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Kapital ist das bestimmende Merkmal moderner Volkswirtschaften, doch die meisten Menschen haben keine Ahnung, woher es tatsächlich kommt. Was verwandelt bloßen Reichtum in ein Vermögen, das automatisch mehr Reichtum schafft? Katharina Pistor zeigt in ihrem bahnbrechenden Buch, wie Kapital hinter verschlossenen Türen in Anwaltskanzleien geschaffen wird und warum dies einer der wichtigsten Gründe für die wachsende Ungleichheit in unseren Gesellschaften ist.
Das Recht »codiert« selektiv bestimmte Vermögenswerte und stattet sie mit der Fähigkeit aus, privaten Reichtum zu schützen und zu
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Produktbeschreibung
Kapital ist das bestimmende Merkmal moderner Volkswirtschaften, doch die meisten Menschen haben keine Ahnung, woher es tatsächlich kommt. Was verwandelt bloßen Reichtum in ein Vermögen, das automatisch mehr Reichtum schafft? Katharina Pistor zeigt in ihrem bahnbrechenden Buch, wie Kapital hinter verschlossenen Türen in Anwaltskanzleien geschaffen wird und warum dies einer der wichtigsten Gründe für die wachsende Ungleichheit in unseren Gesellschaften ist.

Das Recht »codiert« selektiv bestimmte Vermögenswerte und stattet sie mit der Fähigkeit aus, privaten Reichtum zu schützen und zu produzieren. Auf diese Weise kann jedes Objekt, jeder Anspruch oder jede Idee in Kapital umgewandelt werden - und Anwälte sind die Hüter dieses Codes. Sie wählen aus verschiedenen Rechtssystemen und Rechtsinstrumenten diejenigen aus, die den Bedürfnissen ihrer Mandanten am besten dienen. Techniken, die vor Jahrhunderten Landbesitz in Kapital transformierten, dienen heute zur Codierung von Aktien, Anleihen, Ideen und Zukunftserwartungen.

Ein großes, beunruhigendes Porträt der globalen Natur dieses Codes sowie der Menschen, die ihn gestalten, und der Regierungen, die ihn durchsetzen.
Autorenporträt
Katharina Pistor, geboren 1963, ist Edwin B. Parker Professorin of Comparative Law und Direktorin des Center on Global Legal Transformation an der Law School der Columbia University in New York. Für ihre Forschungen wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Max-Planck-Forschungspreis 2012. Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft wurde von der Financial Times und von Business Insider zu einem der besten Bücher 2019 gekürt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2021

Kritik der juristischen Ökonomie

Mit ihrem Buch "Der Code des Kapitals" sorgt Katharina Pistor für Furore. Die Juristin zeigt darin, wie das Privatrecht den Vermögenden dient. In Hamburg trifft sie auf Widerspruch.

Ein Mann vom Lande steht vor dem Gesetz und möchte hinein. Weil er sich aber am Türsteher nicht vorbeitraut, stirbt er nach vielen Jahren des Wartens vor dem Tor, ohne das Innere des Gesetzes gesehen zu haben. So weit Franz Kafkas berühmte Parabel. Wir aber, die Nachkommen des Mannes vom Lande, können jetzt einen Blick hineinwerfen, zumindest in den Flügel des Gebäudes, den das Privatrecht einnimmt.

Die Rechtswissenschaftlerin Katharina Pistor von der New Yorker Columbia-Universität bietet mit ihrem viel beachteten Buch "Der Code des Kapitals" eine geführte Besichtigung. In deren Verlauf zeigt sich, dass die weitläufigen Säle des Rechts, die sich der Mann vom Lande glanzvoll und fest gefügt vorstellte, in Wahrheit etwas Provisorisches haben: Sie sind mit Leichtbauwänden unterteilt, die ganz nach Bedarf verschoben, verstärkt oder entfernt werden können. Den Wunsch nach solchen permanent wechselnden Rechtsgrundrissen haben die Inhaber des globalen Kapitals, die Manager von Banken, Trusts und Investmentfonds. Die Verschiebearbeiten erledigen in ihrem Auftrag hoch bezahlte Wirtschaftsanwälte in den Großkanzleien von London, New York oder Frankfurt.

Allerdings verwendet Katharina Pistor nicht das Bild vom Recht als Bauwerk, deshalb firmieren die Anwälte bei ihr auch nicht als Meister des Innenausbaus, sondern als "Herren des Codes". Diesen Code liefert ihnen ein breites Spektrum an Gesetzeswerken, das sich vom Vertrags-, Eigentums- und Kreditsicherungsrecht bis zum Trust-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht spannt. Die verschiedenen Module des Codes nutzen die Anwälte in variierenden Kombinationen, um Güter zu Kapital zu machen, indem sie Eigentumsrechte etablieren, Aktien und andere Werte vor Gläubigern und Steuerbehörden abschirmen und durch neue Kapitalformen sogar Vermögen schaffen, etwa durch verbriefte Hypotheken oder geistige Eigentumsrechte. Dabei geht es nicht nur darum, die passenden Paragrafen anzuwenden, sondern die großen Lücken kreativ zu füllen, die das Privatrecht lässt, um anpassungsfähig für die sich ändernden Märkte zu bleiben.

Die Meister des Codes schaffen selbst neues Recht, indem sie Auslegungsspielräume im Interesse ihrer Mandanten interpretieren, bestehende Gesetze durch Analogiebildungen auf ungeregeltes Terrain ausdehnen und - oft zu Recht - darauf bauen, dass ihnen die Gerichte darin folgen. Den größten Entfaltungsraum für solch anwaltliche Schöpferkraft bieten die Rechtssysteme Großbritanniens und des Staates New York, deren Regelwerke die Anwälte dank freier Rechtswahl in den meisten Staaten nutzen können. Dabei können sie sich darauf verlassen, dass die dortigen Gerichte und Behörden dieses Recht durchsetzen werden, auch wenn es nicht der eigenen demokratisch legitimierten Gesetzgebung entstammt.

Als Musterbeispiel für die Kunst anwaltlichen Codierens präsentiert Pistor die surrealen, hundertfach verschachtelten Finanzkonstrukte der Lehman-Brothers-Bank, die noch Dividenden an ihre Aktionäre ausschüttete, als ihr bevorstehender Untergang die Weltwirtschaft schon erbeben ließ. Die dadurch ausgelöste Krise zeigte, dass das Vertrauen der großen Finanzakteure und ihrer Anwälte in den Staat als Helfer in der Not nur allzu berechtigt war. Wer "too big to fail" war, wurde mit öffentlichen Mitteln gerettet und war meistens auch "too big to jail".

Katharina Pistors Kritik der juristischen Ökonomie hat nun ihrerseits einen profilierten Kritiker gefunden: Für Hans-Bernd Schäfer, Experte für die ökonomische Analyse des Rechts an der Hamburger Bucerius Law School, schießt die Autorin mit ihrer These von der kapitalistischen Herrschaft durch Recht anstelle einer Herrschaft des Rechts weit über das Ziel hinaus. Seine Einwände brachte Schäfer in einer Podiumsdiskussion mit Katharina Pistor vor, die vom Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht veranstaltet wurde.

Für Schäfer überzeichnet Pistor den Einfluss der Anwälte. Zugleich belege sie nicht hinreichend, dass sich unabhängige staatliche Gerichte wirklich zu deren Erfüllungsgehilfen machen ließen. Auch Pistors Kritik, dass die Internationalisierung des Rechts einseitig den Reichen zugutekomme, akzeptierte Schäfer nicht. Als Gegenbeispiel verwies er auf ein in Den Haag ergangenes Urteil, das den Shell-Konzern verpflichtet, nigerianische Bauern für die Ölverschmutzung ihres Ackerlandes zu entschädigen. Ohne "Forum Shopping" - also die Wahl eines für die Sache günstigen Gerichts - hätten die Bauern dieses Ergebnis nicht erzielen können. Die entscheidende Differenz zwischen den Kontrahenten bestand aber in der volkswirtschaftlichen Bewertung. Schäfer sieht in der Flexibilität des Privatrechts eine entscheidende Voraussetzung für ökonomische Innovationen, die nicht nur die Taschen Einzelner füllen, sondern den allgemeinen Wohlstand erhöhen. Als Beispiel nannte er die "Erfindung" der juristischen Person, die als rechtliches Konstrukt der Aktiengesellschaft zugrunde liegt und die kontinuierliche Akkumulierung von Kapital ermöglicht.

Als weiteren Beleg für die wirtschaftliche Schubkraft privatrechtlicher Codierungen zog Schäfer die Herausbildung des Grundeigentums in England heran, die auch in Pistors Buch eine wichtige Rolle spielt. Es geht dabei um die Frühe Neuzeit, als Aristokraten das zuvor von den Bauern gemeinsam genutzte Gemeindeland gewaltsam privatisierten, mit anwaltlicher Hilfe in rechtlich geschütztes Eigentum umwandelten und durch neu konzipierte Trusts vor Gläubigern schützten. In Pistors Darstellung bilden diese "Einhegungen" der englischen Allmenden eine Urszene: Sie markiert den Aufstieg der Anwälte zu "Herren des Codes" und den Beginn einer Entwicklung, die schließlich in die Ungleichheiten moderner kapitalistischer Gesellschaften mündete. Schäfer dagegen verwies auf die enorme Produktivitätssteigerung, die dieser Prozess bei all seiner Härte in der Landwirtschaft auslöste, womit auch die Grundlagen der späteren Industrialisierung gelegt wurden.

Karl Marx sah in den "Einhegungen" eine erste Stufe in der Herausbildung des Kapitalismus, einen historischen Fortschritt also. Schäfer plädierte für eine funktional motivierte Differenzierung des Rechts entlang moralisch-politischer Normen: Zweck des Privatrechts soll es demnach sein, die ökonomischen Akteure zur Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit anzuhalten und somit die Rahmenbedingungen für ökonomischen Fortschritt zu schaffen, während das Sozialrecht für Solidarität und "Brüderlichkeit" sorgen soll. Beides zu vermischen, hielt Schäfer für kontraproduktiv.

Diese Idee einer rechtsethischen Arbeitsteilung überzeugte allerdings nicht. Zu Recht machte Katharina Pistor geltend, dass das Privatrecht Anwälten in die Hände spielt, um den Reichtum ihrer Mandanten zu mehren, während dem Sozialstaat die undankbare Aufgabe bleibt, die gesellschaftlichen Schäden, die dadurch entstehen, abzufedern. Sie plädierte dafür, die Flexibilität des Privatrechts zurückzuschrauben, um die Steuerungsfähigkeit staatlicher Systeme wieder zu verbessern. Der "Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus" wurde in der Diskussion an keiner Stelle so benannt, aber um ihn ging es. WOLFGANG KRISCHKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Daniel Reichert-Facilides wird mitgerissen vom Schwung des Buches von Katharina Pistor. Wie die Autorin darin die Geschichte des Wirtschaftsrechts als Institutionengeschichte erzählt mit Fokus auf der Funktion des Rechts als Bedingung der Vermögensanhäufung, findet der Rezensent lesenswert, wenngleich für den wirtschaftshistorisch bewanderten Leser nicht unbedingt neu. Als weitgehend gut zugänglicher Überblick taugt der Band jedoch, versichert er. Was er laut Rezensent nicht leistet: die differenzierte Herausarbeitung sämtlicher Vor- und Nachteile privatrechtlicher Regulierung in der globalen Marktwirtschaft.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2020

Die Hüter des Kapitals
Die amerikanische Rechtswissenschaftlerin Katharina Pistor
liefert die Kapitalismuskritik der Stunde
VON GEORG SIMMERL
Vielleicht ist nun Zeit, sich wieder daran zu erinnern: Am Anfang, ganz am Anfang der nicht enden wollenden Krisenkaskade, in der wir leben, war Kapitalismuskritik für einen Moment Allgemeingut geworden.
Es war der Moment, als im September 2008 Lehmann Brothers pleiteging und plötzlich die Möglichkeit vor aller Augen stand, dass das globale Wirtschaftssystem tatsächlich zusammenbrechen könnte. Über die Auswüchse des Finanzkapitalismus erhob sich wütende Empörung. Aufklärung wurde gefordert, im Angesicht kaum zu durchschauender Finanzierungsinstrumente, Schuldenverhältnisse und Unternehmensstrukturen. Keine Regierung, die noch ohne Klagen über gierige Banker ausgekommen wäre.
Doch die Verallgemeinerung der Kapitalismuskritik blieb praktisch folgenlos. Die Politik sah sich zu einer Bankenrettung genötigt, die private Verluste sozialisierte. Und obwohl im folgenden Wirtschaftsabschwung die Ungleichheit eskalierte und sogar die Positionen von „Occupy Wall Street“ mehrheitsfähig schienen, fand sich die Mehrheit bald mit einer Systemstabilisierung unter ebendiesen Bedingungen bereitwillig ab.
Die globale Aufmerksamkeit noch einmal auf die Anliegen jener Kapitalismuskritik zu richten, die sich aus der Finanzkrise von 2008 ergeben hatte, ist zwischen Euro- und Migrationskrise und dem Aufstieg neuer Nationalismen bislang nur dem französischen Ökonomen Thomas Piketty und der Enthüllung der Panama Papers gelungen.
Unter dem Titel „Der Code des Kapitals“ ist in deutscher Übersetzung ein Werk der Rechtswissenschaftlerin Katharina Pistor erschienen, das diese Anliegen wieder aufnimmt. Die Entwicklungstendenz wachsender Ungleichheit, die dem Kapitalismus von Piketty statistisch nachgewiesen wurde, erklärt Pistor durch die Geschichte seiner rechtlichen Verfasstheit. Dadurch eröffnet sie auch einen klärenden Blick auf notorische Geschäftspraktiken und Unternehmensstrukturen, die im Zuge der Finanzkrise ruchbar geworden sind.
Das Wesen des Kapitals gibt sich für Pistor gerade in Zeiten großer Konjunktureinbrüche und massenhafter Insolvenzen zu erkennen. Dann zeigt sich, dass es rechtliche Attribute sind, die das Wesen des Kapitals ausmachen: Bestimmte Vermögenswerte sind in ihrem Bestand besser geschützt, ihre Konvertierbarkeit in Staatsgeld wird garantiert und bestimmte Ansprüche – auch mit Wirkung gegen Dritte – werden prioritär bedient und durchgesetzt. Und in diesen rechtlichen Attributen erkennt Pistor auch die Voraussetzung für die stetig wachsende Ungleichheit im Kapitalismus.
Letztlich sind es Privilegien – und deswegen auch gewiss keine Naturgegebenheiten. Jedwedes Gut, sei es nun eine Sache oder eine Idee, kann mit ihnen ausgestattet und damit zu Kapital gemacht werden. In diesem Prozess, den Pistor „Codierung“ nennt, wird also nicht nur Vermögen geschützt, sondern auch neues Vermögen geschaffen.
Da die „Codierung“ zwar auf die Anerkennung und Absicherung durch staatliche Gewalt angewiesen ist, sich aber vor allem im Privatrecht vollzieht, gibt Pistor der Entstehungsgeschichte des Kapitals auch einen neuen, stillen Helden. Es ist nicht mehr das ingeniöse Unternehmertum, nicht die ausgebeutete Arbeiterschaft, sondern die rechtschaffende Anwaltschaft.
Pistors Analyse der globalen Ökonomie der Gegenwart rückt nämlich das hintergründige Wirken internationaler Großkanzleien in den Fokus. Weil sich in den meisten Staaten die angelsächsische Gründungstheorie durchgesetzt hat, nach der für ausländische Gesellschaftsformen das Recht ihres Gründungsortes maßgeblich bleibt, sind der Kreativität der Anwaltschaft kaum noch Grenzen gesetzt.
Bevorzugt auf Grundlage der Rechtssysteme von New York und Großbritannien erschaffen sie für ihre Klienten neue Kapitalformen, etwa verbriefte Kredite oder geistige Eigentumsrechte. Und um die daraus entstehenden Vermögenswerte abzuschirmen, konstruieren sie Unternehmenskonglomerate aus einem weltweit verstreuten Netz juristischer Personen, mit denen zugleich Steuern vermieden und Regulierungen umgangen werden. Auch wenn diese Zusammenhänge manchen grundsätzlich bekannt sein mögen, so überzeugt das Buch doch durch eine luzide Darstellung ihrer rechtlichen Genese. Die Entstehung zentraler privatrechtlicher Module, die heute bei der Codierung von Kapital zur Anwendung kommen, verfolgt Pistor bis ins britische Empire des 16. Jahrhunderts zurück, als die älteste Reichtumsquelle – Grund und Boden – in Kapital verwandelt wurde.
Die Einhegung der Gemeingüter erzählt sie anhand der juristischen Kämpfe, in denen die Landlords allmählich moderne Eigentumsrechte erstritten. Und da das Gesellschaftsrecht, das Landanwälte daraufhin zur Abschirmung des neu erworbenen Eigentums der adligen Gutsherren vor ihren Gläubigern anwandten, bald auch bei der Konstruktion von Kapitalgesellschaften zur Anwendung kam, spricht Pistor mit dem Rechtshistoriker Bernard Rudden auch von einem „feudalen Kalkül“, das dem Kapital noch immer innewohnt. Seiner Genese nach ist das heutige „Imperium des Rechts“, das die an der Columbia Law School lehrende Pistor analysiert, aber in jedem Fall ein Imperium des angelsächsischen Common Law.
Das Herzstück der Studie bildet die „institutionelle Autopsie“ der Bank Lehmann Brothers. Unter fortlaufendem Rückgriff auf Beispiele aus der Rechtsgeschichte führt Pistor dabei eine eindrückliche Untersuchung der weit verzweigten Struktur des Unternehmens und seiner Geschäftspraktiken durch. Egal, ob es dabei um Schuldeninstrumente des Derivatehandels, ein System automatischer Transaktionen zur Umgehung von EU-Richtlinien oder Verlustverschiebung in unzählige Tochtergesellschaften geht: Bei allem Detailreichtum löst sie stets ihren Anspruch ein, auch für Nicht-Juristen verständlich zu bleiben.
Spätestens, wenn sich Pistor der digitalen Ökonomie zuwendet, gehen zwischen den untersuchten „Codes“ allerdings auch analytische Lücken auf. Zwar kann sie anhand von Kryptowährungen und Smart Contracts zeigen, warum der digitale Code das utopisch-libertäre Versprechen mit sich führt, ohne staatlich abgesichertes Recht auszukommen.
Zu den Geschäftspraktiken der Digitalkonzerne hat Pistor aber kaum etwas zu sagen – und das gilt leider auch für jene Plattformunternehmen wie Facebook und Twitter, die fremden Content publizieren, im gleichen Zuge kapitalisieren und doch keine Haftung für ihn übernehmen müssen. Diese Auslassung ist umso bedauerlicher, als darin auch eine Wirkungsbedingung gegenwärtiger Kapitalmuskritik aufzufinden ist.
Vom Gemeingut in Zeiten der Finanzkrise ist sie wieder Content für eine bestimmte Filterblase geworden, deren Mitglieder sich ab und an zum Kauf eines einschlägigen Buches verleiten lassen. Selbst wenn Kapitalismuskritik weiterhin als Ausdruck linken Selbstbewusstseins gilt, so ist diese Filterblase ihrer historischen Genese nach aber doch vor allem das bildungsbereite Bürgertum – und zu seinem Erschaudern wurde der Begriff des Kapitalismus von deutschen Nationalökonomen Max Weber und Werner Sombart auch überhaupt erst popularisiert.
Katharina Pistor wendet sich sicherlich an das gleiche Publikum. Statt Klassenkämpfe sieht sie nur Rechtsstreitigkeiten. Und die Gegenstrategien, die sie für die Reform des Rechts und der juristischen Ausbildung vorschlägt, bekennen sich offen dazu, das Spiel nicht zu verändern. Mitunter erschöpfen sie sich sogar in bloßen Hoffnungen auf Wandel in den USA und Großbritannien.
Dennoch kann Pistors Buch gerade jetzt mehr leisten als eine aufklärerische Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Ungleichheit nimmt wieder zu, der Staat muss sogar unumwunden Einkommenschancen verteilen, während eine Welle von Insolvenzen anrollt.
In der neuesten Krisenlage kann das Buch daher auch als vorbereitende Lektüre fungieren. Für alle, die nicht auf den Erhalt alter Besitzstände hoffen, sondern sich auf die Öffnung neuer Möglichkeiten vorbereiten wollen, wenn an den Staat noch wesentlich weitreichendere Forderungen gestellt und andere Eigentumsformen gebildet werden müssen.
Katharina Pistor: Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft. Aus dem Englischen von Frank Lachmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 440 Seiten, 32 Euro.
Statt Klassenkämpfe
sieht Pistor
Rechtsstreitigkeiten
Das Buch kann
auch für kommende
Krisen wappnen
Als Kapitalismuskritik Mainstream war: Touristen fotografieren in New York Anhänger der Occupy-Wall-Street-Bewegung im Jahr 2011.
Foto: Lucas Jackson/Reuters
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»Katharina Pistor ... zeigt auf atemberaubende Weise, wie dieser [rechtliche] Code über die Jahrhunderte immer wieder neu geschrieben wurde und wie er Kapital und Ungerechtigkeiten schuf.« NZZ Geschichte 20210401