am Rande beschäftigt, das sind Zeitreisen in die Zukunft. Denn die prinzipielle Möglichkeit solcher Ausflüge folge ja schon aus Einsteins Relativitätstheorie. Danach altere ein Astronaut, der fast mit Lichtgeschwindigkeit zu einem fernen Stern reise und anschließend zurückkomme, langsamer als seine Verwandten auf der Erde. Woraus folgt, dieser Astronaut kann nach seiner Landung als Gleichaltriger mit seinem Sohn oder seiner Tochter plaudern. In die Vergangenheit kommt er auf diese Weise allerdings nicht.
Für Stubenhocker entwirft Gott eine ganz kleine Zeitmaschine, die man einfach zu Hause besteigen kann und die insofern dem in H.G. Wells' gleichnamigem Roman beschriebenen Fluggerät ähnelt. Man brauche nur den Planeten Jupiter zu zerlegen und aus dem Material eine unglaublich dichte Schale, eine kugelförmige Kapsel, zu konstruieren, deren Durchmesser nur ein wenig größer ist als der kritische Durchmesser, unterhalb dessen die Masse zu einem Schwarzen Loch würde. Die Wellenlänge nach außen gerichteter Photonen würde dem fernen Beobachter verraten, daß die Uhr innerhalb dieser Kapsel langsamer tickte - wie an Bord der Rakete, die fast mit Lichtgeschwindigkeit fliegt.
Eine Herausforderung wird die Zeitreise für Gott erst, wenn sie in die Vergangenheit führt - und der Zeitreisende beispielsweise seine Großmutter umbringt, bevor seine Mutter geboren wurde, er selbst dann also plötzlich gar nicht mehr existieren dürfte. Müßte das nicht die Zukunft aus den Angeln heben, wodurch sich solche Zeitreisen selbst ad absurdum führten? Der Autor zumindest meint, Ausflüge in die Vergangenheit seien sogar aus Sicht des Physikers wohl nur derart denkbar, daß ein Eingriff in die Umwelt ausgeschlossen sei, der Zeitreisende also nur stiller Betrachter wäre. Obwohl es auch Physiker gibt, wie er schreibt, die einen Ausweg aus dem Dilemma suchen. Ein Ansatz sei zum Beispiel die Quantenphysik, nach der ein Elementarteilchen sich gleichzeitig auf verschiedenen Pfaden fortbewegen kann. Vielleicht entstehe durch Ermordung der Großmutter ein Paralleluniversum mit einer anderen Zukunft, in dem der Zeitreisende - anders als in seinem eigenen Universum - nicht mehr existiert. Das aus vielen parallelen Universen bestehende Multiversum ist für die Astrophysiker aus anderen Gründen längst ein geläufiges Denkmodell.
Der einfache Blick in die Vergangenheit ist für den Autor etwas Alltägliches, obwohl dies im ersten Moment überraschen mag. Die Astronomen, die zehn Millionen Lichtjahre von uns entfernte Galaxien betrachten, sehen diese wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichts ja auch in einem Zustand, den diese vor zehn Millionen Jahren hatten. Genaugenommen erblicke man sich deshalb auch im Spiegel in der Vergangenheit - allerdings nur in einer, die winzigste Bruchteile von Sekunden zurückliegt, soviel, wie das Licht braucht, um vom Gesicht zum Spiegel und wieder zurück zu kommen.
Als nächstes handelt der Autor die mittlerweile schon klassischen Vorschläge für Zeitreisen in die Vergangenheit ab, also Reisen durch Wurmlöcher oder durch die Ausnutzung von Raumzeit-Krümmungen. Solche Zeitreisen sind seiner Meinung nach jedoch, vorsichtig gesagt, schwierig, so daß man lieber noch nicht im Reisebüro anrufen solle.
Ausführlich geht Gott auf mögliche Zeitreisen in Verbindung mit der Frühzeit des Universums ein, die für ihn eine physikalisch besonders große Herausforderung darstellen. Auch in zahlreichen Beiträgen für seriöse physikalische Zeitschriften hat er sich damit befaßt. Es sind Zeitreisen von Teilchen, nicht von Astronauten, was sie nicht uninteressanter macht. Es könnte sein, so der Autor, daß die Zeit am Anfang allen Seins in einer Art Schleife verstrich, also immer wieder in die Vergangenheit zurückkehrte. Dann sei eine Frage nach dem Vorher oder der ersten Ursache sinnlos. Es gebe kein Vorher, wie auch auf der Erde nichts südlicher als der Südpol sei, der gleichwohl die Erdoberfläche nicht begrenze. Das Universum könnte eine Geometrie haben, die es ihm erlaubt, sich in der Zeit zurückzubegeben und sich selbst zu erschaffen. So wäre denkbar, daß das Universum seine eigene Mutter ist.
Bei der Lektüre wird deutlich, daß die Gedankenwelt der modernen Astrophysik mindestens ebenso phantasievoll ist wie die Welt der Science-fiction-Romane, die der Autor im ersten Teil des Buches häufig zitiert. Allerdings sind die Sachverhalte nicht immer aus sich heraus verständlich. Gott hat in dem über weite Strecken interessanten Buch versucht, die Thematik auf einfache Gedankengänge zu reduzieren. Zumindest bei der Darstellung der Relativitätstheorie ist ihm diese Hilfe für den Leser mißglückt, weil er zuviel mit geometrischen Mitteln operiert. Möglicherweise trägt auch das durchgängig beibehaltene Längenmaß "Fuß" zur Verwirrung bei.
GÜNTER PAUL.
J. Richard Gott: "Zeitreisen in Einsteins Universum". Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 322 S., geb., 19,90
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