wie eine Drohung klingt. Jetzt wird abgerechnet, und zwar schonungslos! Ihre Ergebnisse präsentieren die Mathematiker schließlich unterm Strich – dort also, wo alles Schöne und Leichte ein Ende findet: der Spaß, die Gnade, manchmal das Leben.
Aus einer Aufgabensammlung für Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen von 1891: „Ein Müßiggänger hatte von seinem 20. Jahre an 3/8 seiner Zeit verschlafen, ⅓ so viel mit Spielen vergeudet, 1/9 mit Essen und Trinken hingebracht, ebenso viel verträumt, 1/12 verbummelt, halb so viel aus dem Fenster vergafft und im ganzen nur 8 Jahre und 3 Monate vernünftig gelebt und ernstlich gearbeitet. Wie alt war er geworden?“
Der Witz ist ja: Wo so viel Ernsthaftigkeit ist, ist auch viel unfreiwillige Komik – je mehr, desto mehr. Der Mathematiklehrer Bernhard Neff hat diesem direkt proportionalen Verhältnis nun seinerseits eine Aufgabensammlung gewidmet: „Legen 5 Soldaten in 2 Stunden 300 Quadratmeter Stolperdraht … Die lustigsten Matheaufgaben von 1890 bis heute“ (Riva Verlag, 143 Seiten). Es ist das Ergebnis, schreibt Neff in der Einleitung, „von Zufallsfunden und gezielter Recherche“ in den vergangenen zehn Jahren. Sein Ziel: „die Absurdität und den innewohnenden Irr- und Wahnsinn so mancher mathematischen Schulbuchaufgabe schonungslos offenzulegen“. Wie auch sonst.
Die Lebensbilanz des Müßiggängers von 1891 macht dabei den Auftakt. Sie ist das älteste Fundstück und zweifellos eines der prächtigsten Exponate der Sammlung, aber ein Exot in dieser Epoche. Für Neff, den „Jäger und Sammler von irrwitzigen Aufgaben“, sind die fast fünfzig Jahre des Kaiserreichs kein gutes Revier, ebenso wie die Zeit der Weimarer Republik; das „propagandistische Potenzial von mathematischen Sachaufgaben“ sei damals noch nicht erkannt oder aber genutzt worden. Wie ergiebig sind dagegen die Jahre nach 1933: Im Wunsch, ihre Gedankenwelt bis in die hintersten Winkel der Klassenzimmer und die letzten Seiten der Schulbücher sickern zu lassen, liefern zuerst der Nationalsozialismus und dann die DDR reichlich Stoff – und „offenbaren die Dummheit und Verbohrtheit autoritärer Systeme und Ideologien“, so Neff. Und natürlich gibt es auch in der Bundesrepublik einen Zeitgeist, den man bei der Lektüre alter Schulbücher spürt.
Was sofort auffällt: Der Mathematikunterricht in deutschen Schulen trug über lange Jahre mehr oder meist weniger subtil dazu bei, junge Menschen auf den Militärdienst einzustimmen. Eine Aufgabe aus „Arithmetik und Algebra für Mittelschulen“ aus dem Jahr 1928: „Zwei feindliche Heere F. und D. sind 200 km voneinander entfernt und marschieren einander entgegen. Das Heer F. marschiert täglich 30 km, das andere Heer täglich 35 km. Wann werden beide Heere sich bis auf 5 km genähert haben?“ Es folgt Aufgabe zwei: „Das Heer D. bricht einen halben Tag früher auf als das Heer F. Wann werden sich nun die Heere in 20 km Entfernung gegenüberstehen?“ Das Heer D.? Das Heer F.? Schüler, die den Code knacken, dürfen sich auf eine tröstliche Botschaft freuen: Den Weltkrieg mag das Heer D. zehn Jahre zuvor verloren haben, aber schneller marschieren und früher aufstehen als das Heer F. kann es immer noch.
Die Nationalsozialisten stellen die Schulbücher dann vollständig in den Dienst ihrer unguten Sache, vor allem von Beginn des Zweiten Weltkriegs an. Ständig sollen die Schüler ausrechnen, wie viele Bomben ein Flugzeug wie weit transportieren kann und wie groß die Zerstörungskraft der Fracht ist. Eine Aufgabe hat nicht nur die Inhalte militarisiert, sondern auch den Ton. Sie endet mit einem Wort: „Rechne!“ Und manche Übungen tun nicht einmal mehr so, als gehe es hier um Mathematik: „Wir sehen einen Flieger unter einem seitlichen Winkel von Alpha=30º (von der Nordrichtung aus gesehen) und unter einem Erhebungswinkel Gamma=50º. Zeige mit deinem rechten Arm in die Richtung des Fliegers!“ Bamberg, 1940.
Darf man darüber lachen? Die Antwort des Buchautors ist kurz und klar: „Ja. Denn wir lachen ja nicht über die Opfer des menschenverachtenden NS-Systems, sondern über die Borniertheit und Dummheit der Urheber jener Aufgaben.“ Bei den Themen Juden und Euthanasie, die nach 1933 vor allem in den Büchern für Volks- und Mittelschulen auftauchten, zieht er dann doch eine Grenze; sie finden sich in der Sammlung nicht. Weniger Berührungsängste offenbart Neff bei Aufgaben, die noch bis in die Siebzigerjahre das Wort „Neger“ beinhalten. Sie bekommen sogar eine eigene Kategorie („Politically incorrect: Schwarz-weiß-gelbe Aufgaben“). Ob das witzig ist, müssen in beiden Fällen die Leser entscheiden. Das gilt im übrigen auch für die launigen Kommentare, mit denen Neff jedes seiner Fundstücke versieht. Das Motto hier wie dort: bei Unwohlsein einfach weiterblättern.
Die DDR-Schulbücher kündigt Neff als „Füllhorn für Realsatire“ an, und das ist nicht zu viel versprochen. Da sollen die Schüler errechnen, um wie viele Meter der Pik Kommunismus, der höchste Berg der Sowjetunion, den Mont Blanc überragt, oder grafisch darstellen, um wie viel Prozent das industrielle Wachstum in DDR und Sowjetunion jenes in den USA und der BRD in den Schatten stellt. Besonders schön ist dieser unverhohlen schadenfrohe Auftrag an Siebtklässler von 1959: Rechnet aus, wie viel Prozent der Entfernung zum Mond die gescheiterten amerikanischen Mondmissionen des Jahres 1958 jeweils zurückgelegt haben. Eher rührend dagegen sind die Versuche der DDR-Schulbücher, Initiative und Kreativität der Schüler anzuregen. „Ein chemischer Betrieb stellte 2350 kg Farbstoffe mehr her, als der Plan vorsah. Es waren 1000 t geplant. Stelle selbst eine Frage und rechne!“ Ebenfalls hübsch: „10 Pioniere üben für eine Feier einen Volkstanz. Sie üben in zwei gleich großen Gruppen. Stelle selbst die Frage und rechne!“
Die Bundesrepublik vertritt ihr Gesellschaftssystem weniger plump, macht sich aber nicht weniger lächerlich. Die Peinlichkeit besteht in Deutschland West vor allem in dem Versuch, den Schülern Mathe durch Anbiederung unterzujubeln. München, 1974: „Zwei Freunde unterhalten sich am Telefon. Der eine sagt zum andern: ‚Ich habe eben aus Pappe zwei Dreiecke ausgeschnitten, die beide paarweise in den Längen ihrer Seiten übereinstimmen.‘ Darauf erwidert der andere: ‚Dann sind auch ihre Winkel paarweise gleich groß.‘“ Mitten aus dem Leben. Oder Grundkurs Analysis, Braunschweig 1991: „In einer biologischen Raumstation wird durch den Fehler eines unaufmerksamen Gentechnikers ein 1 mm langer, normalerweise harmloser Wurm so umprogrammiert, daß er seine Länge alle 20 Minuten verdoppelt.“ Wirklich gegruselt hat es die Schüler wohl erst bei der Entdeckung, dass die folgende Aufgabe sich von a) bis h) erstreckt.
Oder, noch schlimmer, die Aufgaben wollen witzig sein: „Die Beatles (4 Musiker) spielen den Titel ‚Yesterday‘ in 124 Sekunden. Wie lange würden die Rolling Stones (5 Musiker) für den gleichen Titel benötigen?“
Schulbücher für Mathematik, schreibt Bernhard Neff, eigneten sich „ganz vorzüglich als Quelle für das jeweils herrschende Gedankengut einer Zeit“. Besonders vorzüglich tun sie das sogar, wenn man sich dasselbe Thema im Wandel der Zeit anschauen kann. Die Parabel zum Beispiel. Im Nationalsozialismus und in der DDR ist es zwangsläufig eine Granate oder eine Luft-Boden-Rakete, die diese Kurve beschreibt. Und in der BRD? „Bei einer Zirkusvorführung wird ein Artist unter einem Winkel von 45 Grad aus einer ‚Kanone‘ abgeschossen und landet in einem 15 m entfernten Wasserbehälter, der gegenüber der Kanonenöffnung 3,75 m höher steht. Könnte die Vorführung auch in einem 6 m hohen Saal stattfinden?“
Schwerter zu Pflugscharen, Kanonen zu „Kanonen“: Die Befriedung der Parabel ist eine der weniger bekannten Errungenschaften der deutschen Geschichte. Dieses Buch könnte das ändern.
Matheaufgaben offenbaren „die
Dummheit und Verbohrtheit
autoritärer Systeme“
Natürlich ist der höchste Berg
der Sowjetunion dem Mont
Blanc mathematisch überlegen
Mathematik und Humor:
Das ist nicht gerade
die natürlichste Verbindung
Schon der Titel verspricht gute Unterhaltung: Bernhard Neff, Gymnasiallehrer in der Erwachsenenbildung in Hessen, hat die „lustigsten Matheaufgaben von 1890 bis heute“ zusammengetragen, das Buch ist im Riva Verlag erschienen (144 Seiten).
Textaufgaben spiegeln das gesellschaftliche Klima:
Oben eine Matheaufgabe aus der NS-Zeit, damals sollten auch die deutschen Bauern allen anderen überlegen sein, zumindest
was die Kartoffelgröße betraf. Mitte: In der DDR war man stolz
auf die Leistungen der sowjetischen Kosmonauten, immer
im direkten Vergleich zu den Amerikanern, die hier als Versager
dargestellt sind. Unten: Matheaufgaben aus bundesdeutschen Schulbüchern wollen gerne mal witzig sein – nicht immer
mit Erfolg.
Fotos: mauritius images, riva Verlag (4)
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr