Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 12,89 €
  • Broschiertes Buch

Wie Fernsehschaffende über Gewaltkriminalität berichten, hängt weitgehend davon ab, wovon sie sich hohe Einschaltquoten versprechen. Der Medienwissenschaftler und Journalist Thomas Hestermann hat die Macher interviewt und ihre Berichterstattung untersucht. Seine Analyse zeigt, wie Mediengewalt entsteht. Fernsehschaffende vom Reporter bis zur Redaktionsleiterin, die für Fernsehformate von RTL explosiv bis zur Tagesschau tätig sind, erläutern freimütig, warum sie bevorzugt über tödliche und sexuelle Gewalt berichten und warum sie Opfer in den Mittelpunkt stellen - vor allem Kinder. Das aus…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Wie Fernsehschaffende über Gewaltkriminalität berichten, hängt weitgehend davon ab, wovon sie sich hohe Einschaltquoten versprechen. Der Medienwissenschaftler und Journalist Thomas Hestermann hat die Macher interviewt und ihre Berichterstattung untersucht. Seine Analyse zeigt, wie Mediengewalt entsteht.
Fernsehschaffende vom Reporter bis zur Redaktionsleiterin, die für Fernsehformate von RTL explosiv bis zur Tagesschau tätig sind, erläutern freimütig, warum sie bevorzugt über tödliche und sexuelle Gewalt berichten und warum sie Opfer in den Mittelpunkt stellen - vor allem Kinder. Das aus journalistischer Sicht ideale Opfer ist jung, weiblich, deutsch, unschuldig und stammt aus besseren Verhältnissen. Was einem solchen Opfer geschieht, so nehmen die Fernsehschaffenden an, geht dem Publikum nahe.
Die in den Forschungsinterviews geschilderten Muster von Auswahl und Thematisierung werden durch eine Programmanalyse von Nachrichtensendungen und Boulevardmagazinen gestützt. So wird vor allem über tödliche und sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen berichtet, während die Gewalt an alten Menschen und nichtdeutschen Opfern fast vollständig ausgeblendet wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2011

Inländische Standardleiche
Was die Fernsehschaffenden über Gewalt denken

Gewalterfahrungen haben für die Opfer meist einschneidende emotionale Folgen. Das gründet auf die Nicht-Normalität von Gewalt in modernen Gesellschaften: Verbrechen sind im Verlauf der Geschichte statistisch seltener geworden; das Risiko, Opfer zu werden, hat abgenommen. Anders hingegen die Wahrnehmung, wenn man den Fernseher einschaltet. Gewaltdarstellungen gehören zur Normalität schon der Nachmittagsprogramme, die Zahl medial vermittelter Morde an das Publikum erreicht schwindelnde Höhen. Im Verlauf seiner Fernsehbiographie wird der Zuschauer mit Tausenden von Mord- und Vergewaltigungsfällen unterhalten.

Für eine aktuelle Studie hat der Hannoveraner Medienwissenschaftler Thomas Hestermann nun dreiunddreißig Fernsehschaffende nach ihren Deutungs- und Handlungsmustern befragt ("Fernsehgewalt und Einschaltquote. Welches Publikumsbild Fernsehschaffende leitet, wenn sie über Gewaltkriminalität berichten", Nomos Verlag Baden-Baden 2010). Wenig überraschend scheint, dass sie den Blick besonders auf tödliche und sexuelle Gewalt lenken und dass Opfer und Täter klischeehaft konstruiert werden. Junge deutsche Mädchen fallen Tätern zum Opfer, die sie nicht kennen und die im Vagen bleiben. Die Opfer sind wehrlos und schwach, Kinder werden bevorzugt, um den Kontrast zur (männlichen) Tätermacht zu erhöhen. Das alles dient der Emotionalisierung des Plots. Eine Aufklärung über Kriminalitätsprävention und Risiken findet nicht statt.

Stattdessen bekunden die Medienmacher, Täter und Tatverdächtige anprangern zu wollen. Die Worte, mit denen sie in den anonymisierten Interviews beschrieben werden, sind drastisch. Mitverschulden ist ein systematisch ausgeblendeter Faktor, auch Ambivalenzen gelten als Hintergrund der Darstellung von Gewaltgeschehen. Der Nachrichtenwert ist gefühlsbestimmt, auch statistisch Irrelevantes kann groß aufgemacht werden. Umgekehrt lassen sich leicht diskriminierende Effekte der Berichterstattung nachweisen. Anders als bei den Tatverdächtigen findet man kaum ausländische Opfer.

Hestermann zeigt, wie diese klischeehafte Konstruktion von Gewaltkriminalität sowohl in fiktionalen Darstellungen als auch in der Berichterstattung greift. Den Zuschauern wird eine "mediale Geisterbahn" geboten, die fragen lässt, ob sie eigentlich das Typische inszenieren will oder sich und die Zuschauer nur den Emotionen des Augenblicks hingibt.

Überhaupt ist Vieles über die Figur des Zuschauers unbekannt, sieht man von den Einschaltquoten ab. Denn verblüffend war bei den Interviews vor allem, über wie wenig konkrete Resonanz die Fernsehmacher berichten konnten. Das Publikum ist der schweigende Riese. Zuschriften sind eine Rarität, und oft steht zudem nicht viel drin. Übrig bleiben daher vermutete Erwartungen und die Messwerte der Sehbeteiligung.

MILOS VEC

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr