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Die Wiederentdeckung eines literarischen Meisterwerks
Rotterdam in den 30er Jahren. Der ehrgeizige Jacob Katadreuffe arbeitet sich buchstäblich aus der Gosse bis in die oberste Etage einer Anwaltskanzlei. Doch er hat einen Widersacher, der ihn scheinbar erbarmungslos immer wieder zurückwirft: seinen eigenen Vater, den gefürchteten Gerichtsvollzieher Dreverhaven. Will er sich dafür rächen, daß Katadreuffes Mutter ihn einst, nach einer einzigen Nacht, zurückgewiesen und damit freiwillig auf gesicherte Verhältnisse verzichtet hat? Oder ist alles Teil eines Planes des Vaters, der seinen Sohn…mehr

Produktbeschreibung
Die Wiederentdeckung eines literarischen Meisterwerks

Rotterdam in den 30er Jahren. Der ehrgeizige Jacob Katadreuffe arbeitet sich buchstäblich aus der Gosse bis in die oberste Etage einer Anwaltskanzlei. Doch er hat einen Widersacher, der ihn scheinbar erbarmungslos immer wieder zurückwirft: seinen eigenen Vater, den gefürchteten Gerichtsvollzieher Dreverhaven. Will er sich dafür rächen, daß Katadreuffes Mutter ihn einst, nach einer einzigen Nacht, zurückgewiesen und damit freiwillig auf gesicherte Verhältnisse verzichtet hat? Oder ist alles Teil eines Planes des Vaters, der seinen Sohn durch die harte Schule des Lebens schickt, um aus ihm einen gefestigten Charakter zu machen?
Kraftvoll und kühl wie Hamsun, spannend und beklemmend wie Kafka, mit dem Ferdinand Bordewijk mehr als nur der Beruf des Juristen verbindet: "Charakter" von 1938 braucht den Vergleich mit den großen Klassikern der Moderne nicht zu scheuen. Als Bildungsroman im brodelnden Rotterdam zwischen den Kriegen ist er das eindringliche Porträt einer untergegangenen Epoche. Als Parabel, in der die Fragen nach der Vereinbarkeit von beruflichem und privatem Glück mit Moral gestellt werden, hat er nichts von seiner Aktualität verloren. Als Psychodrama, dessen Verfilmung 1998 einen Oscar gewann, übt dieses Meisterwerk in neuer deutscher Übersetzung mit seinen mit feiner Ironie gezeichneten Charakteren einen unwiderstehlichen Sog aus.
Autorenporträt
Marlene Müller-Haas studierte Kunstgeschichte, Niederländische Philologie und Germanistik in Amsterdam und Berlin. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit an der FU Berlin arbeitet sie heute als freie Übersetzerin. Sie übersetzte u.a. F. Bordewijk, Charlotte Mutsaers und Thomas Rosenboom. 2002 erhielt sie den Else-Otten-Übersetzerpreis.

Ferdinand Bordewijk wurde 1884 in Amsterdam geboren. Er studierte Rechtswissenschaften, arbeitete als Anwalt und schrieb in seiner Freizeit, zunächst unter dem Pseudonym Ton Ven. Erste literarische Erfolge verzeichnete er 1919 mit einer Sammlung fantastischer Erzählungen. Seinen Rang als einer der wichtigsten Autoren der niederländischen Moderne begründeten jedoch die Novellen und Romane, die er in den 1930er Jahren verfasste. Ferdinand Bordewijk starb 1965 in Den Haag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2008

Vater würgt Sohn

Sadist verführt Dienstmädchen und zeugt mit ihm einen Bürohengst - das klingt irgendwie nach Kafka: Ferdinand Bordewijks moderner Klassiker nun auf Deutsch.

Roman von Sohn und Vater" lautet der Untertitel von Ferdinand Bordewijks Roman "Charakter", einem modernen Klassiker aus dem Jahr 1938, der es in den Niederlanden auf mehr als vierzig Auflagen gebracht hat. Erkennbar ist der Einfluss des Expressionismus als Schule des überlebensgroßen Generationskonflikts. Der Vater hat die Züge eines Monstrums. Der Gerichtsvollzieher A. B. Dreverhaven ist "ein Mann aus Granit, der nur in anatomischem Sinn ein Herz besaß". Die Rotterdamer Welt fürchtet ihn als "das Schwert ohne Gnade".

Es sind ungeheuerliche Szenen, wenn Dreverhaven auf Pfändungstour geht. Mit sadistischem Genuss treibt er Menschen, die die Miete nicht mehr zahlen können, aus ihren Wohnungen. Als Gehilfen hat er immer den "Kohlengreifer" dabei, einen schaurig aussehenden, wenngleich gutmütigen Riesen, der grotesken Stummfilmen entsprungen scheint: "Der Anblick wurde völlig zum Schrecken, wenn man in seinem Gefolge den Riesen heranschlenkern sah mit dem schlaffen Hals, dem großen, pendelnden Kopf und einem Maul, das sich über einer Beute weit auftun konnte."

Aber auch der unerbittliche Dreverhaven hat schwache Stunden. Er verführt das Dienstmädchen Jacoba Katadreuffe, eine junge Frau, die von seiner Machtfülle beeindruckt ist, es an Härte und "Charakter" allerdings mit ihm aufnehmen kann. Nachdem sie Jacob - die eigentliche Hauptfigur des Romans - zur Welt gebracht hat, lehnt die beinahe mittellose Mutter alle Heiratsangebote und Zuwendungen Dreverhavens ab.

So schlägt sie sich als Alleinerziehende durch, Jacob ist eine prekäre Kindheit beschert. Aber er will nach oben. Zwar geht er, kaum volljährig, erst einmal mit einem kleinen Tabakladen bankrott. In den nächsten zehn Jahren schuftet er sich jedoch in einer renommierten Anwaltskanzlei nach oben, wo er als Schreibkraft beginnt. Er schafft das Externenabitur und den Abschluss eines Jura-Fernstudiums. Auf dieser Linie entwickelt sich "Charakter" zum Büroroman aus dem Geist der Neuen Sachlichkeit. Man spürt an der Detailfreude, dass dieses Thema noch literarisches Neuland war, als Bordewijk seinen Roman schrieb. Das gilt vor allem für das "Bürofräulein", den weiblichen Archetypus der Epoche nach dem Ersten Weltkrieg, ein reizvoller Gegenentwurf zu herkömmlichen Frauenbildern. Geschlechtergrenzen wurden durchlässig. Jetzt präsentierte sich auch die junge Frau als bubikopftragender "Sportmensch" und hatte unter dem "hauchdünnen Ärmel" ihres Kleides womöglich einen "Bizeps" parat, "den sie wie ein Athlet zu einer Stahlkugel anschwellen lassen konnte". Büroromane greifen beherzt in die Wirklichkeit des verwalteten Lebens, wie es nun einmal ist: zumeist sehr mittelmäßig. Gerade deshalb sind sie leider oft auch ein bisschen langweilig. In "Charakter" werden in ermüdender Ausführlichkeit Kanzlei-Interna mitgeteilt und die Anwälte und Schreibkräfte dem Leser so eingehend vorgestellt, als sollte er selbst nun für einige Jahre ihr Kollege werden.

Interessanter sind Passagen, die die Wirklichkeit außerhalb des Büros festhalten, Schilderungen der Wirtschaftskrise mit der Verarmung breiter Bevölkerungsteile in den Dreißigern oder Kinogänge, die Katadreuffe mit dem Maschinenschlosser Jan Maan unternimmt. Man schaut sich Meisterwerke des sozialistischen Films wie "Panzerkreuzer Potemkin" an und riskiert im politischen Streit beinahe die Freundschaft. Die Größe der Moderne stellt der Roman in Beschreibungen Rotterdams unter Beweis: Poesie der Großstadt und der überfüllten Strände, von denen aus die Sonnenbadenden Hafenkräne und feuerspeiende Industrieanlagen im Blick haben.

Die Hauptfigur Katadreuffe aber vermag nicht wirklich zu fesseln. Der zweite Bildungsweg ist gewiss steinig, gehört aber nicht zu den spannungsträchtigsten Routen für Romane. Irritierend und faszinierend bleibt der Vater, der dem Sohn aus der Ferne so viele Steine wie nur möglich in den Weg legt und ihn mehrfach in die Privatinsolvenz zu treiben versucht. Am Ende entpuppen sich solche Machenschaften als spröde Ausdrucksform einer Vaterliebe, die weiß, dass man den eigenen Nachwuchs nicht verwöhnen, sondern fordern muss: "Ich werde ihn würgen, ich erwürge ihn zu neun Zehnteln, und das eine Zehntel, das ich ihm lasse, dieses kleine bisschen Atem wird ihn groß machen."

Kaum erstaunlich, dass sich der Verlag die Gelegenheit nicht entgehen lässt, Bordewijk als holländischen Kafka anzupreisen. Allerdings fehlt das bohrende Reflektieren auswegloser Problemkonstellationen, das den Leser in Kafkas ungemütliche Erzählwelten hineinzieht. Möglicherweise hat "Charakter" im Original einen Humor, der sich in der Übersetzung nicht recht vermittelt. So bleibt zum Beispiel schwer zu entscheiden, ob der erbbiologische Zeitgeist oder dessen Parodie einen Satz wie den folgenden bestimmt: "Die Kinder aus den höheren Schichten kamen besser gerüstet zur Welt, ihr Kopf war runder, ihre Stirn höher, ein niedriger oder fliehender Schädel blieb bei ihnen die Ausnahme."

Auf Humor deuten zumindest die Namen hin, etwa Harm Knol Hein, ein Schleppkranführer und Hüne von Mann, "breit und wohlgenährt, ein Kerl, undenkbar ohne Holland und die See". Solche Momente versprechen leider mehr, als der Roman zu halten vermag. Eingelöst hat das, was bei Bordewijk angelegt ist, sein Schüler Willem Frederik Hermans zwei Jahrzehnte später im Meisterwerk "Die Dunkelkammer des Damokles".

WOLFGANG SCHNEIDER

Ferdinand Bordewijk: "Charakter. Roman von Sohn und Vater". Aus dem Niederländischen übersetzt von Marlene Müller-Haas. Nachwort von Cees Nooteboom. Verlag C. H. Beck, München 2007, 364 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2008

In der Kälte Calvins
Ferdinand Bordewijks Vater-und-Sohn-Roman „Charakter”
„Ach, ihr seid allesamt Juristen, ihr wisst nicht, was ein Mensch ist”, klagt der junge Anwalt de Gankelaar. Er ist eine der wenigen warmen, menschlichen Figuren in diesem überaus kalten Rotterdam der dreißiger Jahre. Ein historischer Roman ist Ferdinand Bordewijks „Charakter. Ein Roman von Vater und Sohn” nicht, er erschien in den Niederlanden erstmals 1938. Doch anders als historisch kann man ihn kaum lesen. Der Roman ist das Dokument einer vergangenen Epoche und ihrer ebenso vergangenen Ansichten über Lust und Arbeit, Staat und Familie, Erziehung und den Menschen überhaupt.
Jacob Katadreuffe ist der uneheliche Sohn des Gerichtsvollziehers Dreverhaven und seines Dienstmädchens Jacoba, deren Vereinigung sich einem Moment der Schwäche verdankt. Ansonsten herrscht hier eine unerbittliche Atmosphäre der Selbstzucht. Die Mutter wird mit der Geburt bestraft: Sie verwelkt „wie eine Blüte im Giftgas”. Aber sie bleibt stark genug, den Rest ihres Lebens in Enthaltsamkeit zu leben. Der junge Katadreuffe wächst bei seiner Mutter auf, ohne den Vater zu kennen. Als er einen Kredit aufnimmt, um mit einem kleinen Tabakhandel der Armut zu entkommen, gerät er unwissentlich in die Fänge des Vaters. Dieser ist nicht bloß Gerichtsvollzieher, sondern unterhält insgeheim auch einen Geldverleih. Damit ist das Schuldverhältnis hergestellt, das Katadreuffes Leben bestimmen wird. Fortan versucht der Vater, den Sohn in den Konkurs zu treiben; „das kleine bisschen Atem”, sagt er einmal, „drücke ich auch noch aus ihm heraus.”
Das Unrecht des Stärkeren
Von Dreverhaven heißt es nicht bloß, dass er nur im anatomischen Sinne ein Herz habe. Er verkörpert auch die Entmenschlichung des Rechts. „Das Gesetz in seiner vollen unmenschlichen Strenge und Dreverhaven, das war eins.” Er vertritt ein Recht, das seine Bindung an die höheren Normen des Naturrechts eingebüßt hat und ein formales Instrument geworden ist. Es ist das Recht desjenigen, der etwas davon versteht, ein Recht, das sich in den Händen des Stärkeren zu Unrecht wandelt. Dreverhaven nimmt Räumungen zur bloßen Belustigung vor, am liebsten Familien mit Kindern, als „räuchere er Nester von Ungeziefer aus”. Süffisant heißt es einmal: „An diesem Abend dachte Dreverhaven über die schönste Räumung in seinem Leben nach.”
Bordewijk, der neben der Schriftstellerei als Anwalt arbeitete, kannte die rechtliche Praxis. Aber auch wenn der Roman insgesamt im realistischen Fach angesiedelt ist – er wird der neuen Sachlichkeit zugerechnet – und in einem trockenen, geradezu notariellen Berichtstil vorgetragen wird, so hat er seine stärksten Momente im Grotesken.
Dreverhaven gelingt es nicht, den Aufstieg seines Sohnes zu verhindern. Als Katadreuffe erfährt, dass der Vater sein Gläubiger ist, bittet er ihn nicht etwa um Erlass der Schuldenlast. Und als er für die Ausbildung zum Juristen einen neuerlichen Kredit braucht, geht er zum Vater und liefert sich ihm erneut aus. Aber so sehr der Vater ihn auch mit Klagen überhäuft, Katadreuffe arbeitet sich von der Schreibkraft zum Bürovorsteher hoch und wird schließlich gar Anwalt. Ein Entwicklungsroman also, allein dass die Entwicklung fehlt. Dafür nämlich ist in Bordewijks Menschenbild kein Platz. Charakter bedeutet ihm Festlegung, Berechenbarkeit und Vorherbestimmung.
Zwar ist über den Determinismus das letzte Wort noch nicht gesprochen, aber die Bordewijksche Ausprägung ist ein krudes Sammelsurium klimatischer, geographischer, biologischer, ja gar rassischer Formungen. Nun mag es einen „massigen Rotterdamer Menschenschlag” geben, vielleicht auch die „naive Art dessen, der am Wasser lebt”. Aber wenn „Individualität” eine Eigenschaft ist, die es nicht im Volk, nur in der Elite gibt, „intellektuelle Begabung vererbt” wird und äußerlich an rundem Kopf und hoher Stirn zu erkennen ist, dann sind wir im rassisch-physiognomischen Denken. Und wenn der Sohn dem Vater die Einübung in den Lebenskampf dankt und die Gewalt für Liebe hält, dann gründet das in einer Pädagogik, in der Menschen durch Zucht in Form gebracht werden. Das hat Bordewijk schon früher einen Faschismusverdacht eingebracht.
Erst in den Tiefenstrukturen des Romans findet sich wieder Erhellendes, die Darstellung des schweren Calvinismus nämlich, der auf den Protagonisten lastet und ihnen Schuld auflädt. Er prägt sie stärker als alles, was Bordewijk in seinen vielen Psychologisierungen heranzieht. Es ist Erbschuld, wenn Jacoba es sich übelnimmt, „dass sie eine Frau war”, und sich jedes Glück versagt. Es ist calvinistisches Arbeitsethos, das Katadreuffe glauben lässt, Armut sei persönliches Versagen und Individualität werde erst durch den sozialen Aufstieg erreicht.
Das Verhältnis von Vater und Sohn schließlich ist das eines fordernden und strafenden Gottes, wie ihn der Calvinismus kennt, gegenüber einem schuldbewussten Menschen, der sich durch Arbeit die göttliche Zuneigung erarbeitet. Befremdlich bleibt dieser Roman allemal – ob er das sein will, verrät er allerdings nicht.JEAN-MICHEL BERG
FERDINAND BORDEWIJK: Charakter. Roman von Vater und Sohn. Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. C.H. Beck Verlag, München 2007. 361 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein wenig ratlos sitzt Rezensent Wolfgang Schneider vor diesem Roman, der zu den modernen Klassikern der Niederlande gehört. Ihn zumindest hat Ferdinand Bordewiijk nicht packen können mit seiner Geschichte von einem unehelichen Sohn, der sich gegen den Widerstand seines hartherzigen Vaters an den eigenen Aufstieg macht. Zum Leidwesen des Rezensenten tut er dies über eine Bürokarriere und den zweiten Bildungsweg - für den Rezensenten sind beide Wege literarisch nicht besonders ergiebig. Besser gefallen ihm dagegen die Beschreibungen Rotterdams, bei denen sich ihm die "Größe der Moderne" auch in diesem Roman zeigt. Fragwürdig wiederum erscheinen ihm gewisse "erbbiologische" Reflexionen, bei denen Schneider jedoch nicht einschätzen kann, ob etwa die runden Köpfe der höheren Schichten von Bordewijks Humor oder dem Zeitgeist zeugten.

© Perlentaucher Medien GmbH