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7 Kundenbewertungen

Joschka Fischers Bericht über das Jahr, in dem er sein Leben veränderte: radikale Gewichtsabnahme, tägliches Langlauftraining - und was das für sein Denken, seine Arbeit und sein Lebensgefühl bedeutete.

Produktbeschreibung
Joschka Fischers Bericht über das Jahr, in dem er sein Leben veränderte: radikale Gewichtsabnahme, tägliches Langlauftraining - und was das für sein Denken, seine Arbeit und sein Lebensgefühl bedeutete.
Autorenporträt
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin.  Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik ¿ vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert«  (2020).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2000

Vier Tugenden
Außenminister Fischer ist entschlossen, durchhaltevermögend, realistisch, geduldig

Joschka Fischer: Mein langer Lauf zu mir selbst. Mit einem Nachwort von Herbert Steffny. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 29,80 Mark.

Den Schutzumschlag des Buches ziert ein Foto des Autors, auf dem man ihn fast ganz sieht, die Farben sind gelb, blau, türkis. Der Autor sitzt auf einer Wiese und streckt uns die Füße entgegen. Wir sehen seine linke Fußsohle von unten, darüber gelbe Kniestrümpfe und seine nackten Knie und dann in den zwar von einem dunkelblauen Sporthöschen bedeckten, aber geöffneten Schritt des Autors hinein. Den Autorenoberkörper umhüllt ein weites türkisgrünes T-Shirt, offenbar gebügelt. Der Autor stützt sich mit den Armen nach hinten ab, das verzerrt die Proportionen und macht den Oberkörper zu klein gegen den eisgrauen Kopf. Der Autor lächelt nach rechts aus dem Bild hinaus. Er sieht aus wie das Kasperle, das gerade die Kinder gefragt hat: "Seid ihr alle da?" Sind wir nicht. Er allein ist da: Mein mir selbst, mit drei von sechs Wörtern verweist der Titel des Buches, "Mein langer Lauf zu mir selbst", auf den Autor zurück, dessen Name darüber steht: Es ist Joschka Fischer, der deutsche Außenminister. Indes handelt sein Buch nicht vom Aufstieg seiner Person in die deutsche Außenpolitik, sondern vom Aufstieg seines Körpers in die internationale Fitnessgemeinde. Entsprechend präsentiert er sich auf dem Umschlag so ums Verrecken lässig. Die Lässigkeit ist eine PR-Pose, denn der Körper des Außenministers hat mit Lässigkeit nichts zu tun, sondern ist das Ergebnis eiserner Disziplin. Und so gelingt das Kasperlebild vom gefundenen Selbst nur um den Preis der Schamlosigkeit.

Was äußerlich vorging, ist bekannt bis zum Überdruss: Joschka Fischer begann nach seinem Einzug in den Bundestag im März 1983 langsam und nach seiner Ernennung zum Umweltminister von Hessen im Dezember 1985 immer schneller zu verfetten. Am Ende sah er aus wie ein römischer Kaiser, trug aber leider keine Toga, sondern Turnschuhe. Nachdem ihm seine dritte Frau im Sommer 1996 erklärt hatte, dass sie sich von ihm trennen werde, schaffte er die angefressenen Polster innerhalb kürzester Zeit wieder ab. Heute wiegt er fünfunddreißig Kilo weniger und läuft jeden Tag außer Samstag (dann spielt er Fußball) zehn Kilometer. Am Sonntag läuft er doppelt so viel. Dass er so viel abgenommen hat und sein Gewicht jetzt hält, könnte den Dicken Deutschlands Hoffnung machen, tut es aber nicht, denn Joschka Fischer war in Wirklichkeit kein Dicker, sondern ein mit Fett behängter Dünner. Bei seinem Einzug in den Bundestag war er "ganze 75 Kilogramm schwer, . . . muskulös und völlig austrainiert. All die Jahrzehnte zuvor hatte ich mit Begeisterung Sport getrieben, Sport gehörte eigentlich immer zu meinem Leben." Das Dickwerden war das äußere Anzeichen einer inneren Anspannung: "Kompensation, Panzerung, Verdrängung - gemeinsam mit dem Älterwerden waren das die wichtigsten Ursachen für meinen . . . Gewichtsanstieg." Kompensation und Verdrängung passen nun besser zum Alkohol, dem er seinerzeit noch zusprach und der natürlich auch dick macht. Zur Panzerung hingegen taugt nichts weniger als Fett, denn Fett ist weich, verformbar und leicht zu durchstoßen. Jeder kleine Rempler macht blaue Flecken, und dicke Menschen sind in der Regel ganz besondere Sensibelchen, deren Empfindlichkeit in direkter Relation zum Körperumfang steht. Mit Fett schützt man sich nicht, sondern man macht sich schwer; man wird und bleibt dick, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Wer sich panzern will, der trainiert seine Muskeln. "Hier, hau mal drauf", sagen nicht die mit den dicken, sondern die mit den extraflachen Bäuchen, wie Fischer mittlerweile wieder einen hat. Die grinsen nach jedem Schlag und sagen: "Siehste, hart wie ein Brett."

Wie Fischer ein Dünner mit Fettbehang war, so ist sein Buch inhaltlich mager, aber mit Rhetorik behängt. Sein Stil ist holprig, redundant und voller Klischeefiguren: "Ohne dass ich mich auch nur ein Jota über gesunde . . . Ernährung zuvor jemals groß informiert hätte . . . sollte ich, geleitet durch die Umstände und die Zufälle des Alltags, spontan die völlig richtigen Entscheidungen treffen, wie ich wesentlich später dann in der Retrospektive feststellte." Ohne Vorwarnung heißt es plötzlich: "Aber auch hier sollte sich die Politik als mein eigentliches Schicksal erweisen" oder: "Der Rhein sollte mir ein weiteres Mal die Antwort geben." Und wenn er auf sich selbst verweist, tut er es, wie im Titel schon, im Übermaß: "nach langen inneren Dialogen mit mir selbst" heißt es an einer Stelle und kurz darauf: "kannte ich kein Erbarmen mit mir selbst, denn hier ging es gewissermaßen um den Kern meiner inneren Machtfrage, die ich mit mir selbst auszutragen hatte". Selbstverständlich. Schon im ersten Kapitel kündigt er an, dass er vor allem über sich selbst sprechen würde, "die Subjektivität meines folgenden Berichts lässt sich nicht umgehen" (!), das Eigenartige ist nur, dass man dann von ihm selbst eigentlich nichts erfährt. Was dieses Selbst ist, zu dem ihn der lange Weg führte, sagt er nicht, behauptet nur, dort angekommen zu sein. So handelt dieses Buch nicht vom Ziel, sondern, gut buddhistisch, vom Weg. Und dieser Weg war ein harter Kampf, und er hat ihn gewonnen. Aber das wussten wir schon.

Da Fischer nun nichts von sich mitteilt, sich auch zur Erklärung seiner Völlerei wie seiner Abkehr von ihr auf allgemein gehaltene, höchst banale Ausführungen zu Suchtverhalten, Triebstruktur, Welternährungslage und "Umprogrammierung" des persönlichen Lebensstils beschränkt, handelt sein Buch allein von der heldenmäßigen Strategie, die er anwandte, um zu erreichen, wovon jeder Mann träumt: "Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Realismus, Geduld waren also die vier Tugenden, auf denen fußend ich die drei Grundsätze formulierte . . .: Belüge dich niemals selbst! Meide immer deine Leistungsspitze! Gib niemals auf!"

Hier schreibt ein Krieger. Nach einem Jahr Laufen, Vegetarismus, Alkoholverzicht und plötzlich erwachter Liebe zur klassischen Musik kehrt er an den Ort zurück, da er sich "in jener einen Sekunde" entschied, sein Leben zu ändern, und beginnt, was zunächst eigenartig erscheint, dann aber begreiflich wird, weil es zu jeder Schlachtbeschreibung dazugehört, mit einer Schilderung des Geländes: "Die Hügellandschaft südlich von Siena, schon immer ,Crete' genannt, liegt etwa 200 bis 300 Meter über dem Meeresspiegel" und so weiter. Am Ende geht es nur noch um das richtige Training. Das Kapitel "Mein erster Marathon" ist etwa so interessant wie die Seite "Mein erster Schultag" in einem fremden Fotoalbum, und das letzte Kapitel "Mein Lauf zu mir selbst" hält, wie gesagt, nicht, was der Titel verspricht.

Das Private sei politisch, behauptete einst die Frauenbewegung. Diese Parole wurde dankbar aufgenommen, und bei ihrer flächendeckenden Durchsetzung verkehrte sie sich in ihr Gegenteil, so dass das Politische nunmehr als Privatsache verhandelt werden kann und es keinen wundert, wenn Politiker sich als Privatpersonen präsentieren. Diese Art von Exhibitionismus treibt Fischer nun allerdings nicht. Zwar gibt er vor, Privates mitzuteilen, beschränkt sich dann aber auf das, was die "Brigitte" auch immer sagt, dass man sich nämlich viel bewegen und gesund ernähren muss, wenn man dünn werden und bleiben will. Wiederholt weist der Bundesaußenminister darauf hin, wie egal es ihm ist, was andere von seiner neuen Lebensweise, seinem schlechten Aussehen und seiner schlechten Laune halten. Auf seinem langen Lauf habe er sein "gemütliches alternatives Leben" hinter sich gelassen, das sei "vorbei, perdu". Der Privatmann verschwand, als er seinen Panzer vom Fett befreite. Heute ist Joschka Fischer ausschließlich Politiker, dem im Sinne der Kräfteökonomie allerdings geraten werden muss, vom Schreiben persönlicher Bücher in Zukunft Abstand zu nehmen.

IRIS HANIKA

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einer hübsch boshaften Kritik weist Iris Hanika die Vermutung von sich, Fischers Buch über den "Aufstieg seines Körpers in die Internationale Fitneßgemeinde" sei irgendwie ermutigend für die Dicken Deutschlands: Fischer, der bei seinem Einzug in den Bundestag noch 75 Kilo wog, später 35 Kilo zunahm, "war in Wirklichkeit kein Dicker, sondern ein mit Fett behängter Dünner." Fischer behauptet, dass Fett sei ein "Panzer" gewesen, den er mit seiner Diät abgelegt hat, erzählt Hanika. Sie selbst sieht das genau umgekehrt: Mit der Diät habe Fischer seinen Panzer vom Fett befreit. Hanika zitiert mit Vergnügen eine Reihe von Platitüden und kritisiert die ständige Verwendung des Wörtchens "selbst". Eigenartig, dass man von diesem Selbst dann gar nichts erfährt, meint sie, ist dann aber doch ganz dankbar, dass Fischer wenigstens nicht in Exhibitionismus verfallen ist. Sein Buch beschränke sich im Grunde auf Empfehlungen wie sie auch in der "Brigitte" stehen.

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