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Vor der Folie eines weit aufgefächerten zeit- und kulturhistorischen Panoramas lässt Karoline Hille die Beziehung Chagalls zu Deutschland sowie die Rezeption seiner Werke durch das deutsche Publikum von 1913 bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig werden. Dabei enthüllt sie den von tiefen Brüchen gekennzeichneten Blick der Deutschen auf Leben und Werk des Malers. Denn kein anderer Künstler war in Deutschland so extremen Positionen von höchster Bewunderung bis zu tiefster Verachtung ausgesetzt wie der russische Jude Marc Chagall (1887-1985). Von Deutschland aus verbreitete sich sein…mehr

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Produktbeschreibung
Vor der Folie eines weit aufgefächerten zeit- und kulturhistorischen Panoramas lässt Karoline Hille die Beziehung Chagalls zu Deutschland sowie die Rezeption seiner Werke durch das deutsche Publikum von 1913 bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig werden. Dabei enthüllt sie den von tiefen Brüchen gekennzeichneten Blick der Deutschen auf Leben und Werk des Malers. Denn kein anderer Künstler war in Deutschland so extremen Positionen von höchster Bewunderung bis zu tiefster Verachtung ausgesetzt wie der russische Jude Marc Chagall (1887-1985).
Von Deutschland aus verbreitete sich sein Ruhm als einer der bedeutendsten Künstler der Moderne. Hier lebten erste, von seinen Arbeiten begeisterte Sammler und Galeristen, Museumsleute, Dichter und Kunsthistoriker. Nach 1933 jedoch sollte Chagall durch die infamen Hetzkampagnen des Nazi-Regimes gegen die Moderne zu einem der meistgehassten jüdisch-bolschewistischen Künstler werden. Sein Werk verkörperte nun den Inbegriff der entarteten Kunst. Demgegenüber stand die Chagall-Rezeption nach 1945 ganz im Zeichen einer Verdrängung der jüngsten Geschichte. Seine Werke wurden nun als Symbol für die deutsch-jüdische Versöhnung in Anspruch genommen. Mehr noch, der Künstler selbst avancierte zum Lieblingsmaler der Deutschen.
Autorenporträt
Karoline Hille ist promovierte Kunsthistorikerin und lebt als freie Autorin in Ludwigshafen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2005

Schwebend durch die Zeiten
Vom Publikum geschätzt, als Jude verfemt, als Maler ein Träumer: Karoline Hille zeigt, wie Marc Chagall in Deutschland reüssierte
Als Moische Segal 1913 von Paris aus seine Gemälde und Zeichnungen erstmals nach Berlin zu einer Ausstellung schickte, kannte noch kaum jemand den jungen russischen Künstler. Freunde wie Robert Delaunay, Guillaume Apollinaire und Blaise Cendrars hatten ihn dem Berliner Galeristen, Schriftsteller und Verleger Herwarth Walden empfohlen. Der organisierte gerade in guter Avantgarde-Tradition den „Ersten Deutschen Herbstsalon”, in dem er Künstler zeigte, die auf der bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst, 1912 veranstaltet vom „Sonderbund” in Köln, nicht vertreten waren. So hatte Segal, der sich bereits Marc Chagall nannte, seinen ersten Auftritt in Deutschland.
Doch das Publikum kam nur spärlich und die Kritik verdammte die ausgestellte Kunst in Bausch und Bogen. Walden war geradezu stolz über die schlechten Kritiken, die ihm zeigten, dass er dem Geschmack seiner Zeitgenossen voraus war. 1914 veranstaltete er dann eine umfangreiche Einzelausstellung Chagalls in seiner „Sturm”-Galerie, und der Künstler kam erstmals nach Berlin. Anschließend reiste Chagall nach Russland, eigentlich nur um zu heiraten, aber der Krieg kappte erst einmal alle Kontakte in den Westen. Seine Gemälde, fast alle bis dahin entstandenen, blieben bei Walden, der in den folgenden Jahren erste Sammler fand.
Nach dem Krieg war Chagall daher bereits eine feste Größe der zeitgenössischen Kunst. 1921, Chagall hielt sich noch als „Kunstkommissar” der neuen Sowjetunion in seiner Heimatstadt Witebsk auf, erschien die erste Monographie über sein Werk in Deutschland. Herwarth Walden verlor allmählich die Ausstellungs- und Interpretationshoheit über seinen Künstler. Als Chagall mit seiner Familie für ein Jahr nach Berlin kam, in die Stadt, in der nach der Revolution die größte russische Emigrantengemeinde lebte, prozessierte er sogar gegen seinen ehemaligen Galeristen, dessen Abrechnungen selten korrekt waren. Künstlerisch fasste Chagall in Berlin nicht Fuß. Er konnte nur alte Kontakte auffrischen, ehe er weiter nach Paris zog, das doch der Ort seiner Sehnsucht geblieben war.
Der Rabbi erzählt
Christine Hille beschreibt die Karriere Marc Chagalls in Deutschland, die eine Grundlage seines internationalen Erfolgs war, in allen Details. Die Verbindungen von Kunsthandel, Kunstkritik, Sammlern und Schriftstellern halfen auf dem Weg zum Erfolg, und Hille versteht es dieses Beziehungsgeflecht spannend aufzulösen. Wie kaum ein anderer Künstler steht Chagall für die Rezeption der Kunst im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Den schwierigen Anfängen folgten die Etablierung in einer aufgeklärten Schicht der Gesellschaft der zwanziger Jahre und dann der schier bodenlose Absturz in die Verfemung durch die nationalsozialistische Propaganda. Chagall wurde dabei nicht nur als Maler, sondern vor allem auch russischer Jude an den Pranger und seine Existenz in Frage gestellt. Das Frühwerk des Künstlers, das sich einst fast vollständig in deutschen Privatsammlungen befand, ist mittlerweile auf die großen Museen der ganzen Welt verstreut.
Die Autorin verbindet die Chronologie der Rezeption mit drei Einschüben, die sich mit Varianten des Bildes eines erzählenden Rabbiners befassen. Chagall wurde zuerst als russischer Künstler wahrgenommen, obwohl er ebenso der Inbegriff eines Pariser Bohemiens war. In den 20er Jahren sah man dann in ihm den Schilderer des osteuropäischen Judentums. 1927 gelang der Mannheimer Kunsthalle die Erwerbung einer zweiten Fassung dieses Bildes zu einer Zeit, als Chagall einen festen Platz in den historischen Abrissen der modernen Kunst gefunden hatte. Aber schon wenig später, im Juni 1933, diente gerade dieses Bild den Nationalsozialisten als prominentes Beispiel „Entarteter Kunst”. Es kam über die Auktion der beschlagnahmten und verfemten Kunst 1937 in Luzern schließlich ins Kunstmuseum Basel.
Nach 1945 wurde Chagall erstmals von der französischen Militärregierung in der Ausstellung „Meister der französischen Malerei der Gegenwart” wieder in Deutschland gezeigt und auf der „documenta 1” in Kassel reihte man ihn 1955 endgültig unter die Wegbereiter der Moderne ein. Aus dem Avantgardisten und russischen Juden war ein internationaler Künstler geworden, den man im Nachkriegsdeutschland als „Träumer” und „Maler der Bibel” verehrte, womit sich die Gräuel des Holocaust gut überblenden ließen. Chagall stand jetzt für christlich-jüdische Versöhnung und deutsch-französische Freundschaft, auch wenn er sich selbst weigerte, Deutschland wieder zu betreten. Christine Hille gelang mit der Rekonstruktion dieser wechselvollen Wahrnehmung der Kunst Chagalls ein wichtiges und zugleich fesselndes Buch.
ANDREAS STROBL
KAROLINE HILLE: Marc Chagall und das deutsche Publikum. Böhlau Verlag, Köln, Wien 2005. 277 Seiten, 22,90 Euro.
Diese Zeichnung Chagalls zu dem Gemälde „Interieur” war im Juni 1914 auf dem Titelblatt der Zeitschrift „Der Sturm” abgebildet.
Abb.: aus d. bespr. Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Marc Chagalls Rezeption in Deutschland sei "Grundlage" für seine internationale Karriere gewesen, referiert Rezensent Andreas Strobl eine Kernaussage dieses Buches. Die Autorin verstehe es nicht nur, die wechselnden Perspektiven auf Chagall von 1913 bis zur "documenta 1" im Jahr 1955 in allen Einzelheiten darzustellen, es sei auch "spannend" zu lesen. Wer da alles wie seine Finger im Spiel hatte nach der Initiation durch den Galeristen Herwarth Walden sei höchst interessant zu verfolgen, meint die Rezensentin. Mehrere Versionen eines Chagall-Bildes mit einem erzählenden Rabbi dienten der Autorin zur Veranschaulichung der Bilder, die man sich in Deutschland von Chagall machte. Erst sei er der russische Avantgarde-Künstler gewesen, dann der Darsteller eines idyllischen osteuropäischen Judentums, bis schließlich die gefeierten Meisterwerke als Musterbeispiele "Entarteter Kunst" in die Schweiz verkauft wurden. Im Nachkriegsdeutschland, das Chagall nie mehr betreten wollte, half der "träumerische" Chagall dabei, die kollektive Amnesie mit Kunst auszustaffieren, fasst Strobl die wichtigsten Etappen zusammen.

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