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"Gute Hoffnung" in Zeiten der Pränataldiagnostik: Eltern erwarten von vorgeburtlichen Untersuchungen die Bestätigung, dass ihr Kind gesund ist. Und müssen nicht selten über Leben und Tod entscheiden. Auf diesen Konflikt sind die wenigsten vorbereitet! Dürfen wir im Labor über wertes und unwertes Leben entscheiden? Dürfen Normen wie Tötungsverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz ausgehebelt werden? Allein mit dem Ziel, Krankheit und Behinderung vorzubeugen? Diese Fragen scheinen tabu - doch wir müssen uns ihnen stellen.
Schwangere und Paare nicht allein lassen, ihnen aber die Verantwortung für
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Produktbeschreibung
"Gute Hoffnung" in Zeiten der Pränataldiagnostik: Eltern erwarten von vorgeburtlichen Untersuchungen die Bestätigung, dass ihr Kind gesund ist. Und müssen nicht selten über Leben und Tod entscheiden. Auf diesen Konflikt sind die wenigsten vorbereitet! Dürfen wir im Labor über wertes und unwertes Leben entscheiden? Dürfen Normen wie Tötungsverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz ausgehebelt werden? Allein mit dem Ziel, Krankheit und Behinderung vorzubeugen? Diese Fragen scheinen tabu - doch wir müssen uns ihnen stellen.

Schwangere und Paare nicht allein lassen, ihnen aber die Verantwortung für ihre Entscheidungen zumuten: Das ist Ziel dieses Buches. In einer emotional geladenen Debatte bleibt es unaufgeregt sachlich. Allen medizinischen und beratenden Fachleuten hilft es, ihr Handeln zu reflektieren.
Autorenporträt
Haker, Hille
Prof. Dr. Hille Haker, geb. 1962, ist Professorin für Moraltheologie an den Universitäten Chicago und Frankfurt. Als anerkannte Fachfrau für Medizin- und Bioethik beriet sie u.a. die Bundesärztekammer und die Deutsche Bischofskonferenz. Sie ist Mitglied der Ethikberatergruppe (EGE) der Europäischen Kommission. Zahlreiche Publikationen und große Medienpräsenz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2011

Kinderwunsch unter Vorbehalt

Vom Wandel unseres Begriffs der Elternschaft durch die moderne Medizin: Hille Haker arbeitet die ethischen Fragen heraus, die von der Verfügbarkeit pränataler Diagnostik aufgeworfen werden.

Der Triple-Test war bedenklich ausgefallen. Der Frauenarzt riet zu einer Fruchtwasseruntersuchung. "Sie müssen natürlich nicht - wenn Sie es darauf ankommen lassen wollen ..." Was der Arzt damit meinte, war klar, ohne dass er es hätte aussprechen müssen. Ein behindertes Kind, das braucht doch heute nicht mehr zu sein. Die Gegenwehr der Eltern, die bis dahin schon den Gedanken an eine Abtreibung für verwerflich gehalten hatten, war kurz. Sie ließen die Fruchtwasseruntersuchung durchführen. Am Heiligabend kam die Nachricht, dass alles in bester Ordnung sei. Zu der Freude und Dankbarkeit des ersten Augenblicks gesellte sich beim Rezensenten in den folgenden Tagen ein Gefühl tiefer Beschämung. Wie sollte er mit der Erinnerung daran umgehen, dass er das trotzige "Und wenn schon!" durch eine stillschweigende Distanzierung von dem möglicherweise behinderten Kind relativiert hatte? Weshalb hatte er es sich seit dem Tag der Untersuchung auf das peinlichste versagt, die Kindsbewegungen zu ertasten? Warum hatte er es sich verboten, weiter darüber nachzudenken, wie das Kind heißen solle? Hatte er nicht seinen ungeborenen Sohn verraten und als Vater schon in der ersten Prüfung auf das gröblichste versagt?

Während der rechtliche und moralische Status des ungeborenen Lebens in den letzten Jahren ausgiebig diskutiert worden ist, wird die Frage, wie der stille, aber unaufhaltsame Siegeszug der Pränataldiagnostik sich auf das Verständnis von Elternschaft auswirkt, weithin vernachlässigt. Dieses Schweigen durchbrochen zu haben, ist das Verdienst der Frankfurter Moraltheologin Hille Haker. Die Elternschaft gehört für Haker "zu den Beziehungsformen, deren Verständnis sich durch die sozialen Wertveränderungen und durch die neuen Technologien so radikal verändert hat, dass sie deshalb auch ethisch neu zu interpretieren ist". Die Pränataldiagnostik, die, wie Haker hervorhebt, in den meisten Fällen keinen therapeutischen, sondern einen rein identifikatorischen Grund hat, führt dazu, dass die Eltern die Annahme des Kindes hinauszögern. "So sind die Frauen schwanger, aber sie werden Eltern nur unter Vorbehalt, dass ihr Kind die genetischen Tests gesund übersteht." Diese Vorbehaltlichkeit, das heißt die Koppelung der Anerkennung des Kindes an die Bedingung seiner Gesundheit, macht, wie Haker überzeugend darlegt, die Herausforderung aus, die die moderne Medizin für das Verständnis von Elternschaft enthält.

Die assistierte Fortpflanzung verstärkt die Neutralisierung des Beginns der Elternschaft nochmals beträchtlich. Die Eltern von Embryonen, die mit medizinischer Unterstützung erzeugt werden, befinden sich nämlich zunächst in einem eigentümlichen Schwebezustand. "Einerseits ist da die Realität des gezeugten menschlichen Lebens, andererseits ist dies keineswegs mit der Erfahrung des Beginns einer Schwangerschaft vergleichbar." Wird den Eltern in diesem Stadium zudem die Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik eröffnet, können sie darüber hinaus "zwischen verschiedenen Embryonen ihr potentielles zukünftiges Kind aussuchen - sie können den Embryo wählen, den sie dann als ihr Kind anerkennen werden". Insgesamt verschiebt sich der kontingente Charakter eines Kindes als etwas "Gegebenes" dadurch immer mehr in die Richtung eines "Gewählten".

Die Verfechter der These von der "reproduktiven Autonomie" sehen diese Entwicklung freilich nicht als Gefahr, sondern vielmehr als Emanzipationsgewinn an. Mit ihrer abstrakten Autonomiesemantik reden sie jedoch einer Verharmlosung der sozialen Pressionen das Wort, unter denen sich heute die Entscheidung für oder gegen die Annahme eines - zumal behinderten - Kindes vollzieht. "Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Spirale, die niemand individuell lenkt und die wir alle gemeinsam dennoch in Gang setzen; eine Spirale der immer schneller, stärker und auch tiefgreifender zufassenden Perfektionierung und Normalisierung, die diejenigen an den Rand drängt, die den Kriterien einer auf Funktionalität ausgerichteten Gesellschaft nicht genügen."

Der Einfluss, den die soziale Normalitätserwartung auf die Entscheidungen werdender Eltern ausübt, ist zwar kaum fassbar, weil er, wie Haker feststellt, "nicht in die Rhetorik der Integration, Gleichstellung und besonderen Wertschätzung von Familien passt, die in Deutschland gepflegt wird". Er hat aber immerhin zur Folge, dass so gut wie keine Kinder mit Behinderungen geboren werden, wenn diese Behinderungen zuvor festgestellt worden sind. Angesichts dieser Situation läuft der stereotype Verweis auf die Entscheidungsautonomie der Eltern darauf hinaus, die Mitverantwortung der Gesellschaft zu leugnen und die Eltern in ihrer moralischen Not allein zu lassen.

Die Alternative zu dieser für die Gesellschaft bequemen Privatisierung eines moralischen Konflikts, der die Betroffenen mitunter geradezu zu zerreißen droht, liegt für Haker auf der Hand. "Wir brauchen ein effektiveres und vor allem auch transparentes System der Fördermöglichkeiten für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen, eine Entlastung für Eltern, vor allem aber für Frauen, die die Betreuung leisten, um ihnen die Aufgabe in einer Weise zu ermöglichen, dass sie ihre Identität, ihre Vorstellung von einem guten Leben nicht bedroht sehen."

Dem wird, zumindest öffentlich, niemand widersprechen wollen. Wie aber soll unter den Rahmenbedingungen, so wie sie heute nun einmal sind, mit Pränataldiagnostik, Präimplantationsdiagnostik und Schwangerschaftskonflikten umgegangen werden? Unzureichend ist Haker zufolge sowohl eine Ethik, die den Konflikt um eine Schwangerschaft mit dem Hinweis auf die Souveränität und Autonomie der Akteure beiseite schiebt, als auch eine Ethik der "Heiligkeit des Lebens" oder des absoluten Lebensschutzes, die den Konflikt von vornherein leugnet, weil die Prinzipien der Moral ihn zu verbieten scheinen. "Embryonen haben kein schlechthinniges Existenzrecht, weil sie nicht unabhängig von einer Mutter existieren können - das unterscheidet sie von geborenen Kindern. Die Differenz zu einem geborenen Kind kann nicht einfach eingezogen werden; der Würdebegriff unterstellt eine zumindest elementare Selbständigkeit einer individuellen Existenz, die erst mit der Geburt einhergeht. Umgekehrt haben aber auch Embryonen sehr wohl generell ein Existenzrecht, als sie zumindest potentiell die Kinder von Eltern sind, welche sie durch einen wissentlichen und willentlichen Akt gezeugt haben (durch die spontane Zeugung oder die Erzeugung im Reagenzglas) - und sie damit ins Leben gebracht haben. Zumindest kann damit ihre Existenz nicht geleugnet oder ungeschehen gemacht werden, und dafür ist die Verantwortung zu übernehmen."

Embryonen haben demnach zwar prima facie einen Anspruch auf Anerkennung durch ihre Eltern. Die Tugend der Sorge dürfe aber nicht so hoch angesetzt werden, dass Eltern, zumal Frauen, unter dem Anspruch, für andere da sein zu sollen, zu zerbrechen drohen. Die Selbstsorge dürfe in der Fürsorge nicht vergessen oder übersprungen werden.

Diese geradezu hegelisch anmutende Leitlinie - auch Hegel stellt dem abstrakten Recht der Person ein "Recht des Wohls" gegenüber - ist phänomenologisch und systematisch wohlbegründet. Als Widerlager gegen den von Haker kritisch diagnostizierten Wandel der Elternschaft eignet sie sich allerdings nur bedingt. Wenn die Eltern zwischen der Rechtsstellung des ungeborenen Kindes und ihrem eigenen Wohl abwägen sollen, spricht nämlich vieles dafür, dass sie dies auf der bestmöglichen Tatsachengrundlage tun dürfen. Wer die Frage zulässt, welche Auswirkungen die Annahme des Kindes auf das elterliche Wohlbefinden hat, wird sich schwer damit tun, den Eltern einen Teil der technisch unschwer verfügbaren Informationen vorzuenthalten, die nach gesellschaftlich vorherrschender Überzeugung für die Bildung dieses Urteils von Bedeutung sind. Der Kreis der betreffenden Umstände muss sich keineswegs auf schwere genetische Defekte beschränken. In einer Gesellschaft, in der Jungen eine weitaus größere Wertschätzung entgegengebracht wird als Mädchen, kann dazu im Rahmen eines family balancing auch das Geschlecht des Kindes gehören.

Dies ist nicht als Kritik an den Ausführungen Hakers zu verstehen. Mehr als das, was sie in ihrem Buch leistet, kann man von einer ihrer eigenen Möglichkeiten und Grenzen bewussten Ethik nicht verlangen: die begriffliche und axiologische Struktur moralischer Fragen herauszuarbeiten sowie gegen ungerechtfertigte Problemverkürzungen Stellung zu beziehen. Ihre Adressaten moralisch zu verbessern, geht über die Kräfte der Ethik. Dies bedeutet freilich umgekehrt auch, dass man den Beitrag, den ethische Reflexionen zur Lösung gesellschaftlicher Reizthemen leisten können, nicht überschätzen sollte. Die Ethik kann bestenfalls darauf hinwirken, den Umgang mit solchen Fragen methodisch zu disziplinieren. Wenn es an die Schlussfolgerungen geht, ist jeder mit sich allein. Seine Scham kann dem Rezensenten niemand abnehmen.

MICHAEL PAWLIK.

Hille Haker: "Hauptsache gesund?" Ethische Fragen der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik.

Kösel Verlag, München 2011. 268 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Pawlik erklärt eindringlich den Unterschied zwischen ethischer Reflexion über ein heikles, komplexes Thema wie die Elternschaft in Zeiten der Pränataldiagnostik und den moralischen Schlussfolgerungen des Einzelnen, der vor die Herausforderung gestellt wird, ein möglicherweise behindertes Kind anzuerkennen. Was das Buch der Moraltheologin Hille Haker in dieser Hinsicht leistet, findet Pawlik unschätzbar. Etwa, wenn er durch Haker erfährt, wie die Gesellschaft das Problem mit Hilfe der Medizin erst an den Einzelnen delegiert und sich so der Verantwortung entzieht, oder dass die Selbstsorge in der Fürsorge nicht vergessen werden darf. Hier sieht Pawlik einen Angelpunkt der ethischen Diskussion. Weil die individuelle Abwägung zwischen Fremd- und Selbstsorge nur auf "bestmöglicher Tatsachenbasis" erfolgen sollte.

© Perlentaucher Medien GmbH