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Ein Jahrhundertereignis mitten in Europa: die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999. Sie ist das Thema des vorliegenden Buches, das dieses Phänomen unter wissenschaftlichen Aspekten betrachtet, aber auch praktische Informationen liefert, z. B. zu gesundheitlichen Risiken oder Problemen beim Fotografieren.

Produktbeschreibung
Ein Jahrhundertereignis mitten in Europa: die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999. Sie ist das Thema des vorliegenden Buches, das dieses Phänomen unter wissenschaftlichen Aspekten betrachtet, aber auch praktische Informationen liefert, z. B. zu gesundheitlichen Risiken oder Problemen beim Fotografieren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.1999

Der Mast ist zu niedrig, der Mond ist zu hoch
Wer sich auf Tuchfühlung mit den Sternen begeben will, kommt erst bei der totalen Sonnenfinsternis am 11. August zum Zuge: Die Bücher dazu aber sind schon da

Darauf haben wir lange gewartet. Wenn am 11. August der Kernschatten des Mondes auf die Erde trifft, werden in einem schmalen Korridor Millionen von Menschen die Köpfe in den Nacken legen und das Fortschreiten der Verfinsterung bis zu ihrem Höhepunkt verfolgen. Nur zwei Minuten und einige Sekunden dauert die Totalität diesmal maximal. Aber es ist die erste und einzige totale Sonnenfinsternis, die man in diesem Jahrhundert in Deutschland sehen kann. Wie es genau sein wird, kann niemand sagen; was wir uns aber erhoffen dürfen, erzählen die Bücher zur Finsternis in Form einer Geschichte, die noch gar nicht stattgefunden hat.

Es ist eine vergängliche Literaturgattung, die nun für wenige Monate auf den Markt gelangt ist. Manche der Bücher ähneln Zeitschriften; in ihnen finden sich Kleinanzeigen und Hinweise auf aktuelle Veranstaltungen. Soweit die Publikationen Anleitungsschriften sind (und die Mehrzahl von ihnen ist es), liegen speziell beschichtete Sonnenbrillen bei, die die Käufer beim staunenden Blick in die noch nicht vollständig verfinsterte Sonne vor dem Erblinden schützen sollen. Andere Werke deuten das kosmische Ereignis in bezug auf das menschliche Schicksal und sehen darin gar ein Wunderzeichen am Himmel, das uns den Weg ins nächste Jahrtausend weisen könnte. Der Ton ist dramatisch, manchmal gar apokalyptisch.

Aber man muß keine transzendenten Mächte auf unser Schicksal wirken sehen, um das Erregende der Verfinsterung zu fassen. Der Schatten auf der Erdoberfläche sei so klein wie ein Nadelstich auf einer Orange, rechnen Leïla Haddad und Alain Cirou in ihrem Buch vor. Wie der dunkle Fleck über die nördliche Hemisphäre fegt, kann man am dramatischsten bei Werner Raffetseder lesen. Sein Buch beschreibt das Einsetzen der Finsternis als eine Geschichte von Beschleunigungen: Morgens, genau bei Sonnenaufgang und siebenhundert Kilometer östlich von New York, wird der Mondschatten bei 43,5 Grad nördlicher Breite und 56,6 Grad westlicher Länge erstmals die Erde berühren. Mit dreifacher Schallgeschwindigkeit wird er ab 9.31 Uhr Weltzeit über das Meer in Richtung Europa rasen. Noch ist der Fleck bloß 49 Kilometer breit, und die Finsternis dauert nur 47 Sekunden.

Raffetseder eilt nun in seiner Erzählung selbst fort vom grauen Nordatlantik; was man noch hätte ergänzen können, muß sich der Leser hier wie so oft aus anderen aktuellen Sonnenfinsternis-Büchern zusammenlesen: daß nämlich über dem Nordatlantik schon eine Concorde auf den Schatten warten wird, um seinem Lauf zu folgen. An Bord sind Wissenschaftler und Meßgeräte. Die Fluggeschwindigkeit der Überschallmaschine dehnt das Erlebnis der Finsternis auf mehrere Minuten aus, und die Beobachter an Bord sind über den Wolken gefeit gegen gewisse Ungewißheiten der nordatlantischen Tiefdruckgebiete. Unten, auf den Wellen des Meeres, müssen die Kreuzfahrtschiffe auf gutes Wetter hoffen, um von den kurzen Sekunden noch etwas zu erhaschen.

Über Deutschland wird die Breite des Kernschattens schon mehr als hundert Kilometer betragen, seine Geschwindigkeit sinkt auf 2650 Stundenkilometer. Stuttgart und Augsburg werden um kurz nach halb eins für zwei Minuten und siebzehn Sekunden total verfinstert sein. In Rumänien schließlich kommt die Schattenachse dem Erdmittelpunkt am nächsten, die Finsternis hat die größte Ausdehnung. Der Kernschatten mißt dort 112 Kilometer, und die Totalität dauert zwei Minuten und dreiundzwanzig Sekunden.

Danach verläßt der Schatten Europa, überquert das Schwarze Meer, durchläuft den asiatischen Teil der Türkei, dann Syrien, den Nordosten des Irak, Irans und Pakistans. Er wird sich dort auf 7000 Stundenkilometer beschleunigt haben. Indien wird dann das letzte Land sein, das der Mondschatten durchquert. Bevor die verfinsterte Sonne im Golf von Bengalen versinkt, ist die Totalitätsdauer auf unter eine Minute gesunken. Mit 100000 Stundenkilometern verläßt der Mondschatten schließlich die Erde und taucht wieder so lautlos in das Weltall ein, wie er gekommen ist.

Drei Stunden und sechs Minuten wird dieser Finsternisdurchgang nur gedauert haben. Wie peripher die Episode Deutschland darin ist, möchte man gerne den Unheilspropheten unter die Nase reiben, die vernarrt sind in ihre Allianz aus Standortsexegese, Millenniumshysterie und ahistorischer Quellenquetsche bei der Auslegung vermeintlich autoritativer Texte. Demgegenüber trifft die hochgestimmte Eile, mit der Raffetseder die Geschichte erzählt, die strahlende Vergänglichkeit des Ereignisses recht gut. Wie viele seiner Kollegen, die nun die Gelegenheitsschriften zum 11. August publizieren, versucht Raffetseder seine Leser, die von Astronomie wenig oder nichts verstehen, gleichzeitig zu informieren und zu emotionalisieren.

Schon die Beschreibungen aus dem neunzehnten Jahrhundert sparten nicht mit Superlativen und schwärmten in eleganter Naturprosa von der "elektrisierenden Wirkung ... eines der brillantesten und glänzendsten Phänomene, die man sich denken kann". Der englische Astronom Baily sah die Sonnenkorona während der Verfinsterung 1838 als religiöses Motiv: Der dunkle Körper des Mondes sei umgeben gewesen "von einem Kranze oder einer Art strahlender Glorie, an Gestalt und relativer Größe derjenigen ähnlich, mit welcher Maler die Häupter von Heiligen umgeben". Adalbert Stifter fand sich vier Jahre später bei einer Sonnenfinsternis wie noch nie in seinem ganzen Leben "von Schauer und Erhabenheit so erschüttert".

Demgegenüber kleiden die aktuellen Autoren ihre Ansagen stellenweise in ein beschämendes Dummdeutsch. In Haddads und Cirous Jargon mutieren schon die Mondphasen zur "Sichel-Show". Der Kosmos Verlag mutmaßt offenbar ein bildschirmgewohntes Publikum und ermahnt: "Diesmal findet die Action direkt am Himmel statt." In Martin Birkmaiers Buch empfindet Karl Thurner die totale Sonnenfinsternis als "mega" und "hyper". Der Mond wird als "beliebtester Himmelskörper der Nacht" vorgestellt (Haddad und Cirou). Wer so gebauchpinselt wird, hat beste Chancen, im August zum "Liebling des Monats" in der Harald-Schmidt-Show erklärt zu werden: ein kleiner Schritt für Schmidt, aber ein großer für die Banalisierung des Kosmos.

Die nun erschienenen Bücher zur Sonnenfinsternis wollen nicht nur Anleitungs-, sondern auch Aufklärungsbücher sein. Selbst die dünnste Schrift, der zwölfseitige Leporello von Hermann-Michael Hahn, erklärt daher zunächst die Himmelsmechanik. Für die Astronomiegeschichte sind die Zeitspannen zwischen zwei Finsternissen in unseren Breiten kleine Ewigkeiten, in denen sich die abendländischen Vorstellungen des Universums mehrfach geändert haben. Die historischen Eklipsen geben daher Anlaß, ein Stück Wissenschaftsgeschichte der Astronomie zu erzählen. Hier ist das Buch von Kippenhahn und Knapp am stärksten. Man erfährt in schlanker Wissenschaftsprosa, wie Olaf Römer die Lichtgeschwindigkeit mittels der Bedeckung der Jupitermonde errechnete und warum Einstein wegen einer Sonnenfinsternis den Nobelpreis erhielt.

Etwas spröder erzählt Karl-August Keil in Birkmaiers Buch die Fortschrittsgeschichte der Eklipsen-Berechnungen. Edmund Halley war es wohl, der anläßlich der Finsternis von 22. April 1715 erstmals den Finsternisstreifen auf einer Landkarte eintrug und später triumphierend feststellen konnte, daß der tatsächliche Verlauf über England nur zwanzig Meilen von seiner Vorhersage abgewichen war. Doch eine Abbildung der Halleyschen Karte findet man nicht bei Birkmaier, sondern nur im ebenso putzigen wie unpraktischen Band von Haddad und Cirou: Nicht nur der Satzspiegel, das ganze Buch ist rund wie die Sonne (und fällt deswegen dauernd aus dem Regal); zudem ist dort das Phänomen in weißen Buchstaben auf finsternisschwarzem Papier erklärt, das so stark reflektiert, daß man das Buch nur mühsam lesen kann.

Man muß wieder bei den begnadeten Wissenschaftspopularisierern Kippenhahn und Knapp nachschlagen, um die späte Pointe des Halleyschen Unternehmens zu finden. Denn als Ende der achtziger Jahre französische Astronomen alte Finsternisberichte aus der Zeit zwischen 1666 und 1719 untersuchten, meinten sie festzustellen, daß man die Beobachtungen nur erklären könne, wenn man annehme, daß die Sonne damals viertausend Kilometer oder 0,3 Prozent größer war als heute. Schrumpfte die Sonne tatsächlich?

Kippenhahn erzählt, wie Halleys Notizen dabei halfen, diese Befürchtung auszuräumen. Halley hatte sich damals an die Öffentlichkeit mit der Bitte gewandt, ihm Berichte über die Beobachtungen der Finsternis aus allen Teilen Englands zukommen zu lassen. William Tempest aus Cranbrook in der Grafschaft Kent schrieb ihm daraufhin, er habe die Sonne nur für einen kurzen Augenblick völlig bedeckt gesehen. Damit war der Südostrand des Totalitätsstreifens festgelegt. Der Nordwestrand konnte durch Mitteilung von Theophilus Shelton aus Darrington bestimmt werden. Mit diesen Daten konnte man die historische Größe der Sonne berechnen: Man brauchte nur den genauen Standort von Darringtons Haus ausfindig zu machen. Als Resultat der Überprüfung ergab sich, daß die Sonne im achtzehnten Jahrhundert dieselbe Größe hatte wie heute.

Für alle Bücher ist die genaue Eingrenzung der Totalitätszone die wichtigste Serviceleistung. So enthalten sämtliche Werke Tabellen und Landkarten vom Finsternisverlauf. Hauptsorge bleibt allerdings das Wetter: In Deutschland gibt es für den 11. August eine Sichtbarkeitsprognose von fünfzig Prozent. Die regionalen Unterschiede kann man aus einer farbigen Sonnenwahrscheinlichkeitskarte bei Wolfgang Held gut ablesen, die bei Karlsruhe mit 64 Prozent den höchsten Wert erreicht. Noch besser steht es jenseits unserer Grenzen: Raffetseder empfiehlt das Burgenland, Kippenhahn und Knapp halten Isfahan für ideal. Leider hat keiner der Autoren eine Wetter- mit einer Korridorkarte verknüpft.

Die exakteste Landkarte findet sich bei Birkmaier. Sie hat den Vorteil, daß man neben kleineren Orten auch noch die Fernstraßen erkennen kann. Es ist ja nicht auszuschließen, daß noch in den letzten Minuten vor der Totalität eine große Wanderung der Beobachter einsetzt - wenn etwa eine dicke Wolke von Westen her naht oder gar ein ganzes Tiefdruckgebiet, dem man sich durch Ortswechsel schnell entziehen will. Da bleibt wohl mancher gerne in Autobahnnähe. Für den Fall, daß man schon vorher im Stau steckenbleibt und die Finsternis trotzdem nicht verpassen will, haben Kippenhahn und Knapp auf einer ganzen Seite österreichische und deutsche Autobahnausfahrten aufgelistet, bei denen man schon in der Totalitätszone wäre.

Wer nach Stuttgart will, sollte allerdings nicht vorher abfahren, denn die Stadt bereitet der Sonnenfinsternis einen großen Empfang, dicht an dicht werden die Fernrohre zwischen den vielen Menschen stehen. Kippenhahn und Knapp sind solchem Bad in der Menge durchaus nicht abgeneigt; ausdrücklich betonen sie das gesellschaftliche Ereignis und empfehlen die Beobachtung anderer Beobachter: Luhmann hätte seine helle Freude gehabt.

Es mag nicht ganz einfach sein, einem Laienpublikum eine Vorstellung vom Naturschauspiel einer Sonnenfinsternis zu geben. Doch es drängt sich auch der Eindruck auf, daß die Bücher überhastet entstanden sind. Die historischen Abschnitte sind zwar informativ, aber mit welch faszinierenden Holzschnitten aus früheren Jahrhunderten hätte man sie bebildern können! Auch an die spektakulären Naturaufnahmen vom 26. Februar 1998, als die verfinsterte Sonne über dem aktiven Vulkan Soufriere Hills auf der Karibik-Insel Montserrat stand, hat niemand gedacht. Eberhard Grünzingers Buch kommt sogar ohne eine einzige Fotografie aus, und selbst Kippenhahn und Knapp greifen noch auf mittlerweile antiquierte Teleskopaufnahmen vom Jupiter zurück, statt die spektakulären neuen Nasa-Satellitenbilder zu nehmen.

Daß nicht nur die astronomischen Phänomene Aufmerksamkeit verdienen, betonen glücklicherweise alle Autoren. Denn wenn es erst ganz dunkel geworden ist, wird für die irdische Natur eine verwirrende Nacht anbrechen. Übereinstimmend heißt es, daß die Blüten ihre Kelche schließen, die Vögel sich schlafenlegen, Ameisen ihre Arbeit beenden würden und das Summen der Insekten aufhören werde. "Erbärmlich geschrien und gebrüllt" habe das Vieh auf der Weide, zitieren Kippenhahn und Knapp selbst einen Chronisten zur Finsternis von 1706. Der heutige Leser fragt sich allerdings, ob hier nicht auch die Angst des Beschreibenden in den Text hineingeschlüpft ist. Kippenhahn und Knapp üben keine Quellenkritik, und auch die anderen Bücher bleiben bei diesen Fragen ausweichend.

Man muß den instruktiven Text von Alexander Demandt über "Verformungstendenzen in der Überlieferung antiker Sonnen- und Mondfinsternisse" von 1970 lesen, um die zahllosen Antikenbezüge und Bibelzitate in den Büchern angemessen würdigen zu können. Vieles, was in den aktuellen Schriften oberflächlich bleibt, bringt Demandt auf den Punkt: "Von den etwa 250 Nachrichten der antiken Literatur über Sonnenund Mondfinsternisse sind über 200 ungenau oder falsch." Demandt machte mehrere Tendenzen bei den Chronisten aus: Sie steigerten die quantitativen Angaben, überhöhten beliebige Ereignisse zu Eklipsen, und vor allem synchronisierten sie sie mit anderen Ereignissen. So kam es, daß Finsternisse zusammen mit bösen Kometen, Erdbeben, Kriegen und anderen Verheerungen auftraten.

Bisweilen fragt man sich, ob nicht das düstere Vokabular der aktuellen Bücher noch ein ferner Nachklang dazu ist. "Monströs" soll der Mondschatten sein, heißt es in der Presseinformation des Hugendubel Verlags, und Wolfgang Held schreibt sogar: "Während die abendliche Dämmerung mit dem Aufglimmen der ersten Sterne das Gefühlsleben des Menschen zum Sternenhimmel hebt, scheint die Dunkelheit der Sonnenfinsternis auf den Menschen wie eine immaterielle Last zu drücken." Für die Zeit unmittelbar vor der Totalität glaubt Held sogar "eine beklemmende Dramatik" und einen "todähnlichen Charakter" des Lichts prognostizieren zu können.

Ganz unmittelbar an diffuse Finsternisängste knüpft auch der Astrologe Jonas Herzog an und verspricht schon im Untertitel seines Buches "sensationelle Auswirkungen auf unser Leben". Schuld daran sollen "sehr feine, jedoch auf die Körper von Lebewesen wirkende Krafteinflüsse" sein, die aber gar so fein sind, daß sie noch nicht einmal einen Namen bekommen haben. Vernarrt in die Kontingenz der menschlichen Zeitrechnung, wird die Finsternis "an der Jahrtausendschwelle" schicksalhaft aufgebauscht. Den schlechten Ruf, den die Astrologie hat, verdankt sie sicherlich auch der bei Herzog zu beobachtenden Mischung aus Ignoranz gegenüber einfachsten naturwissenschaftlichen Zusammenhängen und historischer Ahnungslosigkeit. Eine besondere Perle in diesem Kuriositätenkabinett ist die Behauptung, Sonne und Mond seien lediglich "in bestimmten Monaten ... zugleich zu sehen".

Der Leser kann nur hoffen, daß sich diese Ungenauigkeiten auch auf die Prognosen ausgewirkt haben, so daß Herzogs düstere Ankündigung, die Finsternis werde alles "starke Gute" generell schwächen und das "schwache Schlechte" stärken, sich als falsch erweist. Skeptisch liest man bereits Herzogs aktuelle Prognose, daß zur Zeit der Planet Pluto Frauen und Studenten in Verwirrung bringe. Bringen nicht vielmehr die Frauen die Studenten in Verwirrung oder die Studenten die Frauen, und das schon immer? Pluto jedenfalls kann man hier ruhig aus dem Spiel lassen. Auch die These, daß nach der Sonnenfinsternis die Frauen in den westlichen Ländern Dominanzgelüste entwickeln werden, so daß die Männer sie nicht mehr heiraten wollen, wird wohl nur für den Umkreis des Wehrturms im Böhmerwald gelten, auf welchem Jonas Herzog laut Klappentext lebt.

Übrigens bestätigt sein Buch die Thesen Demandts von den Verformungstendenzen. Denn auch Herzog neigt im Erzählduktus zur Betonung von Gleichzeitigkeit. Wo es historisch nur möglich schien, hat er vergangene Finsternisse mit wichtigen Ereignissen synchronisiert: Die ringförmige Finsternis von 1621 wird um drei Jahre auf den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 zurückgerechnet. Besser geht es schon mit der Differenz zwischen Reichsgründung am 18. Januar 1871 und der Finsternis vom 22. Dezember 1870. Aber ist dieses Ereignis in der Herzogschen Katastrophenreihe, die Dreißigjährigen und Burenkrieg, Titanic-Untergang und Atombombenabwurf aneinanderreiht, wirklich gut aufgehoben?

Das sinnlich Wunderbare der Finsternis geht nicht nur in diesem pseudowissenschaftlichen Wust von Orakeln und verhaltenen Drohungen unter. Auch bei den Anthroposophen Hartmut Ramm und Markus Peters lauert hinter dem kosmischen Schauspiel das Unheil. Die zwei Finsternisminuten seien eine Ermahnung in "geistig umkämpfter Zeit", heißt es da, und auch vom alle 666 Jahre wirkenden Sonnendämon ist die Rede, der seit 1998 wieder sein Unwesen treiben soll. Wer wirklich etwas über die metaphysische Seite einer Sonnenfinsternis erfahren will und dazu noch eine erstklassige Naturbeschreibung sucht, muß zu Adalbert Stifters berühmtem Bericht greifen.

Der kleine österreichische Verlag Bibliothek der Provinz hat ihn vor einigen Jahren mit Illustrationen zu einem schönen Büchlein gestreckt. Der Text ist so wunderbar, daß man es dem Herausgeber Richard Pils nachsieht, daß seine Illustrationen durchgehend seitenverkehrt gezeichnet sind: Statt von rechts schiebt sich der Mond von links vor die Sonne. Konkurrenzlos ist diese Ausgabe schon deswegen, weil sie von Kürzungen absieht. Kippenhahn und Knapp, die den Text im Anhang abdrucken, haben einfach die letzten drei Absätze weggelassen, in denen Stifter elementare Betrachtungen über die Naturgesetze und die menschlichen Sinne anstellt; auch bei Wolfgang Held fehlen diese Passagen und sogar noch etwas mehr.

Stifter erlebte die totale Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 in Wien. Immer seltsamere und fremdere Empfindungen ergriffen ihn. Aber als der letzte Sonnenfunken wegschmolz, da geschieht für Stifter etwas Unerwartetes: "Deckend stand nun Scheibe auf Scheibe und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte - das hatte keiner geahnet - ein einstimmiges ,Ah' aus aller Munde und dann Totenstille, es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten."

Hat die moderne Naturwissenschaft den Kosmos entzaubert? Kippenhahn und Knapp, die sich um diese Frage sorgen, scheinen zuzustimmen. Forschungsergebnisse aber können niemals die "wunderbare Magie des Schönen" beseitigen, die, wie Stifter feststellt, "nichts nach solchen Rechnungen frägt". Er habe immer die alten Beschreibungen von Sonnenfinsternissen für übertrieben gehalten, "aber alle, so wie diese, sind weit hinter der Wahrheit zurück". Nun, wir werden sehen.

MILOS VEC

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