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Wenn Körperstoffe zur Ware werden...
Biologie und Fortpflanzungsmedizin sind zum Politikfeld geworden.Wir beginnen uns an das Wort "Biopolitik " zu gewöhnen. Der lebendige Körper, der biologische Stoff, aus dem die Menschen sind, ist Gegenstand einer politischen Ökonomie neuen Typs. Stammzellen, Samen und andere Bestandteile des Körpers werden zur Ware. Eine Umwertung der Werte findet statt: Wenn wir vorherbestimmen können, ob unsere Kinder blaue oder braune Augen haben, wenn Wohlhabenden lebensverlängernde genetische Eingriffe angeboten werden, verändert dies sowohl unseren Alltag als auch…mehr

Produktbeschreibung
Wenn Körperstoffe zur Ware werden...
Biologie und Fortpflanzungsmedizin sind zum Politikfeld geworden.Wir beginnen uns an das Wort "Biopolitik " zu gewöhnen. Der lebendige Körper, der biologische Stoff, aus dem die Menschen sind, ist Gegenstand einer politischen Ökonomie neuen Typs. Stammzellen, Samen und andere Bestandteile des Körpers werden zur Ware. Eine Umwertung der Werte findet statt: Wenn wir vorherbestimmen können, ob unsere Kinder blaue oder braune Augen haben, wenn Wohlhabenden lebensverlängernde genetische Eingriffe angeboten werden, verändert dies sowohl unseren Alltag als auch unsere ethischen Einstellungen. Petra Gehring behandelt Themen wie Gewebe- und Organverpflanzung, reproduktionsmedizinische Angebote, Hirnforschung und Sterbehilfe. Dabei geht es ihr nicht um die Ausarbeitung einer Bioethik, sondern um philosophischpolitische Beschreibungen der Auswirkungen der neuen "Biomacht". Kritisch nimmt sie die Biomedizin unter die Lupe und zeigt: Die menschliche Existenz verändert sich - ob zum Positiven oder Negativen, ist noch nicht entschieden.
Autorenporträt
Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt. Bei Campus erschien von ihr 2004 Foucault – Die Philosophie im Archiv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2006

Gesund mit aller Biomacht
Petra Gehrings fulminante Streitschrift gegen die Lebensoptimierer

Es gibt nur sehr wenige Bücher, von denen sich mit Verstand sagen ließe, daß sie "befreien". Dieses Buch hier befreit. Es befreit von der zwanghaften Vorstellung falscher Notwendigkeiten. Es erinnert daran, daß man auch anders kann oder - bescheidener, aber doch nicht weniger befreiend - daß man auch anders könnte, wenn man könnte. Die Darmstädter Philosophie-Professorin Petra Gehring zeigt am weiten Feld der Zukunftsbranche "Gesundheit", was Philosophie vermag, wenn man sie Philosophie sein läßt und nicht als "angewandte Ethik" eine Beflissenheitswissenschaft aus ihr macht.

Was den Umgang mit den vielfältigen neuen Möglichkeiten der Biotechniken angeht - vom genverändernden Medikament bis zum erbgutverbesserten Embryo -, wagt Gehring einen grundsätzlichen Affront. Für sie ist das, was sich hinter dem Namen "Bioethik" versammelt, kein Korrektiv, sondern ein Schrittmacher neuer Biotechnologien, die die Bioethik zu kontrollieren vorgibt. "Keine neue Technologie ohne ethischen Beipackzettel. Gemäß dieser Maxime wird die Gewißheit, daß sich jenseits der bloßen Technik auch um die Frage der moralischen Verantwortbarkeit, der juristischen Haftung und der ,Humanität' insgesamt Experten kümmern, zu einem Akzeptanz fördernden Bestandteil der Technologie selbst. Für Technologen ist an Bioethik genau dies attraktiv. Sie baut einem biopolitischen Angebot sozusagen vorab sein politisches Gerechtfertigtsein mit ein."

Der Band entfaltet diese These von der dienenden Funktion der Bioethik in kritischer Absicht, aber bleibt doch in erster Linie Phänomenologin des öffentlichen Gesundheitsdiskurses. Gehrings Buch "Biomacht" ist eine fulminante Streitschrift gegen die Logik der Lebensoptimierer. Es ist wissenschaftsfreundlich, aber propagandafeindlich. Es versammelt Kapitel, die die paradoxen Effekte von Maßnahmen der soft eugenics beleuchten, es diskutiert biopolitische Fragen von der Stammzelle über den Vaterschaftstest bis zur Sterbehilfe. Zur Sprache kommen der wissenschaftstheoretische Status neurophysiologischer Determinismus-Thesen und der Zusammenhang zwischen Hirnforschung und Strafrechtspolitik.

Petra Gehring läßt falsche Voraussetzungen und schiefe Schlüsse auffliegen, ohne in jedem Fall schon mit anderen Lösungen aufzuwarten. Ihr Buch hat etwas Gnadenloses, Begriffsverwirrungen unnachgiebig Ahndendes. Es ist scharfsinnig und sprachgewaltig. Hat ein Faible für überraschende Gedankengänge und für die prägnante, zugespitzte Formel. Untypischerweise paart sich hohes Refexionsniveau mit einem hohen Maß an Verständlichkeit. Man gewinnt den Eindruck, es spricht mit Petra Gehring ein ganz eigenständiger Kopf. Ähnlichkeiten ihrer Argumentationsfiguren mit denen von etablierten Institutionen der Kulturkritik seien rein zufällig. Scharf grenzt sich Gehring etwa von der "Lebenspolitik" der christlichen Kirchen ab: Die Berufung auf einen ",kreatürlichen' oder sonstwie theologischen Würdebegriff" sieht sie nicht als Antwort, sondern als Teil des Problems, das sie sichtbar machen möchte.

Ethik verhübscht

Gehrings Grundmotiv: ihre Weigerung, das Megathema "Gesundheit" im Modus der "Bioethik" zu behandeln. Bioethik ist für sie Schmieröl. Denn die Prämissen der Bioethik bleiben der Technologie verhaftet, die sie scheinbar von außen beobachtet. Die Nachträglichkeit aller Bioethik als sogenannter Technikfolgenethik ist symptomatisch: "Nicht die neue Wirklichkeit wird reflektiert, etwa die historische Wünschbarkeit oder Gewolltheit einer Technologie, sondern der richtige Umgang mit den Möglichkeiten, die die Technologie freisetzt." Indem sie immer schon zu spät kommt und doch ungeniert so tut, als könne sie qua "Ethik" die Weichen umlegen, ist die Bioethik nur ein Verhübschungsmoment im Normalisierungsprozeß der neuen biotechnologischen Möglichkeiten, die gerade "anstehen" und mit Hochdruck auf gesellschaftliche Plausibilisierung drängen. Philosophische Fragen sehen anders, sehen freier, sehen radikaler aus. Sie sehen zum Beispiel so aus: "Was genau erhoffe ich mir eigentlich unter den Stichworten des ,langen' Lebens und der biomedizinischen Lebensqualität? Wie attraktiv ist die Option einer Verbesserung von Erbanlagen oder auch nur eines Wissens um das eigene Erbgut oder dasjenige der Kinder?"

Dabei sitzt die bioethische Testmentalität einer notorischen Verwechslung zwischen zukünftiger Gegenwart und gegenwärtiger Zukunft auf. Ihre Zukunftsszenarien sind immer nur letzteres: gegenwärtige Zukunft, die im wesentlichen als alternativlos dargestellt wird und nur noch Varianten des "richtigen Umgangs" erlaube. Anders als eine philosophische Analyse ist die bioethische Begutachtung nicht wirklich zukunftsoffen. Im Gewand der Zukunftsprophetin bleibt sie Notarin der Gegenwart. Sie prozeduralisiert die Konflikte in Verfahren, "innerhalb deren prinzipielle Argumente nicht mehr durchschlagen können". Der Diskurs als solcher verbürgt im Zweifel schon die Vertretbarkeit dessen, worüber diskutiert wird: "Daß überhaupt diskutiert wird oder vielmehr sogar nur: daß bestimmte Gremien für solche Aufgaben geschaffen sind, signalisiert die ,ethische' Vertretbarkeit der zur Diskussion gestellten Technologien." Derart "mitlaufend" funktionierten etwa die vielen Ethikkommissionen an Hochschulen, Kliniken und anderen Einrichtungen, damit befaßt, die ethische Unbedenklichkeit von Projektanträgen zu bescheinigen.

Medizin hat es eilig

Petra Gehrings Buch ist jedem zu empfehlen, der sich professionell oder privat vor Fragen der Art von "Verbesserung, Verlängerung, Vermehrung des Lebens" gestellt sieht. Man lernt, in Ruhe nachzudenken, statt sich den Dringlichkeitsgeboten zu unterwerfen, mit denen die Lebensoptimierer auftreten ("Die moderne Medizin hat es immer eilig"). Man wird vorsichtig im Blick auf die bioethische Methode der Kriteriengewinnung, die da lautet: Generalisierung der Kriterien anhand von Extrembeispielen. "Etwa die seltene, spät ausbrechende Erbkrankheit, die jegliche Lebensperspektive ausschließende vorgeburtliche Anomalie, der extrem langwierige und schmerzhafte Todeskampf, der Zustand der völligen Bewegungslosigkeit." Wer aus solchen Extrembeispielen nicht sogleich Kriterien für alles und jedes ableitet, gilt als Grauzonenbewohner.

Entscheidungsfreiheit ist in dieser Sicht nur als "vorformuliertes Entscheiden" zu haben. Dem Individuum werden vom Regime der Ethik mehrere wählbare "rationale" Optionen vorgelegt - etwa in Gestalt eines Formulars. Das unbedingte Gebot der Verallgemeinerungsfähigkeit verzerrt aber gerade die reale, höchst subjektive Entscheidungssituation. Ausgerechnet für eine Situation, in der man ganz auf sich persönlich gestellt ist, wird der Standardblick trainiert: "Es kann nicht etwas als ,vernünftig' gelten allein vor dem Hintergrund einer Lebensgeschichte oder als Konsequenz einer individuellen Situationswahrnehmung." Damit wendet sich Gehring nicht etwa gegen jede mögliche Antizipation von persönlichen Entscheidungslagen. Sie möchte nur sicherstellen, daß der Autonomiebegriff nicht manipuliert wird, indem er an der falschen Stelle seine Propagandawirkung entfaltet: womöglich gerade dort, wo man sich unter der Verheißung eines Autonomiegewinns im Wirklichkeit längst auf Prämissen der Selbstentfremdung eingelassen hat.

Die Streitschrift streut die richtige Portion Skepsis in die "gigantische Mitmach-Unternehmung" Lebensoptimierung hinein. Diese Unternehmung, aufs engste verbunden mit der Gesundheits- und Sozialpolitik des Wohlfahrtsstaates, gehorcht einer Logik der "Biomacht" (Foucaults Begriff gewinnt neuen Glanz), die sich gleichsam von selbst vollzieht und deshalb ein paar Einsprüche gut vertragen kann: "Die Logik der Biomacht ist keine Repressionslogik, sondern eine Vorteilslogik, eine Logik der optimierbaren Lebenschancen." Sie erobere die Herzen nicht durch Druck oder Strafen, sondern durch die in Aussicht gestellte "eigene" Verbesserung. Ob es sich hierbei aber tatsächlich um Angebote oder nicht doch um versteckte Zwänge handelt, gilt es gerade wegen der starken Suggestivkraft der biotechnologischen Rationalität im Einzelfall zu prüfen. Für solche Prüfungsverfahren ist Petra Gehrings Buch ein im besten Sinne philosophischer Leitfaden. Man kann es auch so sagen: Ihr Buch ist eine Pflichtlektüre für alle, die vom Leben noch etwas Besseres erwarten als Lebensverbesserung.

CHRISTIAN GEYER

Petra Gehring: "Was ist Biomacht?". Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006. 240 S., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine "fulminante Streitschrift gegen die Logik der Lebensoptimierer" sieht Rezensent Christian Geyer in dieser kritischen Auseinandersetzung mit der Bioethik, die die Philosophie-Professorin Petra Gehring vorgelegt hat. Die Autorin untersuche darin nicht nur die paradoxen Effekte von Maßnahmen der "Soft Eugenics" und diskutiere biopolitische Fragen von der Stammzelle über den Vaterschaftstest bis zur Sterbehilfe, sondern befasse sich auch mit dem wissenschaftstheoretischen Status neurophysiologischer Determinismusthesen und dem Zusammenhang zwischen Hirnforschung und Strafrechtspolitik. Geyer zeigt sich vom Scharfsinn und der Sprachgewalt des Buchs beeindruckt, lobt dessen hohes Reflexionsniveau, das sich mit einem hohen Maß an Verständlichkeit paare, und würdigt die Autorin als "ganz eigenständigen Kopf". Und er bescheinigt dem Buch eine befreiende Wirkung: und zwar von der "zwanghaften Vorstellung falscher Notwendigkeiten".

© Perlentaucher Medien GmbH
Gesund mit aller Biomacht
"Gehrings Buch ist eine fulminante Streitschrift gegen die Logik der Lebensoptimierer ...Es ist scharfsinnig und sprachgewaltig. Hat ein Faible für überraschende Gedankengänge und für die prägnante, zugespitzte Formel. Untypischerweise paart sich hohes Reflexionsniveau mit einem hohen Maß an Verständlichkeit. Man hat den Eindruck, es spricht mit Petra Gehring ein ganz eigener Kopf ... Ihr Buch ist eine Pflichtlektüre für alle, die vom Leben noch etwas Besseres erwarten als Lebensverbesserung." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.05.2006)