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LÄSST SICH VERGANGENES UNRECHT WIEDERGUTMACHEN? RESTITUTION ZWISCHEN GESCHICHTE UND POLITIK
Die Restitution von Kulturgütern gehört zu den brisantesten und meistdiskutierten Themen der letzten Jahre. Lässt sich vergangenes Unrecht durch späte Rückgaben wiedergutmachen? Was muss, was soll, was kann zurückgegeben werden? Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht, zeigt auf, welche Schwierigkeiten, aber auch Chancen die Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit birgt, die aus der Gegenwart konstruiert wird.
In unserem Umgang mit einer historisch
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Produktbeschreibung
LÄSST SICH VERGANGENES UNRECHT WIEDERGUTMACHEN? RESTITUTION ZWISCHEN GESCHICHTE UND POLITIK

Die Restitution von Kulturgütern gehört zu den brisantesten und meistdiskutierten Themen der letzten Jahre. Lässt sich vergangenes Unrecht durch späte Rückgaben wiedergutmachen? Was muss, was soll, was kann zurückgegeben werden? Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht, zeigt auf, welche Schwierigkeiten, aber auch Chancen die Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit birgt, die aus der Gegenwart konstruiert wird.

In unserem Umgang mit einer historisch belasteten Vergangenheit scheint nicht nur der Geschichte als solcher, sondern auch ganz konkreten Objekten Unrecht anzuhaften. Wurden sie geraubt, den Opfern abgepresst oder von ihnen auf andere Weise verloren, so geht man heute, auch viele Jahrzehnte nach ihrem Verlust, zumeist davon aus, dass sie an ihre ursprünglichen Besitzer herauszugeben sind. Welche Parameter, Schwierigkeiten, aber auch Chancen diesen Prozess kennzeichnen, erläutert die Autorin anhand von drei Beispielen, die in Deutschland die aktuellen Debatten in unterschiedlicher Weise prägen: die Restitution von NS-Raubgut, der Umgang mit kolonialen Objekten und schließlich die Entschädigungsforderungen der Familie Hohenzollern.

Ein Beitrag zu den aktuellen Restitutionsdebatten
Sophia Schönberger ist juristische Expertin auf diesem Gebiet
Autorenporträt
Sophie Schönberger lehrt Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist Ko-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2021

Vor dieser Mitsprache muss man sich hüten

Der Worte sind genug gewechselt: In der Hohenzollerndebatte braucht es jetzt keine weiteren Meinungen mehr, sondern Entscheidungen, sei es auf politischem oder gerichtlichem Weg. Stattdessen bläst ein Sammelband aus konservativer Sicht zum lärmenden Rückzugsgefecht.

Worum geht es in der sogenannten Hohenzollerndebatte? Im Juli 2019 wurde die Öffentlichkeit durch die Nachricht aufgeschreckt, die Nachkommen des ehemaligen preußischen Königshauses würden in geheimen Ausgleichsverhandlungen mit dem Bund außer Rückerstattungen enteigneter Gegenstände auch Wohnrecht im Potsdamer Schloss Cecilienhof oder in einer von zwei weiteren Immobilien der dortigen Schlösserstiftung verlangen. Aber schon zehn Tage später war die Wohnrechtsforderung vom Tisch. Seither konzentriert sich die Diskussion auf die Frage, welche Rolle Wilhelm von Preußen, der Exkronprinz des Kaiserreichs, bei der Zerstörung der Weimarer Republik und beim Aufstieg des Nationalsozialismus gespielt hat.

Wilhelm von Preußen ist der Urgroßvater des heutigen Hausvorstands der Hohenzollernfamilie, Georg Friedrich. Anstelle des im holländischen Exil lebenden Exkaisers Wilhelm II. vertrat er die Familie seit 1923 im Deutschen Reich. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1941 war er aufgrund eines Erbvertrags, der erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2004 für ungültig erklärt wurde, Alleinerbe des hohenzollerschen Familienvermögens. Die Enteignungen durch die sowjetische Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1948, in deren Folge einige Dutzend Schlösser und Grundstücke und mehrere tausend Kunstgegenstände und Archivalien in den Besitz der späteren DDR übergingen, betrafen daher nur ihn.

Nach der Wiedervereinigung meldete Wilhelms Sohn und Erbe Louis Ferdinand Ansprüche auf Rückgabe der mobilen und Entschädigung für die immobilen enteigneten Objekte an. Das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 schließt solche Ansprüche aus, wenn der Berechtigte "oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet", dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System "erheblichen Vorschub" geleistet hat. In mehreren Fällen, darunter einer Klage der Erben des Unternehmers und zeitweiligen Reichsministers Alfred Hugenberg, hat das Bundesverwaltungsgericht mit Verweis auf die Vorschubklausel gegen die Antragsteller entschieden.

Im Schatten der Vorschub-Diskussion steht eine andere, weniger historische als politische Frage. Sie betrifft den möglichen Einfluss der Hohenzollernfamilie auf Dauer- und Wechselausstellungen in staatlichen Schlössern und Museen. Im Vertragsentwurf der Familie ist von "angemessener institutionalisierter Mitwirkung" bei allen Einrichtungen der öffentlichen Hand die Rede, die künftig Dauerleihgaben der Hohenzollern empfangen, sowie von "Mitsprache und Einbringung eigener Vorstellungen" bezüglich der Leihgaben.

Die Mitwirkungsfrage ist der neuralgische Punkt der öffentlichen Debatte wie der seit 2019 ruhenden Ausgleichsverhandlungen. Jeder Versuch, den Hohenzollern den Wunsch nach Einflussnahme auf die Darstellung deutscher Geschichte in staatlichen Museen und Schlössern zu unterstellen, wird vom Anwalt der Familie umgehend mit Unterlassungsforderungen und auch -klagen beantwortet. Zugleich bemüht sich die Politik, das Gespenst privater Kontrolle über staatliche Geschichtsbilder in Antworten auf parlamentarische Anfragen vorauseilend zu exorzieren. Aber die "Einbringung eigener Vorstellungen", also familiärer Interessen, in Gremien öffentlicher Museumsstiftungen wäre eben genau das - eine Ausübung von Einfluss.

Die Hohenzollern berufen sich in ihrer Wunschliste dabei auf den Musterleihvertrag des Deutschen Museumsbundes. Aber der Mustervertrag enthält keinerlei Regelung zur inhaltlichen Mitsprache von Leihgebern. Die Blaupause für die "institutionalisierte Mitwirkung" dürfte eher in dem Vergleich liegen, den die öffentliche Hand 2003 mit dem "Haus Sachsen-Weimar und Eisenach" aus dem Adelsgeschlecht Wettin geschlossen hat. Damals erhielten die Erben der Sachsenherzöge als Gegenleistung für ihren Verzicht auf Entschädigungsansprüche eine Zahlung von 15,5 Millionen Euro und einen ständigen Sitz im Stiftungsrat der Weimarer Klassikstiftung.

Die Düsseldorfer Rechtshistorikerin Sophie Schönberger hält diese Einigung für einen fatalen Fehler: Mit ihr übertrage der Staat "monarchische Vorstellungen dynastischer Regelhaftigkeit in ein republikanisches Gesetz", schreibt Schönberger in ihrer im Sommer erschienenen Studie zur "Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie" ("Was soll zurück?", C. H. Beck Verlag, München 2021). Aber selbst wenn man diese Diagnose für übertrieben hält, muss man die Konsequenzen einer Übertragung des Thüringer Modells auf die Hohenzollern-Verhandlungen fürchten.

Denn das "Haus Hohenzollern" hat eben ein sehr viel größeres Gewicht in der deutschen Geschichte gehabt als die Wettiner, und dieses Gewicht drückt sich in den Leihgaben aus: Kronkarkassen, Zepter und Kurschwert, Herrscherporträts aus vier Jahrhunderten und vieles andere. Dazu kommen die zwischen dem Bund und der Familie strittigen Gegenstände, zu denen Kunstwerke und Preziosen aus dem Besitz Friedrichs des Großen, Teile des preußischen Hausarchivs und die königliche Bibliothek gehören. Einige von ihnen könnten auch bei einer Aufteilung der Objekte zwischen Bund und Hohenzollern als Leihgaben in öffentlichen Institutionen bleiben. Die stimmberechtigte Mitsprache bei der Präsentation solcher historischen Zeugnisse wäre mehr als eine bloß symbolische Anerkennung von Geschichtsmacht. Durch sie würden die Hohenzollern zur einflussreichsten privaten Interessenpartei in staatlichen deutschen Museen.

An dieser Stelle kommt abermals Wilhelm von Preußen ins Spiel. Denn das öffentliche Ansehen der Familie und damit ihre Aussichten auf eine Übereinkunft mit der Politik sind eng mit dem Verhalten ihres Vorfahren im Nationalsozialismus verknüpft. Falls die Hohenzollern letztinstanzlich für entschädigungsunwürdig befunden werden, sinken auch ihre Chancen auf "institutionalisierte Mitwirkung". Wohl auch deshalb macht die Familie keine Anstalten, den seit 2014 vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht anhängigen Prozess wiederaufzunehmen. Offenbar setzt sie weiterhin auf eine Verhandlungslösung. Nach der Ernennung einer grünen Kulturstaatsministerin und eines rot-grün-roten Senats in Berlin ist ein außergerichtlicher Vergleich allerdings noch unwahrscheinlicher geworden. Der ungeklärte rechtliche Status von Tausenden historisch wertvoller Objekte wird so zum Dauerzustand.

Angesichts dieser Pattsituation ist es umso bedauerlicher, dass der jüngst erschienene Sammelband "Die Hohenzollerndebatte" keinen einzigen ernsthaften Versuch enthält, den Knäuel aus geschichtlichen, juristischen und politischen Ansprüchen und persönlichen Eitelkeiten zu entflechten, in dem die Diskussion um die Forderungen der Familie an den Staat feststeckt. Stattdessen behaupten die Autoren und Interviewpartner der zweiundzwanzig Beiträge vor allem ihre eigene Deutungshoheit und kanzeln konkurrierende Deutungen als inkompetent oder parteiisch ab. Der Verlag Duncker & Humblot, der den Band veröffentlicht, hat im August bereits Lothar Machtans Monographie über Wilhelm von Preußen aufgelegt. Einen Monat später erschien im Propyläen-Verlag Stephan Malinowskis Buch "Die Hohenzollern und die Nazis", das die Verwicklungen der Familie in die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts umfassend untersucht und bewertet. In dem Sammelband wird es an keiner Stelle erwähnt.

Sollte wirklich nicht einer der Autoren die Zeit gefunden haben, Malinowskis Studie vor Drucklegung zur Kenntnis zu nehmen? Eher dürfte es umgekehrt gewesen sein: Die Verfasser haben das Buch bewusst ignoriert, um ihrer eigenen Argumentation nicht den Boden zu entziehen. Denn die Aufsätze des Bandes, die zum größten Teil bereits in Zeitungen - auch in der F.A.Z. - und Zeitschriften erschienen sind, spiegeln in der Regel den Forschungsstand des letzten oder gar vorletzten Jahres. Umso rabiater gehen die Verfasser mit ihren publizistischen Widersachern um. Frank-Lothar Kroll, neben Michael Wolffsohn und Christian Hillgruber einer der drei Herausgeber, beschimpft Malinowski wegen dessen Gutachten zur Vorschubleistung Wilhelms von Preußen als "Stubenjakobiner" und den Marburger Historiker Eckart Conze als "Kammerjäger". Wolffsohn wiederum prangert die "Unethik der Sippenhaftung" im Ausgleichsleistungsgesetz an - obwohl nicht der Gesetzgeber, sondern das "Hausgesetz" der Hohenzollern den Exkronprinzen zum Prüfstein der Entschädigungswürdigkeit gemacht hat.

Solche Ausfälligkeiten setzen einen Krawallton, der auch auf sachlichere Beiträge wie die Auseinandersetzung von Rainer F. Schmidt mit Conzes finalistischer Geschichtskonstruktion in dessen Studie über die "Schatten des Kaiserreichs" oder die Anmerkungen von Peter Hoeres zur von Conze wiederbelebten Sonderwegsthese abfärbt. Vor allem verstärken sie den Eindruck, dass die Agenda des Bandes eigentlich keine sachliche, sondern eine instrumentelle ist: Den Interessen einer bestimmten Seite, ebender hohenzollerschen, soll argumentativ Vorschub geleistet werden.

Am interessantesten im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung sind zwei juristische Texte im Anfangsteil, auch deshalb, weil in ihnen etwas zutage tritt, was man mit Habermas und Apel als performativen Widerspruch bezeichnen muss. Der Bonner Rechtswissenschaftler Klaus Ferdinand Gärditz kritisiert in scharfem Ton jene Historiker, die "erstaunlich freihändig" - wenn auch im expliziten Auftrag der Politik oder der Hohenzollernfamilie - "mit voraussetzungsvollen Rechtsbegriffen hantiert" hätten, statt sich auf ihr Metier zu beschränken. Wenige Seiten zuvor tut Gärditz' Kollege Christian Hillgruber in seinem Beitrag aber genau dies: Er hantiert freihändig mit Begrifflichkeiten - nur dass es historische Begriffe und Interpretationen sind.

So behauptet Hillgruber, die Stimme Wilhelms von Preußen habe "im Wesentlichen nur für das noch monarchistisch gesonnene, alt-konservative Bürgertum Relevanz" gehabt. Diese Auffassung ist durch die Recherchen, die der Preußenhistoriker Jürgen Luh auf der Website des Research Centers Sanssouci zu den Aktivitäten Wilhelms im Jahr 1933 publiziert hat, widerlegt (F.A.Z. vom 19. Mai). Wie Luh an zeitgenössischen Presseberichten zeigt, hat Wilhelm von Preußen nach Hitlers Machtübernahme sein Prestige im "Stahlhelm" und beim ehemaligen kaiserlichen Offizierskorps planmäßig dazu genutzt, die Eingliederung der Frontkämpferbünde in die Machtstruktur des Naziregimes zu beschleunigen. Sein Einfluss in diesen Kreisen war nicht nur erheblich, sondern womöglich ausschlaggebend. Ein juristisches Gutachten, wie es Hillgruber hier in Form eines Buchessays vorlegt, sollte den neuesten Forschungsstand kennen, sonst wirken seine Schlussfolgerungen unseriös.

Der durchgängige Eindruck dieses Bandes ist der einer nachgeholten Voreiligkeit. Hier kämpft die Arrièregarde der Zunft ein lärmendes Rückzugsgefecht. In Wahrheit ist die Hohenzollerndebatte mit den Büchern von Malinowski und Machtan an ein Ende gelangt. Was es jetzt braucht, sind keine weiteren Meinungen mehr, sondern Entscheidungen, sei es auf politischem oder gerichtlichem Weg. Keine davon wird alle Ansprüche befriedigen. Aber von Frieden kann in diesem Fall ohnehin keine Rede sein. Selbst wenn die staatlichen historischen Sammlungen auf Dauer keine Einbußen erleiden - die deutsche Geschichtswissenschaft wird Jahre brauchen, um das Porzellan aufzukehren, das im Hohenzollernstreit zerschlagen wurde. ANDREAS KILB

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2021

Arbeit an der Zukunft
Der bestechende Band „Was soll zurück?“ der Düsseldorfer Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger liefert den
theoretischen Überbau zur allgegenwärtigen Kontroverse um die Rückgabe von Raubkunst
VON JÖRG HÄNTZSCHEL
Über die Restitution geraubter Kunstwerke wird schon seit Jahrhunderten gesprochen, seit Kunstraub zum gängigen Mittel im Kampf gegen Völker, Nationen, Gruppen wurde. Nie aber so viel wie in den vergangenen Jahren. Was der Debatte bislang fehlte, war der Überbau, die Metaebene, die Theorie. Die reicht nun die Düsseldorfer Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger mit einem schlanken, konzisen Band nach: „Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie“.
Ihre Ausgangsidee ist so naheliegend wie raffiniert: Sie nimmt drei Debatten, die bisher selten zusammengedacht wurden, gemeinsam in den Blick – die um den kolonialen Kunstraub, die um NS-Raubkunst und die um die Rückgabeansprüche der Hohenzollern. Der Vergleich liefert nicht nur neue Erkenntnisse zu den drei Einzelsträngen, sondern erlaubt ihr schließlich auch eine allgemeine Kritik des Restitutionswesens, seiner Schwierigkeiten und seiner diversen Auswüchse. Für letztere müssen bei ihr immer wieder die Forderungen der Hohenzollern herhalten.
Den Boom der Restitutionsforderungen erklärt Schönberger mit einer immer stärkeren Präsenz des Vergangenen. Es ist so gegenwärtig, dass Heutige sich immer öfter verpflichtet fühlen einzugreifen, um vergangenes Unrecht nachträglich gut zu machen. „Die Vergangenheit wird zum Gestaltungselement der Gegenwart“, so Schönberger. Doch wie definiert man dieses Unrecht, und wie lässt es sich von heute aus noch korrigieren? Diese Fragen führen geradewegs zu einem klassischen Dilemma des Rechts: Wie geht man mit Verbrechen um, die in der Zeit, da sie begangen wurden, nicht als solche galten, vielleicht sogar in staatlichem Auftrag geschahen, so wie viele Verbrechen der Kolonial- und der NS-Ära? Und sie machen eine Eigenheit des deutschen Rechts sichtbar: Über die Verjährung hinaus ist darin ein sehr robuster „Mechanismus des Vergessens“ (Schönberger) eingebaut. Denn wer einen gestohlenen Gegenstand gutgläubig gekauft hat, hat ihn nach zehn Jahren „ersessen“, er ist sein Eigentum geworden. Der Bestohlene hat Pech gehabt.
Das materielle Recht hat die Vergangenheit also gut von der Gegenwart abgeschottet. Dem steht unsere Erinnerungskultur entgegen, die vehement fordert, das Vergangene immer wieder neu aufzusuchen und mit heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen abzugleichen. Diese neue Kultur des Befragens von Vergangenem nutzen die Hohenzollern mit ihren Entschädigungsforderungen schamlos aus. Statt historische Fakten anzuerkennen, zwingen sie die Länder Berlin und Brandenburg, „letztlich die Frage der Abschaffung der Monarchie und der Errichtung der Republik noch einmal“ mitzuverhandeln, so Schönberger. Und die lassen sich darauf auch noch ein.
Was die verschiedenen Restitutionskomplexe ebenfalls gemeinsam haben, ist die auffällig prominente Rolle, die Objekte in ihnen spielen. Über den deutschen Genozid in Namibia wird weniger gesprochen als über die Kunstwerke, die Deutschland aus Afrika gestohlen hat. Die finanzielle Entschädigung, die die Hohenzollern fordern, ließ die Öffentlichkeit kalt, für Empörung sorgte ihr Anspruch auf Stücke aus den Museen und auf ein Wohnrecht in Schloss Cecilienhof.
Schönberger erklärt das mit der „magischen Fähigkeit“ der Objekte, „Imaginationen real werden zu lassen“. Sie sind Träger kollektiver Erinnerung, repräsentieren Erfahrungen, Identität, kulturelle Vorstellungen. Aber man muss schon, schreibt sie, genau hinsehen, um Leidenschaft und Kälte im Gezerre um die Objekte richtig einzuordnen. Die Varianten, die sie aufführt, sind zahlreich: Ein Objekt etwa, das in Deutschland nur ein Museumsdepot verstopft, kann für die Herkunftsgesellschaft ein lebender Gott sein. Umgekehrt kann die Restitution eines wertvollen Kunstwerks, das in der NS-Zeit geraubt wurde, für den, der es abgibt, bedeuten, „auch die eigene Unsterblichkeit“ aufzugeben. Wenn die Erben der Sammler das Werk nach der Rückgabe verkaufen, weil sie vielleicht Geld brauchen, wird ihnen das wiederum oft als Frevel angelastet.
Die Aufladung der Kunstwerke geht so weit, dass ihnen eine Art eigene Existenz zugesprochen wird. „Nofretete will nach Hause“ hieß ein schon 1984 erschienenes Buch zum Thema, so als habe sich die Arme verlaufen. Mal dient diese Rhetorik dazu, die Räuber oder ihre Nachfahren zu entlasten, weil sie die Täter verschwinden lässt. Mal hilft sie, die Rückkehr der Objekte dringlicher zu machen, weil sie die Objekte, die uns oft näher sind als die Bestohlenen, selbst zu Opfern erklärt.
Sind hingegen keine Opfer auszumachen, wird es schwierig, die Öffentlichkeit – es geht ja vor allem um Gegenstände aus öffentlichen Sammlungen – von der Legitimität von Restitutionsforderungen zu überzeugen. Das ist das Problem von Georg Friedrich Prinz von Preußen. Er verweist auf das vermeintliche Unrecht, das seiner Familie angetan wurde, gleichzeitig trägt er wie ein Szepter den Fantasietitel „Chef des Hauses Hohenzollern“ vor sich her. Opfer sehen anders aus.
Dass trotz der langjährigen Debatten die Restitution von Kunst, die im Nationalsozialismus und in den Kolonien geraubt wurde, kaum vorankommt, das sei die Schuld der Politik, die das Thema trotz des riesigen öffentlichen Interesses bislang leider kaum beachtet habe, so Schönberger. Statt mit Gesetzen Klarheit zu schaffen, hat sie das Problem an die Museen delegiert, die damit heillos überfordert sind. Bislang war Geschichtsbeobachtung ihre Aufgabe, nun werden sie in die Rolle von historischen Akteuren gedrängt.
Oft ist die Rückgabe eines umkämpften Objekts ohnehin nicht das wichtigste Ergebnis. Das „Prozessuale“, die Annäherung können viel wertvoller ein. Doch auch die fällt schwer. Vertreter der ehemaligen Kolonialgesellschaften mussten sie bislang zumindest mühsam einfordern, oft jahrelang. Erben jüdischer Sammler bemühen immer öfter amerikanische Gerichte, weil Deutschland ihre Ansprüche abwehrt. Anders ist es bei den Hohenzollern. Mit ihnen verhandeln höchste Vertreter der deutschen Politik seit Jahren im Hinterzimmer. Der Dialog „auf Augenhöhe“ funktioniert mit ihnen offenbar bestens.
Wenn etwas nicht überzeugt an Sophie Schönbergers bestechender Analyse der Restitutionsdebatte, dann ist es ihr Versuch, diese zum Produkt eines „Zeitalters der Nostalgie“ zu erklären. Der vergangenheitsselige Wiederaufbau des Berliner Schlosses und die Forderungen, die darin liegende Raubkunst zurückzugeben, um Unrecht der Vergangenheit gutzumachen, sie scheinen eher auf gegenläufige Impulse zurückzugehen. Und auch wenn Rückgabeforderungen immer auf einem kritischen Blick in die Vergangenheit beruhen – zu verstehen sind sie doch als Arbeit an der Zukunft.
Wie geht man mit Verbrechen
um, die nicht als solche galten,
als sie begangen wurden?
Vertreter der ehemaligen Kolonialgesellschaften mussten Rückgaben bislang mühsam einfordern, oft blockte man sie jahrelang ab: In Cotonou in Benin wurden am 10. November mit großem Pomp 26 Kunstwerke empfangen, die französische Soldaten 1892 geplündert hatten und die nun auf Initiative von Präsident Macron restitutiert wurden.
Foto: Seraphin Zounyekpe/Imago
Sophie Schönberger: Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie. C.H. Beck, München 2021. 158 Seiten, 15 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jörg Häntzschel lässt sich von der Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger die Theorie nachliefern zur Praxis der Restitution. Anhand dreier Fälle - des kolonialen Kunstraubs, der NS-Raubkunst und der Hohenzollerndebatte - zeigt die Autorin laut Häntzschel überzeugend und konzise, wo die Schwachstellen des Restitutionswesens liegen. So erläutert sie, wie die Hohenzollern die "neue Kultur des Befragens" für ihre Zwecke ausnutzen und wie die Museen von der Politik in die schwierige Rolle historischer Akteure gedrängt werden. Wenn Schönberger die Restitutionsdebatte zum Kind einer Ära der Nostalgie erklärt, erhebt Häntzschel jedoch Einspruch. Schließlich geht es dabei um die Zukunft, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH
"liefert den theoretischen Überbau zur allgegenwärtigen Kontroverse um die Rückgabe von Raubkunst (...) bestechende Analyse."
Süddeutsche Zeitung, Jörg Häntzschel

"Das handliche Buch liest sich spannend, weil hier erstmals der Versuch unternommen wird, die Praxis von Rückgaben in ihren Sinnzusammenhängen zu verstehen. Schönberger klopft die Ideen dahinter ab und zeigt, wo Schwächen, Grenzen und Möglichkeiten liegen."
Handelsblatt, Christiane Fricke

"entspricht ... dem Anspruch, den die neue Verlagsreihe verfolgt, nämlich mutig neue Aspekte in eine öffentliche Debatte einzubringen und sich darin zu positionieren"
Soziopolis.de, Antoinette Maget Dominice

"über die Mammutaufgabe, mit der Restitution von Kulturgütern in einer chaotischen Vergangenheit für Ordnung sorgen zu wollen."
SWR2

"Analysiert die Restitution von Kulturgütern und hat einen überraschenden Befund."
Falter, Matthias Dusini

"bringt Klarheit in die Debatte um die Rückgabe von geklauten Kulturgütern"
Abendzeitung, Christa Sigg

"Der große Verdienst von Sophie Schönbergers Buch besteht darin, dass es die Schwierigkeiten trotz aller Komplexität des Themas klar benennt."
Bayern 2, Astrid Mayerle

"Hat sich mit drei aktuellen Problemkomplexen zum Stichwort ,Restitution' befasst (...) Dass es nicht nur um Juristerei geht, sondern um unser Verhältnis zur Geschichte, zeigt Schönberger." Sächsische Zeitung

"Setzt sich (...) mit den aktuellen Debatten um Rückgabe von Kulturgütern auseinander."
KNA, Joachim Heinz
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