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Während seine Altersgenossen bei Rekordhitze feiern, trinken und unbedingt noch ein Mädchen klarmachen wollen, taumelt der 17-jährige Léonard alleine und übermüdet durch die letzten Stunden seiner Sommerferien auf einem französischen Campingplatz. Die Nacht zuvor steckt ihm in den Knochen: Er hat einem Jungen reglos beim Selbstmord zugesehen - ist dessen Tod also seine Schuld? Zugleich verwirrt ihn die verführerische Luce, hilflos und hingerissen ist er ihren schamlosen Spielchen ausgesetzt. Gefangen in seinen komplexen und gegensätzlichen Gefühlen, vermag Léonard seinem Delirium kaum zu entrinnen.…mehr

Produktbeschreibung
Während seine Altersgenossen bei Rekordhitze feiern, trinken und unbedingt noch ein Mädchen klarmachen wollen, taumelt der 17-jährige Léonard alleine und übermüdet durch die letzten Stunden seiner Sommerferien auf einem französischen Campingplatz. Die Nacht zuvor steckt ihm in den Knochen: Er hat einem Jungen reglos beim Selbstmord zugesehen - ist dessen Tod also seine Schuld? Zugleich verwirrt ihn die verführerische Luce, hilflos und hingerissen ist er ihren schamlosen Spielchen ausgesetzt. Gefangen in seinen komplexen und gegensätzlichen Gefühlen, vermag Léonard seinem Delirium kaum zu entrinnen.
Autorenporträt
Victor Jestin, 1994 geboren, verbrachte seine Kindheit in Nantes und studierte anschließend am Conservatoire européen d'écriture audiovisuelle in Paris, wo er heute auch lebt. Gemeinsam mit dem Regisseur Thomas Petit schrieb er Filmdrehbücher. »Hitze« ist sein Romandebüt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2020

Was der Sommer uns verspricht

Victor Jestin erzählt in seinem Debütroman von Dingen, die dieses Jahr nicht stattfinden: Menschenmassen am Strand, fremde, sich begegnende Körper, Pools und Partys.

Als Victor Jestins Debütroman "Hitze" im vergangenen Herbst in Frankreich erschien, las man ihn noch ganz unbedarft, wie eine Verlängerung des soeben ausgeklungenen Sommers. Jetzt, wo er auf Deutsch vorliegt, wo die Leute auf den Straßen mit grün-blauen Balken im Gesicht umeinander herumtänzeln und einen bei den wenigen Treffen, die man sich wieder erlaubt ausnahmsweise mal niemand fragt, was man in den Ferien so vorhat, wirkt er vielmehr wie eine Erinnerung an früher. Daran, was Sommer einmal war, oder zumindest, was Sommer in diesem Jahr ganz bestimmt nicht sein wird: Menschenmassen am Strand, nah aneinanderklebende Badetücher, fremde, sich begegnende Körper, Münder, Hände, Umarmungen, Küsse, Lärm, Pools und Partys. Eine grundsätzliche, von der geistig träge machenden Hitze unterstützte Leichtigkeit.

Wobei die, also die Leichtigkeit und die Freude, auch in diesem kurzen, schillernden Roman nur wie eine kollektiv aufgesetzte Maske wirken: Es ist Sommer, da muss man sich amüsieren, das gehört sich so, wer das nicht kann, ist ein Loser. Léonard, der 17-jährige Ich-Erzähler, kann es nicht, sieht aber eher die anderen als Loser. Er hat für diesen erzwungenen Spaß, zu dem einen alles und jeder aufruft - vom Kondom-Automaten (",Schützt euch' stand drauf. Gemeint war vor allem Tut es.") über die Eltern bis hin zum rosa Unterhaltungskaninchen des Campingplatzes der französischen Landes ("Genießt den Tag, habt Spaß, seid glücklich!") - nur Verachtung und leichten Ekel übrig. Er ist mehr der "Lohengrin" von Wagner als der "Despasito"- und "I Gotta Feeling"-Typ.

Während die anderen Jungs ihre braungebrannten Oberkörper halbstark und hoffnungsvoll vor den Mädchen in der Sonne räkeln, zieht er am Strand nicht einmal sein T-Shirt aus. Und auch wenn er weiß, "man musste mindestens ein Mal gefickt haben, auch wenn es trostlos war", setzt er im Gegensatz zu seinen übereifrigen Altersgenossen nichts dran, dass es dazu kommt.

"Ein Tag noch, und die Ferien wären endlich vorbei", sagt er auf der zweiten Seite, nur passiert in der Nacht davor etwas, das diesem letzten Tag sogar für einen aufregungsschwachen Kerl wie ihn eine unverhoffte Spannung verleiht: Léonard sieht dabei zu, wie Oscar, ein anderer 17-Jähriger, sich (absichtlich oder aus Versehen, das ist unklar) betrunken in den Seilen einer Schaukel erwürgt. Unser Held steht einfach da, mitten in der Nacht, irgendwo klingt ein Fest aus, er schaut dem Sterbenden fix in die Augen und rührt keinen Finger, um ihm zu helfen. Erst als Oscars toter Körper wie ein nasser Sack zu Boden fällt, läuft er zu ihm rüber, und als sei diese Nichtaktion nicht schon befremdlich (oder schuldhaft) genug, zieht er diesen Körper dann auch noch zur Düne und vergräbt ihn mitten auf dem Strand in einem am Vortag von Kindern gebuddelten Loch. Warum er, der eigenen Angaben zufolge bis zu diesem Augenblick in siebzehn Jahren Leben "kaum Dummheiten" begangen hatte, dies tut, das weiß man nicht. Das weiß er selbst nicht so genau. Er handelt grundlos, wie ein Schlafwandler auf Autopilot. Selbst als er am nächsten Tag in seinem brutwarmen Zelt aufwacht und ihm klar wird, was er getan (und nicht getan) hat, bleibt die Sache unwirklich. Am Strand, an dem schon die ersten Camper sitzen, scheint "alles zu morgendlich, zu ferienmäßig, als dass jemand hätte tot sein können".

Der 25-jährige Autor Victor Jestin erzählt vor allem diesen Tag. Den Tag nach der Tat, die im Grunde ja gar keine ist oder zumindest keine wäre, würde Léonard sich dazu durchringen, die Ereignisse der Nacht schnell zu gestehen und sein Handeln irgendwie plausibel zu erklären. Nur tut er das natürlich nicht, weil er es nicht kann. Stattdessen taumelt er weiter schlafwandlerisch herum, stolpert durch das laute Treiben dieser Campingplatz-Bikini-Gesellschaft, deren selbstauferlegter Druck, glücklich und sorgenfrei zu sein, angesichts des toten Teenagers, der da unter den Sonnenbadenden und Volleyballspielern im Sand liegt, nur noch absurder, ja nahezu pervers erscheint.

Keiner, nicht einmal Oscars Mutter, fragt sich ernsthaft, wo der Junge bleibt, Léonard, der zwei Wochen lang nur als teilnahmslos-wütender Beobachter herumstand. Jestin beschreibt die Sinneseindrücke dieser geschlossenen Ferienwelt wahnsinnig gut, die Farben, die Musik, das Licht, die Pommes- und Grill-Gerüche, die Körper, die Hitze, den Schweiß.

In Frankreich wurde sein Roman oft mit Albert Camus' "Der Fremde" verglichen. Tatsächlich liegt die Parallele nahe: Ein mehr oder weniger emotionsloser Held begeht eine absurde Tat, es ist brüllend heiß, das grelle Licht brennt alle Sicherungen durch. Allerdings spielt "Hitze" ganz und gar im Heute. Oder zumindest in einem sehr nahen Gestern. Es erzählt von den Hoffnungen und den "Sea, Sex, Sun"-Versprechen, die der Sommer jedes Jahr aufs Neue macht, aber eben nicht immer, zumindest nicht für jeden, hält.

ANNABELLE HIRSCH

Victor Jestin: "Hitze". Roman. Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Verlag Kein & Aber, 160 Seiten, 20 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Hartmut El Kurdi lauscht gebannt dem "gestrichenen Basston", der Victor Jestins Debüt grundiert. Die Coming-of-Age-Geschichte um den hochsensiblen siebzehnjährigen Leonard, der im Camping-Urlaub den Suizid eines anderen Jungen beobachtet, ohne einzugreifen und diesen aus Schuldgefühlen in den Dünen verscharrt, besticht laut Kritiker durch den Wechsel aus "leisen" und schrillen Tönen, Klarheit und Poesie und den Verzicht auf moralische Urteile. Anders als Salingers Holden Caulfield stößt den Rezensenten Jestins junger Held in seiner "Egozentrik" allerdings mitunter ab. Dennoch hat er gern bei dessen "verstörender" Selbstfindung mitgelitten.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Hier flirrt die Luft. Ein kurzes, atemloses Buch für den Sommer.« Susanne Birkner, NDR Kultur, 23.06.2022 Susanne Birkner NDR Kultur 20220623