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Viele Spitzenkader der DDR haben gegen deren Ende selbst den Boden für den Übergang zum Kapitalismus bereitet - zu diesem provokanten Schluss kommt Klaus Blessing in seinem neuen Buch. Obwohl die ökonomische Abschlussbilanz der DDR von 1990 besser war als die von vielen entwickelten kapitalistischen Ländern heute, gab es den "Schürer-Bericht" vom 30. Oktober 1989 mit seiner falschen Behauptung der unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit des Landes. Dem ging allerdings eine lange Reihe an Handlungen, Beschlüssen und Anordnungen voraus, die von einem grassierenden Misstrauen gegen die…mehr

Produktbeschreibung
Viele Spitzenkader der DDR haben gegen deren Ende selbst den Boden für den Übergang zum Kapitalismus bereitet - zu diesem provokanten Schluss kommt Klaus Blessing in seinem neuen Buch. Obwohl die ökonomische Abschlussbilanz der DDR von 1990 besser war als die von vielen entwickelten kapitalistischen Ländern heute, gab es den "Schürer-Bericht" vom 30. Oktober 1989 mit seiner falschen Behauptung der unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit des Landes. Dem ging allerdings eine lange Reihe an Handlungen, Beschlüssen und Anordnungen voraus, die von einem grassierenden Misstrauen gegen die eigene sozialistische Wirtschaftsweise zeugen. Doch wann hörten Unkenntnis und Unvermögen auf, und wann begann das Kalkül? - Denn auch das, so zeigt der Autor eindeutig, ist Teil der Agonie der DDR, ein "planvolles Agieren gegen den Plan", das schlussendlich zum weitgehenden Verschwinden einer ganzen Volkswirtschaft führte. Belegt mit einer Vielzahl an Akten und Dokumenten, liefert Klaus Blessing unangenehme Einsichten zum Verständnis der Wende.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2016

Pfirsiche in der DDR
Erinnerungen an die Planwirtschaft

Die Fakten zur desaströsen Wirtschaftspolitik in der DDR sind bekannt, doch die Erinnerungen verblassen. Erfrischend ist daher die Autobiographie von Wolfgang Hoebel, der in der Gastronomie der Mangelwirtschaft arbeitete, und Folgendes berichtet: Eines Tages bekam das Restaurant in Ost-Berlin, für das Hoebel arbeitete, überraschenderweise saftige Pfirsiche geliefert. Es waren zu viele für den Betrieb, weshalb der Gastronom spontan einen Verkaufsstand vor der Eingangstür aufbaute. Innerhalb weniger Minuten standen Hunderte vitaminhungrige Menschen an. Pfirsiche gab es sonst fast nie in der DDR: "Nach etwa einer Stunde kam ein Herr, zeigte mir seine Klappkarte und fragte mich, ob ich wahnsinnig geworden sei. Die Pfirsiche seien ab sofort zu sichern und würden vom Großhandel wieder abgeholt." Als Hoebel daraufhin den Verkauf beendete, "wollten uns die vielen Kunden auf der Straße fast steinigen". Sie riefen: "Schweine, Banditen, Strolche, die Bonzen wollen die Pfirsiche nur unter sich aufteilen!" Der verantwortliche Leiter beim Großhandel, der die Pfirsiche geliefert hatte, wurde vom Staat entlassen. Angeblich waren die Pfirsiche für Krankenhäuser und Betriebe vorgesehen. Aber es war ein Freitag, und Lieferungen waren nicht mehr vorgesehen. Was mit dem Rest der nichtverkauften Pfirsiche passiert ist, bleibt unklar. Vermutlich landeten sie nicht bei den Bonzen, sondern im Müll. Treffender kann man die Realität einer Planwirtschaft kaum beschreiben.

Trotz dieser Planwirtschaft konnten sich wenige Privatbetriebe behaupten. Porträtiert wurden sie vor elf Jahren von der französischen Zeithistorikerin Agnès Arp unter dem Titel "VEB. Vaters ehemaliger Betrieb". Nun ist die Forschungslücke über weibliches Unternehmertum in der DDR geschlossen worden: "Kleiner Markt im großen Plan", heißt ein sehr lesenswertes und mit Fotos und Dokumenten bebildertes Werk von Peter Karl Becker und Sebastian Liebold. Die Freude am Kaufmännischen, am Gestalten, die Fürsorge für die Mitarbeiter und der Dienst am Kunden zeichnen die drei porträtierten Unternehmerinnen aus: Irmgard Fuhrmann, die die Weinhandlung Fuhrmann in Querfurt führte; Eleonore Vogel, die die Druckerei G. A. Ludwig in Schwarzenberg von ihrem Vater übernahm; und Ulrike Kaufmann, die die Medizintechnik Kaufmann & Köckritz in Chemnitz über die Zeiten rettete. Sie suchten ihre Nischen und erhielten damit eine wichtige Funktion im Aufrechterhalten der Versorgung in einem Mangelsystem.

Eine ganz andere Sicht vermittelt Klaus Blessing, der ab 1980 Staatssekretär im Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali der DDR war. Nach seiner Ansicht war die DDR ein prosperierender Staat, in dem alle Menschen Arbeit hatten. Grund für den Untergang waren Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen von Politbüromitgliedern. Als Beispiel nennt er Gerhard Schürer, der unter anderem Leiter der Staatlichen Plankommission war. Eine Rettung der DDR wäre trotzdem nicht möglich gewesen, gibt auch Blessing zu, "jedoch ein würdevollerer und zeitlich gestreckter Beitritt zur BRD". Dass die Arbeiter, Bauern und Bürger 1989 und 1990 etwas anderes wollten, vergisst Blessing, der auch Gregor Gysi kritisiert, weil dieser zuletzt ein "zutiefst kritisches Verhältnis zum Staatssozialismus, also auch zur DDR" anmahnte.

JOCHEN ZENTHÖFER

Wolfgang Hoebel: Vom Pagen im Hotel Adlon bis zum Mauerfall. Books on Demand, Norderstedt 2016. 252 Seiten. 10,40 Euro.

Peter Karl Becker/Sebastian Liebold: Kleiner Markt im großen Plan. Drei Unternehmerinnen in der DDR. Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V. und Sax Verlag, Markkleeberg 2015. 79 Seiten. 9,80 Euro.

Klaus Blessing: Wer verkaufte die DDR? Wie leitende Genossen den Boden für die Wende bereiteten, edition berolina, Berlin 2016. 251 Seiten, 14,99 Euro.

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