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Während des Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren galt Liberia als ein Synonym für den Vorhof zur Hölle. Die Berichte über die Greueltaten der War Lords und ihrer Milizen gingen um die Welt. Andreas Herzau hat den Bürgerkrieg und die Flüchtlingsbewegungen damals vor Ort als Reporter erlebt und dokumentiert. Als in den Jahren 2005/06 ein erstaunlicher Aufarbeitungs- und Demokratisierungsprozess in Liberia einsetzte, besuchte er das Land erneut, stellte bald aber fest, dass diese Geschehnisse in der westlichen Welt auf weit weniger Interesse stießen als die «Sensationen des Negativen».Ihm wurde…mehr

Produktbeschreibung
Während des Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren galt Liberia als ein Synonym für den Vorhof zur Hölle. Die Berichte über die Greueltaten der War Lords und ihrer Milizen gingen um die Welt. Andreas Herzau hat den Bürgerkrieg und die Flüchtlingsbewegungen damals vor Ort als Reporter erlebt und dokumentiert. Als in den Jahren 2005/06 ein erstaunlicher Aufarbeitungs- und Demokratisierungsprozess in Liberia einsetzte, besuchte er das Land erneut, stellte bald aber fest, dass diese Geschehnisse in der westlichen Welt auf weit weniger Interesse stießen als die «Sensationen des Negativen».Ihm wurde deutlich, wie sehr das europäische Bild von Afrika durch den Fokus auf Kriege und Krisen geprägt ist. Sobald sich die Situation in einem der Länder zum Guten wendet, berichtet niemand mehr darüber. Bestand haben einzig die Bilder und Nachrichten von Greueltaten, Chaos, Hunger und Opfern. Herzau bemerkte, dass diese «déformation professionelle» auch seinen Blick bestimmte. Er beschloss daraufhin,ein Experiment zu wagen und das Land 2019 unter anderen Vorzeichen zu betrachten. Das Ziel war, in Erfahrung zu bringen, ob es ihm gelinge, Liberia mit einem Interesse am Positiven zu bereisen und eine optische Sprache dafür zu finden. Das vorliegenden Buch stellt im Wortsinn einen Versuch dar, sich der zementierenden Wirkung einseitiger Opferberichterstattung entgegenzustellen und dem Stereotyp des europäischen Afrikabildes zu entkommen. Inspiration dafür war auch der Essay «How to write about Africa» des kenianischen Autors Binyavanga Wainaina, der dem Band in Deutsch und Englisch vorangestellt ist.
Autorenporträt
Andreas Herzau, geb.1962, setzt sich als Fotograf, Hochschuldozent und Autor künstlerisch und theoretisch mit Fotografie auseinander. Als engagierter Bildjournalist miteigenständiger und oft überraschender Bildsprache erweitert er in seinen Arbeiten die Grenzen der klassischen Reportagefotografie, durchbricht Sehgewohnheiten und hinterfragt Wahrnehmungs-Stereotypen. Essayistisch-narrative und analytisch abstrahierende Elemente werden zu Bildgeschichten verknüpft, die er in Büchern, Ausstellungen und Magazinen veröffentlicht. Sein Werkwurde u.a. mit dem European Press Price ausgezeichnet und ist in Sammlungen wie dem Deutschen Historischen Museum und der Stiftung Gundlach vertreten. Neben derkünstlerischen Arbeit publiziert er Texte und Essays über Foto grafie. Bei NIMBUS erschienen sein Schweiz-Buch «Helvetica» (2017), die Studie «AM» (2018) über eine bekannte deutsche Politikerin sowie «Bamberg Diary» #1 und #2. Andreas Herzau lebt in Hamburg.

Binyavanga Wainaina (1971-2019), kenianischer Journalist und Schriftsteller, war nach einem Studium der Ökonomie zunächst für die «Sunday Times» in Kapstadt tätig. Im Jahr 2000 kehrte er nach Kenia zurück und gehörte dort zu den Mitgründern des Literaturmagazins «Kwani?». 2007 lehnte er die Aufnahme in das Forum «Young Global Leaders» am Davoser Weltwirtschaftsforum ab. 2009 übernahm er die Leitung des Chinua Achebe Center for African Writers and Artists am Bard College in Upstate New York. 2016 war er ein Jahr Stipendiat im Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Er verstarb 2019 in Nairobi.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2021

Freiheit des Blicks

Der Fotograf Andreas Herzau war in Liberia unterwegs und wollte einmal keine Bilder von Elend und Armut, Toten und Ruinen mit zurückbringen. In einem Bildband zeigt er stattdessen die bunte, von Optimismus geprägte Seite des Landes.

Von Freddy Langer

Auf der Liste der beliebtesten Ferienregionen sucht man Liberia vergebens. Und wer dort fotografiert, kommt für gewöhnlich nicht mit Urlaubsbildern zurück. Das war auch bei Andreas Herzau so, der 1996, unterstützt von der Welthungerhilfe, gemeinsam mit vier Kollegen an einem Projekt über Flucht und Binnenflucht arbeitete, wofür sie wochenlang in Westafrika unterwegs waren, vor allem in Liberia, Ruanda und Sierra Leone. Liberia besuchte Herzau noch einmal, 2005, im Vorfeld der ersten demokratischen Wahlen nach dem Krieg. Da, sagt er, sei ihm der Gedanke durch den Kopf gegangen, dass es genau genommen ein wunderbares Land sei, sofern man nicht gerade nach Toten suche. Aber bis heute sind die ersten Stichworte, die einem zu Liberia einfallen, Kindersoldat, Warlord und Kriegsverbrechen, Bürgerkrieg, Misswirtschaft und Korruption, vielleicht auch noch Ebola.

Nun ging Andreas Herzau ein, was er als Experiment bezeichnet: Er fuhr ein weiteres Mal nach Liberia, jetzt mit der Absicht, den Problemsucher, so sagt er, auszuschalten, sich einseitiger Opferberichterstattung entgegenzustellen und auf den Alltag einzulassen. Dabei lag ihm nichts ferner, als das Land aufzuhübschen, aber es sollte eben nicht das Elend im Zentrum der Arbeit stehen. So wie sich dort ja auch die Bewohner aller Probleme bewusst seien und dennoch ein positives Lebensgefühl zur Schau stellten. Womöglich lässt sich anders gar nicht mit der verfahrenen Situation im Land umgehen. Und sicher sind nicht zuletzt darin die Kreativität und das Talent zur Improvisation begründet, mit denen die Menschen den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Widrigkeiten allerorten begegnen.

Herzau betrachtete den öffentlichen Raum, als handele es sich um eine Bühne. Aufgeführt wurden Stücke, die zumindest für ihn teils ins Absurde abglitten, teils ans Chaotische grenzten, denen er als Zuschauer aber immer interessiert folgte, ohne je ein Urteil zu fällen oder gar anmaßend einzugreifen im Irrglauben, es allemal besser zu wissen, vielleicht sogar besser zu können. Und nie war es ihm darum zu tun, der Armut ein Moment von Anmut zu entlocken. So wie er die Kamera benutzte, hätte er es auch auf der Fifth Avenue in New York tun können. In seinem Buch, zu dem er seine Aufnahmen gebündelt hat, manifestieren sich deshalb zuallererst Neugierde und Staunen.

Erklärungen hingegen gibt es keine. Wer mit der Geschichte Monrovias nicht vertraut ist, wird das Betonskelett eines Hochhauses für den Rohbau eines nie vollendeten Gebäudes halten, dabei handelt es sich um ein von Flüchtlingen und Obdachlosen restlos zerlegtes ehemaliges Fünfsternehotel. Und wer die Lebensgeschichte des Präsidenten des Landes, George Weah, nicht kennt, muss übersehen, dass die Aufnahme einiger am Strand trainierender Fußballer auch von der Vision eines Aufstiegs aus dürftigen Verhältnissen erzählt.

Aber am Ende geht es in dem Buch nur bedingt um Liberia. Es geht um Afrika. Um unser Bild des Kontinents - und damit die Frage, wie man Klischees entkommt. Binyavanga Wainaina gibt dazu in einem großartigen Text allerhand Beispiele. Während sich Andreas Herzau den Namen des Landes zu eigen macht, das 1822 von weißen Amerikanern auf einem gekauften Stück Küstenstreifen gegründet wurde, um dort freigelassene ehemalige Sklaven anzusiedeln - und für sich die Freiheit des Blicks reklamiert.

"Liberia" von Andreas Herzau. Mit einem Text von Binyavanga Wainaina. Nimbus Verlag, Wädenswil 2021. 146 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 32 Euro.

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